Protocol of the Session on November 9, 2005

Wir haben den Orientierungsplan mit den Kommunen, den Kirchen und den freien Trägern abgestimmt. Er wird Ende November allen Kindergärten zugehen. Im Februar nächsten Jahres werden 30 Pilotkindergärten den Orientierungsplan erproben und dabei wissenschaftlich begleitet werden. Weitere 200 Kindergärten werden ihn anwenden und mit

(Ministerpräsident Oettinger)

den Pilotkindergärten in engem Austausch stehen. Ich baue darauf, dass uns der Orientierungsplan in den nächsten zwei, drei Jahren weit reichende Erkenntnisse für die Weiterentwicklung von Kindergarten und Grundschule in Baden-Württemberg bringen kann.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

Die Ergebnisse von Schuleingangsuntersuchungen zeigen aber, dass bei ungefähr einem Fünftel aller Kinder Entwicklungsdefizite bestehen. Diese Kinder – jedes fünfte Kind – benötigen eine intensive Förderung, die über den Orientierungsplan hinausgehen muss.

Mit dem Konzept „Schulreifes Kind“ machen wir ein wichtiges Angebot für diese Gruppe. Ziel ist es, die Kooperation zwischen Kindergärten und Grundschulen zu verstärken, um Kindern zu helfen, deren Schulfähigkeit in der Grundschule gefährdet ist. Zurückstellungen vom Schulbesuch und Klassenwiederholungen können auf diese Weise vermieden werden, oder ihre Zahl kann vermindert werden.

Im letzten Kindergartenjahr soll für diese Kinder gezielt eine individuelle Förderung angeboten werden. Ziel dieser Maßnahmen ist es, dass die betroffenen Kinder zum Schulbeginn die gleichen Bildungschancen haben wie ihre Jahrgangskollegen. Mit den kommunalen Landesverbänden und den Kirchen, also den Trägern der Kindergärten in BadenWürttemberg, haben wir die Durchführung entsprechender Modellversuche vereinbart. Um gerade auch diese Gruppen zu erreichen, die am meisten von Förderung profitieren, will ich für dieses Angebot des Landes gezielt bei Eltern, Konsulaten und Kinderärzten werben. Jedes einzelne Kind ist uns wichtig! Wir wollen, dass jedes Kind, das in BadenWürttemberg die Schule besucht, auch schulreif ist.

Meine sehr verehrten Damen, meine Herren, die Vielfalt der baden-württembergischen Kindergärten legt beim Projekt „Schulreifes Kind“ die Erprobung unterschiedlicher Modelle nahe. So kann die Förderung entweder durch das Personal der Grundschulförderklassen, durch Erzieherinnen oder Lehrkräfte stattfinden. Der Ort kann entweder in der Grundschulförderklasse, in zentralen Kindergärten, in jedem einzelnen Kindergarten oder auch in Schulen sein.

(Zuruf der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)

Auch der Umfang der Förderung ist je nach gewähltem Modell flexibel. Er reicht von 4 bis zu 18 Wochenstunden. Die ausgewählten Erprobungseinrichtungen sollen frei entscheiden, welches Modell des Landes übernommen wird. Auf diese Weise kann den unterschiedlichen Voraussetzungen vor Ort Rechnung getragen werden.

Ab dem Kindergartenjahr 2005/2006 werden wir eine vierjährige Erprobungsphase durchführen. In vier Jahren wird diese abgeschlossen sein. Auf der Grundlage der dann gemachten Erfahrungen wird ein Kooperationskonzept für alle Grundschulen und alle Kindergärten in Baden-Württemberg vorgelegt. Ich baue darauf, dass die Kommunen, die Kirchen und das Land in der Erprobungsphase die richtigen Partner für unsere Kinder sind.

Noch in diesem Monat wird die Ausschreibung für alle Modelle stattfinden. Bis Ende Januar wollen wir die Bewerbungen der interessierten Einrichtungen auswerten und die Teilnehmer auswählen. Dabei werden wir darauf achten, eine möglichst breite Streuung der beteiligten Einrichtungen zu erreichen. Wir wollen Einrichtungen verschiedener Träger – kommunaler Träger, kirchlicher Träger, freier Träger – aus allen vier Regierungsbezirken Baden-Württembergs dabeihaben. Wir wollen, dass Kindergärten aus der Region des Ballungsraums, städtische Kindergärten und ländliche Kindergärten teilnehmen. So werden wir erreichen, dass die Modellphase in vier Jahren weit reichende Erkenntnisse und Folgerungen für die Landespolitik ermöglichen wird.

Im Augenblick gehe ich von etwa 50 Einrichtungen in Baden-Württemberg aus, die mit der Erprobung des Konzepts beginnen. Die Anzahl dieser Einrichtungen soll ausgebaut werden, und nach Abschluss der Erprobungsphase haben wir die Möglichkeit, mit allen Beteiligten gemeinsam zu evaluieren und Konsequenzen zu ziehen.

