Protocol of the Session on November 9, 2005

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Ja!)

Das ist Freiheitsberaubung!

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Mappus CDU)

Sie sehen das an der Empörung über dieses G-8-Modell. So etwas über das Knie zu brechen, ohne dass man den Stoff so kürzt, dass es nicht zu einem Vollzeitunterricht praktisch über den ganzen Tag führt,

(Abg. Alfred Haas CDU: 45 Minuten pro Stunde! Da sind es 30 Stunden in der Woche!)

das erinnert mich eher an Ihre Zwischenrufe. Ich kann Sie nur auffordern, das endlich zu korrigieren und die Lehrpläne dem G 8 anzupassen, damit unsere Kinder unter der Woche noch etwas anderes tun können als pauken, pauken und noch einmal pauken.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Abg. Alfred Haas CDU: So ein Quatsch!)

Ansonsten ist Ihr Sinneswandel im Grundsatz zu begrüßen. Wie sieht er jetzt praktisch aus? Sie stellen ein Programm über 1 Milliarde € für neun Jahre auf und behaupten, von den Kommunen kämen 550 Millionen € und vom Land 450 Millionen €.

(Abg. Mappus CDU: Das stimmt doch auch, oder nicht?)

Nein, das ist leider eine Milchmädchenrechnung.

(Abg. Mappus CDU: Aha?)

Denn 300 Millionen € kommen aus dem Kommunalen Investitionsfonds.

(Abg. Mappus CDU: Und was ist das? Was ist der KIF? – Gegenruf der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Kommunale Mittel! – Gegenruf des Abg. Mappus CDU: Nein, eben nicht! Landesgeld für die Kom- munen!)

Aber Sie stellen keine zusätzlichen Mittel ein.

(Abg. Alfred Haas CDU: Selbstverständlich!)

Sie stellen ja nicht zusätzlich 300 Millionen € in den Kommunalen Investitionsfonds ein. Das heißt, es sind lediglich 150 Millionen € neue Landesmittel.

(Abg. Drexler SPD: Nicht mehr! 15 Millionen pro Jahr!)

Das andere sind Mittel, die den Kommunen zustehen.

(Abg. Drexler SPD: 15 Millionen im Jahr!)

Das muss man erst einmal richtig stellen.

(Ministerpräsident Oettinger: Unstrittig!)

Das kann ja nur über Umschichtungen erfolgen, wenn Sie keine zusätzlichen Mittel einstellen.

(Abg. Mappus CDU: Ja! Ja klar!)

Da hätten wir schon gern erfahren: Wo wird im Kommunalen Investitionsfonds umgeschichtet? Wo geht es den Kommunen an anderer Stelle ans Fell?

Das sind also doch eher – wenn man einmal rechnet, was dabei herauskommt – über neun Jahre effektiv 17 Millionen € pro Jahr, die das Land da hineingibt.

(Zuruf des Abg. Drexler SPD)

Das sind angesichts der bestehenden Herausforderung und verglichen mit der Ausstattung des Bundesprogramms – 90 % Bundesförderung, 10 % müssen die Kommunen erbringen – eher große Worte und kleine Taten.

(Beifall bei den Grünen und des Abg. Drexler SPD – Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Das kommt ja noch zu- sätzlich!)

Ich sage noch einmal klipp und klar: Die Ganztagsschule ist die Schule der Zukunft. Das ist nicht irgendein Notprogramm. Das ist die Schule der Zukunft. Sie nimmt den Familien nicht die Kinder weg, und sie schwächt die Familien nicht. Sie stärkt vielmehr die Familien. Sie ermöglicht es den Familien, ihrem eigentlichen Erziehungsauftrag nachzugehen, weil sie am Nachmittag nicht auch noch mit Hausaufgabenbetreuung beschäftigt sind. Das heißt, Ihre ideologischen Vorbehalte sind falsch. Vielmehr – das zeigen Erfahrungen aus Frankreich und aus anderen Ländern auf der Welt – ist die Ganztagsschule das richtige pädagogische Konzept.

(Abg. Mappus CDU: Das ist ein richtig gutes Bei- spiel im Moment!)

Die deutsche Halbtagsschule ist ein Auslaufmodell. Das ist, glaube ich, überhaupt keine Frage.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Lassen Sie uns noch einmal zum Konzept kommen, denn „Ganztagsschule“ muss mehr bedeuten, als die Gebäude dahin gehend auszubauen, dass dort Ganztagsbetrieb stattfinden kann. Da setzen Sie, Herr Ministerpräsident Oettinger – außer bei den Hauptschulen in Brennpunktregionen, bei denen Sie ja eine zusätzliche Lehrerzuweisung machen – ausschließlich auf ein ehrenamtliches Konzept durch Ihre Jugendbegleiter.

(Abg. Alfred Haas CDU: Von „ausschließlich“ war nicht die Rede!)

