Protocol of the Session on November 14, 2002

Was gerade im europäischen Ausland teilweise auf Skepsis gestoßen ist und was bei uns viele nicht für möglich gehalten haben, wird explizit als Bauprinzip Europas verwirklicht. Sie können jetzt im Verfassungsgerippe des Konvents lesen, dass die Grundsätze der Subsidiarität, der Verhältnismäßigkeit und der begrenzten Einzelermächtigung die Bauprinzipien Europas sind. Das ist das, was wir immer wollten: einzelne Kompetenzübertragungen nur auf rechtlicher Grundlage, keine schleichende Übernahme von Kompetenzen, Verhältnismäßigkeit des Tätigwerdens und Subsidiarität des Handelns. Wir finden uns in diesen Grundsätzen voll wieder.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist ein Frühwarnsystem unter Einbeziehung der nationalen Parlamentskammern auf dem Weg, ein System, das wir mit ausgefeilt haben, das wir in der zuständigen Arbeitsgruppe Subsidiarität mit entwickelt haben. Wir werden das Klagerecht der Parlamentskammern mutmaßlich erreichen können.

Artikel 308 wird Kompetenzübertragungen in beide Richtungen vorsehen, damit es sich nicht um eine Einbahnstraße in dem Sinne handelt, dass Kompetenzen immer nur auf Brüssel übertragen werden. Vielmehr müssen wir im Einzelfall auch Kompetenzen rückübertragen können – dort, wo es sinnvoll ist, wo sich im Städtebau, im Tourismus, um einmal konkrete Beispiele zu erwähnen, eine europäische Kompetenz überlebt hat und wieder eine nationale oder, wo dies sinnvoll ist, eine regionale Kompetenz begründet wird.

Anderes ist im Augenblick noch nicht erreicht und bleibt zum Teil auch unklar. Es ist die einheitliche europäische Außenpolitik angesprochen worden. Lieber Herr Kollege Kretschmann, hier besteht kein Dissens zwischen der Position der Mehrheit des Konvents und unserer Position auf der einen Seite und Ihrer Position auf der anderen Seite. Vielmehr sind hier die nationalen Regierungsvertreter – auch die deutschen – zurückhaltender als die Parlamentarier aus den Mitgliedsstaaten.

Das Institutionengefüge und die Rechte der Institutionen zueinander zeichnen sich noch nicht in einer endgültigen Form ab.

Ich muss auch hier sehr deutlich sagen, dass das Klagerecht der einzelnen Region mit Gesetzgebungsbefugnis bisher nicht erreicht ist. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir werden im Konvent weiter darauf drängen, dass nicht nur via Bundesrat geklagt werden kann, sondern dass auch jede Region in Europa, die Gesetzgebungsbefugnis hat, ein eigenständiges Klagerecht vor dem Europäischen Gerichtshof erhält. Das ist eine Kernforderung, die wir einbringen werden.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Zuruf von der FDP/DVP: Ganz wichtig!)

Die Kollegen Reinhart und Kretschmann haben die Frage des Stellenwerts der Regionen angesprochen. Mit dem hierzu Erreichten können wir nicht zufrieden sein. Insbesondere die spanischen Vertreter sind außerordentlich zurückhaltend, lieber Kollege Kretschmann, was die Beschreibung

der nationalen und dann auch regionalen Identität anbelangt. Ich glaube, es ist hier unstrittig, dass wir in einem Artikel den Kernbestand dessen gewahrt wissen wollen, was die nationale Identität ausmacht. Dazu gehören die Sprache, die Kultur, die Herkunft, der Verwaltungsaufbau, der Verwaltungsvollzug, die kommunale Selbstverwaltung, das Recht der Kirchen, die Kultur, die Bildung. Die Beschreibung der nationalen Identität ist aber im Konventsprozess bisher nicht wirklich erreicht. Meine sehr verehrten Damen und Herren, gerade deshalb kommt es darauf an, dass wir in den vor uns liegenden Phasen eng mit allen deutschen Vertretern zusammenarbeiten.

