Protocol of the Session on December 1, 2005

500 € sind es ja jetzt. Wer weiß, wie lange – allen Beteuerungen zum Trotz!

(Abg. Capezzuto SPD: Die FDP/DVP will 1 000 €!)

Vielleicht sind es einmal 1 000 € oder auch mehr. Das ist eine zu vernachlässigende Größe für Oberbürgermeister, für Vizepräsidentinnen des Landtags, für Zahnärzte, für Landtagsabgeordnete mit einem Nebenverdienst,

(Abg. Hofer FDP/DVP: Mehrwertsteuer!)

für Manager oder Berufsgruppen gleicher Art.

(Abg. Dr. Döring FDP/DVP: Jetzt muss ich aufpas- sen! – Vereinzelt Heiterkeit)

500 € oder irgendwann dann auch mehr – das ist wahrscheinlich bald der Fall – sind keine zu vernachlässigende Größe für Arbeiter, die ein Durchschnittseinkommen von 2 600 € haben,

(Abg. Hofer FDP/DVP: Mehrwertsteuer!)

oder für Angestellte mit einem Durchschnittseinkommen von 3 500 € – diese Zahlen nennt das Statistische Bundesamt.

(Beifall bei der SPD – Zuruf von der SPD: So ist es!)

Für Tontechniker, Kameraleute, für Polizisten, für Handwerker sind schon die 700 € Studienkosten monatlich, die im Augenblick schon ohne Studiengebühren anfallen, kaum zu stemmen.

(Abg. Rust SPD: Das ist kriminell! – Abg. Herr- mann CDU: Handwerker zahlen viel mehr, wenn sie ihren Meister machen! Jetzt schon!)

Die 83 €, die Sie von denen jetzt zusätzlich pro Monat verlangen – später werden es noch mehr werden –, bringen für viele das Fass zum Überlaufen, und das in einem Land wie Baden-Württemberg, wo das Studieren sowieso sehr viel teurer ist als in anderen Bundesländern. Sie belasten genau unsere Bürgerinnen und Bürger massiv weiter.

(Beifall bei der SPD – Abg. Herrmann CDU: Des- wegen kommen alle hierher! – Gegenruf des Abg. Drexler SPD: Stimmt doch gar nicht! 10 000 gehen doch weg! Und wer das Geld nicht aufbringen kann, der muss mehr bezahlen!)

Wer das Geld heute nicht aufbringen kann, den bestrafen Sie mit einem Kredit und der muss noch mehr bezahlen. Heute haben wir vielleicht einen Zinssatz von 5,7 % – Herr Pfisterer sprach von 6 %. Wer weiß aber, wie lange dieser Zinssatz tatsächlich gültig ist? Keiner weiß es. Wer sichert denn die Höhe?

Sie bestrafen die Menschen mit niedrigem Einkommen, indem sie mehr für ein Studium zahlen müssen als die, die ein großes Einkommen haben.

(Beifall bei der SPD)

Schon heute haben Akademikerkinder eine drei- bis viermal so große Chance, einen Hochschulzugang zu erwerben. Das verantworten Sie mit Ihrem Schulsystem. Jetzt setzen Sie noch eine weitere Hürde. Schon heute haben wir zurückgehende Zahlen bei Studieninteressenten aus dem Mittelstand. Das wird überall beklagt, und dazu gibt es auch entsprechende Studien.

Die Gründe sind die ohnehin steigenden Kosten des Studiums und die Tatsache, dass Studenten aus Mittelstandsfamilien häufig kein BAföG erhalten. Jetzt bekommen diese kein BAföG und müssen auch noch zusätzlich zahlen. Die HIS-Studie vom Oktober 2005, Herr Minister, hat gezeigt, dass nur 56 % der studienberechtigten jungen Menschen

aus Familien mit mittlerem Einkommen ein Studium begonnen haben.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Hört, hört!)

Warum haben die restlichen 44 % es nicht begonnen? Zu 58 % waren finanzielle Gründe ausschlaggebend.

(Abg. Schmiedel SPD und Abg. Edith Sitzmann GRÜNE: Aha!)

Da setzen Sie jetzt noch ein Pfund obendrauf. Das ist mittelstandsfeindlich!

(Beifall bei der SPD)

Und die Benachteiligung geht noch weiter. Akademikerkinder haben in der Regel ein Netzwerk, auf das sie sich berufen können und auf das sie sich verlassen können, wenn sie nach dem Studium einen Arbeitsplatz suchen. Kinder aus dem Mittelstand und dem Handwerk, aus Arbeitnehmerfamilien haben dieses Netzwerk nicht. Wissen Sie, wo die sich mehrheitlich wiederfinden? Trotz hervorragender Abschlüsse finden sie sich dann in der Generation Praktikum. Es kann nicht sein, dass sie sich trotz hervorragender Abschlüsse von Praktikum zu Praktikum hangeln und dann immer noch einen Kredit mitschleppen müssen, den Sie ihnen aufhalsen. Unverschuldet kommen sie in diese Situation, und sie werden von Ihnen bestraft. Deshalb sage ich Ihnen: Ihr Gesetzentwurf ist arbeitnehmerfeindlich!

