Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! „Sozialpolitische Schieflage“ ist das Thema dieser Aktuellen Debatte. Ich weiß nicht, ob es Ihnen geht wie mir: Die schlimmste soziale Schieflage ist, dass eine unakzeptabel hohe Arbeitslosigkeit vielen Menschen die wirtschaftliche Möglichkeit nimmt, am gesellschaftlichen Leben in ausreichendem Maß teilzunehmen.
im zweiten Teil versuchen, auf einige sachliche Argumente einzugehen –, dann müssen Sie sich schon sagen lassen, dass Sie, weil Sie ein Wahlversprechen einlösen müssen, nicht bereit sind, das Kartell der Besitzstandswahrer zu knacken und endlich das zu tun, was Ihnen alle Experten empfehlen. Da brauchen Sie nicht die 20. Kommission, sondern da müssen Sie endlich einmal hören, was Ihnen seit 1998 gesagt worden ist. Sie sind aber nicht bereit, alles, was die Experten bis hin zu Hartz Ihnen vorschlagen, umzusetzen und endlich den Arbeitsmarkt zu entriegeln und zu deregulieren. Denn dann hätte man erstens die Arbeitslosigkeit gesenkt und hätte zweitens wieder mehr Geld auch in den Sozialkassen.
Sie machen aber gerade das Gegenteil: Sie betreiben in der Gesundheitspolitik – um dieses Thema herauszugreifen – eine Politik mit folgenden Auswirkungen – ich könnte Ihnen jetzt auch vorlesen –:
Baden-Württembergische Krankenhausgesellschaft: mindestens 2 000 Arbeitsplätze in Krankenhäusern; Zahntechniker: bis zu 20 000 Arbeits- und Ausbildungsplätze.
Sie verursachen eine Spirale nach unten, und das führt zur schlimmsten sozialen Schieflage, die wir in diesem Land und in der ganzen Bundesrepublik haben. Ich bitte, sich auch darüber einmal Gedanken zu machen.
Das Thema lautet „Sozialpolitische Schieflage“, und wir sollten nicht nur mit Vorwürfen arbeiten, sondern wir sollten auch konkret überlegen, was wir tun können.
Kollege Oettinger hat erläutert, dass das Sozialministerium wie alle anderen Ministerien Einsparungen zu erbringen hat. Dazu stehen alle hier im Parlament, dass wir das Defizit nicht durch höhere Verschuldung weiter erhöhen dürfen, sondern dass wir einsparen müssen. Nicht sparen, einsparen! Dass dabei kein Ministerium ausgenommen werden kann, versteht sich, glaube ich, von selbst. So weit kennen Sie vermutlich das Regierungshandeln, dass man da durchaus alle zur Kasse bitten muss. Übrigens war beim Sozialministerium – ich weiß nicht, ob Sie sich erinnern – ursprünglich eine bezogen auf alle Ressorts proportionale Kürzung um über 30 Millionen € angedacht. Ich rechne uns Sozialpolitikern von CDU und FDP/DVP sowie dem Sozialminister schon an, dass wir jetzt bei einer Einsparvorgabe in Höhe von 10 Millionen € sind. Das sollte man der Fairness halber schon einmal sagen.
Jetzt konkret: Herr Drexler, ich lese nicht nur die Resolutionen, die zu Recht kommen. Ich fordere auch alle Menschen, die von diesen Maßnahmen betroffen sind, auf, uns ganz klipp und klar zu sagen: Was bedeutet das vor Ort?
Das ist nämlich manchmal das Problem der Politik, dass sie nicht überschauen kann, was vor Ort passiert. Deswegen haben wir mit vielen der potenziell Betroffenen Gespräche geführt. Ich glaube, es ist auch nicht unöffentlich geschehen, dass zum Beispiel die FDP/DVP-Fraktion in der Sparliste der Haushaltsstrukturkommission bei dem Thema Jugend- und Schulsozialarbeit einen Vorbehalt angebracht hat. Es handelt sich dabei um Eckpunkte einer Liste, die bis Februar, wenn sie dann im Rahmen eines Nachtragshaushalts eingebracht wird, durchaus noch veränderbar sein wird. Natürlich ist das eine Vorgabe, die eine hohe Präjudizierung hat. Aber wir alle hier im Parlament, auch die Opposition, sind selbstverständlich aufgerufen, nach Alternativen zu suchen.
