Protocol of the Session on March 26, 2003

(Beifall des Abg. Kretschmann GRÜNE – Zurufe von der SPD, u. a. der Abg. Dr. Caroli, Göschel und Wintruff)

Es geht nämlich nicht nur um die Frage, wie viel wir uns finanziell leisten können. Es geht auch um die Frage, was wir

uns ökologisch noch leisten können. Wir sind als Grüne besonders stolz darauf, dass in der Fortschreibung des Bundesverkehrswegeplans erstmals, bevor überhaupt gefragt wird, wie ein Plan aussieht, schon eine ökologische Prüfung erfolgt. Zuerst kommt die Umweltrisiko-Einschätzung, dann wird über den Bedarf entschieden, und erst danach wird über Straßenbau gesprochen. Bisher war es ja so, dass man zuerst sagte: „Wir brauchen die Straße“, und dann überlegte man, ob man rechts oder links am Biotop vorbeifährt.

Zu den Finanzen. Die Landesliste hat alles in allem einen Umfang von 7,9 Milliarden €. Das ist völlig maßlos, Herr Minister Müller. 7,9 Milliarden €, das heißt, bezogen auf die Laufzeit des Plans, 500 Millionen € pro Jahr – fast doppelt so viel, wie Sie von der Regierung Kohl in den besten Jahren bekommen haben. Sie glauben wohl im Ernst selber nicht, dass das der heutigen Haushaltslage entspricht.

Im Übrigen ist es auch völlig inakzeptabel, dass zwar überall gespart werden soll – bei den Sozialpsychiatrischen Diensten, bei den Arbeitslosen, bei der Schulsozialarbeit –, nur beim Straßenbau fordern Sie immer mehr hinzu.

Was die Bundesliste angeht: Die hat nun den großen Vorteil, dass sie im Gegensatz zu Ihrem Märchenbuch einen realistischen, finanzierbaren Plan vorgibt: 5,8 Milliarden € im Vordringlichen Bedarf. Ich will aber hinzufügen, dass es nicht sehr seriös ist, diese Zahl, wie es hier in einer Grafik der SPD-Fraktion geschehen ist, mit den Istzahlungen der letzten zehn Jahre zu vergleichen. Denn natürlich ist eine Bedarfszahl nicht identisch mit der mittelfristigen Finanzplanung. Wir gehen davon aus, dass in den nächsten Jahren etwa 250 Millionen € pro Jahr für Straßenneubau zur Verfügung stehen. Alle Zahlen, die darüber hinausgehen, sind nicht sonderlich realistisch.

Man muss sich, glaube ich, entscheiden: Wenn man sagt, dieser Bundesverkehrswegeplan sei realistisch finanziert, dann kann man nicht behaupten, die Mittel verdoppelten sich fast, sondern dann muss man sagen: Dieses Jahr sind es etwa 210 Millionen €. Die Bundesregierung wird diesen Betrag moderat auf 250 Millionen € erhöhen. Dann ist es realistisch, aber darüber hinaus nicht.

Wir, Rote und Grüne, können in Baden-Württemberg schon stolz darauf sein, dass es gelungen ist, den Anteil von Baden-Württemberg sowohl beim Straßenbau als auch insbesondere bei der Schiene zu erhöhen. 11,3 % waren es bisher beim Bundesfernstraßenbau, in Zukunft sind es 12 %. Dieses Geld werden wir gut anlegen, weil wir damit Tunnelprojekte wie in Freiburg oder in Tübingen auf diese Art und Weise finanzieren können, die wir sonst nicht bezahlen könnten.

Es ist – das will ich ausdrücklich hervorheben – bei dieser Differenz zwischen Wunsch und Wirklichkeit ein Kraftakt gewesen, über 2,4 Milliarden € aus der Wunschliste des Landes zu streichen.

Wir haben eine Reihe von Projekten, die weder in die Landschaft noch in die Haushalte passen, aus dem Bundesverkehrswegeplan herausgenommen: die Filderauffahrt, den Nordostring hier in Stuttgart, den überzogenen, weil durch das Verkehrsaufkommen nicht gerechtfertigten Ausbau der

A 5 und der A 6 auf sechs Spuren. Die A 96 ist faktisch zu den Akten gelegt. Dort wird eine zweispurige Straße gebaut.

(Unruhe)

Zahlreiche Freiraumzerschneidungsprojekte sind erledigt, und autobahnparallele Bundesstraßen werden nicht weiter ausgebaut.

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: „Erledigt“ ist das richtige Wort!)

Wir mussten einige Kröten schlucken, die noch auf die Ära Kohl zurückgehen. Bis zum Jahr 2007 werden wir ja überwiegend abwickeln, was Sie uns hinterlassen haben. Danach wirkt die Korrektur der Straßenbaufixierung der Landesregierung.

In diesem Zusammenhang – ich hoffe, Sie freuen sich darüber – will ich auch der SPD-Fraktion ein Kompliment machen. Denn ich weiß, dass es einen Unterschied macht, ob man als Ökologiefraktion Straßenbauprojekte, die oft vor Ort gewünscht werden, ablehnt oder ob man sich als Fraktion, die mit solchen Wünschen auch innerhalb der eigenen Reihen konfrontiert ist, im Sinne der Ehrlichkeit und Klarheit gegenüber den Bürgern auch einmal dazu durchringt, ein Projekt fallen zu lassen. Kompliment dafür an Sie!

Was allerdings die CDU angeht: Sie haben sich ja zu nichts anderem durchringen können, als weiterhin alles zu fordern, ohne Rücksicht auf die Finanzierung.

