Protocol of the Session on June 25, 2003

(Abg. Dr. Carmina Brenner CDU: So können Sie das nicht sagen! – Widerspruch des Ministers Dr. Döring)

Dies können wir uns für die Umwelt, aber auch für die Wirtschaft unseres Landes nicht mehr leisten. – Eine aktive Verhinderung besteht ganz eindeutig im Landesplanungsgesetz.

(Abg. Dr. Carmina Brenner CDU: Nur Einzelan- lagen Windkraft, nicht Windparks!)

Ich habe dies vorhin bei meinen Berechnungen bereits herausgerechnet. Selbst wenn wir die Windkraft herausrechnen, haben wir in Baden-Württemberg nur 9 % der Investitionen gegenüber 6 % mit Windkraft. Daran sieht man, welche wirtschaftliche Kraft an uns vorbeifließt, welche Summe an Investitionen an uns vorbeifließt. Das liegt in der Größenordnung von mindestens 200 Millionen € pro Jahr, wenn wir es nur schaffen würden, wenigstens auf den Landesdurchschnitt zu kommen.

Wir fordern Sie deshalb auf: Nehmen Sie endlich zur Kenntnis, dass die Zeit der Kernenergie vorbei ist und dass

auch aus wirtschaftlichen Gründen – und da schaue ich Sie, Herr Minister Döring, an – und nicht nur aus umweltpolitischen Gründen die erneuerbaren Energien ausgebaut werden müssen, auch wenn Sie dies aus Umweltgründen nicht wollen.

Wir wissen alle, dass mit jeder größeren Strommenge, die wir nach dem Ausstieg aus der Kernenergie zukaufen müssen, Arbeitsplätze aus Baden-Württemberg abwandern, weil Arbeitsplätze dort bestehen, wo die Energie erzeugt wird.

Hören Sie auf mit einer ideologischen Gesetzgebung, die den Ausbau der erneuerbaren Energien verhindert – siehe Landesplanungsgesetz und Windkraft.

Lassen Sie Bundesgelder ungehindert nach Baden-Württemberg fließen. Wir brauchen diese.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Witzel GRÜNE)

Das Wort erhält Frau Abg. Dr. Brenner.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Fakten in der jetzigen Diskussion sind: Der Atomausstieg ist von der Bundesregierung beschlossen. Die Strombranche hat sich mit der Bundesregierung auf Restlaufzeiten der Kernkraftwerke geeinigt, aber Ersatz gibt es nicht, Neubau auch nicht. – Das war die Kenntnisnahme.

Nun diskutiert man den mittelfristigen Ersatz der Kernenergie. Allerdings gibt es meiner Meinung nach nach wie vor keine sachlichen Gründe für einen kompletten Ausstieg aus der Kernenergie, höchstens ideologische. Die meisten Reaktoren produzieren mit niedrigen variablen Kosten und decken vor allem den Grundlastbereich ab. Jährlich vermeiden die deutschen Kernkraftwerke einen CO2-Ausstoß von ca. 160 Millionen Tonnen. Das ist etwa so viel, wie der gesamte deutsche Straßenverkehr im Jahr produziert. Heute Morgen haben wir ja über CO2-Vermeidung gesprochen.

Würde man nun versuchen, die laufenden Kernkraftwerke durch Kohlekraftwerke zu ersetzen, würde sich das CO2Problem vervielfachen. Entsprechendes gilt, wenn auch etwas abgemildert, für einen Ersatz durch Ölkraftwerke. Erdgaskraftwerke wären zwar umweltfreundlicher, aber sie vergeuden einen Rohstoff, der in der chemischen Industrie sicher effizienter eingesetzt wäre. Die langfristige Preisentwicklung beim Gas ist ebenfalls höchst unsicher. Also bleiben regenerative Energien.

Die klimatischen Gegebenheiten sind bei uns nicht für alle Formen der erneuerbaren Energie gleich gut. Außerdem ist das Problem der Speicherung noch unzureichend gelöst.

Sehr gute Windenergiestandorte gibt es vorzugsweise an der Nordseeküste, leider nicht bei uns. Außerdem bräuchte man zum Ersatz eines Atomkraftwerks etwa 10 000 Windkraftanlagen, und das Grundlastproblem wäre dabei nicht gelöst.

Geothermie wäre grundlastfähig, aber sie braucht noch viel Zeit. Das erste Geothermiekraftwerk zur Stromproduktion

wird gerade erst gebaut. Im Wärmebereich gibt es das ja schon.

Bei der Wasserkraft sind die Potenziale fast ausgereizt. Wenn Rheinfelden noch käme, wären wir mit unseren geeigneten Standorten fast durch.

Deshalb ist es recht eindeutig: Auch ein mittelfristiger Komplettausstieg aus der Kernenergie würde Stromimporte zur Folge haben. Diese wären nicht allein aus regenerativen Energiequellen zu bekommen. Also bleibt Importkernenergie. Sowohl in Frankreich als auch vor allem in den östlichen Ländern sind die Reaktoren unter unserem Sicherheitsstandard. Im Übrigen hat auch Frankreich nicht den Stromüberschuss, der die Lücke in Deutschland decken könnte.

