Protocol of the Session on February 2, 2006

Diese Aspekte betreffen alle Politikfelder. Das ist ein Querschnittsthema von der Stadtentwicklungsplanung und dem Thema Mobilität über Weiterbildungsangebote für ältere Menschen, Möglichkeiten des bürgerschaftlichen Engagements, den Übergang vom Berufsleben in den so genannten Ruhestand bis hin zur Frage, wie wir im Alter wohnen wollen, wie in Baden-Württemberg die Pflegestruktur aussieht. Das geht aber auch bis hin zu den Fragen nach dem Ausbau der Hospizbewegung und der Palliativmedizin. Aber egal, welches Thema wir im Blick haben: Wir müssen uns an dem Kernanliegen älterer Menschen und damit an einem grundlegenden politischen Ziel orientieren, nämlich älteren Menschen ein selbstständiges und selbstbestimmtes Leben in Eigenverantwortung zu ermöglichen.

Auch das im Februar 2004 von der Landesregierung initiierte Landesprogramm „Ältere Generation im Mittelpunkt“ beschreibt dies als vorrangiges Ziel. Wir sehen jedoch ein eindeutiges Defizit zwischen Theorie und Praxis. Ich will hierzu einige Punkte aufzählen.

Erstes Thema: neue Wohnformen. Wir haben in BadenWürttemberg nach wie vor ein zu starres Heimrecht und Heimgesetz,

(Abg. Walter GRÜNE: Sehr richtig! – Abg. Boris Palmer GRÜNE: Richtig!)

die der Entwicklung neuer, wunschgerechter Wohnformen für ältere Menschen entgegenstehen. Um neue Wohnformen wie zum Beispiel betreute Wohngruppen zu ermöglichen, müssen die starre Fachkraftquote sowie die bauliche Ausstattung flexibler gehandhabt werden können.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Ja, natürlich! Warum haltet ihr dann so starr an den Programmen fest?)

Herr Kollege Noll, wir halten daran nicht starr fest. – Wir brauchen für ambulante Wohngruppen und Seniorenwohngemeinschaften flexible Regelungen, zum Beispiel, um Modelle der Mehrgenerationenhäuser zu fördern.

Umfragen bestätigen immer wieder, dass es der Wunsch der meisten alten Menschen ist, so lange wie möglich in ihrem vertrauten Umfeld zu verbleiben. Die meisten älteren Menschen wollen zu Hause gepflegt werden. In Baden-Württemberg stagniert jedoch – so die Antwort auf unsere Große Anfrage – seit dem Abschluss des Modellversuchs der Ausbau ambulanter geriatrischer Reha-Angebote. Insgesamt weist der ambulante Bereich erhebliche Defizite auf, die vielerorts von fehlenden niedrigschwelligen Angeboten bis zur fehlenden Kompetenz in der geriatrischen Grundversorgung reichen.

Wir brauchen einen Ausbau der Hilfsstrukturen für Demenzkranke. In Baden-Württemberg leben zurzeit ca. 140 000 Menschen mit Demenzerkrankungen. Experten gehen davon aus, dass diese Zahl dramatisch steigen wird. Neben den Auswirkungen, die diese Krankheit für die Betroffenen selber hat, stellt sich auch eine große Herausforderung für die Pflegenden und die Angehörigen. Dieser Personenkreis braucht Unterstützung, vor allem in Form von niedrigschwelligen Betreuungsangeboten.

Ich zitiere aus dem Landespflegeplan von 2000:

Die Entwicklung demenzieller Erkrankungen stellt eine der größten Herausforderungen für Familien und Angehörige ebenso wie für die professionellen Dienste im Bereich der Altenhilfe dar.

Dieser Erkenntnis steht nun die Tatsache gegenüber, dass die Mittel für die niedrigschwelligen Betreuungsangebote für Demenzkranke ab dem Jahr 2005 eingefroren sind. Das bedeutet, dass insgesamt etwa 230 bis 250 niedrigschwellige Betreuungsangebote hier im Land finanziert werden können, aber für den immens steigenden Bedarf keine weiteren Mittel vorgesehen sind.

Kollege Seimetz, da frage ich mich: Welche Konzepte, welche Vorstellungen haben Sie, haben die Regierungsfraktionen, um dem betroffenen Personenkreis auch in Zukunft die Unterstützung zukommen zu lassen, die diese Menschen benötigen?

(Abg. Capezzuto SPD: Keine!)

Der letzte Punkt, den ich in der ersten Runde ansprechen möchte, ist das Thema Pflegeplanung. Wir brauchen eine Planung der Pflegeinfrastruktur, die sich vornehmlich an den Wünschen der älteren Menschen orientiert und nicht in erster Linie an der Nachfrage und der Inanspruchnahme von Pflegeheimplätzen. Wir meinen, dass diese Art von Planung überholt ist. Wir wollen eine Pflegeplanung aus einem Guss. Das heißt, die Trennung zwischen ambulanter und stationärer Pflege muss sowohl auf der kommunalen wie auf der Landesebene in der Planung aufgehoben werden.

(Abg. Scheuermann CDU: Schauen Sie sich doch einmal an, wie ein Kreisaltenplan aussieht!)

Eine solche Planung beschränkt sich nicht nur auf eine Bestandsaufnahme, Kollege Scheuermann,

(Zuruf des Abg. Scheuermann CDU)

sondern ist zukunfts- und handlungsorientiert. Eine vorausschauende Altenpolitik in Baden-Württemberg sieht auf jeden Fall anders aus als die Konzepte, die wir von der Landesregierung im Augenblick vorgelegt bekommen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Abg. Scheuermann CDU: In meinem Wahl- kreis auch!)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Seimetz.

