Protocol of the Session on December 1, 2005

Die Botschaft an Migranten lautet: Ihr könnt euch noch so korrekt verhalten, ihr könnt euren Dienst gut tun, ohne dass euch jemand kritisiert – es nützt nichts. Ihr werdet benachteiligt. Ihr könnt euer religiöses Bekenntnis nicht leben wie andere.

(Abg. Schebesta CDU: Nicht mit Kopftuch in einer öffentlichen Einrichtung!)

Das ist zum einen ein fatales Signal an die Einwanderer.

Das zweite fatale Signal richtet sich an unsere Bevölkerung. Dies schwächt nämlich das Bewusstsein, dass Grundrechte für alle gelten. Also auch in diese Richtung ist es ein ganz falsches Signal, nicht auf Grundrechte zu achten.

(Zuruf des Abg. Döpper CDU)

Herr Kollege Birzele und ich haben da auf dem Marktplatz von Ebersbach einiges zu hören bekommen.

(Abg. Wintruff SPD: Nur Sie!)

Nein, nein. – Integrationspolitisch ist das ein ganz fatales Signal.

(Abg. Schebesta CDU: Es geht doch um öffentliche Einrichtungen! Es geht um öffentliche Einrichtun- gen!)

Es ist mir in Ebersbach wirklich unter die Haut gegangen – das muss ich sagen –, als eine junge Türkin dort gesagt hat: Ich würde gern ein Kopftuch tragen. Ich trage es nicht, weil ich Angst habe, keinen Job zu bekommen.

Das Kopftuch ist in der Schule verboten; jetzt soll es im Kindergarten verboten werden. Wann wird es an den Unis verboten? Wann kommt die erste Bank und sagt: „Das macht unsere Kundschaft nicht mit!“?

(Abg. Schebesta CDU: Das gilt nur für öffentliche Einrichtungen!)

Das Signal an die Gesellschaft ist, dass diese Frauen keine Jobs mehr finden. Man sieht schon, wie da Angst herrscht und die Leute ihre religiösen Überzeugungen verleugnen. So können wir diese Menschen nicht integrieren. Zum Schluss gibt es Musliminnen mit Kopftuch nur noch als Putzfrauen. Das ist vielleicht etwas, was einigen passt: Dass man nur noch von oben auf sie herabblickt. Damit wird das enden; das sage ich Ihnen.

(Beifall bei den Grünen – Widerspruch des Abg. Schebesta CDU – Abg. Birzele SPD: Ach! Da war eine große Konferenz von türkischen Frauen im Rathaus, und da hat keine Frau ein Kopftuch getra- gen! Das ist doch Unsinn!)

Deswegen finde ich: Die Stadt Stuttgart hat gezeigt, dass sie das Ganze ohne ein Gesetz gut regeln kann. Das ist ein kräftiges Signal auch an unsere Einwanderer: Wenn ihr eure Religion nicht neben, unter oder über, sondern auf der Basis unserer Verfassungsordnung und Demokratie ausübt,

(Zuruf des Abg. Dr. Noll FDP/DVP)

dann seid ihr hier willkommen und habt dieselben Rechte, die wir alle haben, und auch dieselben Pflichten.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Blenke CDU: Sie sind nicht koalitionsfähig!)

Das Wort erteile ich Frau Staatssekretärin Dr. Stolz.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir einige ergänzende Kommentierungen zum Gesetzentwurf der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP/DVP bezüglich des Tragens eines Kopftuchs. Nach diesem Gesetzentwurf ist es Erziehungspersonen an Kindergärten, die in der Trägerschaft des Landes, eines Landkreises, einer Gemeinde, einer Verwaltungsgemeinschaft oder eines Zweck- oder Regionalverbands stehen, untersagt, politische, religiöse oder weltanschauliche Bekundungen abzugeben, die die Neutralität des Kindergartenträgers oder den Frieden im Kindergarten gefährden oder stören können und grundlegende Verfassungswerte missachten.

