Protocol of the Session on June 20, 2002

Wir kommen zum Antrag Drucksache 13/728. Er ist nach der Aussprache erledigt. Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.

Damit ist Punkt 6 der Tagesordnung abgeschlossen.

Meine Damen und Herren, wir kommen zu Punkt 7 der Tagesordnung:

Antrag der Fraktion der SPD und Stellungnahme des Innenministeriums Maßnahmen zur Verbesserung der inneren Sicherheit Drucksache 13/339

Wem darf ich das Wort erteilen? Frau Abg. Grünstein, ich erteile Ihnen das Wort.

Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Hofer, ich habe Ihren Ruf „Ich will nach Hause!“ deutlich vernommen.

(Heiterkeit des Abg. Rech CDU)

Da ich sicher bin, dass wir zu den folgenden Punkten noch oft diskutieren werden, werde ich versuchen, mich kurz zu fassen, damit Sie in Ihr langes Wochenende starten können.

(Heiterkeit des Abg. Dr. Glück FDP/DVP Beifall bei Abgeordneten der CDU und des Abg. Hofer FDP/DVP)

Die Erkenntnisse, zum Beispiel im Bereich des ABCSchutzprogramms bei den Feuerwehren, die nach den schrecklichen Geschehnissen vom 11. September gewonnen wurden, zeigen gerade im Bereich der inneren Sicherheit erheblichen Nachholbedarf. Leider bedurfte es anscheinend dieses tragischen Tages, um deutlich zu machen, was in unserem Land an notwendigen Maßnahmen vonseiten der Landesregierung versäumt worden ist.

Auch Ihr viel gepriesenes Antiterrorsofortprogramm, Herr Innenminister, hat nach Informationen aus der täglichen Praxis der Polizei überhaupt nichts an der miserablen Situation,

(Abg. Dr. Glück FDP/DVP: Miserable Situation?)

die ganz besonders im Personalbereich besteht, geändert.

(Abg. Zimmermann CDU: Woher haben Sie Ihre Informationen?)

Ich gehe dahin, wo die Probleme sind, nämlich zur Polizei. Ich weiß ja nicht, wohin Sie immer gehen.

(Beifall der Abg. Ursula Haußmann SPD)

Die mit dem Antiterrorsofortprogramm geschaffenen zusätzlichen 200 Ausbildungsstellen lösen das Problem nicht, zumal sie auch noch durch k.w.-Vermerke unattraktiv im Vergleich zu denen in anderen Bundesländern werden.

Es vergeht kein Tag, an dem uns nicht Meldungen über den desolaten Zustand in der Personalbesetzung unserer Polizei ins Haus flattern. Sie haben zwar in Ihrer Stellungnahme, Herr Innenminister, darauf hingewiesen, dass ich zitiere die Landesregierung in Abhängigkeit „von der künftigen Entwicklung der Sicherheitslage... die Notwendigkeit weiterer personalpolitischer Entscheidungen prüfen“ werde, aber jetzt frage ich mich doch, wie Sie, Herr Innenminister Schäuble, mit Meldungen umgehen, nach denen die Gefährdung durch Terroristen längst nicht gebannt ist, und damit umgehen, dass viele Hinweise, wie Sie uns selbst immer sehr glaubhaft darstellen, auch auf unser Land deuten und die Polizei mit einer sehr, sehr dünnen Personaldecke ihren Aufgaben nur unter allergrößter Anstrengung nachkommen kann. Herr Minister, Sie kommen Ihrer Verantwortung nicht umfassend nach.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Landesregierung hält die Zahl zur Polizeidichte für nicht aussagekräftig. Aus ihrer Sicht gesehen macht es sogar Sinn; denn sonst müssten Sie ja zugeben, dass BadenWürttemberg gerade in diesem Punkt ein absolut katastrophales Bild abgibt.

(Abg. Dr. Glück FDP/DVP: Aber gucken Sie mal die Kriminalstatistik an!)

