Man kann nicht einerseits fordern, dass man die Freiheitsansprüche der Menschen respektiert, zugleich aber den Eindruck erwecken, als sei es Aufgabe der Politik, die Leute dazu anzuhalten, zumindest standesamtlich, aber besser eigentlich noch kirchlich zu heiraten. Ich glaube, das steht uns einfach nicht zu.
(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Hauk CDU: Das hat er doch gar nicht gesagt! – Abg. Oettinger CDU: Ich habe Artikel 6 zitiert! – Abg. Dr. Reinhart CDU: Ein Grundrecht, ein Freiheitsrecht, eine Institutsgarantie!)
Das ist nun einmal keine Aufgabe der Politik. Schon Kant hat gesagt: Es ist unmöglich, in Fragen der persönlichen Lebensführung einen Konsens herzustellen.
(Abg. Hauk CDU: Das will ja niemand! Aber die In- stitution! – Abg. Dr. Reinhart CDU: Sie lenken ab!)
200 Jahre später ist es völlig illusorisch, zu glauben, wir könnten den Leuten vorschreiben, wie sie ihre Partnerschaft gestalten.
Deswegen ist der harte Gegensatz, den Sie hier in ganz klassischer Manier kolportiert haben – hier „privat“ Familie, dort „öffentlich“ Staat –, in Wirklichkeit überholt.
Es ist genau die Aufgabe einer modernen Familienpolitik, endlich wahrzunehmen, dass dieser schroffe Gegensatz die Wahlfreiheit behindert und nicht fördert.
Es ist doch nun von allen Rednerinnen und Rednern festgestellt worden: Wenn wir wollen, dass Leute wieder verantwortlich eine Partnerschaft übernehmen und auch Kinder zeugen und aufziehen, müssen wir sehen, dass sie das eben nur dann machen,
wenn der Staat ihnen Infrastruktureinrichtungen anbietet, die es ihnen ermöglichen, Familie und Beruf zu vereinbaren.
Es geht also nicht darum, den Gegensatz von Staat und Familie, wie er traditionell bestand, weiter zu betonen, sondern es geht genau darum, vor allem in der staatlich und kommunal organisierten Kinderbetreuung die Grundlagen zu gewährleisten,
damit ein wichtiger Bestandteil der Vereinbarkeit von Familie und Beruf gewährleistet ist und Menschen ihre Wahlfreiheit,
(Beifall bei den Grünen – Abg. Hauk CDU: Da gibt es ja keinen Dissens! Aber es soll keinen Zwang geben! – Glocke der Präsidentin)
Nein. – Nur wenn wir die Infrastrukturmaßnahmen schaffen, ist die Wahlfreiheit faktisch überhaupt erst gegeben.
Herr Kollege Kretschmann, haben Sie es vergessen, oder haben Sie bewusst wieder nur von den staatlichen Einrichtungen zur Kinderbetreuung gesprochen?
Selbstverständlich geht es auch um Einrichtungen, die aus der Zivilgesellschaft heraus entstehen. Das ist gar keine Frage.
Aber auch diese muss der Staat fördern, und er muss Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass sie auch wirklich agieren können. Dabei sollten wir uns nichts vormachen: Heute kommt es darauf an – das erwarten junge Mütter auch –, dass die Betreuungsangebote eine hohe Qualität besitzen. Nur dann werden sie überhaupt angenommen.
Sie haben die Vorwürfe gegen uns zu präzisieren versucht, indem Sie gesagt haben, wir wollten durch unsere Pläne zum Ehegattensplitting die Ehe aushöhlen.
Auch da muss man eines nüchtern feststellen. In der Verfassung heißt es eigentlich nur: Ehe und Familie.
(Abg. Oettinger CDU: Beides! Das ist kumulativ! – Abg. Dr. Reinhart CDU: Kumulativ! „Und“ bedeutet kumulativ und nicht alternativ!)
Das heißt, beides tritt immer nur im Zusammenhang auf. So sehe ich das. Lassen Sie mich das einfach einmal erläutern.
(Abg. Hauk CDU: Es heißt nicht „oder“! – Abg. Oettinger CDU: Beides! – Abg. Hauk CDU: Beides! – Abg. Oettinger CDU: Das ist so klar wie nur ir- gendwas! – Abg. Dr. Reinhart CDU: Herr Kollege Kretschmann, verrennen Sie sich nicht!)
Früher konnte man davon ausgehen, dass Menschen, die eine Ehe eingehen, in der Regel auch Kinder bekommen. Das war die gesellschaftliche Wirklichkeit, die dahinter stand. So war es auch in weit, weit über 90 % der Fälle. Heute ist es aber nicht mehr so.
Heute geht eine zunehmende Zahl von Menschen eine Ehe ein, die von vornherein gar keine Kinder wollen oder zumindest die Kinder nicht im frühen Stadium ihrer Ehe bekommen, solange sie noch Kinder bekommen könnten.