Protocol of the Session on December 1, 2005

Meine Damen und Herren, es ist überhaupt nicht zu bezweifeln, dass gerade das Schicksal der Kinder eine zentrale Frage hinsichtlich des Ob einer Altfallregelung ist. Vielen von ihnen, die schon lange bei uns sind, wird es nicht leicht fallen, sich in der Heimat ihrer Eltern überhaupt noch zurechtzufinden. Wer aber den Kindern ein Bleiberecht einräumen will, muss sich der Konsequenz bewusst sein, dass dann auch die Eltern hier bleiben.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Logisch!)

Wir können doch nicht Minderjährige von ihren Eltern trennen.

(Abg. Drexler SPD: Das will doch niemand!)

Das heißt zwangsläufig: Nicht nur die Kinder, sondern auch die Eltern werden begünstigt und letzten Endes dafür belohnt, dass sie die Aufenthaltsbeendigung, mit welchen Mitteln auch immer – da gibt es unzählige Beispiele –, jahrelang verhindert haben. Eine Regelung, die nur die minderjährigen Kinder begünstigt, gibt es nicht. Das hat auch der bisherige Bundesinnenminister bei der Innenministerkonferenz in Stuttgart einräumen müssen.

Ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt: Das Zuwanderungsgesetz hat im humanitären Bereich erhebliche Verbesserungen gebracht. Dies müssen wir sehen. Neben der Möglichkeit, eine Härtefallkommission einzurichten, ist hier insbesondere die Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen, also § 25 des Aufenthaltsgesetzes, zu nennen. Danach kann grundsätzlich jeder Ausländer, der nicht abgeschoben werden kann und dem auch eine freiwillige Ausreise nicht möglich ist, eine Aufenthaltserlaubnis erhalten. Keine Aufenthaltserlaubnis erhält dagegen derjenige, der ausreisepflichtig ist, aber nicht ausreist, obwohl er ausreisen könnte. Er erhält weiterhin nur eine Duldung. Genau so will es der Zuwanderungskompromiss.

(Zuruf der Abg. Inge Utzt SPD)

Genau so wird dies bei uns umgesetzt. Es kann also keine Rede davon sein, dass Baden-Württemberg durch eine restriktive Auslegungs- und Verwaltungspraxis bewusst den Intentionen des Gesetzes widerspreche, wie dies in der Begründung des Antrags der Grünen dargestellt wird.

Wir dürfen also bei der Entscheidung über eine Altfallregelung die neuen Vorgaben des Zuwanderungsgesetzes über einen Aufenthalt aus humanitären Gründen nicht aus dem Blickfeld verlieren. Vielmehr, meine Damen und Herren – das sage ich jetzt in die Richtung unseres Koalitionspartners, aber auch an alle anderen Fraktionen dieses Hauses –, müssen wir uns fragen, ob diese Regelungen richtig sind, ob sie ausreichend sind oder ob quasi noch Ergänzungsbedarf in Form einer Altfallregelung besteht.

Genau diese Fragen werden wir in der gebotenen Sachlichkeit und Gründlichkeit miteinander in der Innenminister

konferenz besprechen. Ich sage Ihnen zu: Ich werde bei der Verhandlungsleitung sehr genau darauf achten, dass aber auch nicht ein einziger Gesichtspunkt, der zur Lösung dieses Problems beitragen könnte, unter den Tisch fällt oder in der Diskussion nicht gebührend beachtet wird. Dies sage ich Ihnen zu. Denn wir alle miteinander und alle Länder stehen vor diesem riesigen Problem und wollen es einer sachgerechten Lösung zuführen. Dies kann ich Ihnen zusagen. Ich sage Ihnen ferner zu, über die Ergebnisse der Verhandlungen, so sie nicht ohnehin zeitnah veröffentlicht werden, zu berichten.

Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, aber noch auf die Härtefallkommission eingehen, die im Antrag der Grünen angesprochen wurde. Die dort gemachten Ausführungen sollen wohl – so verstehe ich sie – belegen, dass es zusätzlich zur Härtefallkommission einer Altfallregelung bedarf. Dazu will ich jetzt Folgendes sagen:

Sie erinnern sich noch: Schon vor Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes zum 1. Januar 2005 hat sich bei uns in Baden-Württemberg abgezeichnet, dass es eine Härtefallkommission geben wird. Die dazu gemachten Vorschläge wurden von den Medien von Anfang an ausführlich begleitet. Deshalb war es nicht überraschend, dass schon lange vor Inkrafttreten der Verordnung vom 28. Juni 2005, aber erst recht unmittelbar davor eine Vielzahl von Härtefalleingaben eingegangen ist. Bis heute sind es ca. 750 Eingaben, meist für mehrköpfige Familien aus dem ehemaligen Jugoslawien. Aber jetzt im Augenblick spricht manches dafür, dass die Zahl der Eingaben nach dem ersten Ansturm allmählich wieder zurückgeht. Das zeigen die Eingangszahlen der letzten Wochen.

