Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Tat befinden sich unsere Städte und Gemeinden und auch die Landkreise in einer tiefen Finanzkrise. Diese Krise kann man nur als dramatisch bezeichnen. Die Einnahmen sind auf das Niveau von 1993 zurückgefallen, die Steuereinnahmen gingen im Jahr 2001 bundesweit um 5,4 % zurück – stärker als bei anderen staatlichen Ebenen –, im Jahr 2002 um 4,1 %. Bundesweit wird in diesem Jahr ein Rekorddefizit bei den Kommunen in Höhe von 9,9 Milliarden € erwartet. Das geht voll zulasten von Investitionen. Dies entzieht in dieser konjunkturell schwierigen Zeit den Firmen Aufträge. Das ist genau kontraproduktiv zu dem, was volkswirtschaftlich im Moment geboten wäre im Sinne einer volkswirtschaftlichen Stabilisierung.
Acht von neun Stadtkreisen im Land Baden-Württemberg können im Jahr 2003 nach den vorliegenden Haushaltsplänen nicht mehr die notwendige Zuführungsrate zum Vermögenshaushalt erwirtschaften, haben negative Nettoinvestiti
Das bedeutet, dass dieser Haushaltsplan eigentlich gar nicht mehr den gesetzlichen Anforderungen genügt. Es muss zu Ersatzdeckungsmitteln gegriffen werden. Von den Großen Kreisstädten erreichen 60 von 77 eine negative Nettoinvestitionsrate. Es ist also „Land unter“ im Land Baden-Württemberg, was die Gemeinden angeht. Wir haben eine Situation erreicht, wo bundesweit gesehen eigentlich wohlhabende und steuerstarke Gemeinden nun auch in den Abwärtsstrudel der Krise der kommunalen Finanzen gezogen werden, die seit Jahren schon vorhanden ist, die aber bei uns im Bundesvergleich immer noch nicht so groß war, die aber jetzt auch bei uns immer größer wird.
Was sind die Ursachen? Die eigenen Steuern brechen weg, sowohl bei den Einkommensteueranteilen als auch und vor allen Dingen bei der Gewerbesteuer. Die Gewerbesteuer ist im freien Fall. Die Talfahrt ist ungebrochen. Da sieht man, dass diese Gewerbesteuer ein immanentes Problem hat. Sie ist nämlich konjunkturabhängig. Das sagt die FDP/DVP schon seit vielen Jahren. Die Gewerbesteuer wurde durch bestimmte Maßnahmen, die erforderlich waren, um Kleinund Mittelbetriebe zu entlasten, zu einer Großbetriebsteuer, die von nur wenigen Betrieben gezahlt wird.
Wenn diese Betriebe im Zuge der Globalisierung fusionieren müssen, dann kann es sein, dass wie in Schwäbisch Hall oder in Sindelfingen über Nacht Millionen Euro Einnahmen fehlen und praktisch die Gemeinde ohne Planungssicherheit dasteht: Es werden öffentliche Einrichtungen geschaffen, die hinterher nicht mehr finanziert werden können. Das führt dazu, dass Hallen oder Schwimmbäder privatisiert oder gar geschlossen werden müssen. Das ist kein vernünftiger Zustand.
Deshalb, meine Damen und Herren, fordert die FDP/DVP eine grundlegende Finanzreform. Da muss auch Tempo gemacht werden, wobei wir nicht der Meinung sind, dass zugunsten einer kleinen Reform jetzt der Sack zugebunden werden soll. Wir halten es für falsch, dass die Bundesregierung, dass der Bundeskanzler jetzt kurzfristig angekündigt hat: Revitalisierung der Gewerbesteuer. Und das wars dann. Das greift zu kurz, da wird zu kurz gesprungen. Meine Damen und Herren, wir plädieren für ein mehrstufiges Verfahren. Die erste Sofortmaßnahme, die heute getroffen werden könnte, ist die Rücknahme der Erhöhung der Gewerbesteuerumlage. Das muss sofort kommen.
Die Gewerbesteuerumlage ist im Jahr 2000 erhöht worden auf der Grundlage der Prognose erhöhter Steuereinnahmen im Zuge der Steuerreform. Diese erhöhten Steuereinnahmen sind ausgeblieben. Damit fehlt der Erhöhung der Gewerbesteuerumlage die Geschäftsgrundlage. Deshalb muss sie zurückgenommen werden.
Das hilft den Städten und Gemeinden und auch den Kreisen mittelbar viel mehr als das angekündigte Investitionsprogramm mit zinsverbilligten Krediten. Die Städte und Gemeinden haben genügend Schulden.
Es hilft ihnen nichts, wenn man ihnen jetzt noch zinsverbilligte Kredite anbietet. Sie brauchen echte Einnahmen, um die Investitionen zu finanzieren und den Schuldendienst erwirtschaften zu können.