Doch. In der Regierungserklärung steht hierzu nichts anderes drin. Außer an Hauptschulen in den Brennpunktregionen ist nirgendwo die Rede davon, dass mehr Personal in den Ganztagsschulen eingesetzt werden soll.

Wir begrüßen natürlich das Konzept des Jugendbegleiters. Ich finde, es ist ein gutes Konzept, dass Kirchen, Wirtschaft und Vereine in die Schule hineinkommen. Das ist eine Öffnung hin zur Bürgergesellschaft. Dies wird den Schulen zweifelsohne gut tun und den Schülerinnen und Schülern, die diese Schule besuchen, auch – gar keine Differenz in dieser Frage.

Aber alle Erfahrungen mit dem Ehrenamt zeigen: Ehrenamt ohne ein professionelles Gerüst kann nicht funktionieren.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen – Abg. Map- pus CDU: Auch richtig! Kein Widerspruch!)

Deswegen ist es, glaube ich, unumgänglich, dass wir für die Ganztagsschulen zusätzliches Personal sowie Mittel für Lehrbeauftragte zur Verfügung stellen. Wir brauchen Lehrerzuweisungen an die Ganztagsschule, und wir brauchen Mittel für Honorarverträge und Ähnliches. Wenn Sie den Personenkreis betrachten, der dafür infrage kommt, dann wissen Sie ja, dass diese Personen tagsüber in der Regel arbeiten. Das heißt, das, was Sie wollen, ginge ja überhaupt nur mit Senioren. Aber Sie können die ehrenamtliche Schulbegleitung doch nicht nur mit Senioren durchführen. Das halte ich für ausgeschlossen. Deswegen führt kein Weg daran vorbei: Man muss auch in dieser Sache Geld in die Hand nehmen, Geld im Landeshaushalt umschichten, um ein professionelles Gerüst in den Ganztagsschulen zu erreichen. Ich sage Ihnen: Wenn Sie das nicht machen, wird Ihr ehrenamtliches Konzept, das ja an sich richtig ist, scheitern. Es kann nur gelingen, wenn es als Hintergrund eine professionelle Betreuung auch an den Ganztagsschulen vorsieht. Nur dann kann daraus eine pädagogische Einrichtung werden.

Ich komme zum nächsten Punkt, zur sozialen Frage.

(Abg. Alfred Haas CDU: Sie müssen nicht!)

Der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungschancen ist evident. Kinder aus höheren Bildungsschichten haben eine vielfach höhere Chance, auf das Gym

nasium zu kommen, als etwa Kinder aus Migrantenfamilien. Ich glaube, dies ist eine ganz grundlegende Herausforderung. Wir sehen jetzt an den schweren Unruhen in Frankreich, dass die Integration der Migrantenkinder eine ganz zentrale Herausforderung für alle Industriegesellschaften darstellt. Wir brauchen eine Bildungspolitik, die sich als Integrationspolitik versteht und die Kinder aus Migrantenfamilien fördert. Dazu gehören eine umfassende Sprachförderung ab Beginn des Kindergartens, die Einbeziehung der Eltern, eine Förderung in der Grundschule, Ganztagsschulen mit pädagogischer Qualität und Schulsozialarbeit – bei deren Förderung Sie ja auf null gegangen sind, die aber gerade unter diesem Gesichtspunkt unglaublich wichtig ist.

Wir brauchen außerdem natürlich eine Schule, die auch nach Klasse 4 alle Schüler fördert und die die Kinder aus Migrantenfamilien nicht so aussortiert, dass sie letztlich alle auf der Hauptschule landen. Dort erzielt dann ein großer Teil nicht einmal einen Bildungsabschluss. Ein Fünftel der Migrantenkinder hat keinen Schulabschluss. Hier entgegenzusteuern, das ist Kinderland ganz konkret.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Wenn wir die Regierungserklärung betrachten – nehmen wir den Anfang und den Schluss –, dann sehen wir, dass alles etwas überzogen und 150-prozentig wirkt, wie es Konvertiten eben so an sich haben.

(Heiterkeit – Zuruf des Abg. Dr. Noll FDP/DVP)

Würdigt man den realen Reformgehalt, den Inhalt Ihrer Regierungserklärung, so muss man feststellen, dass es sich in Wirklichkeit eher um eine 15-%-Reform handelt.

Bekommen die Landesregierung und die sie tragende Koalition durch klare Prioritätensetzung im Bildungsbereich einerseits und durch Einschnitte in allen Bereichen andererseits, die nicht Kernaufgabe des Landes sind, den Haushalt so in den Griff, dass wir vom Schuldenberg nicht erdrückt werden? Denn auf Schuldenbergen können Kinder nicht spielen.

(Zurufe von der FDP/DVP)

Dann würde es nämlich heißen: Kinderland ist abgebrannt.