Ich will an dieser Stelle den Mitgliedern der Härtefallkommission, die eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe ehrenamtlich wahrnehmen, danken. Seit Oktober tagt die Kommission etwa zweimal im Monat und bewältigt ein großes Arbeitspensum. Die bisherigen hohen Eingangszahlen beruhen zu einem nicht unerheblichen Teil darauf, dass die Betroffenen bzw. ihre Rechtsanwälte von der Möglichkeit der Härtefalleingabe selbst dann Gebrauch machen, wenn auch nicht ansatzweise die vom Gesetz geforderten dringenden humanitären oder persönlichen Gründe erkennbar sind. Das will ich gar nicht anprangern; ich will nur feststellen, dass es so ist. Die Aufgabe der Kommission und der Geschäftsstelle ist es aber deshalb, die Fälle herauszufiltern, hinter denen sich tatsächlich ein prüfenswertes menschliches Schicksal verbirgt und die nicht aus anderen Gründen, beispielsweise um die Aufenthaltsbeendigung weiter zu verzögern, an die Kommission herangetragen worden sind.

Vor diesem Hintergrund ist die im Antrag der Grünen erwähnte Aussage des Kommissionsvorsitzenden zu sehen, wonach die Kommission zu Recht nach Möglichkeiten sucht, Härtefalleingaben schneller zu bearbeiten und zu erledigen, ohne dass hierunter die Qualität der Prüfung leidet. Das ist schließlich ihre originäre Aufgabe.

Frau Kollegin Bauer, Sie haben zu Recht gesagt, dass der Anteil erfolgreicher Härtefalleingaben etwa ein Fünftel der bisher geprüften Fälle beträgt. Das ist in etwa zutreffend, aber eben nur eine Momentaufnahme. Die Härtefallkommission hat gerade einmal vier Sitzungen hinter sich, sodass

(Minister Rech)

wir seitens der Ausländerpolitik daraus für die Zukunft noch keine Schlussfolgerungen ziehen können.

Meine Damen und Herren, zum Schluss: Wir haben alle die teils sehr kontroversen Diskussionen zum Zuwanderungsgesetz noch in Erinnerung, und mit dem letztlich Gesetz gewordenen Kompromiss sollte es zunächst einmal sein Bewenden haben. Kompromisse haben es an sich, dass nicht alle Vorstellungen und Wünsche in Erfüllung gehen. Es ist daher auch eine Frage der Glaubwürdigkeit, zu diesem Kompromiss zu stehen und ihn nicht nach gerade einmal elf Monaten Gesetzeskraft infrage zu stellen. In der Ausländerpolitik ist auch Glaubwürdigkeit gefordert.

Ich begrüße die Aussage in der Koalitionsvereinbarung der großen Koalition in Berlin, eine Evaluierung des neuen Aufenthaltsgesetzes vorzunehmen. Dies sollen, dies wollen, dies müssen wir tun. Dazu gehören selbstverständlich die humanitären Regelungen ebenso wie Sicherheitsfragen und nicht zuletzt die Fragen nach der Effizienz der Durchsetzung der Ausreisepflicht. Ich will mich in diesem Gesamtkontext gern dafür einsetzen, dass auch den Belangen der Ausländer, um deren menschliches Schicksal es bei diesen Fragen naturgemäß geht, angemessen Rechnung getragen wird. Nach allem, was ich in den letzten Wochen und Monaten zu diesem Thema gehört und in Form von Anträgen gelesen habe, bin ich zuversichtlich, dass wir zu einem guten Ergebnis kommen werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Drexler SPD: Das war jetzt kein Fisch und kein Fleisch!)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Utzt.

Herr Zimmermann, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie uns darüber aufgeklärt haben, wo sich der Ausländerbeauftragte des Landes Baden-Württemberg und die Landtagsvizepräsidentin derzeit befinden. Das haben wir nicht gewusst.

(Abg. Zimmermann CDU: Sehen Sie, was ich alles weiß!)

Wie gesagt, ich bin Ihnen dankbar.

Ich erspare es Ihnen deshalb auch, mich mit Ihnen noch einmal darüber auseinander zu setzen, was für ein Bild Sie von den Menschen aufgebaut haben, die hier jahrelang geduldet sind.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Das wäre aber vielleicht wichtiger!)

Das können Sie ja machen.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Sie haben die zeitliche Abfolge gehört! Sie haben einen Dringlichkeitsan- trag gebracht! Das konnte der Ausländerbeauftrag- te nicht wissen! – Gegenruf des Abg. Birzele SPD: An Parlamentstagen werden keine Termine verein- bart! – Abg. Drexler SPD: Schon gleich gar nicht von der Vizepräsidentin!)

Das sind immerhin zwei hochrangige Mitglieder Ihrer Fraktion. Das kann ich Ihnen leider nicht ersparen, Herr Dr. Noll.

(Abg. Herrmann CDU: Herr Goll gehört nicht der FDP/DVP-Fraktion an!)

