Protocol of the Session on November 9, 2005

(Abg. Zeller SPD: Und was sagt Herr Domisch?)

Entschuldigung! Herr Domisch ist ein deutscher Lehrer in Finnland. Was hat der, bitte schön, zur wissenschaftlichen Auswertung von PISA in Deutschland beizutragen?

(Abg. Zeller SPD: Jetzt machen Sie ihn aber run- ter! Sie haben doch Finnland gelobt!)

Entschuldigung! Er hat keine deutschen Daten erhoben, er hat keine deutschen Daten ausgewertet, und er hat sie nicht wissenschaftlich bewertet. Wieso kommen Sie mir hier mit Herrn Domisch an?

(Abg. Zeller SPD: Und Herr Schleicher?)

Herr Schleicher war nicht verantwortlich für die Erhebung und für die wissenschaftliche Bearbeitung der deutschen Daten. Es geht um das jeweilige Konsortium, das die nationalen Daten erhoben hat. Das war Professor Baumert im Jahr 2000 mit seinen Leuten und Professor Prenzel im

Jahr 2003. Beide haben ausdrücklich erklärt, dass im Mittelpunkt der Betrachtungen für die Verbesserung von Schule die Qualität des Unterrichts zu stehen hat und dass das in keiner Relation zur Schulstruktur steht. Deswegen lassen wir uns von Ihnen nicht auf diese Spur ziehen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Wir können ja nachher im Protokoll nachschauen: Sie haben es gesagt. Sie haben ja gerade noch einmal bestätigt, dass Sie es gesagt haben. Es ist nicht so.

(Abg. Zeller SPD: Ich sagte: Prenzel hat es so nicht gesagt!)

Ich will aber PISA nicht unkritisch reflektieren, meine Damen und Herren. Ich habe das bereits in Kommentaren in den Medien gesagt. Ich sehe bei PISA neben den positiven Ergebnissen für uns auch kritische Ergebnisse.

Ich sehe kritische Ergebnisse insbesondere, was die Koppelung von sozialer Herkunft und Bildungserfolg angeht.

(Abg. Zeller SPD: Die hat zugenommen! Darum geht es!)

Ich sehe das. Es wäre ja abartig, das zu leugnen. Es ist für mich ein kritischer Befund. Ich habe aber Aussagen, die in diesem Zusammenhang gemacht wurden, zurückgewiesen.

(Abg. Schmiedel SPD: Jetzt, Herr Wacker, zuhö- ren!)

Es ist für mich der kritischste Befund überhaupt, weil ich glaube, dass bei dieser Frage die Legitimation der Bildungspolitik insgesamt auf dem Prüfstand steht.

(Abg. Schmiedel SPD: Aha, Herr Wacker!)

Jetzt ist es auch wieder nicht recht, wenn ich die Dinge selbstkritisch betrachte.

(Unruhe – Zurufe von der SPD)

Könnten Sie nicht einmal zuhören, einfach zuhören? Versuchen Sie es doch wenigstens einmal!

(Zuruf des Abg. Schmiedel SPD)

Ich sehe einen zweiten kritischen Bereich. Das ist die Frage der Integration von Migranten.

Und der dritte kritische Bereich – er hängt mit dem ersten zusammen – ist für mich die Größe der so genannten Risikogruppe der Schülerinnen und Schüler, der Jugendlichen, die offensichtlich nicht die Qualität erreichen, die erforderlich ist, damit sie nachher einen guten Übergang ins Berufsleben finden. Da stellen sich die Fragen: Wann bildet sich diese Risikogruppe aus? Wo kann mit entsprechenden Förderinstrumentarien unterstützt werden? Wo müssen wir im Verlauf einer Bildungsbiografie ansetzen, um zu erreichen, dass diese Risikogruppe verringert werden kann und damit gleichzeitig auch der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg verringert werden kann?

Übrigens werden Sie nirgendwo auf der Welt ein Schulsystem finden, bei dem soziale Herkunft und Bildungserfolg

(Minister Rau)

total entkoppelt sind. Die Gründe dafür wurden vorher in der Debatte schon genannt.

(Abg. Zeller SPD: Das hat auch niemand behaup- tet!)

Nein, ich sage es nur. – Aber man kann einen günstigeren Quotienten erreichen.

Meine Damen und Herren, beim Thema Migration haben wir gleichzeitig eine Erklärung dafür, dass Sie Schulsysteme auch innerhalb Deutschlands mit großer Vorsicht vergleichen müssen. Frau Rastätter hat es, glaube ich, gesagt: Wir haben von allen Flächenländern in Deutschland den höchsten Migrantenanteil, 31,5 %. Bayern hat 20,5 %, Sachsen hat knapp 6 %.

(Abg. Wacker CDU: Und Finnland?)

Finnland 1,5 %.

