Antrag der Fraktion GRÜNE und Stellungnahme des Ministeriums für Umwelt und Verkehr – Verschärfung der Nachtflugbeschränkungen in Baden-Württemberg – Drucksache 13/1284
Das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt: für die Begründung fünf Minuten, für die Aussprache fünf Minuten je Fraktion.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Während sich der Saal leert, darf ich Sie zu einem Gedankenexperiment auffordern. Stellen Sie sich einfach vor, die Schweizer Eidgenossen hätten im Jahr 1291 keinen Vertrag miteinander geschlossen, es wäre nicht zur Gründung der Schweiz gekommen und die Schweiz wäre heute ein Teil der Bundesrepublik Deutschland. Sagen wir, die Schweiz wäre ein gemeinsames Bundesland mit Baden-Württemberg mit seinem Regierungssitz in Stuttgart.
Nun stellen Sie sich die Frage: Wie würde in dieser Konstellation wohl der Lärm durch den Betrieb des Flughafens Zürich verteilt? Meine Damen und Herren, ich glaube, man kann diese Frage ganz einfach beantworten: Der Lärm, den der Flughafen Zürich durch An- und Abflüge produziert, würde ungefähr so verteilt werden, wie er in der Vergangenheit verteilt wurde. Er würde nämlich dort konzentriert, wo die geringste Anzahl von Menschen betroffen sind. Bedauerlicherweise bedeutet das, dass die Einflugschneise gemäß der heutigen geographischen Grenzziehung über süddeutschem Gebiet liegen würde.
Wir haben nun über einen Antrag zu beraten, der aufdecken soll, dass die Landesregierung beim Thema Fluglärm immer wieder Doppelstandards anwendet. Bis 1998 hat die
Landesregierung keine Anstalten unternommen, die Bevölkerung am Hochrhein vor Fluglärm zu schützen, im Gegenteil.
Meine Damen und Herren, ich darf Sie bitten, die Gespräche draußen zu führen, hier drin Platz zu nehmen, die Türen zu schließen und dem Redner zu lauschen.
Fluglärm ist das Thema. Bis 1998 hat diese Landesregierung keine Anstalten unternommen, die Bundesregierung dazu aufzufordern, von der Schweiz eine Reduzierung des Lärms am Hochrhein zu verlangen. Im Gegenteil, sie hat alles brav hingenommen. Ganz offensichtlich macht die Landesregierung ihre Haltung, was den Fluglärm angeht, eher vom Auge als vom Ohr abhängig. Erstaunlicherweise kommt es mehr auf die Farbe der Regierung in Berlin als auf die Lautstärke des Lärms am Hochrhein an. Denn, siehe da, seit die Regierungsfarbe gewechselt hat, ist Ministerpräsident Teufel zu einem der lautesten Verfechter der Ruhe am Hochrhein geworden und hat keine Gelegenheit ausgelassen, die Bundesregierung dafür zu kritisieren, dass sie der Schweiz gegenüber zu nachsichtig sei.
Halten wir fest: In der Zeit, als die CDU selbst an der Macht war, hat sie gegenüber der Schweiz nichts unternommen. Erst als Rot-Grün an der Macht war, konnte man gegenüber der Schweiz gar nicht hart genug sein. Selbst hat die Union nichts erreicht.
Ein zweites Beispiel. Diesmal geht es nicht um die Farbe der Regierung, sondern um den Inhalt der Verträge. Auch hier Doppelstandards! Nehmen wir die Beispiele Flughafen Stuttgart und Flughafen Zürich und halten diese beiden gegeneinander, so stellen wir fest: Am Flughafen Zürich hat der Staatsvertrag, der von dieser Landesregierung immer wieder heftig kritisiert wurde, ein Nachtflugverbot von 22 Uhr bis 6 Uhr vorgesehen, am Wochenende von 20 Uhr bis 9 Uhr. Dies wurde von der Landesregierung als viel zu lasch kritisiert. Aber die Situation am Flughafen Stuttgart sieht so aus: Nachtflugverbot zwischen 23:30 Uhr und 6 Uhr, das heißt anderthalb Stunden weniger. Mit anderen Worten: Es kann anderthalb Stunden länger über den Köpfen der Bevölkerung gelärmt werden. Das ist ein ganz eindeutiger Doppelstandard.
Im Übrigen sei darauf hingewiesen, dass auch das Gegenargument, dass es sozusagen guten und schlechten Lärm gebe, nämlich guten Lärm, den man selber produziert, und schlechten Lärm, den ausländische Flugzeuge produzieren, wirklich nicht geeignet ist, den Doppelstandard aufzuheben, weil nämlich in der einseitigen Verordnung, die jetzt gegenüber der Schweiz erlassen wurde, ein Nachtflugverbot von 21 Uhr bis 7 Uhr festgelegt ist. Man hat also in der Tat diesen Faktor berücksichtigt und hat die Nachtflugbestimmungen noch verschärft. Aber die Zeit zwischen 22 Uhr und 6 Uhr sollte überall, auch in Stuttgart, den Bewohnern als Nachtruhe gegönnt sein.
Ich kann mich nicht erinnern, in irgendeiner Weise theologische Bemerkungen von mir gegeben zu haben, Herr Kollege.
(Abg. Moser SPD: Das trieft ja vor Moral! Hast du nicht begriffen, dass wir für die Schweiz der Ab- falleimer für den Müll sind? – Gegenruf des Abg. Scheuermann CDU: Das mag er nicht kapieren!)
Herr Kollege Moser, Moral ist eine Kategorie, die nicht nur theologisch begründet werden kann, sondern auch ohne Gottes Existenz.
