Protocol of the Session on June 19, 2002

Ich finde überhaupt, dass durch die Änderung der Geschäftsordnung das Parlament insgesamt gestärkt wird. Deshalb wird die FDP/DVP der neuen Geschäftsordnung selbstverständlich zustimmen.

Die Redezeit ist gegenwärtig nicht begrenzt. Die parlamentarischen Geschäftsführer hatten vorhin gerade eine Besprechung und haben dieses Verfahren ausdrücklich begrüßt. Sie wollen diesen Versuch auch weiterführen mit der Überlegung, eventuell auch einmal eine Gesamtbudgetierung vorzunehmen und zu sagen: An diesem Tag endet die Sitzung um 19:00 Uhr, an Redezeit steht insgesamt soundso viel Zeit zur Verfügung. Wenn die Fraktionen dann der Meinung sind, bei einem bestimmten Punkt müsse man länger reden, kann man dies tun. Dafür muss sich dann der nächste oder übernächste Redner etwas kürzer fassen.

(Beifall der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)

Wir sollten bei aller Schärfe, die in diese Debatte gekommen ist Kollege Kretschmann spricht ja jetzt noch als Letzter , eines bedenken: Das, was wir gemeinsam beraten haben und nun auch gemeinsam beschließen, sollte man nicht einfach zerreden und durch irgendwelche scharfen Formulierungen in ein schiefes Licht bringen.

Danke schön.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Kretschmann.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Neben wichtigen Einzelbestimmungen stand im Vordergrund der Überlegungen zur Änderung der Geschäftsordnung, erstens die Debatten hier lebendiger zu gestalten und zweitens das Parlament gegenüber der Regierung zu stärken.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Sehr richtig!)

Ich denke, dass zwei wichtige Einzelbestimmungen geändert werden sollen. Zum einen sollen die Vertreter des Gemeinde- und des Städtetags in den Ausschüssen Rederecht haben. Zum anderen haben wir zwar nicht durchsetzen können, dass die Ausschüsse ein Selbstbefassungsrecht erhalten, aber sie sollen selbst Debatten führen können, aus denen nicht direkt Beschlüsse folgen. Zum Beispiel soll ein Ausschuss bei aktuellen Vorkommnissen den zuständigen Minister einladen können, um mit ihm über ein bestimmtes Problem zu diskutieren. Das ist zwar auch schon bisher gemacht worden, war aber eigentlich nicht geschäftsordnungskonform. Ich glaube, dass man in Zukunft durchaus auch zu einem Selbstbefassungsrecht der Ausschüsse kommen sollte.

Bei dem Ziel, die Debatten lebendiger zu machen, steht zunächst einmal im Vordergrund, das Parlament gegenüber der Regierung zu stärken. Die Regierung hat aufgrund der Verfassungslage ja das Recht, hier jederzeit zu reden. Das hat zu einer massiven Schieflage geführt: Einerseits beschränken wir uns bei den Redezeiten strikt selbst, während andererseits die Regierungsmitglieder unbeschränkt reden können. Damit haben sie in Debatten immer das letzte Wort, worauf wir nicht mehr reagieren können. Ich glaube, dass das zu Verzerrungen der ganzen Redestruktur geführt hat. Schließlich ist es völlig widersinnig, dass wir uns selbst beschränken und damit den eigentlichen Part, der da

rin besteht, über die Angelegenheiten des Landes zu debattieren, im Wesentlichen der Regierung überlassen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Das ist, glaube ich, eine ganz wichtige Forderung. Man muss allerdings auch sehen, dass wir in der Geschäftsordnungskommission wollten, dass dies auch in der Geschäftsordnung festgeschrieben wird. Das ist leider nicht erfolgt, obwohl wir uns in der Geschäftsordnungskommission darin einig waren. Das spielt natürlich so lange keine Rolle, wie wir keine Redezeitbeschränkung haben. Aber wenn zum Beispiel die Regierungsfraktionen der Ansicht sind, das sei jetzt eigentlich genug, weil vielleicht die Opposition davon zu viel profitiere, dann steht das nicht mehr in der Geschäftsordnung, und wir haben den alten Zustand. Das heißt, dass Sie von der CDU-Fraktion Ihren Vertreter da praktisch zurückgepfiffen haben, sodass wir die Zwischenintervention nicht mehr drin haben.