Wir sind gespannt, was sich durch die Mitwirkung des Bundesaußenministers im Konvent an Neuem ergibt. Bisher war die Abstimmung der Positionen mit der Bundesregierung – um den würdigen Rahmen nicht durcheinander zu bringen, sage ich das sehr zurückhaltend – verbesserungsbedürftig. Wenn jetzt der Bundesaußenminister in den Konvent kommt, wollen wir ihm seine Mitwirkung im Konvent über ein paar Minuten hinausgehend zugestehen. Wir werden sehen, ob er im Konvent genauso präsent ist und mitarbeitet wie unser Ministerpräsident. Wir sind gerne bereit, uns in den Positionen abzustimmen. Es wird darauf ankommen, dass wir den zweiten Teil, den ich vorgestellt habe, in engem Benehmen mit der Bundesregierung und anderen Nationen auf den Weg bringen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Nun hat der ehrenwerte Herr Kollege Maurer, nachdem sich, Herr Maurer, diese Titulierung einbürgert, angesprochen,

(Zuruf von der CDU: Die ehrenwerte Gesellschaft!)

dass er sich von der Landesregierung mehr Impulse für die deutsch-französische Zusammenarbeit erhoffe. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich könnte jetzt seitenweise unsere Aktivitäten der vergangenen Jahre vortragen, mit denen wir auf der regionalen Ebene zwischen Baden-Württemberg und dem Elsass vorankommen, mit denen es uns auch gelingt, neue Impulse für das deutsch-französische Verhältnis zu schaffen. Ich will wenigstens Stichworte nennen: Deutsch-Französische Filmakademie in Ludwigsburg, Französisch in den Grenzgebieten, gegen Widerstände durchgesetzt, eine neue Rheinbrücke bei Altenheim-Eschau, die gemeinsame Konzeption für eine europäische Kulturhauptstadt Karlsruhe/Straßburg im Jahr 2010. Meine sehr verehrten Damen und Herren, dafür brauchen wir aber auch einmal die Unterstützung der Bundesregierung.

(Abg. Bebber SPD: Jetzt fängt der auch an zu la- mentieren!)

Zur Europäischen Kulturhauptstadt Karlsruhe höre ich hinten und vorne nichts. Wenn Sie, lieber Kollege Fischer, in Karlsruhe der Meinung sein sollten, dass die Bundesregierung dies fördern könnte, dann setzen Sie sich bei der Bundesregierung ein, damit wir dies gemeinsam, auch mit Unterstützung von Ihrer Seite, hinbekommen.

(Beifall bei der CDU – Abg. Bebber SPD: Hören Sie doch auf zu jammern!)

Unsere Oberrheinregion war Vorbild für das, was Sie beschrieben haben – Stichworte Saar-Lothringen, RheinlandPfalz.

(Minister Dr. Christoph Palmer)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben gerade einen Universitätsverbund Oberrhein EUCOR geschaffen.

Schließlich hoffe ich, dass es auch im Konvent zu einer engeren Zusammenarbeit zwischen den deutschen und den französischen Regierungsvertretern kommt. Ich sage Ihnen jetzt aber einmal die Wahrheit. Die Initiative zu einem solchen Treffen ist in den vergangenen Wochen wieder von Baden-Württemberg ausgegangen. Nachdem das bisher in der Berliner Bürokratie versandet ist, sind wir vor zwei Wochen auf Joschka Fischer zugegangen und haben im mündlichen Gespräch erklärt: Wir müssen die Initiative ergreifen – in Baden-Baden soll ein Treffen der deutschen und französischen Konventsmitglieder stattfinden –, dass die beiden Herznationen in diesem Konventsprozess besser zusammenarbeiten.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Da brauchen wir wirklich keinen Nachhilfeunterricht, wie wir etwas für die deutsch-französische Zusammenarbeit tun können.

(Abg. Walter GRÜNE: Joschka braucht von euch keine Belehrung!)

Lieber Herr Walter, ich habe Sie leider nicht verstanden. – Er will sich unseren Vorschlag einmal überlegen. Wir machen es mit ihm oder ohne ihn, weil es Sinn macht und weil es eine wichtige Maßnahme ist.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Osterweiterung ist das zweite zentrale Thema, das in diesen Monaten zur Entscheidung steht. Bisher haben wir abstrakte Diskussionen geführt. Jetzt wird es ernst. Wir kommen in die entscheidende Phase. In Kopenhagen wird der Bewertungsprozess im Dezember abgeschlossen. In Athen wird im Frühjahr 2003 unterzeichnet. Ich freue mich über den Konsens, dass alle Kräfte hier sagen: Das ist eine historische, politische, wirtschaftliche, kulturelle Notwendigkeit für ein exportorientiertes Land, zumal in der Mitte Europas.