Herr Zimmermann, noch einmal zu Ihnen. Sie wissen sicher genau, wie die Asylgewährung im Lande ist. Diesen Menschen zu unterstellen, sie seien aus irgendwelchen materiellen Gründen oder was auch immer hier, halte ich für ausgesprochen schäbig. Das muss ich Ihnen schon einmal sagen.

(Abg. Zimmermann CDU: Nein! Der Asylantrag ist mehrfach abgelehnt! Warum?)

Aber zu der Frage, aus welchen Gründen die Asylanträge abgelehnt worden sind, müssen Sie einmal genau in die Gesetzgebung schauen. Es hat zum Beispiel, bevor das Zuwanderungsgesetz in Kraft getreten ist, kein Asyl für geschlechtsspezifische Verfolgung oder ähnliche Dinge gegeben. Diese Asylanträge sind abgelehnt worden. Ich kann Ihnen noch hundert Gründe nennen, warum Asylanträge abgelehnt wurden.

(Zuruf des Abg. Zimmermann CDU)

Es sind Asylanträge abgelehnt worden, wenn keine individuelle Verfolgung vorgelegen hat. Es sind Asylanträge aus den verschiedensten Gründen abgelehnt worden. Schauen Sie lieber nach! Informieren Sie sich darüber, bevor Sie hier so etwas erzählen.

(Abg. Zimmermann CDU: Sie liegen total falsch, Frau Utzt! Total falsch!)

Herr Innenminister, ich möchte Sie einmal einladen, in den Petitionsausschuss zu kommen und sich anzuhören, was auch Ihre CDU-Kollegen zu Fällen sagen, die dann vom rechtlichen Standpunkt her, von der Gesetzeslage her anders entschieden werden, als sie vom humanitären Standpunkt her eigentlich entschieden werden müssten. Etliche Fälle aus dem Petitionsverfahren sind ja direkt in die Härtefallkommission überwiesen worden. Das sollten Sie einmal berücksichtigen, wenn so getan wird, als ob Menschen hier mutwillig ihren Aufenthalt verlängert hätten, um gewisse Vorteile zu erringen.

Wir alle sind immer wieder damit konfrontiert worden, dass Familien zum Teil mehr als zehn Jahre im Lande leben. Die Kinder sind im Sportverein. Sie machen Abitur. Die Eltern sind im Elternbeirat. Ich kenne Fälle, in denen die Integration so weit gediehen ist, dass diese Geduldeten angefangen haben, ein Häusle zu bauen.

(Abg. Behringer CDU: Obwohl sie wussten, dass sie ausreisen müssen! – Gegenruf der Abg. Christi- ne Rudolf SPD)

Oder: Ein Arbeitgeber möchte einen Geduldeten einstellen. Die Arbeitsgenehmigung wird aber nicht erteilt, weil der Arbeitsplatz mit bevorrechtigt zu vermittelnden Personen besetzt wird.

(Abg. Heinz CDU: Das ist aber auch sinnvoll!)

Schulabsolventen aus geduldeten Familien können in einigen Fällen keine Ausbildung beginnen. Wer von Ihnen hat noch nie davon erfahren, welche psychischen Belastungen die Familien ertragen, deren Aufenthalt ungesichert ist? All das wissen Sie genauso gut wie ich, aber Sie ignorieren es. Wer von Ihnen hat noch nie das Schreiben eines Handwerkers bekommen, mit dem Sie gebeten werden, sich für das Hierbleiben eines unverzichtbaren Mitarbeiters einzusetzen?

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Wie wahr!)

All das wissen Sie.

Die Innenministerkonferenz in Karlsruhe bietet nun die Gelegenheit, die notwendigen Korrekturen am Zuwanderungsgesetz vorzunehmen. Es stände unserem Bundesland wahrlich gut an, diesmal nicht als Bremser aufzutreten, sondern Tatkraft zu beweisen. Herr Innenminister, es stände Ihnen gut an, sich mit Rückendeckung dieses Parlaments in der Innenministerkonferenz für eine Bleiberechtsregelung einzusetzen.

(Beifall bei der SPD – Abg. Zimmermann CDU: Wer den Rechtsweg ausschöpft, hat automatisch Bleiberecht erreicht! Das kann doch wohl nicht sein!)

Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Wir kommen zur geschäftsordnungsmäßigen Behandlung der Anträge. Was wünschen die Antragsteller? Wünschen Sie Abstimmung oder Überweisung an den Ausschuss?

(Abg. Zimmermann CDU: Überweisung brauchen wir nicht! – Abg. Inge Utzt SPD: Das geht ja nicht mehr! – Abg. Zimmermann CDU: Überweisung an den Ausschuss wäre falsch! – Unruhe)

Sie wünschen Abstimmung über den Antrag Drucksache 13/4864? – Über den Antrag der Fraktion der SPD, Drucksache 13/4864, wird Abstimmung gewünscht. Wer diesem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. –