Protocol of the Session on February 2, 2006

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 107. Sitzung des 13. Landtags von Baden-Württemberg und begrüße Sie.

Krank gemeldet sind heute Frau Abg. Birgit Kipfer und Herr Abg. Dr. Christoph Palmer.

Entschuldigt aus dienstlichen Gründen ist heute zeitweise Herr Ministerpräsident Oettinger.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Kollegin Frau Christine Rudolf hat heute Geburtstag. Ich kann ihr noch nicht gratulieren. Das können wir nachher machen.

Im E i n g a n g befindet sich die Mitteilung des Innenministeriums vom 1. Februar 2006 – Bericht über die Anwendung des § 23 a des Aufenthaltsgesetzes in BadenWürttemberg –, Drucksache 13/5112, die Ihnen noch zugehen wird. Ich schlage vor, diese Mitteilung des Innenministeriums, Drucksache 13/5112, zur weiteren Beratung an den Innenausschuss zu überweisen. – Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Wir treten in die Tagesordnung ein.

Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:

Aktuelle Debatte – Älter werden in Baden-Württemberg – Verantwortung für Generationen – beantragt von der Fraktion der CDU

Es gelten die üblichen Redezeiten: fünf Minuten für die einleitenden Erklärungen und fünf Minuten für die Redner in der zweiten Runde.

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Seimetz.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Da ich ohne Zweifel zu den Älteren in diesem Haus und in meiner Fraktion gehöre,

(Abg. Stickelberger SPD: Nein! – Abg. Heinz CDU: Das sieht man aber nicht! – Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Bist du schon über 40?)

passt es ganz gut, dass ich vielleicht auch als Abschiedsrede zu diesem Thema spreche.

Meine Damen und Herren, in drei Jahrzehnten wird jeder dritte Einwohner in Baden-Württemberg mindestens 60 Jahre alt sein. Im Jahr 2050 werden dies bei uns rund 40 % der Bevölkerung sein. Zum Vergleich: Heute, im Jahr 2006,

sind es nur 23 %. Die Zahl der hochbetagten Menschen im Alter von über 85 Jahren wird überdurchschnittlich stark ansteigen: von derzeit rund 200 000 auf über 720 000 im Jahr 2050. Der Anteil der älteren Bevölkerung über 60 Jahre wird auch im Hinblick auf den Anstieg der durchschnittlichen Lebenserwartung weiter zunehmen.

Die durchschnittliche Lebenserwartung beträgt heute in Baden-Württemberg für Männer 77 Jahre – lieber Herr Fischer, das sind gute Perspektiven für uns –

(Abg. Fischer SPD: Danke sehr, Herr Kollege Sei- metz!)

und für Frauen 82 Jahre. In keinem anderen Bundesland ist die Lebenserwartung so hoch wie in Baden-Württemberg.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Auch darin sind wir besser als die anderen Länder.

(Abg. Stickelberger SPD: Vor allem älter! – Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Die CDU vor allem!)

Es ist davon auszugehen, dass die Lebenserwartung bis zum Jahr 2050 bei Frauen und Männern um weitere fünf bzw. sechs Jahre ansteigen wird. Das ist eine gute Entwicklung, aber auch eine riesige Herausforderung für Politik, Wissenschaft und Wirtschaft sowie für die Gesellschaft.

Meine Damen und Herren, dabei dürfen wir aber nicht aus den Augen verlieren, dass die Geburtenzahlen seit über 30 Jahren in Deutschland, auch in Baden-Württemberg, um etwa ein Drittel unter dem Bestandserhaltungsniveau vor sich hindümpeln. Dies bedeutet, dass jede nachfolgende Elterngeneration um dieses Drittel schrumpft.

Die Bevölkerungszahl in Baden-Württemberg ist gleichwohl stetig weiter gewachsen, weil wir ganz maßgeblich vom Zuzug aus den neuen Bundesländern – zumeist von jungen und meist gut ausgebildeten Menschen – profitiert haben. Wir dürfen uns aber von diesem Bevölkerungswachstum, das aus heutiger Sicht noch etwa 20 Jahre lang andauern wird, nicht täuschen lassen. Der Alterungsprozess der Bevölkerung – Frau Professor Lehr spricht von der „Unterjüngung der Gesellschaft“ – wird hierdurch nämlich nur marginal abgeschwächt. Wir altern also trotz Zuwanderung munter weiter. Die aktuelle Zuwanderungsquote von jährlich 35 000 Menschen kann zwar im Einzelfall Probleme des Fachkräftemangels, aber nicht die der demografischen Alterung lösen.

Das Durchschnittsalter in Baden-Württemberg wird von heute knapp 41 Jahren bis 2050 auf 49 Jahre ansteigen. Bei de

mografischen Entwicklungen handelt es sich um träge Prozesse. Der demografische Wandel verläuft schleichend und unauffällig. Seine Wirkung ergibt sich durch seine unerbittliche Stetigkeit. Im Grunde, meine Damen und Herren, ist es ganz banal: Wer heute nicht geboren ist, kann nicht in 25 Jahren Mutter oder Vater sein.

(Abg. Birzele SPD: Sehr richtig! Sehr gut! – Hei- terkeit bei der SPD und den Grünen)

Das ist eine gute Erkenntnis.