(Abg. Renate Rastätter GRÜNE: Kanada!)

Damit haben die sehr unterschiedliche Schülerpopulationen. Das hat wiederum Auswirkungen auf die Frage des Unterrichtskonzepts, das man gerade für diese Zielgruppe anwenden muss – in dem einen Fall in größerem Umfang anwenden muss und im anderen Fall fast vernachlässigen kann. Die Migranten haben übrigens in Finnland dort, wo sie separat untersucht worden sind, ganz schlechte Ergebnisse erzielt. Die Finnen machen keine Integrationspolitik.

(Abg. Renate Rastätter GRÜNE: Wie ist es in Ka- nada? – Abg. Zeller SPD: Schweden und Kanada haben bessere Ergebnisse erzielt!)

Das kann man sich bei 1,5 % leisten; bei 30 % kann man es sich nicht mehr leisten.

Das für mich wirklich Deprimierende an dem Ergebnis bei den Migranten ist, dass Kinder mit Migrationshintergrund, die neu nach Deutschland gekommen sind, ein besseres Ergebnis erzielt haben als Kinder, die aus Familien stammen, die schon länger in Deutschland leben. Das heißt, Integration und Resignation liegen nahe beieinander.

(Abg. Renate Rastätter GRÜNE: So ist es!)

Das heißt aber auch, dass die Schule für die Frage der gelingenden Integration nicht allein verantwortlich gemacht werden kann.

(Abg. Renate Rastätter GRÜNE: Die gesamte Ge- sellschaft!)

Sie kann einen Beitrag dazu leisten. Aber wir brauchen hier ein umfassendes Konzept zur Integrationspolitik, das Arbeitsplätze, ehrenamtliche Strukturen, Vereine, Gemeinschaften, in denen die Menschen leben können oder leben wollen, mit einschließt. Wir brauchen ein Integrationskonzept, das weit über die Bildungspolitik hinausreicht. Damit will ich aber nicht die Aufgabe der Integration weitergeben, sondern will nur deutlich machen, dass für mich hier eine große Herausforderung liegt.

Bei der Frage des Zusammenhangs zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg ist für mich erstrebenswert, dass

alle jungen Menschen ihre Potenziale ausschöpfen können, dass wir ihnen Türen öffnen, dass wir ihnen die Wege zum selbst organisierten Lernen erschließen, damit sie ihre Potenziale wirklich ausschöpfen können. Auf der anderen Seite muss ich aber auch deutlich sagen, dass auch hier die Schule nicht allein verantwortlich ist.

(Abg. Zeller SPD: Das sagt auch niemand!)

Sie kann einen Beitrag dazu leisten. Aber Sie müssen immer sehen, in welchem Umfeld ein junger Mensch lebt, und diese Förderung können Sie nicht nivellieren. Was wir aber tun müssen – weil es diese Bindung an die Eltern gibt –: Wir brauchen zur Elternbindung eine Elternbildung. Wir müssen die Eltern erreichen, die ihren Kindern heute nicht die notwendige Förderung angedeihen lassen oder nicht angedeihen lassen können.

(Beifall bei der CDU – Zurufe von der CDU: Sehr gut! – Abg. Ursula Haußmann SPD: Dann machen Sie es doch! – Abg. Zeller SPD: Richtig! Möglichst früh! Auch das haben wir immer wieder gesagt! Was machen Sie denn konkret?)

Wir haben in Bezug auf die Migrationskinder eine klare Erkenntnis. Diejenigen, die in ihrem Elternhaus Deutsch sprechen oder zweisprachig aufwachsen – zweite Sprache auf jeden Fall Deutsch –, haben keine anderen schulischen Probleme als die einheimischen Kinder. Die Hauptproblemgruppe sind diejenigen, die im Elternhaus nur ihre Herkunftssprache sprechen. Das heißt, wir müssen die Eltern erreichen, die verhindern, dass ihre Kinder schon früh Deutsch lernen.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Dann tun Sie es doch! Wir haben es schon vor ein paar Jahren ge- sagt, und es passiert nichts!)

Liebe Frau Haußmann, es ist ja schön, wenn Sie hier herumjammern.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Das sind alles schö- ne Worte! Sie regieren doch hier! Dann tun Sie doch etwas!)

Frau Haußmann, das ist im Zusammenhang eines gesamten Förderkonzepts zu sehen, das der Ministerpräsident heute schon einmal dargelegt hat. Ich weiß nicht, ob Sie da vielleicht abwesend waren oder nicht zuhören wollten. Die Dinge sind begründet mit dem Konzept, das der Ministerpräsident heute vorgeschlagen hat.

(Beifall bei der CDU – Abg. Zeller SPD: Auch dies haben wir schon seit Jahren gefordert! Jetzt sind Sie auch so weit!)