Vor allem ist es in Finnland so, dass man dort mit dem neuen Problem, nämlich den Rückkehrern aus Karelien, ganz anders verfährt. Sie erhalten nämlich so lange, bis sie die Landessprache sprechen, ausschließlich Unterricht in der Landessprache. Dann werden sie in die Regelschule integriert. Ich persönlich kann dieser Radikalität durchaus etwas abgewinnen, weil es hilft. Aber denken Sie einmal daran, wie es wäre, wenn wir mit Migranten so verfahren würden, dass wir sie regelrecht dazu zwingen, die Landessprache zu lernen, damit sie hinterher in der jeweiligen Regelklasse Fuß fassen könnten.
In Finnland gibt es außerdem riesengroße Unterschiede zwischen dem ländlichen Bereich und den Ballungsgebieten. Rund 40 % der Schulen haben weniger als 50 Kinder; das möchte ich noch einmal in Erinnerung rufen. Schon aus diesem Grunde machen die Finnen ab der dritten Grundschulklasse, ab der Basisschule finnischer Prägung, bereits erhebliche Unterschiede in den Angeboten. Sie differenzieren sogar noch früher.
Als Fazit bin ich der Meinung – weil Bildungspolitik vor allem im ländlichen Raum auch Strukturpolitik ist; das haben die kommunalen Landesverbände ganz deutlich zum Ausdruck gebracht –, dass wir, sollte Ihr Antrag in die Realität umgesetzt werden, erstens dafür die Ressourcen gar nicht hätten. Wir machten zweitens denen mit den kürzesten Beinen, den Kleinen, die längsten Schulwege. Wir sorgten drittens dafür, dass einerseits Schulen geschlossen und andererseits mit hohem Aufwand neue gebaut werden müssten. Das gilt für die Basisschule grüner Prägung genauso wie für die Regionalschule sozialdemokratischer Prägung bzw. für diese noch schlimmer.
Deswegen bleiben wir beim gegliederten Schulwesen. Wir sind auf dem richtigen Weg. Wir gehen unseren Weg unbeirrt und werden diesen Gesetzentwurf ablehnen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP – Abg. Kleinmann FDP/DVP: Auch Standing Ovations!)
Bildungspolitik ist wohl immer ein Abbild der Gesellschaft der jeweiligen Zeit. Bildungspolitik hat sich über Jahrhunderte verändert und wird sich auch immer wieder verändern müssen.
Wir haben hier einen Gesetzentwurf vorliegen, der zunächst eine auch nach unserer Meinung sehr richtige Analyse unseres dreigliedrigen Schulsystems trifft, nämlich dass dieses dreigliedrige Schulsystem mit seinem hoch selektiven Charakter, nach der vierten Klasse alle Schüler zu sortieren, einem anderen Jahrhundert angehört. Es gibt bessere Konzepte in dieser Welt.
Diese besseren Konzepte beruhen in erster Linie auf dem Prinzip des längeren gemeinsamen Lernens, bei dem insbesondere die Schwächeren mitgenommen werden, die Schwächeren nicht verloren und aufgegeben werden und trotzdem Leistung in hohem Maße, wie es in den nordischen Staaten Finnland, Schweden und anderen möglich ist, nicht abhanden kommt.
Ich glaube, hier haben wir letztendlich auch in der Zeit, in der ich im Landtag bin, einen Erfolg errungen. Der Zug zur Ganztagsschule ist abgefahren.
(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen sowie des Abg. Kleinmann FDP/DVP – Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Nein, er läuft!)
Alle diejenigen, die es schwer hatten, noch aufzuspringen, nachdem wir den Zug unter Dampf gesetzt hatten, heißen wir inzwischen bei dieser Fahrt in die Zukunft herzlich willkommen. Und denjenigen, die jetzt noch ein wenig hinterherrennen, um aufzuspringen,
Und weil wir Sozialdemokraten uns um die Zukunft des Bildungssystems viele Gedanken gemacht haben, sind wir zu einem etwas anderen Konzept als dem gelangt, das in dem vorliegenden Gesetzentwurf vorgeschlagen wird. Die Position der SPD ist: Wir möchten – vor allem, um der frühen Selektion entgegenzuwirken, die nach der vierten Grundschulklasse stattfindet – anschließend an das bewährte und schon erprobte Konzept einer sechsjährigen Grund
schule ein Zweisäulenmodell. Dieses so genannte Zweisäulenmodell würde die Haupt- und Realschule in einer vierjährigen Schule einschließen und dazu das sechsjährige Gymnasium, in diesem Fall G 8, daneben stellen.