(Abg. Capezzuto SPD: Jetzt wird es ganz kurz!)

Liebe Frau Altpeter, ich denke, dass das Bewusstsein für die demografischen Veränderungen und für den demografischen Wandel sowohl bei der CDUFraktion als auch bei der Landesregierung angekommen ist.

(Abg. Capezzuto SPD: Na!)

Wir fixieren uns nicht auf geschriebene Postulate in Form von Konzepten,

(Lachen des Abg. Braun SPD)

die letztendlich immer wieder nicht eingehalten werden

(Abg. Braun SPD: Das wäre aber euer Job, die ein- zuhalten!)

und bei denen man dauernd sagen könnte: „Dieses oder jenes i-Tüpfelchen ist noch nicht erfüllt.“ Wir handeln hier eher nach dem schwäbischen Grundsatz „Nicht schwätzen, schaffen!“, und wir tun etwas. Das ist auch gut so.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Abg. Carla Bregenzer SPD: Jetzt was?)

Natürlich sucht – und das ist ja auch ihre Aufgabe – die Opposition

(Abg. Capezzuto SPD: Können Sie uns einmal sa- gen, was Sie tun?)

lieber Mario – und findet auch Defizite da und dort. Das ist doch ganz klar. Nirgends ist alles perfekt. Aber wir können sagen, liebe Frau Lösch, dass die Infrastruktur in diesem Bereich in unserem Land stimmt und dass die Realität eine andere ist als die, die Sie darstellen.

(Abg. Walter GRÜNE: Das höre ich aber draußen im Wahlkreis ganz anders!)

Die wichtigste Voraussetzung für das gute Klima, das wir in unserem Land haben, ist unsere engagierte Bürgerschaft. Fast jeder zweite Baden-Württemberger ist bürgerschaftlich, ist ehrenamtlich engagiert – ob im Verein, in einer örtlichen Initiative oder in einer politischen Partei. Baden-Württemberg ist bundesweit mit über 40 % engagierter Bürger mit Abstand an der Spitze im Vergleich mit anderen Bundesländern, was das Ehrenamt betrifft.

(Zuruf des Abg. Capezzuto SPD)

Meine Damen und Herren, allen, die sich im bürgerschaftlichen Engagement für die Gesellschaft einsetzen, gilt unser aller Dank. Wir bitten gerade die älteren Menschen in unserem Land um ihre Bereitschaft, sich mit ihrem Wissen und Können, mit ihrer Erfahrung weiterhin im Ehrenamt einzubringen.

Das bürgerschaftliche Engagement gerade im Bereich der Versorgung und der Pflege älterer Menschen wird in Zukunft noch einen deutlich höheren Stellenwert einnehmen. Menschen, die kein familiäres Umfeld haben, stehen in der Verantwortung, sich für das Alter soziale Netzwerke zu schaffen.

Wir benötigen, meine Damen und Herren, eine Renaissance des Miteinanders der Generationen. Erfreulicherweise gibt es in jedem Ort, in dem Seniorengruppierungen vorhanden sind – und sie sind überall –, vielfältige generationenübergreifende Aktionen und Aktivitäten: Kinderbetreuung durch Senioren, Menschen im Ruhestand, die Menschen in Altenheimen betreuen und die als Ansprechpartner zur Verfügung stehen, Mitbürgerinnen und Mitbürger, die Menschen in Hospizen auf ihrer letzten irdischen Wegstrecke begleiten, Jugendliche helfen älteren Menschen, Ältere unterrichten Jüngere, in Mehrgenerationenhäusern – dieses Modell wurde vorhin angesprochen; es ist wirklich ein Modell für die Zukunft, das ausgebaut werden muss –

(Zuruf des Abg. Capezzuto SPD)

begegnen sich Jung und Alt. Hier wäre eine lange Liste aufzuzählen.

Mit der höheren Lebenserwartung, meine Damen und Herren, nimmt allerdings auch das Risiko chronischer Krankheiten zu. Die Mobilität wird deutlich eingeschränkt. Auch hier sind neue Herausforderungen vorhanden.

Hilfen nach Maß müssen angeboten werden. Dass wir, wie im Bereich der Kinderbetreuung, flexibler werden müssen, gilt auch im Bereich der Hilfen im Alter. Die vielfältigen vorhandenen Hilfsangebote tragen dazu bei, dass bei uns auch in hohem Alter ein selbstbestimmtes und selbstständiges Leben geführt werden kann.

Meine Damen und Herren, der Respekt vor der Lebensleistung der Älteren, denen die Bundesrepublik Deutschland und ganz besonders wir in Baden-Württemberg unseren Wohlstand verdanken, gebietet eine Politik mit älteren Menschen und für ältere Menschen. Vieles in unserem Land ist gut geregelt. Manches muss noch getan und verbessert werden.

Baden-Württemberg bietet mit der im Vergleich zu anderen Ländern höchsten Lebensqualität auch die beste Möglichkeit, hier gern und zufrieden alt zu werden.

Unser politisches Ziel auch im Hinblick auf den demografischen Wandel muss ein fairer Interessenausgleich zwischen Jung und Alt im Sinne einer echten Generationengerechtigkeit sein.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Altpeter.

Mein lieber Herr Seimetz!

(Abg. Seimetz CDU: Liebe Frau Altpeter! – Abg. Walter GRÜNE: Mein lieber Herr Kollege Sei- metz! – Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Mein Lie- ber!)