Wir sind an zwölfter Stelle der 16 Bundesländer. Das ist wahrlich kein Ruhmesblatt. Das können Sie auch nicht schönreden.

(Abg. Zimmermann CDU: Aber die beste Statistik! Die beste Aufklärungsquote! Nicht Quantität, son- dern Qualität zählt! Abg. Birzele SPD: Herr Zim- mermann, Sie dürfen in kein Polizeirevier mehr!)

Auf die Statistik komme ich noch.

(Zuruf des Abg. Zimmermann CDU)

Gemach, gemach.

Die Polizeidichte zur Nachtzeit sieht doch tatsächlich so aus, dass eine Streifenwagenbesatzung für 22 000 Bürgerinnen und Bürger in Baden-Württemberg im Dienst ist. Im Ortenaukreis werden sogar 28 000 Einwohner von einer Streifenwagenbesatzung betreut. Da hilft es auch nichts, wenn der Innenminister immer wieder auf die Kriminalstatistik hinweist. Denn er ignoriert dabei völlig, dass die Belastungen in den einzelnen Dienststellen immer mehr zunehmen. Mit anderen Worten: Ihre so genannte Kriminalstatistik dient eigentlich mehr der Verschleierung und Verwischung der wirklichen Mängel als der Gewinnung von Erkenntnissen über die Tatsachen vor Ort.

(Minister Dr. Schäuble: Das ist üblich bei Statisti- ken!)

Wir wissen, dass nach wie vor ein akuter Personalmangel bei der Polizei im Land herrscht. Als Beispiel sei hier nur die derzeitige Situation im Ortenaukreis angeführt. Sie ist so schlimm gewesen, dass man dort sehr laut geschrien hat und Sie jetzt scheinbar dabei sind, da etwas Abhilfe zu schaffen. Und sogar Ihr Staatssekretär, Herr Kollege Rech, hat öffentlich bestätigt,

(Zuruf von der SPD: Ist er da? Gegenruf des Staatssekretärs Rech Abg. Zimmermann CDU: Er ist immer da! Gegenruf des Abg. Oelmayer GRÜNE: Vielleicht kommt noch etwas zum Bio- diesel! Vereinzelt Heiterkeit Unruhe)

dass die Personaldecke auf dünnem Saum genäht sei. Mit dem Titel „Lahr schreit auf“ wird Ihre Sicherheitspolitik durch die „Mittelbadische Presse“ als „unterlassene Hilfeleistung im politischen Sinn“ kommentiert. Aus meiner Sicht besteht also kein Grund, besonders stolz zu sein.

Sie verweisen immer wieder auf die Zeit nach 1992, in der 1 200 neue Stellen geschaffen worden sind.

(Abg. Birzele SPD: 1 600!)

Da haben Sie ja so Recht. Sie verschweigen aber, dass dies im Jahr 1996 abrupt aufhörte, nämlich zu dem Zeitpunkt, zu dem der SPD-Innenminister Frieder Birzele nicht mehr im Amt war und die CDU dieses Ministeramt besetzte. Danach war nämlich Ebbe im Stellenpool für die Polizei.

(Beifall bei der SPD Abg. Ursula Haußmann SPD: Tote Hose!)

Ihre Bemühungen, für alle Erziehungsbeurlaubungen im Polizeibereich für Ersatz zu sorgen, sind nach wie vor nicht ausreichend. Ich kann Sie nur noch einmal auffordern, Herr Minister, endlich konkrete Maßnahmen zu ergreifen, die das Problem auch wirklich an der Wurzel packen, und langfristige und effektive Lösungen anzubieten.

Tatsache ist, dass das Land Baden-Württemberg in der Besoldungsstruktur im Vergleich der alten Bundesländer untereinander nach wie vor auf dem letzten Tabellenplatz liegt. Von Ihrer eigenen Zielsetzung, nämlich 50 % aller Stellen im gehobenen Dienst auszuweisen, sind Sie auch noch relativ weit entfernt.