Fazit: Die Landesregierung schafft mit dem Orientierungsplan für frühkindliche Bildung und Erziehung sowie mit dem Konzept „Schulreifes Kind“ für alle Kinder des Landes eine optimale Basis für einen guten Schulstart

(Abg. Marianne Wonnay SPD: Optimal?)

und für eine gute Schullaufbahn. Wir demonstrieren damit in finanziell schwierigen Zeiten, dass für uns die Bildung unserer Kinder und Jugendlichen höchste Priorität genießt. Chancengerechtigkeit ist in Baden-Württemberg keine leere Worthülse.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Die Verzahnung von Bildung und Betreuung betrifft nicht nur den vorschulischen Bereich, sondern auch die Schule selbst. Der Ausbau und die Weiterentwicklung von Ganztagsschulen sind deshalb ein zentraler familien- und bildungspolitischer Schwerpunkt unserer Landesregierung. Zur Verwirklichung dieses Zieles werden wir gemeinsam mit unseren außerschulischen Partnern zwei verschiedene Wege beschreiten: Zum einen werden wir die Kommunen dabei unterstützen, die baulichen Voraussetzungen für den Ganztagsbetrieb in Baden-Württemberg zu schaffen, und zum anderen werden wir die Ganztagsschulen inhaltlich weiterentwickeln.

Mit den Spitzen der kommunalen Verbände haben wir in beiden Punkten eine Einigung erzielt, die mich zuversichtlich stimmt, dass unser Ziel erreicht werden kann, BadenWürttemberg zu d e m Kinderland in Deutschland zu machen.

(Zuruf der Abg. Margot Queitsch SPD)

Mit dem Schulhausbauförderprogramm „Chancen durch Bildung – Investitionsoffensive Ganztagsschule“ sollen in den kommenden neun Jahren Baumaßnahmen gefördert werden, die für den Ganztagsschulbetrieb flächendeckend erforderlich sind. Das Programm hat ein Volumen von 1 Milliarde €. Das Land steuert aus dem Landeshaushalt 450 Millionen € bei, der Betrag von 550 Millionen € entfällt auf die Kommunen. Ich sage den beiden Regierungs

(Ministerpräsident Oettinger)

fraktionen und den Kommunalverbänden für diese Einigung, für ein herausragendes Werk, für ein Angebot an Schulen, Eltern und Kommunen ausdrücklich Dank und Respekt.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Wir ergänzen die Schulhausbauförderrichtlinien so weit, dass die erforderlichen Elemente des Ganztagsschulbetriebs wie Mensa, Freizeit- und Betreuungsangebote förderfähig werden. Finanziert werden Neubaumaßnahmen, Ausbaumaßnahmen und Umbaumaßnahmen. Das neue Programm enthält auch eine Option für staatlich-private Partnerschaften und für Mietobjekte. Dabei ist auch PPP-Finanzierung möglich.

1 Milliarde €: Diese immense Kraftanstrengung von Land und Kommunen in finanziell schwieriger Zeit ist ein klares Signal für den Stellenwert, den Kinder, Jugendliche und Familien bei uns in Baden-Württemberg haben.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Genauso wichtig wie die Schaffung der erforderlichen baulichen Voraussetzungen ist mir die inhaltliche Weiterentwicklung der Ganztagsschulen selbst. Den Hauptschulen in Brennpunkten, die ihren Bildungsauftrag unter oft schwierigen sozialen Bedingungen erfüllen, wird auch in Zukunft ein besonderes Augenmerk gelten. Sie erhalten eine erhöhte Stundenzuweisung, weil die Jugendlichen dort besondere Hilfe und Unterstützung benötigen.

Darüber hinaus können alle allgemein bildenden Schulen Ganztagsschulen werden, sofern dies vor Ort erwünscht ist und nachgefragt wird. Auch hier gilt, dass wir die Wahlfreiheit der Eltern ernst nehmen. Deswegen spreche ich von einem flächendeckenden und bedarfsorientierten Netz von Ganztagsschulen im Land.

Flächendeckend heißt für mich, dass alle Kinder im Land die Möglichkeit haben sollen, in zumutbarer Entfernung eine Schule mit Ganztagsbetrieb zu besuchen. Wir denken nicht daran, alle Schulen im Land auf Ganztagsbetrieb umzustellen. Ich will auch nicht, dass Schulen benachteiligt sind, weil sie bewusst für die Beibehaltung des jetzigen Unterrichts und Tagesablaufs plädieren. Keine Schule wird gezwungen, Ganztagsschule zu sein.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Durch die neuen Bildungspläne, durch die Möglichkeit der Schulen, ihr eigenes Curriculum zu entwickeln, wurden Schulentwicklungsprozesse in Gang gesetzt, über die wir uns freuen, die nicht aufhaltbar sind und die niemand rückgängig machen will. Ziel der Landesregierung ist es, die Qualität der Arbeit unserer Schulen zu verbessern und die Startchancen junger Menschen in Ausbildung und Beruf zu steigern. Welchen Weg dabei die einzelne Schule, die Lehrerkonferenz und der Schulträger gehen, um dieses Ziel zu erreichen, liegt zuallererst in der eigenen Verantwortung vor Ort.

