Meine Damen und Herren, diejenigen, die PISA 2000 und PISA 2003 wissenschaftlich zu verantworten haben, haben ausdrücklich deutlich gemacht, dass in diesen Fragen keine Vergleichbarkeit zwischen PISA 2000 und PISA 2003 besteht. Herr Kollege Schebesta hat vorhin bereits darauf hingewiesen, dass bei PISA 2000 die Leseergebnisse und bei PISA 2003 die Mathematikergebnisse untersucht wurden. Es sind aber auch unterschiedliche Sozialgruppenindexe zugrunde gelegt worden.
Deswegen gibt es keine Längsschnittanalyse bei der Frage von sozialer Herkunft und Bildungserfolg. Es gibt sie bei PISA einfach nicht, auch wenn Sie es immer wieder behaupten. Wenn man also schon wissenschaftliche Begründungen heranzieht, dann sollte man wenigstens sauber arbeiten.
Auch ich finde, dass das Thema „soziale Herkunft und Bildungserfolg“ die Legitimationsfrage der Bildungspolitik schlechthin ist.
Aber man darf dann nicht die falschen Fragen stellen, zu irreführenden Antworten kommen und falsche Fährten und damit auch falsche Lösungsansätze auslegen,
sondern man muss sich in diesem Zusammenhang den richtigen Fragen stellen. PISA ist ein Querschnittsbefund für die 15-Jährigen. 15-Jährige besuchen in der Regel noch keine beruflichen Schulen. Deswegen ist all das, was im beruflichen Schulwesen stattfindet, bei PISA ausgeklammert, wird dort nicht berücksichtigt, ist aber für uns ein wesentlicher Bestandteil des Bildungserfolgs.
Weil Herr Kollege Kretschmann gerade Herrn Munoz angesprochen hat: Herr Munoz hat keine einzige berufliche Schule in Deutschland von innen gesehen. Er weiß überhaupt nicht, was dort geht und was dort möglich ist.
(Abg. Zeller SPD: Das muss doch viel früher an- fangen! – Abg. Carla Bregenzer SPD: Gerechtig- keit beginnt schon viel früher!)
Deswegen ist es schon wichtig, die Dinge im Gesamtzusammenhang zu betrachten und nicht nur das herauszuholen, was einem passt.
Die Illusion, die Sie verbreiten wollen, heißt: Herkunft hat keinen Einfluss auf den Bildungserfolg, wenn beispielsweise längere gemeinsame Lernzeiten ermöglicht werden.
(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Richtig! – Beifall des Abg. Kleinmann FDP/DVP – Abg. Kretschmann GRÜNE: Wer hat denn das behauptet?)
Sie, gerade eben! Gerade eben in Ihrer Rede. Sie müssen nur Ihr Manuskript nachlesen, dann können Sie es sehen.
Ich sage Ihnen: Wir können in den Schulen machen, was wir wollen, wir können so gut sein, wie wir wollen: Wir werden das Elternhaus nicht ersetzen können,
und deswegen ist der Zusammenhang zwischen Elternhaus und Schule nirgendwo, in keinem Schulsystem, entkoppelt. Es gibt ihn, und daraus müssen wir ganz konkrete Schlüsse ziehen. Das hat gestern übrigens auch Herr Munoz mit einem Zitat bestätigt.
Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen Herrn Professor Prenzel zitieren. Professor Prenzel ist der Verantwortliche für die letzte PISA-Studie. Er hat in einem ausführlichen „Zeit“-Interview zu dem Thema „soziale Gerechtigkeit und Schulsystem“ Stellung genommen. Es ist sehr interessant, zu lesen, zu welchem Ergebnis diejenigen kommen, die sich mit der Analyse des Schulsystems wirklich auseinander setzen. Ich zitiere Professor Prenzel:
Die Schule kann, unabhängig vom Schulsystem, an der Aufgabe, soziale Gerechtigkeit herzustellen, nur scheitern. Freilich muss die Schule gerecht sein, und sie darf die sozialen Unterschiede nicht vergrößern. Wir sollten erst einmal versuchen, intelligenter mit dem System umzugehen, das wir vorfinden.
Genau das Gleiche hat Munoz gestern in seinen Stellungnahmen bestätigt. Wir sollten hier keine Illusionen verbreiten, sondern wir sollten die richtigen Ansatzpunkte suchen, mit denen wir in der Bildungspolitik dann tatsächlich bestehen können. Professor Baumert, der die erste PISA-Studie verantwortet hat, hat im gleichen Zusammenhang gesagt:
Die Annahme, dass Schulen mit Schülern unterschiedlicher Leistungsstärke automatisch besser und gerechter werden, ist zu simpel. Auch leistungsfähige geglie
All diejenigen, die sich gründlich mit Bildungspolitik auseinander setzen, die Schulsysteme analysieren und auf der Suche nach wirksamen Konzepten sind, machen es sich nicht so einfach, wie Sie das hier tun.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des Abg. Dr. Noll FDP/DVP – Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Richtig! Vielfalt! – Zuruf des Abg. Schmiedel SPD)
Wir müssen aufhören, den Menschen einzureden, dass sich das Schicksal der Kinder in Klasse 4 der Grundschule entscheiden würde.
Unser Bildungswesen kennt ganz unterschiedliche Wege zum Erfolg. 50 % der Zugangsberechtigungen zu Fachhochschulen und Hochschulen werden in Baden-Württemberg nicht auf allgemein bildenden Gymnasien erworben. Das heißt: Es gibt viele Wege zum Bildungserfolg, und wir sollten nicht so tun, als ob sich alles auf die Frage „Wie geht es nach Klasse 4 weiter?“ konzentrieren müsste.
Deswegen müssen wir dafür sorgen, dass die Vielfalt im Bildungswesen der entscheidende Ansatzpunkt jeder weiteren Entwicklung bleibt.
Wenn Sie von Gerechtigkeit reden: Sie wissen vermutlich, dass 68 % der Jugendlichen weltweit einen Abschluss der Sekundarstufe II haben. In Deutschland sind es 83 %. Das ist genau dieser Vielfalt der Bildungswege zu verdanken.
Das Zweite, was hilft, ist ganz sicher eine frühe Förderung. Dazu haben wir die Dinge Stück um Stück auf den Weg gebracht.
Wir haben den Orientierungsplan für den Kindergarten entwickelt, und wir haben eine sensationelle Reaktion der Kindergärten auf diesen Orientierungsplan bekommen.
(Abg. Marianne Wonnay SPD: Was machen Sie denn mit dieser Reaktion? – Abg. Drexler SPD: 30 von 1 000! Sagen Sie doch die Zahlen!)