Langfristig, meine Damen und Herren, fordern wir eine Steuerreform: Ersatz der Gewerbesteuer, Einführung eines Hebesatzrechtes auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist der richtige Weg, weil dadurch vor allen Dingen eine Steuervereinfachung erfolgt. Dadurch können Tausende von Steuerbeamten ersatzlos abgeschafft werden. Es werden Bürokratiekosten gespart, meine Damen und Herren, es wird die Konjunkturabhängigkeit beseitigt. Deshalb plädiert die FDP/ DVP-Fraktion dafür, die Gewerbesteuer durch ein Hebesatzrecht auf die Einkommensteuer und Körperschaftsteuer zu ersetzen. Damit würde ein sehr kompliziertes Steuerrecht in unserem Land abgeschafft.
Außerdem setzen wir uns dafür ein, Eingriffe in den Finanzausgleich hier im Land Baden-Württemberg so weit wie möglich abzuwenden. Wir wollen nicht, dass wie in Zeiten der großen Koalition in den kommunalen Finanzausgleich eingegriffen wird – in einer Zeit, in der es den Kommunen eh schon schlecht geht.
Meine Damen und Herren, ich darf auch die Mitglieder der Landesregierung und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter darauf hinweisen, dass Handys im Plenarsaal auszuschalten sind.
(Beifall bei allen Fraktionen – Abg. Wieser CDU: Es sei denn, es werden Steuereinnahmen gemeldet! – Heiterkeit – Abg. Birzele SPD: Sie haben der Frau Vizepräsidentin nicht zu widersprechen!)
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir führen innerhalb eines knappen halben Jahres zum dritten Mal eine Debatte über die Gemeindefinanzen, und außer der Zustandsbeschreibung und den üblichen Schuldzuweisungen kommt nicht viel dabei heraus. Wie gesagt, dies tun wir jetzt zum dritten Mal.
Ich finde, diese Debatte hat nur dann einen Sinn, wenn man jetzt den so genannten Oettinger-Vorschlag einmal aufgreift
und darüber diskutiert, ob er eine Perspektive hat. Bei der Gewerbesteuerumlage kann ich nur an die Mitglieder der Regierungsfraktionen appellieren: Es ist der Landesregierung unbenommen, ihren Anteil an der Gewerbesteuerumlage an die Gemeinden zurückzugeben. Wenn Sie das für richtig halten, müssen Sie das nur beschließen und an die Gemeinden weitergeben.
(Abg. Theurer FDP/DVP: Nein, das ist unser Vor- schlag, Herr Kollege Kretschmann! Das ist ein alter FDP/DVP-Vorschlag! Das wollen wir schon seit 20 Jahren!)
Erstens: Da die Erhöhung der Einnahmen der Kommunen aufkommensneutral erfolgen soll, kommt dadurch natürlich nicht mehr Geld in die Gemeindekassen. Wenn keiner mehr zahlen soll, können wir auch nicht mehr einnehmen, egal, wie Sie das verkaufen.
Zweitens: Besonders negativ ist das so genannte Trittbrettfahrerproblem. Man zieht in den nächstkleineren Ort, in dem die Einkommensteuerhebesätze niedriger sind, nützt aber nach wie vor die Infrastruktur der Stadt, die hohe Hebesätze hat, um gute Infrastrukturleistungen zu finanzieren. Das ist genau der Effekt dieses Trittbrettfahrertums.
muss ihre Infrastruktur subventionieren, und die, die es sich leisten können, gehen in die Umlandgemeinden. Genau diesen Trend haben wir doch.
Dadurch verschärfen sie das Trittbrettfahrerproblem noch. Ich mache Ihnen das einmal an einem Beispiel deutlich:
Die Kommune A – die steht jetzt einmal für eine größere Stadt, für ein Oberzentrum – hat einen Bürger mit einem Jahreseinkommen von 100 000 €. Dieser Bürger zahlt überschlägig 30 000 € Steuern. Bei einem Hebesatz von 10 %
auf die Einkommensteuer erlöst die Kommune hier 3 000 €. Die Bürger in der Kleinstadt mit einem Einkommen von, sagen wir einmal, 20 000 € zahlen 3 000 € Steuern. Um von diesen Bürgern denselben Ertrag zu bekommen, müsste diese Gemeinde einen Hebesatz von 100 % aufschlagen.
Ich will Ihnen anhand dieses gegriffenen Beispiels einfach zeigen, was das große Problem dieser Steuern ist. Sie bekommen das Trittbrettfahrerproblem. Das ist heute schon ein Problem der Oberzentren. Die Leute gehen in die Speckgürtel, genießen dort die niedrigen Baulandpreise, bauen und sind im Grünen, nutzen aber die Infrastrukturleistungen der Oberzentren. Dieses Problem verschärfen Sie mit Hebesätzen auf die Einkommensteuer enorm, da sie auf die Progression gehen. Schauen Sie sich in den USA um, wo New York das Problem hat, dass Bürger und Firmen nach New Jersey abwandern, aber selbstverständlich die kulturellen Leistungen und die Infrastrukturleistungen der Stadt in Anspruch nehmen.
Wir haben in der Schweiz ein solches Modell. Nehmen Sie die Stadt Zürich und den Kanton Zürich. Dort haben Sie genau das gleiche Problem. Die Leute gehen ins Umland, nutzen aber die Infrastrukturleistungen der Stadt.