Dabei werden Ganztagsschulen mehr als Halbtagsschulen mit ergänzenden Betreuungselementen sein.

(Zuruf des Abg. Zeller SPD)

Dies heißt, dass es Veränderungen im Bereich des Unterrichts geben wird und dass Betreuungsangebote das pädagogische Konzept der Schule ergänzen und stärken werden.

(Zuruf der Abg. Christine Rudolf SPD)

In den Ganztagsschulen werden wir die Arbeit der hauptamtlich tätigen Lehrerinnen und Lehrer durch den Einsatz qualifizierter ehrenamtlicher Kräfte ergänzen. Mit diesen so genannten „Jugendbegleitern“ meine ich Frauen und Männer aus Vereinen, Verbänden, Kirchen, aus der Jugendarbeit in Baden-Württemberg, engagierte Bürgerinnen und Bürger, die auf diese Weise noch stärker als bisher in das Schulleben integriert werden und es bereichern sollen.

(Beifall des Abg. Alfred Haas CDU)

Diese Überlegungen, die bundesweit einmalig sind, haben wir mit unseren außerschulischen Partnern intensiv besprochen. Das Angebot liegt auf dem Tisch. Die Rahmenvereinbarung ist entworfen. Das Interesse der Jugendarbeit in Baden-Württemberg ist groß. Wir haben die Gespräche mit dem Sport, den Kirchen, der Kulturarbeit, der bildenden Kunst, der Musik, den Musikschulen und der Blasmusik, der Gewerkschaft, der Wirtschaft, den Kammern und den Verbänden der Arbeitswelt weitgehend vorbereitet. Ich baue darauf, dass diese Verbände sich ihrer Verantwortung bewusst sind und dass ihre Mitglieder vor Ort einen Beitrag leisten, dass auch qualifiziertes Ehrenamt neben den Profis und neben mehr Lehrern der Rahmen und die Grundlage für eine gute Betreuung und für eine gute Ganztagsschule sind.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Dr. Noll FDP/ DVP)

Jugendbegleiter sollen Mitbürger sein, die mit ihrer Persönlichkeit, ihrer Lebenserfahrung und ihren speziellen Kenntnissen Jugendliche im außerunterrichtlichen Bereich unterstützen und begleiten. Durch ihre Präsenz und ihr Vorbild ermöglichen sie es jungen Menschen, außerhalb der eigentlichen Unterrichtszeit Lebenskompetenz zu erwerben.

Das Konzept „Jugendbegleiter“ hat eine enorme gesellschaftspolitische Tragweite: Es demonstriert erstens die gesamtgesellschaftliche Verantwortung für die Schulen und die jungen Menschen, die dort auf ihr Leben vorbereitet werden – eine Verantwortung, die uns alle anbelangt.

Zweitens: Eine Schule, die durch Ehrenamtliche mit ihrem Umfeld vernetzt wird, wird sich noch stärker öffnen und die Kompetenzen, die in der Gemeinde vorhanden sind, noch besser für Kinder nutzbar machen.

Zum Dritten: Alle an der Bildung der Jugendlichen Beteiligten erhalten die Chance, gemeinsam Konzepte zu entwickeln und zu organisieren. Eltern und Schüler erhalten damit Angebote „aus einem Guss“.

Zum Vierten: Das qualifizierte Ehrenamt wird intensiv in den Lebensraum der jungen Menschen einbezogen. Davon profitieren auch die Ehrenamtlichen, die eine Plattform erhalten, um ihre Arbeit zu präsentieren und für eine aktive Bürgergesellschaft zu werben.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

(Ministerpräsident Oettinger)

Und zum Fünften: Nach und nach wird sich damit das Bildungsverständnis ändern. Bildung für Kinder und Jugendliche wird dann nicht mehr gleichbedeutend sein mit Schule, sondern es wird ein Gesamtbildungskonzept geben, in dem auch die außerschulische Bildung ihren Platz in der Schule hat.

Wir haben in den letzten Monaten Gespräche mit den kommunalen Verbänden, mit Kirchen, Vereinen und mit Vertretern der Jugendarbeit geführt. Wir wollen gemeinsam unterschiedliche inhaltliche Themenbereiche für die Jugend erschließen: den Sport, die Musik, die Kultur, die Geschichte, die Naturwissenschaft, die kirchliche Jugendarbeit, soziale Tätigkeit, Ausschnitte aus der Arbeitswelt und den Umweltund Naturschutz.

Für die Aufgabe eines Jugendbegleiters sprechen wir insbesondere pädagogisch bereits qualifizierte Personen wie Übungsleiter, Jugendgruppenleiter, Schülermentoren oder Musikschulpädagogen an. Darüber hinaus möchten wir auch Personen gewinnen, die derzeit noch nicht mit Jugendlichen tätig sind, aber bereit sind, sich in diesem Bereich zu engagieren.

Lassen Sie mich noch konkreter werden: Ich stelle mir vor, dass ältere Schülerinnen und Schüler Verantwortung für jüngere Kinder übernehmen,