Wir meinen, dieses Konzept ist realisierbar. Es ist bei denen, die wir auf diesem Weg mitnehmen müssen, den Eltern, den Schülern und der gesamten Gesellschaft, besser umsetzbar als das Konzept, das jetzt hier als Gesetzentwurf zur Abstimmung steht. Deswegen werden wir diesen Gesetzentwurf ablehnen.
Unsere andere Konzeption, meine Damen und Herren, lege ich nach 22 Jahren Tätigkeit in diesem Landtag
Ich bin guten Mutes, dass insgesamt in der nächsten Zeit auch dieser Zug in die richtige Richtung fahren wird. Ich habe Bildungspolitik stets mit dem Herzen gemacht. Ich hoffe, Sie haben das auch gespürt. Deswegen kann ich diesen Landtag mit Ruhe und einem guten Gefühl verlassen. Ich wünsche Ihnen alles Gute
und dass Sie auch in meinem Sinne in der Zukunft Bildungspolitik so machen, wie ich sie mir 22 Jahre lang vorgestellt und vieles dabei erreicht habe. Ich wünsche Ihnen allen alles Gute.
(Die Abgeordneten aller Fraktionen spenden ste- hend anhaltenden Beifall. – Abg. Rückert CDU: Gleichfalls!)
Auch Ihnen, Herr Abg. Wintruff, ein herzliches Dankeschön für die langjährige und intensive Mitarbeit hier im Haus.
(Abg. Fischer SPD: Das kannst du nicht toppen, Dieter! – Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Wie holst du jetzt deine Ovationen?)
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Lieber Kollege Wintruff, in der Tat war es eine gute Zusammenarbeit im Schulausschuss, die wir in der letzten Legislaturperiode gemeinsam – Sie als Vorsitzender, ich als Stellvertreter – betrieben haben. Es gab auch in dieser Legislaturperiode sehr viele interessante Anträge zu beraten. Herzlichen Dank für die gute Zusammenarbeit!
Ich bedanke mich bei Ihnen, Herr Wintruff, auch für das schöne Bild, das Sie gebraucht haben, indem Sie gesagt haben: Der Zug steht auf dem Gleis und fährt.
(Abg. Seimetz CDU: Zugführer Wintruff! – Abg. Renate Rastätter GRÜNE: Er steht nicht, sondern er fährt, hat er gesagt!)
Ich habe aber gesagt: „Er steht“, Frau Kollegin Rastätter. Die Geschwindigkeit des Fahrens ist manchmal relativ unterschiedlich.
Aber entscheidend und von Ihnen auch richtig ausgeführt ist: Er fährt in die richtige Richtung. Wir haben dieses Thema Ganztagsschulen jetzt eingeleitet.
Meine Damen und Herren, man kann zum Gesetzentwurf der Fraktion GRÜNE sagen: Man kann die PISA-Befunde so oder so lesen, Frau Kollegin Rastätter. Wenn man sie richtig liest, belegen sie den baden-württembergischen Schulen eine gute Qualität und auch eine gute Leistungsfähigkeit.
Sie belegen allerdings auch eine Schwachstelle, Frau Haußmann, nämlich die bislang nicht ausreichende Förderung schwächerer Schülerinnen und Schüler. Bei dieser Gelegenheit möchte ich sagen: Ich habe heute einen Bericht über den Besuch des UN-Bildungsexperten in Deutschland gelesen mit der Überschrift „Schlechte Chancen für Pennäler mit armen Eltern“. Einen solchen Unsinn habe ich schon lange nicht mehr gehört. Die Chance, ein Gymnasium zu besuchen und später zu studieren, ist die für PISA zugrunde gelegte Definition von Bildungsteilhabe, die als solche noch zu hinterfragen wäre. Diese Chance sinkt nicht mit dem Einkommen der Eltern, sondern sie ist niedriger für Kinder aus so genannten bildungsfernen Schichten. Das sind noch immer zwei Paar Stiefel. PISA hat gerade BadenWürttemberg einen besonders geringen und auch im internationalen Vergleich nicht schlechten Zusammenhang zwischen Bildungsteilhabe und sozialer Herkunft bescheinigt.
Aber Kinder aus bildungsfernen Schichten, vor allem mit Migrationshintergrund – vermehrt aber auch aus deutschen Familien –, haben Schwächen – das geben wir gern zu –, vor allem sprachliche Defizite und sprachliche Verzögerungen. Die Verbesserungen des baden-württembergischen Schulsystems haben hier anzusetzen.
Aber gerade auf diesem Weg sind wir ja, Herr Staatssekretär. Wir unternehmen enorme Anstrengungen im Bereich früher, vor allem sprachlicher Förderung. Wir haben ein milliardenschweres Programm für den quantitativen und qualitativen Ausbau von Ganztagsschulen verabredet. In der Aktuellen Debatte heute früh ist dazu viel gesagt worden. Ich muss das jetzt hier nicht wiederholen.