Auch dass der Vorschlag der Geschäftsordnungskommission, dass die Regierungsmitglieder nach der ersten Runde reden sollen, nicht zum Tragen kommen soll, finde ich schon etwas schade. Ich darf noch einmal an alle Fraktionsführungen appellieren was meine Person betrifft, hat ein gewisser Wechsel stattgefunden; aber damals war ich noch in der Geschäftsordnungskommission : Wenn man Leute in Verhandlungen schickt, dann sollte man sie später nicht einfach zurückpfeifen. Wir haben uns in der Kommission stundenlang den Kopf zerbrochen und heißgeredet und wirklich etwas für das Parlament getan. Das sollte man ein bisschen mehr würdigen.

Ich glaube, dass sich diese Debattenkultur bisher bewährt hat. Wir müssen den Umgang damit alle noch mehr lernen. Wir haben ja jetzt zum Teil 20-, 25-jährige Erfahrungen mit einer anderen Regelung. Aber wenn sich das richtig eingespielt hat, dann wird sich das, glaube ich vielleicht vom einen oder anderen Ausreißer abgesehen , weiter bewähren.

Allerdings möchte ich schon noch einmal auf das eingehen, was Sie zu der Frage von Bundesdebatten, die wir hier führten, gesagt haben. Das Entscheidende ist, dass wir hier zu viele Debatten führen, aus denen nichts folgt.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Kleinmann FDP/DVP)

Es geht nicht in erster Linie um die Frage: Führen wir auch Bundesdebatten, ja oder nein? Eine solche Debatte haben wir heute Morgen beim Thema Bahnpolitik geführt. Das ist eine Bundesangelegenheit. Aber wir sind darin involviert, und wir haben eine Debatte geführt, aus der etwas gefolgt ist, nämlich ein Antrag dazu, der sich an die Bundesregierung richtet oder, wie es Kollege Birzele gesagt hat, der versucht, auf ein bestimmtes Abstimmungsverhalten der Regierung im Bundesrat Einfluss zu nehmen. Es geht darum, dass wir hier Debatten unterlassen, aus denen absolut nichts folgt und mit denen nur Debatten wiederholt werden, die eine Woche zuvor im Bundestag stattgefunden haben. Damit entwerten wir dieses Parlament.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Ein Parlament, das dauernd Debatten führt, aus denen nichts folgt, zeigt, dass es zu wenig zu sagen hat. Das ist der Fall. Wir brauchen wieder mehr Kompetenzen.

(Glocke der Präsidentin)

Aber es ist auch eine Frage unserer Selbstdisziplin, dass wir uns da sehr beschränken und immer fragen: Folgt aus dieser Debatte etwas?

Zum Schluss darf ich noch einmal an alle appellieren: Mehr Redezeit, die wir effektiv haben, hat natürlich nur dann einen Sinn, wenn man nicht seine noch längeren Reden abliest. Vielmehr ist es schon erforderlich, dass man dann auch den Mut hat, hier anhand von Notizen frei zu sprechen und nicht nur ins Reine zu reden.

(Beifall bei den Grünen sowie Abgeordneten der CDU, der SPD und der FDP/DVP)

Aber wenn das dazu führt, dass wir nur noch länger ablesen, anstatt frei zu reden, dann wird sich das sehr schnell erübrigen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Wir kommen zur geschäftsordnungsmäßigen Behandlung der Beschlussempfehlung des Präsidiums.

Kann ich davon ausgehen, dass alle vier Fraktionen der Beschlussempfehlung zustimmen? Das ist der Fall. Dann ist der Beschlussempfehlung einstimmig zugestimmt.

Damit ist Punkt 5 der Tagesordnung erledigt.

Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:

Antrag der Fraktion GRÜNE und Stellungnahme des Sozialministeriums Landesversicherungsanstalt (LVA) Baden-Württemberg Selbstverwaltung in der Kritik Drucksache 13/138

Zum Antrag Drucksache 13/138 liegt ein Änderungsantrag der Fraktion GRÜNE vor, der Antrag Drucksache 13/1088, der mit aufgerufen ist.

Wem darf ich in der Aussprache das Wort erteilen? Frau Abg. Lösch, bitte schön.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Vor fast einem Jahr haben wir unseren Antrag zur LVA gestellt, die Vorwürfe von Filz, Misswirtschaft, Selbstbedienungsmentalität und Mobbing in der LVA aufzuklären. Passiert ist lange Zeit gar nichts. An diesem Punkt setzt auch meine Kritik an.

Meine Kritik geht in zwei Richtungen. Zum einen geht die Kritik an den Vorstand der LVA, der lange Zeit unwillig und unfähig war, die öffentliche Dimension dieses Falles zu sehen. Die LVA ist eine öffentlich-rechtliche Anstalt,

bei der jeder Dritte versichert ist. Es geht also um viel Geld von Leuten, die ihre Versicherungsbeiträge an die LVA bezahlen. Die LVA hat ein Haushaltsvolumen von 20,3 Milliarden €. Das ist nach dem Landeshaushalt der zweitgrößte Haushalt hier in Baden-Württemberg.

Zum anderen richtet sich meine Kritik an das Sozialministerium und betrifft dessen Schläfrigkeit. Das Sozialministerium ist die zuständige Rechtsaufsichtsbehörde, war bis 1. Januar 2001 Rechts- und Dienstaufsichtsbehörde und hat überhaupt nichts getan. Eine Prüfung, wie sie jetzt erfolgt, hätte schon viel früher erfolgen müssen.

Wenn man sich einmal die Vorkommnisse chronologisch betrachtet, stellt man fest: Die Geschichte über Filz und Korruption beginnt nicht erst in diesem Jahr, auch nicht erst im letzten Jahr, sondern eigentlich mit der Vorlage des Sieber-Gutachtens. Das Sieber-Gutachten ist 1998 erstellt worden. Professor Ulrich Sieber ist ein anerkannter Strafrechtler aus Würzburg, der die Entlassung seines Bruders Gerhard Sieber zum Anlass nahm, über den Führungsstil des Geschäftsführers zu berichten, dessen Macht als grenzenlos dargestellt wurde.

(Minister Dr. Repnik betritt den Plenarsaal. Zu- ruf von der SPD: Gerade haben wir ihn herbeizitie- ren wollen!)

Darüber hinaus enthielt es auch massive Vorwürfe der Vorteilsnahme gegen den ersten Geschäftsführer, Herrn Jürgen Schneider, die eigentlich jede Aufsichtsbehörde hätten in Alarmstimmung versetzen müssen.

Da gibt es den Vorwurf das hat man jetzt auch in den Medien gelesen , Herr Schneider habe sich persönliche Vorteile verschafft durch Geschenke bzw. Geschenkverlangen, die die Geringfügigkeitsgrenze weit überschreiten. Von teuren Modelleisenbahnen ist die Rede, von Rotweinkisten mit Weinen der Sorte Edelmarke,

(Zurufe von der CDU, u. a. der Abg. Alfred Haas und Scheuermann)

von begehbaren Weinkühlschränken, Kollege Haas, die er insbesondere von der Moorheilbad GmbH in Bad Buchau am Federsee entgegennahm.

(Abg. Fleischer CDU: Uralte Kamellen sind das!)

Das Sieber-Gutachten berichtet ferner, dass Herr Schneider in dieser Klinik, die wohl seine Lieblingsklinik war, regelmäßig Gast war, sich dort auch sehr fürstlich bewirten ließ und dort auch schon einmal Familienfeste feierte.

(Abg. Fleischer CDU: Das ist schon längst ausge- standen gewesen!)

Wenn das schon längst ausgestanden wäre, dann würde die Staatsanwaltschaft jetzt nicht ermitteln. Das nur als Zwischenruf.

(Abg. Fleischer CDU: Vor vier Jahren haben wir darüber diskutiert!)