(Unruhe)

Wir müssen uns daher noch wesentlich intensiver und konsequenter als bisher mit der unumstößlichen Tatsache auseinander setzen, dass immer weniger jüngere immer mehr älteren Menschen gegenüberstehen werden.

Dieser Herausforderung müssen wir uns stellen. Wir wollen die Bedürfnisse der heutigen Generation mit den Lebenschancen zukünftiger Generationen so verknüpfen, dass auch in Zukunft eine gerechte Teilhabe aller an der Gesellschaft möglich wird. 90 % der in Privathaushalten lebenden älteren Menschen sind nicht pflegebedürftig; 75 % benötigen keine ständige, regelmäßige Hilfe von außen.

Älterwerden hat deshalb in unserer Gesellschaft einen ganz neuen Stellenwert. Mit dem Anstieg der Lebenserwartung und mit den heutigen Möglichkeiten der Medizin ist an die Stelle des Ruhestands ein eigenständiger Lebensabschnitt getreten. Anders als in früheren Zeiten sind diese gewonnenen Jahre nicht von Hilfsbedürftigkeit geprägt. Bei weitgehend guter Gesundheit und materieller Absicherung eröffnen sich für die meisten älteren Menschen völlig neue Möglichkeiten zur Gestaltung ihres Lebens.

(Abg. Marianne Wonnay SPD: Es gibt solche und solche!)

Die meisten älteren Menschen sind rüstig und streben keinen Rückzug aus ihren gesellschaftlichen Aktionsfeldern an.

(Abg. Birzele SPD: Herr Seimetz meint, je älter, desto länger dürfe man reden!)

Auch das ist eine Möglichkeit. – Viele Seniorinnen und Senioren wollen eine Fortsetzung, oft sogar eine Ausweitung ihres Engagements in Beruf, Wirtschaft, Familie und Gesellschaft. Sie verfügen über ein reiches Erfahrungswissen, auf das wir nicht verzichten können, wollen und dürfen. Die Gesellschaft ist künftig in wesentlich stärkerem Maße als bisher auf das soziale und das gesellschaftliche Potenzial der Alten angewiesen.

Wir registrieren aber auch: Ältere Arbeitnehmer haben auf dem Arbeitsmarkt zunehmend Schwierigkeiten. Ältere sind in überdurchschnittlichem Maß arbeitslos. Mehr als die Hälfte der Arbeitslosen über 50 Jahre ist bereits länger als ein Jahr arbeitslos. Die Erwerbsbeteiligung der über 55-Jährigen ist mit rund 42 % bundesweit, mit 49 % hier im Lande deutlich zu niedrig. Dem Ministerpräsidenten gebührt Dank dafür, dass er sich der Problematik der Beschäftigungschancen älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer angenom

men hat. Wir, die CDU-Fraktion, nehmen diese Problematik außerordentlich ernst.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Birzele SPD: In der Aktuellen Debatte gibt es üblicherweise zwei Runden!)

Deswegen, lieber Herr Birzele, mache ich jetzt eine Pause und rede nachher weiter.

Vielen Dank.

(Heiterkeit – Beifall bei der CDU und der FDP/ DVP)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Altpeter.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Sehr geehrter Herr Kollege Seimetz, Respekt und Anerkennung, dass Sie persönlich die Tragweite des demografischen Wandels erkannt

(Heiterkeit bei der SPD und den Grünen – Abg. Fi- scher SPD: Jetzt klatschen wir! – Beifall bei der SPD)

und nicht zuletzt auch in der Enquetekommission gezeigt haben, dass Sie bereit sind, den demografischen Wandel zu gestalten und als landespolitische Zukunftsaufgabe zu begreifen. Aber leider und zu unserem großen Bedauern sind Sie ein einsamer Rufer in der Wüste geblieben.

(Abg. Marianne Wonnay SPD: Leider! – Abg. Sti- ckelberger SPD: In der schwarzen Wüste! – Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Die Wüste ist schwarz!)

Weder in der CDU-Fraktion noch bei der Landesregierung – dort erst recht nicht – ist bisher angekommen, dass die Gestaltung des demografischen Wandels in unserem Land die Zukunftsaufgabe schlechthin ist – eine große Herausforderung, aber auch eine große Chance.

(Beifall bei der SPD)

Von der Annahme dieser Querschnittsaufgabe sind Sie noch Lichtjahre entfernt. Im Gegenteil, Sie machen alles, um diesen demografischen Wandel nicht zu gestalten. Die Gesellschaft des langen Lebens darf nicht als Last, sondern muss als Chance betrachtet werden. Sie bietet immer mehr Menschen die Chance, ihr Alter aktiv zu gestalten und am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Deswegen ist es auch mehr als bedauerlich, dass Sie kein schlüssiges Konzept zur Förderung des bürgerschaftlichen Engagements älterer Menschen vorlegen. Im Gegenteil, die Zuständigkeiten für die Förderung des ehrenamtlichen und bürgerschaftlichen Engagements sind zwischen Sozialministerium und Kultusministerium zersplittert. Ressortegoismen und der Streit um die Zuständigkeiten verhindern eine Politik aus einem Guss. Während Sie alle in Sonntagsreden das Ehrenamt preisen, tun Sie alles, um die Strukturen und Rahmenbedingungen hierfür nicht zustande kommen zu lassen.

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Abg. Pauli CDU: Sie haben doch keine Ahnung!)