Protocol of the Session on November 23, 2000

Von der Zielsetzung her – das zum Schluss der ersten Runde – haben wir keine Differenz mit Ihnen,

(Abg. Pfister FDP/DVP: Also!)

sondern wir sind mit Ihnen der Meinung, dass wir solche schweren Sexualstraftaten und Taten von Straftätern sowie Gewalttätern verhindern müssen. Wir sind bereit, entsprechende Wege mitzugehen, aber das setzt voraus, dass wir einen konkreten Vorschlag auf dem Tisch des Hauses haben.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei Ab- geordneten der FDP/DVP – Abg. Pfister FDP/ DVP: Der kommt!)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Käs.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! In der Tat ist es so, dass der Fall Schmökel – er ist vorhin ja schon angesprochen worden – nicht ganz genau in dieses Problemfeld passt, über das wir heute diskutieren. Aber machen wir uns doch nichts vor: Die heutige Debatte ist davon mit ausgelöst worden.

Wir haben jetzt eine Aktuelle Debatte und diskutieren nicht über einen konkreten Gesetzentwurf, was sofort – das haben alle meine Vorredner wunderbar bewiesen – zu großer Einigkeit darüber führt, dass man den Bürger draußen erst einmal beruhigen muss. Da ist auch der Konsens groß.

Darauf folgt im Zweifel aber nur die Ankündigung: Wir diskutieren irgendwann später über einen Gesetzentwurf. Wenn dann ein solcher Gesetzentwurf kommt – ich bedauere, dass heute kein solcher Gesetzentwurf auf der Tagesordnung steht –, dann gibt es wieder viele Bedenken, dann wird er zerredet, relativiert, und dann wird es eine breite Zweifler- und möglicherweise auch Ablehnungsfront geben. Ich erwarte, dass es so sein wird, wenn ein solcher Gesetzentwurf irgendwann einmal kommt.

(Beifall bei den Republikanern)

Interessant ist, dass die heutige Debatte von der FDP/DVP beantragt wurde. Die FDP ist mit verantwortlich für jene Liberalisierungen im Strafrecht und im Strafvollzug, die wir seit Mitte der Siebzigerjahre bis heute erfahren haben,

(Beifall bei den Republikanern)

damals in einer sozialliberalen Regierung, heute in der Landesregierung. Man kann die Spur der FDP permanent durch die Rechtsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland verfolgen.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Gott sei Dank!)

Die Folge dieser liberalen Spur in der deutschen Rechtsgeschichte der letzten 20, 30 Jahre ist,

(Abg. Kiesswetter FDP/DVP: Ein freiheitlicher Staat!)

dass der Täter gerade im Strafvollzug massiv in den Vordergrund gerückt ist.

(Beifall bei den Republikanern – Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Stimmt doch gar nicht! Gestern haben Sie der Videoüberwachung das Wort geredet, außerdem dem großen Lauschan- griff etc.!)

Wir haben hier schon verschiedentlich über die mangelnde Rücksichtnahme auf Opfer gesprochen. Heute haben wir über den Schutz der Bürger zu sprechen, dem das Interesse des Täters an Resozialisierung gegenüberzustellen und eine Abwägung zu treffen.

Nach meinem Dafürhalten gibt es ein klares Prä: ein Interesse der Opfer, dass sie nicht wieder Opfer werden, und ein Interesse der potenziellen Opfer, dass sie überhaupt nicht Opfer werden. Der Schutz des Bürgers vor schweren, wiederholungsgefährdeten Straftätern muss im Vordergrund stehen.

(Beifall bei den Republikanern)

Wenn ich den zeitlichen Zusammenhang sehe zwischen dem Fall Schmökel, ähnlichen Fällen, die vielleicht nicht ganz so populär geworden sind, und der Ankündigung des Ministers kurz danach, hier etwas tun zu wollen, dann verfestigt sich draußen doch das Handlungsschema: Erst muss das Kind in den Brunnen fallen, bevor die Regierung etwas unternimmt. Herr Minister, hier geben Sie ein schwaches Bild ab. Sicherlich, ein Gutachten und, und, und, aber das Bild, das die Regierung jetzt in der Öffentlichkeit abgibt, ist doch dieses: Erst muss etwas geschehen. Die Leute draußen sagen, aus vielerlei Erfahrung schlauer geworden: Na ja, da wird jetzt viel gesagt, aber am Ende bleibt alles beim Alten, und wir können sehen, wo unsere Sicherheit bleibt.