Anscheinend gibt es auch Bestrebungen, die am Ende des Jahres auslaufenden Regelungen in der Polizeiaufstiegsverordnung zum Aufstieg in den höheren Polizeivollzugsdienst nicht zu verlängern.

(Abg. Drautz FDP/DVP: Was ist jetzt mit „kurz“? Gegenruf des Abg. Göschel SPD: Der Kurz ist weg!)

Wir haben zu diesen Punkten bereits einen Antrag eingebracht.

Wenn man all dies vor Augen hat, stellt sich doch nun wirklich die Frage, liebe Kolleginnen und Kollegen: Durch welche Maßnahmen glauben Sie, Herr Minister, eigentlich, Ihr selbst gesetztes Ziel überhaupt noch zu erreichen?

Auch das von Ihnen so gerühmte Leasingkonzept ist wohl nicht ganz so effektiv, wie Sie es immer gern darstellen.

Vieles deutet darauf hin, dass entgegen der bisherigen Annahme erhebliche Mehrbelastungen auf die Dienststellen zukommen werden. Wenn die ersten Leasingverträge abgelaufen sind, werde ich Sie noch einmal auffordern, darüber Bericht zu erstatten.

Nach Ihrer Ansicht, Herr Innenminister, ist die Schaffung eines Ausbildungsberufs des oder der Polizeifachangestellten zur Verbesserung der Situation der Tarifbeschäftigten wenig geeignet. Das sehe ich nicht so. Ich sehe vielmehr, dass es Ihnen an echtem Willen fehlt, die Eingruppierungssituation der Angestellten tatsächlich zu verbessern. Wir halten es weiterhin für sinnvoll und sehr viele Gespräche vor Ort bestätigen uns in dieser Meinung , den Ausbildungsberuf der Polizeifachangestellten einzuführen. Die Einstellung von zusätzlichen Polizeiangestellten, die unsere Vollzugsbeamtinnen und -beamten von reinen Verwaltungsdiensttätigkeiten entlasten, ist unseres Erachtens zwingend notwendig.

(Beifall bei der SPD)

Denn wir wissen, dass wir nur so die Kapazitäten für die Präsenz auf der Straße und die eigentlichen Sicherheitsaufgaben der Polizei freisetzen können und damit die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger spürbar erhöhen können.

Sie haben sich ja, wie uns die Presse mitgeteilt hat, bei einem Besuch in Bayern über die dortige Situation im Hinblick auf die Bemühungen der Deutschen Polizeigewerkschaft informiert, dort den dienstlichen Anforderungen angepasste Tätigkeitsmerkmale bzw. Bewertungen durchzusetzen. Das wäre doch zum Beispiel einmal ein guter Schritt in Richtung Ausbildung für Polizeifachangestellte.

Nach Ihrer Stellungnahme, Herr Minister Schäuble, haben Sie die Erwartung, dass mit der Gewährung von Mehrarbeitsvergütungen die aufgelaufenen Mehrarbeitsstunden in diesem Jahr weitgehend und nachhaltig abgebaut werden können. Nun ist ja die erste Hälfte dieses Jahres schon fast vorbei, und ich würde sehr gerne von Ihnen wissen, ob Ihre Erwartungen auch eingetroffen sind.

Wenn, wie Sie selber sagen, die Polizeiposten unter Ihrem besonderen Schutz stehen, frage ich mich, wie diese Aussage mit dem steigenden Berg der Mehrarbeitsstunden zu vereinbaren ist.

Dass Ihr Technikzukunftsprogramm auch erhebliche Haken und Ösen aufweist, wissen Sie spätestens, seit klar ist, dass es sich teilweise nicht flächendeckend umsetzen lässt, wie das Beispiel des Pilotprojekts in Waiblingen zeigt. Und: Wie wollen Sie eigentlich mit der Technik von morgen und dem Personalbestand von gestern den Sicherheitsbedürfnissen von heute gerecht werden?

(Beifall bei der SPD)