Importiert man aber Strom aus Kohle- und Ölkraftwerken, dann verlagert man die Emissionen in andere Länder. Die werden das natürlich bald merken und sich schön bedanken. Außerdem kann CO2-Vermeidung ja nicht an einer Grenze aufhören, weil das eine globale Aufgabe ist.

(Beifall bei der CDU)

Ein Ausstieg mit fossilem Ersatz würde also Emissionen produzieren, die jegliche Klimaschutzziele des Landes aussichtslos machen würden – auch das steht in diesen Gutachten, über die wir schon diskutiert haben –, es sei denn, wir führten massive Klimaschutzmaßnahmen ein. Diese würden hohe Kosten verursachen und könnten bestimmte Branchen aus unserem Land vertreiben.

Auch denkt niemand an die Arbeitsplätze in der Atomwirtschaft, gerade in der Forschung.

(Abg. Teßmer SPD: Wir denken täglich daran!)

Die meisten Physiker im Land arbeiten in der Atomwirtschaft. Wir reden von 2 700 Menschen in Baden-Württemberg mit großem Erfahrungspotenzial und mit großer Innovationskraft. Eine solche Freisetzung leistet sich keine andere Volkswirtschaft. Nur Deutschland geht hier einen weltweiten Sonderweg, der wirtschaftlich unsinnig ist und auch noch klimaschädlich dazu.

In der Schweiz ist in diesem Mai ein Referendum gegen die Atomkraft an einer Zweidrittelmehrheit der Bevölkerung gescheitert. Die Argumente waren der Klimaschutz und die Versorgungssicherheit für die Wirtschaft.

Die schwedische Bevölkerung unterstützt ausdrücklich den Einsatz der Kernenergie. Sie will teilweise den Ersatz von auslaufenden und den Bau von neuen Kraftwerken.

In Holland gilt eine Laufzeit von 40 Jahren, in den USA generell eine von 60 Jahren.

(Abg. Gall SPD: Schlechtes Beispiel!)

Wir haben in Deutschland noch immer die Technologie für die sichersten Kraftwerke. Wenn jetzt in China Qingshan III/2 gebaut wird und wenn die russischen Republiken und wer auch immer nach den niedrigeren Standards bauen, dann ist das meiner Meinung nach ein Problem.

(Abg. Gall SPD: Unserer Meinung nach auch!)

Ich darf hier kurz die chinesische Botschaft in Berlin zitieren.

(Zuruf des Abg. Braun SPD)

Sie sagt: „Wir bauen weiter Atomkraftwerke, weil wir unsere Wirtschaft voranbringen wollen. Lediglich an entlegenen Orten ohne Netzanbindung geben wir Zuschüsse für die Aufstellung eines Windrads.“ So baut China, ein relativ großes Land.

(Abg. Gall SPD: Sollen wir das jetzt als Vorbild nehmen?)

Nein. Aber Sie müssen zur Kenntnis nehmen, dass ein so großes Land natürlich auch auf das Weltklima Einfluss nimmt.

(Abg. Teßmer SPD: China ist aber doch kommu- nistisch! Das ist doch sonst kein Vorbild! Sonst könnte man sagen: „die rote Gefahr“ oder sonst was!)

Vor allem wird dort nach niedrigeren Standards gebaut. Das ist das Gefährliche daran.

In Indien wird jetzt der erste Schnelle Brüter gebaut. Das geschieht halt mit irgendwelchen Standards. Deutsche Firmen sind außen vor.

(Abg. Gall SPD: Ganz schlecht!)

Aber das lässt Sie offensichtlich völlig kalt. Das alles ist ja recht weit weg.

Es gibt im Moment keine wirtschaftlichen oder umweltverträglichen Alternativen, wenn wir gleichzeitig – das ist der Knackpunkt – eine möglichst CO2-arme Energieversorgung haben wollen.

Dann kommt dazu: Wer „Wende“ sagt, der muss natürlich sagen, wohin die Wende gehen soll. Wer „Ausstieg“ sagt, der muss ein Konzept für den Einstieg in Ersatztechnologien liefern.

(Abg. Teßmer SPD: Die behindert ihr doch dau- ernd!)

Dieses Konzept sollte die Kernenergie, also 57 % der Energieproduktion in diesem Land ersetzen und nicht nur wenige Prozente. Dafür müssen Sie noch viele Windräder bauen.

Wir brauchen als Industriestandort eine sichere Stromversorgung mit schwankungsfreier Spannung. Sie muss bezahlbar und unabhängig von Importen sein. Und wir müssen unseren Teil in der internationalen Forschung leisten.

Der Energiemix kann in 20 Jahren völlig anders sein. Ein Schwerpunkt kann in der Weiterentwicklung der Solarenergie liegen, bei der Biomasse, bei den Brennstoffzellen oder auch bei der Kernfusion. Deshalb dürfen wir uns hier nicht ausklinken. Dabei hat Ideologie nichts verloren, sondern Forschung, Technik, Umweltschutz, Ressourcenschonung und auch Wirtschaftlichkeit.

(Zuruf des Abg. Teßmer SPD)

Ein Parteibuch ist das eine. Wissenschaftliche Fakten können dadurch nicht aufgehoben werden, vor allem nicht von denen, die unter Kanzler Helmut Schmidt in den Achtzigerjahren die Atomenergie begeistert als neue Energieform eingeführt haben.