Diese Vorschrift ist eng an die entsprechende Regelung im Schulgesetz angelehnt. Am 4. Februar 2004 haben wir in erster Lesung den Gesetzentwurf der Landesregierung zur Änderung von § 38 des Schulgesetzes intensiv und verantwortungsvoll beraten. Das Bundesverwaltungsgericht hat uns in der Zwischenzeit attestiert, dass diese Regelung im Einklang mit der Verfassung steht. Sie hat also ihre Bewährungsprobe bestanden.

Ziel der Landesregierung war und ist es nicht, mit diesem geänderten § 38 des Schulgesetzes die religiösen Symbole aus der Schule zu verbannen. Vielmehr sollte erreicht werden und ist auch erreicht worden, dass Lehrkräfte im Amt keine politischen, religiösen, weltanschaulichen oder ähnliche Aussagen machen können und nicht mehrdeutige Symbole tragen können, die Zweifel daran aufkommen lassen könnten, dass die betreffende Person für die grundlegenden Verfassungswerte eintritt. Diese Diskussion haben wir, Herr Kretschmann, intensiv geführt.

Die aktuellen Ereignisse unter anderem in Ebersbach an der Fils haben gezeigt, dass es auch für den Kindergartenbereich einer klaren gesetzlichen Regelung bedarf. Es liegt nahe, die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in seinem Urteil vom 24. September 2003 auch auf den Bereich des Kindergartens zu übertragen. Es hat entschieden, dass ein Verbot für Lehrkräfte, in Schule und Unterricht ein Kopftuch zu tragen, einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage bedarf.

Die Situation in Kindergärten ist nicht mit der in Schulen identisch, aber in rechtlicher Sicht mit ihr vergleichbar. Anders als bei der Schule, deren Besuch eine Pflicht darstellt, ist der Kindergartenbesuch freiwillig. Anders als in der Schule, in der wir beamtete Lehrkräfte des Landes haben, arbeiten in Kindergärten kommunale Angestellte. Diese Unterschiede sind bei diesem Gesetzentwurf selbstverständlich berücksichtigt.

(Abg. Kretschmann GRÜNE: Inwiefern?)

Auch die schon angeführte Freiwilligkeit des Kindergartenbesuchs rechtfertigt kein abweichendes Ergebnis bei der angemessenen Berücksichtigung der grundrechtlich geschützten Rechtsposition. Das Neutralitätsgebot besteht in Schule und Kindergarten in vergleichbarer Weise. Der Staat muss nach außen in beiden Fällen für alle neutral sein.

(Staatssekretärin Dr. Monika Stolz)

Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass die durch Artikel 28 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes und Artikel 71 Abs. 1 Satz 1 und 2 der Landesverfassung gewährleistete Selbstverwaltungsgarantie der Kommunen durch den Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen nicht verletzt ist. Denn die verfassungsrechtliche Selbstverwaltungsgarantie steht unter dem ausdrücklichen Vorbehalt, dass sie nur im Rahmen der Gesetze gewährleistet wird. Mit der Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs wird nicht in unzumutbarer und verfassungswidriger Weise in die kommunale Selbstverwaltungsgarantie eingegriffen.

Der Entwurf der Regierungsfraktionen sieht im Unterschied zum SPD-Gesetzentwurf keinen Erlaubnisvorbehalt vor. Nach der im SPD-Entwurf vorgesehenen Regelung können die Kindergartenträger im Einzelfall das Tragen eines Kopftuchs erlauben, solange das Verhalten der Fachkraft eine die Neutralität und den Frieden im Kindergarten wahrende Einstellung erkennen lässt und der Frieden in der Einrichtung nicht gefährdet oder gestört wird. Eine solche Regelung ist auch nach unserer Auffassung nicht mit der Verfassung und der Verfassungsrechtsprechung vereinbar.

(Abg. Birzele SPD: Ja, wer sagt denn das? Wer sagt so etwas? Bei einem Verbot kein Erlaubnis- vorbehalt zulässig? Das ist doch abwegig!)

Sie dürfen mich gerne zu Ende reden lassen. Dann wird es Ihnen vielleicht verständlich.