Ich möchte aber an dieser Stelle an uns appellieren, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, dass wir – weil im Gegensatz zur Einschätzung innerhalb der Europäischen Union bei uns die Zustimmung zum Beitrittsprozess Mittel- und Osteuropas rückläufig ist – mehr über diesen Beitrittsprozess informieren und mehr dafür werben. Das ist wirklich ein Appell über Parteigrenzen hinweg. Denn wir wissen aus dem Eurobarometer sehr deutlich, dass wir die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland im Augenblick für die Osterweiterung nicht gewonnen haben. Das ist auch die Wahrheit.

Ich glaube, es ist sehr wichtig, dass man sich einmal vor Augen führt, was vor kurzem in der „Frankfurter Allgemeinen“ trefflich auf den Nenner gebracht worden ist. Keiner von uns könnte es besser sagen, und ich will mit Erlaubnis des Präsidenten zitieren, was eigentlich eine Grundbegründung dafür ist, dass wir diese Erweiterung wollen – es ist auch in der Debatte schon in die gleiche Richtung angeklungen –:

Nach dem Sturz der kommunistischen Diktaturen in Mittel- und Osteuropa 1989 war keineswegs sicher, dass es in Europa so friedlich und ruhig bleiben würde, wie es geblieben ist. Man muss nicht die fast ein

Jahrzehnt währenden Kriege im ehemaligen Jugoslawien mit Hunderttausenden von Toten, Verstümmelten und Vertriebenen zum Maßstab nehmen, um sich auszumalen, was dem Rest des Kontinents erspart geblieben ist.

Dann heißt es weiter:

Dass der Osten Europas nicht in einen Strudel ethnischer und sozialer Unruhen geraten ist, liegt zu einem großen Teil an der Anziehungskraft der EU und ihrer frühen Entscheidung, die ehemals real-sozialistischen Staaten bei Eignung aufzunehmen.

Das ist der tiefere Grund. Das ist die Begründung für die Osterweiterung der Europäischen Union.

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der FDP/ DVP und der Grünen)

Meine sehr verehrten Damen, meine Herren, ich bin dagegen, dass man mit Horrorszenarien argumentiert. Wir geben pro Jahr über 60 Milliarden € in den innerdeutschen Transfer, bis zum heutigen Tag jährlich über 60 Milliarden € in die innerdeutschen Ausgleichssysteme. In den Jahren 2004 bis 2006, also in einem Zeitraum von drei Jahren, werden durch die 15 bisherigen EU-Nationen insgesamt 37,645 Milliarden € nach Mittelost- und Osteuropa gehen. Das ist die Realie. Wer bei dieser nüchternen Beschreibung der Zahlen sagt, dass Deutschland überfordert werde, sollte sich einmal mit den Zahlen vertraut machen.

Im Übrigen ist die deutsche Spitzenposition in der Nettozahlerfunktion längst vorbei. Wir merken bei der Nettozahlerposition, dass wir wirtschaftlich zurückfallen. Wir sind heute pro Kopf der Bevölkerung nur noch an der fünften Stelle in der Zahlerposition Europas. Ein Land nach dem anderen hat uns überholt, und das wird in den nächsten Jahren so weitergehen und hängt mit der nachlassenden volkswirtschaftlichen Leistungskraft unseres Landes zusammen.

Aber was wir im Zusammenhang mit dieser Erweiterung machen müssen, meine verehrten Damen und Herren – diese Aufgabe stellt sich jeder Bundesregierung –, ist die Aufgabe, mit Großbritannien über den Anfang der Neunzigerjahre eingeräumten Beitragsrabatt zu verhandeln. Großbritannien zahlt nämlich in die Ausgleichssysteme – das war ein Zugeständnis für die deutsche Einheit – bis zum heutigen Tag faktisch nichts ein. Es hat einen Beitragsrabatt von jährlich 7,34 Milliarden €. Es ist richtig, dass die Franzosen auf die Agenda gesetzt haben, dass der britische Beitragsrabatt jetzt in Europa zur Disposition gestellt wird.