(Abg. Scheuermann CDU: Quatsch!)

Manche Straßen fordern Sie ja schon länger, als ich lebe, und dabei versprechen Sie jedes Jahr: Nächstes Jahr wird realisiert.

(Abg. Seimetz CDU: Das wird durch Wiederholun- gen nicht wahrer! – Zuruf der Abg. Heiderose Ber- roth FDP/DVP)

Nehmen Sie doch einmal von diesen unrealistischen Forderungen Abschied.

Was uns angeht: Wir freuen uns, dass dieser Bundesverkehrswegeplan wirklich auf Nachhaltigkeit bedacht ist, dass Schwerpunkte bei Umweltschutztunneln gesetzt werden, dass in Zukunft der Erhalt dem Neubau vorgeht. 60 % der Investitionsmittel fließen in den Erhalt, 40 % in den Neubau.

Vor allem freuen wir uns, dass wir bei den Schienenwegen in Baden-Württemberg besser abschneiden, als wir das selbst vermutet hatten. Fast 20 % der Bundesschienenwegeinvestitionen werden nach Baden-Württemberg fließen, wenn man diesen Plan zum Maßstab nimmt. Jetzt geht es nur noch darum, dafür zu sorgen, dass mit dem Geld kein Unsinn gebaut wird, also nicht ein teurer Tiefbahnhof in Stuttgart und nicht ein sinnloses Projekt wie der Bypass in Mannheim.

(Beifall bei den Grünen)

Aber die Voraussetzungen seitens des Bundes sind hervorragend.

Ich fasse zusammen: Entgegen den noch zu erwartenden heftigen Attacken der beiden Regierungsfraktionen hier im Land handelt es sich nicht um Ideologie. Es wird auch nicht gekürzt. Im Gegenteil, es gibt unter grüner Regierungsbeteiligung sogar mehr Geld für Straßenbau, als Sie selbst vorgesehen hatten und als Sie selbst hätten finanzieren können.

Es ist schlicht und ergreifend so, dass wir uns auf das Notwendige und auf das Bezahlbare beschränken und ökologisch Unsinniges nicht weiterverfolgen. Diese Neuerungen im Bundesverkehrswegeplan sind ein großer Fortschritt. Ich kann nur an Sie appellieren, Ihre Verweigerungshaltung, die Sie ein halbes Jahr praktiziert haben, indem Sie zuerst gar keine eigene Prioritätenliste vorlegten und nun an Ihrer Liste, die schlicht und ergreifend um über 2 Milliarden € zu lang ist, unbeirrt festhalten wollen, aufzugeben und tatsächlich selbst einmal darzulegen, welche Projekte für Sie vordringlich sind, wenn Sie die Prämisse des Bundes, dass dieser Verkehrswegeplan bis 2015 und eben nicht bis 2023 läuft, einfach einmal akzeptieren und nicht eigenmächtig und eigenwillig ändern.

(Beifall bei den Grünen sowie des Abg. Kaufmann SPD)

Das Wort erhält Herr Abg. Scheuermann.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Palmer, mit dem, was Sie zur Bahn im Entwurf des Bundesverkehrswegeplans gesagt haben, kann ich mit Ausnahme Ihrer Äußerung zu Stuttgart 21 einverstanden sein. Damit muss ich mich auch nicht beschäftigen.

Ich glaube, wir können unter dem Strich sagen: Bei der Bahn sind wir in diesem Entwurf unseren Vorstellungen gemäß weggekommen.

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Danke!)

Jetzt gilt das Gleiche, was bei der Straße auch gilt: Hoffentlich kann man das, was in Mark und Pfennig für die Bahn im Bedarf steht, im Lauf der Jahre auch tatsächlich realisieren.

(Abg. Birzele SPD: Euro und Cent!)

(Abg. Birzele SPD: Euro und Cent!)

Euro und Cent, Entschuldigung. Vielen Dank.

Jetzt komme ich zur Straße. Da habe ich Sie allerdings nicht verstanden, Herr Kollege Palmer. Baden-Württemberg war wohl eines der ersten Länder, das einen Entwurf für einen Bundesfernstraßenbedarfsplan vorgelegt hat, was das Land Baden-Württemberg betrifft.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Und was für einen!)

Was Ihnen nicht gefällt: Dieser Entwurf umfasste 20 Jahre mit einem Jahresumfang von etwa 330 Millionen €. Warum sind wir auf 20 Jahre, und warum sind wir auf 330 Millionen € gegangen?

(Zuruf von der SPD: Das weiß niemand!)

Ganz einfach, um Projekt für Projekt nachzuweisen, dass wir in Baden-Württemberg einen Nachholbedarf haben, der nie und nimmer in zwölf Jahren befriedigt werden kann.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Birzele SPD: Kohl war 16 Jahre dran!)

Wenn wir hingestanden wären und gesagt hätten, in zwölf Jahren – –

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Deutsche Ein- heit!)

Herr Kollege Birzele, ich bestreite das doch gar nicht.

(Beifall des Abg. Birzele SPD)

Aber kann ich daraus wenigstens den Schluss ziehen, dass Sie mit mir der Meinung sind, dass wir einen Nachholbedarf haben?

(Abg. Birzele SPD: Ja!)

Okay, dann sind wir uns ja einig; dann haben wir also einen Nachholbedarf.

(Zuruf von der CDU zur SPD: Hätten wir in den ganzen Jahren etwas anderes machen sollen? Dann hätten Sie gesagt: Da haben Sie nichts getan! Das ist eine unehrliche Argumentation!)