(Zuruf des Abg. Birzele SPD – Gegenruf des Abg. Schebesta CDU: Das ist so abwegig, dass Sie der Änderung des Schulgesetzes zugestimmt haben! – Abg. Birzele SPD: Das ist eine politische Entschei- dung! Die Behauptung, ein Erlaubnisvorbehalt sei verfassungswidrig, ist doch abwegig! Den Verfas- sungsrechtler möchte ich mal hören, der das sagt! – Abg. Drexler SPD: Das ist ja absurd! – Abg. Alfred Haas CDU: Sie haben immer Recht, Herr Birzele! Das wissen wir ja!)

Vielleicht hören Sie mir noch eine Weile zu. Vielleicht sind dann Ihre Fragen beantwortet.

Das Bundesverfassungsgericht fordert in seinem Urteil vom 24. September 2003, bei der Abwägung zwischen den Grundrechten von Lehrern, Schülern und Eltern sowie dem staatlichen Neutralitätsgebot eine Entscheidung durch formelles Gesetz zu treffen. Nur der Gesetzgeber und nicht die Exekutive darf festlegen, welche weltanschaulichen, politischen und religiösen Bezüge in derartigen Einrichtungen zulässig sind. § 7 a Abs. 1 Satz 4 des SPD-Entwurfs würde dem Träger des Kindergartens trotz grundsätzlichen Verbots derartiger Bekundungen im Einzelfall wieder die Möglichkeit einräumen, die Abgrenzung zwischen den Grundrechten von Fachkräften, Kindern und Eltern anders zu bestimmen.

(Abg. Birzele SPD: Aber gesetzlich normiert!)

Gerade diese Befugnis wollte das Bundesverfassungsgericht der Exekutive nicht zugestehen. Das ist die Kernaussage des Kopftuchurteils des Bundesverfassungsgerichts.

(Abg. Drexler SPD: Aber doch nicht, wenn der Ge- setzgeber es normiert! – Gegenruf des Abg. Sche- besta CDU: Beim Schulgesetz haben wir es doch auch nicht gemacht! – Weitere Zurufe – Unruhe)

Neben diesem Rechtsargument sprechen auch weitere Gesichtspunkte für ein generelles Kopftuchverbot ohne Erlaubnisvorbehalt. Eine generelle gesetzliche Vorschrift ohne Ausnahmen schafft eine Rechtsklarheit und eine sichere Basis für die Handhabung durch die Gemeinden. Ein solches Gesetz lässt in einem Bereich, in dem es, so meine ich, keine Unterschiede geben sollte, keine unterschiedlichen Verhältnisse in den Kindergärten im Land Baden-Württemberg entstehen.

(Unruhe – Glocke der Präsidentin)

Meine Damen und Herren, ich darf Sie bitten, die Unterhaltungen nach draußen zu verlegen.

(Abg. Dr. Caroli SPD: Sehr richtig! So geht es nicht!)

Denn dass das Kopftuch als mehrdeutiges, auch als politisches Symbol wahrgenommen wird, dürfte inzwischen unbestritten sein. Das ist ja auch der Kern des Problems.

Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil hierzu ausgeführt, dass das Kopftuch auch als ein politisches Symbol des islamischen Fundamentalismus gesehen werde, das die Abgrenzung zu Werten der westlichen Gesellschaft wie individuelle Selbstbestimmung und insbesondere Emanzipation der Frau ausdrücke.

Es leuchtet deshalb nicht ein, warum das Kopftuch in einer Gemeinde als Symbol für Werte aufgefasst werden kann, die nicht mit unserer Verfassung vereinbar sind,

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: So ist es!)

in der Nachbargemeinde aber hinsichtlich der Bedeutung des Kopftuchs etwas anderes gelten soll.

Mit dem Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen wird die Grundhaltung des Landes im Hinblick auf die Bedeutung des Kopftuchs konsequent umgesetzt.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Dr. Noll FDP/ DVP)

Das Wort erhält Frau Abg. Wonnay.

(Abg. Alfred Haas CDU: Das kann nicht sein!)