(Beifall des Abg. Kleinmann FDP/DVP)

Aber die Franzosen allein schaffen das nicht. Sie müssen es zusammen mit den Deutschen anpacken, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Jetzt hat Herr Maurer in seinem Beitrag vorhin gesagt, wir hätten gefordert, es solle zu einer deutschen und französischen Position in der Agrarpolitik kommen. Das ist wohl wahr, das haben wir gefordert. Aber leider ist auch wahr – und ich begrüße trotzdem, dass es überhaupt zu einer Position gekommen ist –, dass ab dem Jahr 2006, meine sehr ver

(Minister Dr. Christoph Palmer)

ehrten Damen und Herren, die Deckelung nur unzureichend begrenzt werden kann. Der Deckel ist nämlich nicht auf den Status quo des Jahres 2006 festgeschrieben worden, wie es gefordert wurde und auch richtig wäre, sondern wir haben eine jährliche Inflationsanpassung von 1 % vereinbart, was dazu führt, dass der Finanzrahmen in der Agrarpolitik in den Jahren von 2006 bis 2013 von derzeit 37 Milliarden € für Osteuropa auf 49 Milliarden € ansteigen wird.

Ich sehe es schon als Eigenwert, Herr Maurer, dass es gelungen ist, zu einer abgestimmten Position zwischen den Deutschen und den Franzosen zu kommen. Aber wahr ist auch, dass dieser Kompromiss vor allem aus französischer Sicht ein Kompromiss gewesen ist und dass dadurch die hohen Subventionen für die französischen Landwirte gesichert worden sind. Aus deutscher Sicht ist das eigentlich ein unzureichendes Ergebnis.

Meine sehr verehrten Damen, meine Herren, im Rahmen des Beitrittsprozesses muss aus aktuellem Anlass auch ein Wort über die Türkei gesagt werden. Herr Kollege Dr. Reinhart hat das bereits getan. Es ist gar keine Frage, dass Fortschritte gemacht worden sind. In der Türkei wurde im Hinblick auf den Annäherungsprozess und den Beitrittsprozess etwa die Todesstrafe aufgehoben. Aber die Kopenhagener Kriterien von 1993 für den Beitritt – volle Rechtsstaatlichkeit, volles marktwirtschaftliches System, voller westeuropäischer Standard in den Menschenrechten – sind noch lange nicht erreicht.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Richtig! Sehr richtig!)

Das müssen wir den türkischen Freunden mit aller Sensibilität, aber auch mit der gebotenen Deutlichkeit sagen. Ich glaube, wir müssen uns hinsichtlich eines Beitritts der Türkei auf eine realistische Position verständigen. Ich will abschließend gerne versuchen, diese zu beschreiben.

Die Türkei ist eine ganz wichtige, zentrale Nation, ein Brückenland zwischen Europa und Asien, eine große, eine bedeutende Nation. Sie hat eine außerordentliche geostrategische Bedeutung. Sie ist kein arabisches Land. Sie ist ein gemäßigtes islamisches Land auf dem Weg zu einer vollen, auch unseren Grundsätzen entsprechenden demokratischen Verfasstheit. Wir dürfen dieses große und bevölkerungsreiche Land – das sagen uns im Übrigen auch alle westlichen Partner fortlaufend zu Recht – nicht vor den Kopf stoßen.

Aber auf der anderen Seite ist eben auch wahr, dass das Land noch lange nicht so weit ist, dass wir konkrete Beitrittsverhandlungen aufnehmen könnten.

(Abg. Seimetz CDU: So ist es!)

Ausweislich der gesamten heutigen Tagespresse sagt der Beitrittskommissar Verheugen – im Gegensatz etwa zu Bundeskanzler Schröder –, dass er den Gipfel in Kopenhagen davor warnt, der Türkei ein konkretes Beitrittsdatum zu nennen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssen in aller Offenheit, mit Respekt vor der anderen Kultur, darüber sprechen. Wir müssen zuerst auch definieren, wie weit diese