(Beifall bei der SPD)

Wenn Sie den Gesetzentwurf mit der Begründung einbringen, die Krankenschwester

(Zuruf von der SPD: Das ist falsch!)

und der Arbeiter zahlten derzeit das Studium des Chefarztkindes oder des Managerkindes, dann ändert dieses Gesetz null Komma null null daran. Was etwas an dieser Situation ändern könnte – das hätten Sie letztes Jahr schon machen können –, wäre mehr Steuergerechtigkeit. Sie hätten letztes Jahr schon die Steuerschlupflöcher schließen können. Dann hätten Sie in diesem Haushalt 500 Millionen € mehr. Das haben Sie aber gar nicht gewollt.

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der SPD, u. a. des Abg. Drexler)

Sie haben das entsprechende Gesetz im Bundesrat zu Fall gebracht. Jetzt kommen Sie in der großen Koalition zum Glück zur Vernunft. Sie sind diejenigen, die verhindern, dass mehr Finanzbeamte eingestellt werden, damit in Baden-Württemberg mehr Steuergerechtigkeit herrscht und mehr Geld eingenommen wird.

(Lebhafter Beifall bei der SPD – Abg. Schmiedel SPD: Genau!)

Stattdessen belasten Sie die Kleinen. Von den Kleinen können Sie es holen, denken Sie – aber nicht mit uns.

(Abg. Wacker CDU: Immer die gleiche Leier von den Sozialdemokraten! – Abg. Dr. Scheffold CDU: Oh ja!)

Baden-Württembergs Lebensstandard und Beschäftigungslage beruhen unter anderem auf der starken Säule des Automobil- und Maschinenbaus. Dort kommen überdurchschnittlich viele Studierende aus Familien aus Mittelstand und Handwerk und aus Arbeitnehmerhaushalten.

Schon heute klagen die Firmen über einen Mangel an Ingenieuren.

(Abg. Drexler SPD: 7 000!)

Dieser Mangel wird noch gravierender werden, weil Sie jetzt genau diese Gruppen zusätzlich belasten. Das heißt, genau diese Gruppen werden sich sehr gut überlegen, ob sie ein Studium aufnehmen. Wir brauchen jedoch mehr von diesen Fachkräften. Wir brauchen viel mehr von denen, weil wir im internationalen Vergleich weit zurückliegen.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Trotz kostenlosen Studi- ums, oder wie? – Gegenruf der Abg. Regina Schmidt-Kühner SPD: Ja, trotz des kostenlosen Studiums, Herr Noll! Merken Sie sich das auch einmal!)

Und wir brauchen viel mehr von denen, weil wir im internationalen Vergleich viel geringere Kinderzahlen haben als andere Länder. Das heißt, wir müssen das Potenzial viel besser ausschöpfen; es geht um das Ausschöpfen von Potenzial und nicht um ein Abschrecken dieses Potenzials. Wir brauchen eine gute, aber auch erschwingliche Ausbildung.

(Beifall bei der SPD)

Es ist ein geradezu an Frechheit grenzender Mut, zu behaupten, Ihre so genannten nachlaufenden Studiengebühren würden niemanden vom Studium abhalten. Sie haben doch unter der Kohl-Regierung den Großversuch gewagt:

(Abg. Drexler SPD: So ist es!)

Sie haben das BAföG auf Volldarlehen umgestellt.

(Abg. Drexler SPD: So ist es! – Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Das ist etwas ganz anderes!)

In Baden-Württemberg sind die Einbrüche dramatisch gewesen. Viel stärker als in jedem anderen Bundesland ist der Rückgang der BAföG-Empfänger in Baden-Württemberg gewesen. Da können Sie sich doch heute nicht hinstellen und sagen: Das interessiert uns alles nicht. Die Studierwilligen werden schon studieren, die werden schon irgendwie gucken, wie sie das Geld aufbringen. – Das ist eine Unverschämtheit.

(Beifall bei der SPD)

Jetzt holen Sie das Geld auch noch von den BAföG-Empfängern: In die eine Tasche steckt der Staat den Studis das Geld hinein, und aus der anderen Tasche holt er es wieder heraus. Am Ende haben sie die eineinhalbfache Verschuldung zu verkraften. Und da sagen Sie, das sei überhaupt kein Problem!

(Lachen der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP)

Ich sage Ihnen voraus: Es wird einen Rückgang der Studierendenzahlen geben. Wir haben ein erstes Ergebnis ja schon