Bevor wir jetzt in Diskussionen über Theologie geraten: Ich bestreite überhaupt nicht, Herr Kollege Moser, dass die Schweiz versucht hat, ihr Lärmproblem nach Deutschland zu exportieren. Meine These ist nur: Die Landesregierung ist gegenüber der Schweiz sehr, sehr hart, aber wenn es um den eigenen Flughafen geht, sind die gleichen Grundsätze völlig wertlos.
(Beifall bei den Grünen – Abg. Scheuermann CDU: Das ist doch nicht wahr! – Glocke der Präsi- dentin)
Herr Kollege, darf ich um eine genaue Sprachregelung bitten! Nicht die Schweiz verursacht Lärm, sondern die Betreibergesellschaft des Flughafens und dessen Flugzeuge. Ich möchte das aus nachbarschaftlichen Gründen scharf trennen.
Ich bin mit dieser Trennung völlig einverstanden, obwohl das keine Frage war, wenn ich das richtig sehe.
Was den dritten Punkt eines Doppelstandards angeht, meine Damen und Herren: Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass das, was am Hochrhein gilt, am Oberrhein offensichtlich nicht gilt. Wir hatten heute eine denkwürdige Sitzung des Finanzausschusses. Im Finanzausschuss hat die Landesregierung 6 Millionen € als jährliche Subvention für den Flughafen Söllingen zur Kenntnis gegeben, insgesamt 76 Millionen €, die für den Flughafen Söllingen als Subvention aus dem Landeshaushalt ausgereicht werden sollen. Da gibt es nur zwei denkbare Möglichkeiten.
Die erste Möglichkeit: Diese Investition ist gut angelegt. Dann heißt das: Im Jahr 2015 herrscht dort so viel Verkehr, dass wir das Lärmproblem, das wir gerade am Hochrhein mühsam bekämpfen, am Oberrhein haben.
Und die zweite Möglichkeit: Es gibt dort kein Lärmproblem. Dann war das Geld mehr als rausgeschmissen. Auch das ist ein offenkundiger Doppelstandard, meine Damen und Herren.
In der Stellungnahme zu unserem Antrag führt die Landesregierung aus, dass sie sich gar nicht genötigt fühle, eine Stellungnahme zur Frage eines bundesweiten Fluglärmgesetzes abzugeben, weil dieses Fluglärmgesetz von der Bundesregierung zurückgezogen worden sei. Aufgrund der Diskontinuität ist wieder ein Fluglärmgesetz in Arbeit. Wir können also von der Landesregierung sehr wohl erwarten, dass sie Auskunft darüber gibt, ob sie bereit wäre, einer bundeseinheitlichen Nachtflugregelung, eines Lärmschutzes von 22 bis 6 Uhr, zuzustimmen. Denn ohne Zustimmung des Bundesrats hätte dieses Gesetz keine Chance.
Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen: Die Landesregierung verhält sich ungefähr so wie ein Bürger, der über seinen Gartenzaun hinüber Vorschriften macht und verlangt, dass auf dem Grundstück seines Nachbarn kein Rasenmäher betrieben werden darf, weil der zu laut sei, aber selbst nicht bereit ist, am eigenen Fahrzeug wenigstens einmal den Auspuff reparieren zu lassen.
Sie haben, was das Thema Lärmschutz angeht, im Verhältnis zur Schweiz nie etwas selbst erreicht, sondern nur kritisiert, was die derzeitige Bundesregierung an Schutz für die Bevölkerung am Hochrhein durchgesetzt hat. Dort, wo Sie selbst zuständig sind, nämlich beim Erlass von Fluglärmschutzvorschriften für Flughäfen hier im Land, bleiben Sie untätig und lassen zu, dass bis Mitternacht Nachtflugverkehr stattfindet. Wir kritisieren das heftig.
Frau Präsidentin, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Palmer, Sie haben Äpfel mit Birnen verglichen, taten aber so, als würden Sie Äpfel mit Äpfeln vergleichen. Weil dies aber nicht stimmte, war Ihre Konsequenz grotesk, einfach richtig grotesk!
Wir haben folgenden Sachverhalt: Die Schweizer betreiben in Zürich einen Flughafen, und sie unternehmen alles, um die Zwangsnotwendigkeit, aus Norden anzufliegen und nach Norden abzufliegen, zu erhöhen. Aus welchem Grund? Um ihre eigene Bevölkerung vor Fluglärm zu schützen.
Das ist doch ein völlig anderer Tatbestand, als wenn ich mich damit beschäftige, dass ich die eigene Bevölkerung vor dem Fluglärm schützen muss, der durch den Betrieb meines eigenen Flugplatzes verursacht wird. Wir sind doch nicht dafür da, um für den Flughafen Zürich mehr Anflüge und mehr Abflüge in Kauf zu nehmen, als technisch unbedingt notwendig wären.
Jetzt bei diesem Sachverhalt zu sagen: „Das, was dem Hochrhein billig ist, muss ganz Baden-Württemberg“ – Sie haben sogar gesagt: ganz Deutschland – „recht sein“, das ist wirklich eine Vergewaltigung der Logik und sonst gar nichts.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein zweiter Gesichtspunkt: Bundesumweltminister Trittin hat einen Vorschlag zur Verschärfung des Fluglärmgesetzes aus dem Jahr 1971 ins Kabinett gebracht. Das Kabinett ist dem Vorschlag des Bundesumweltministers Trittin
nicht gefolgt – aus einem ganz einfachen Grund: weil ich nicht alle Flughäfen in Deutschland über einen Kamm scheren kann. Ich muss mich mit den konkreten Verhältnissen befassen. Wenn ich einen Flughafen auf der grünen Wiese habe, stellt sich doch die Frage des Lärms ganz anders, als wenn ich einen Flughafen habe, an den im Laufe der Zeit die Bebauung ganz eng herangeführt wurde.