Nur, Herr Drexler, so einfach wird es halt nicht gehen, zu sagen: Ich hole es aus einem anderen Ministerium. Denn wir sind im Sozialministerium proportional schon relativ weit unten und können das deshalb nicht aus anderen Ressorts holen. Wissen Sie, man kann immer alles infrage stellen, aber wenn eine Imagekampagne dazu führen sollte, dass das Land Baden-Württemberg im Wettbewerb wirtschaftlich wieder ein Stück nach vorne kommt und bei all dem Gejammere
Weil wir versuchen müssen, dieses vorgegebene Sparvolumen im Sozialetat dann auch wirklich zu realisieren, habe ich den ersten Punkt genannt, nämlich den Punkt Schulsozialarbeit und Jugendsozialarbeit. Denn wir wären wirklich ein Stück unglaubwürdig, wenn wir – ich erinnere daran, dass wir uns dafür gelobt haben, dass wir aufgrund der Ergebnisse der Jugendenquetekommission genau das verstärkt tun wollen – jetzt nach PISA und allem, was wir wissen, genau an der Stelle kürzen würden. Da sind wir gemeinsam gefordert, Alternativen zu suchen.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP – Abg. Drexler SPD: Die ist ruhig! Die gehen bloß alle ge- rade!)
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das Wichtigste in dieser Situation scheint mir erst einmal zu sein, dass wir der Bevölkerung die dramatische Lage klar und offen sagen: die dramatische Lage bei den öffentlichen Finanzen, bei den Sozialversicherungssystemen und der Wirtschaft.
Womit man allerdings nicht weiterkommt, werte Kollegen von der CDU und der FDP/DVP, das ist ein Dauerwahlkampf, den Sie hier veranstalten. Sie erwecken den Eindruck –
und Sie laufen da in eine gefährliche Falle; das sage ich Ihnen –, es sei alles deshalb so schlecht im Land, weil RotGrün regiert.
Sie machen den Leuten Versprechungen: Wären Sie dran oder kämen Sie wieder dran, dann ginge es einfach aufwärts,
mit denen man alle Probleme lösen könnte. Ich halte das für eine ganz gefährliche Strategie. Denn wenn Sie das erreichen sollten, säßen Sie in der Falle. Wenn Sie sich die durchschnittlichen jährlichen Wachstumsraten in den Dekaden seit dem Zweiten Weltkrieg anschauen – das haben wir mal gemacht –, dann ergibt sich folgendes Bild: Fünfzigerjahre 6,3 %, Sechzigerjahre 4 %, Siebzigerjahre 2,6 %, Achtzigerjahre 2 %, Neunzigerjahre 1,1 %. Die Wachstumsraten gehen kontinuierlich zurück, egal, wer regiert. Das müssen Sie sich mal vor Augen führen und sollten nicht den Leuten heillose Versprechungen machen.
Die Finanzsituation in diesem Land stellt sich so dar, dass wir durch die Verschiebung von einer Milliarde Euro auf den kommenden Haushalt im Jahr 2003 zusätzlich 1,9 Milliarden € Steuerausfälle haben. Und was machen Sie? Sie vergeben Prüfaufträge, weil Sie die ganze Zeit über diese Situation nicht wahrgenommen haben, und beschweren sich jetzt über andere und installieren Lügen-Ausschüsse, statt die Tatsachen zur Kenntnis zu nehmen. Ihre Strategie ist, noch mehr in die Nettoneuverschuldung zu gehen, jetzt wieder mit 500 Millionen €. In Wirklichkeit ist jedem klar, dass man in einer solchen Situation auch die Einnahmeseite verbessern muss.
Das müssen Sie machen. Deswegen müssen Sie im Bundesrat zustimmen, sonst gehen Sie weiter in die Nettoneuverschuldung. Ich sage Ihnen: Die Schulden von heute sind die Steuern von morgen und nichts anderes. Wir können uns daher in keiner Weise damit zufrieden geben, dass Sie dermaßen brutal die Nettoneuverschuldung erhöhen wollen, wie Sie es vorhaben.
Wir kritisieren erstens die mangelnde Informationspolitik und die Ablehnung unseres Angebots, uns auch als Opposition konstruktiv mit Ihren Vorschlägen zu befassen. Wir haben für Ihre Streichlisten bis heute keine Erläuterungen und können deswegen nicht geordnet an den Diskussionen teilnehmen. Das heißt, Sie hindern uns daran, Sie richtig kontrollieren zu können, was ja schließlich unsere verfassungsmäßige Aufgabe ist.
Zweitens: Obwohl jeder weiß, dass wir den Staat umbauen müssen, lehnen Sie es ab, eine Verwaltungsreformkommission einzusetzen,
die endlich die folgenden Fragen beantwortet: Was sind die Kernaufgaben des Staates? Was kann er in Zukunft tun und was nicht? Was muss er an den Markt und was muss er an die Bürgergesellschaft delegieren? Das sind die Fragen, vor denen wir stehen.