Meine Damen und Herren, wir müssen politisch einen Führungsanspruch anmelden, wir müssen gestaltende Politik machen. Das heißt ganz konkret, dass ich eigentlich erwartet hätte, dass heute ein Gesetzentwurf zur Diskussion steht aufgrund des Gutachtens von Herrn Würtenberger, damit wir konkret handeln können. Heute – davon bin ich überzeugt – werden wir uns, auch in der zweiten Runde, auf allgemeine, wohlfeile Worte beschränken,

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Abwarten!)

wir werden aber letzten Endes alles so belassen, wie es ist. Das ist die Politik, die hier von der Regierung betrieben wird. Das ist an erster Stelle zu kritisieren.

Heute eine Aktuelle Debatte zu diesem Thema zu eröffnen, das war ein Fehler. Wir hätten heute einen Gesetzentwurf, und sei es von der FDP/DVP alleine, auf dem Tisch haben müssen. So geht es nicht.

Danke.

(Beifall bei den Republikanern)

Das Wort erteile ich Herrn Justizminister Dr. Goll.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue mich, dass diese Aktuelle Debatte stattfindet, auch wenn es um ein sehr ernstes Thema geht. Ich bin deswegen dankbar für die Aktuelle Debatte – deswegen muss sie auch geführt werden –, weil ich die erste Gelegenheit nutzen wollte, lieber Herr Bebber, um Ihre Kritik zurückzuweisen. Als wir das Gutachten von Herrn Würtenberger vorgestellt haben, haben Sie gesagt, das sei ein Schnellschuss und das sei verfassungswidrig.

Jetzt bin ich dankbar dafür, die erste Gelegenheit nutzen zu können, während wir an dem Gesetz arbeiten. Natürlich arbeiten wir an dem Gesetz und haben wir eine konkrete Vorstellung. Aber das muss alles seinen parlamentarischen Gang gehen.

Ich wollte die erste Gelegenheit nutzen, um deutlich zu machen,

(Zuruf des Abg. Bebber SPD)

warum Ihre Kritik, dies sei ein Schnellschuss und sei verfassungswidrig, falsch ist.

(Abg. Birzele SPD: Deshalb hat die FDP/DVP die Debatte beantragt!)

(Minister Dr. Ulrich Goll)

Lieber Herr Oelmayer, ich glaube schon, dass es richtig ist, die Frage zu stellen – auch in den Augen der Menschen draußen, die uns in diesem Parlament mit dem, was wir hier tun, auch verfolgen –: Reichen unsere Spielregeln aus, um die Gesellschaft vor gefährlichen Straftätern zu schützen?

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP – Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Aber Sie müssen die richtigen Fragen stellen! – Gegenruf des Abg. Rech CDU)

Gestatten Sie mir eine dritte Vorbemerkung, die sich ausnahmsweise einmal an diesen Teil des Hauses richtet: Wenn Sie von der „liberalen Spur“ in der Geschichte dieser Republik reden, möchte ich sagen, wie weit ich persönlich Ihre Spuren zurückverfolgen würde. Davon will ich jetzt nicht weiter reden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP – Abg. Käs REP: Das ist dann Sachpolitik!)

Jetzt zum Thema. Das Risiko, in Baden-Württemberg von einem Verbrechen betroffen zu werden, ist gering – Gott sei Dank –, geringer als in allen anderen Bundesländern.

(Beifall der Abg. Rech und Hans-Michael Bender CDU – Abg. Hans-Michael Bender CDU: Gott sei Dank!)

So möge es bleiben.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Des Weiteren darf man sagen: Das Risiko, von einem Delikt eines Rückfalltäters betroffen zu sein, macht, bezogen auf das erwähnte geringe Risiko, noch einmal einen kleinen Teil aus. Aber niemand versteht es draußen – natürlich gerade niemand der von solchen Delikten Betroffenen –, wenn ein Täter, der schon einmal in den Institutionen der Justiz drin war, den wir schon einmal hatten, sage ich einmal, und von dem wir wissen, dass er gefährlich ist, wieder rauskommt und wieder ein Delikt begeht. Das versteht niemand, das ist nicht akzeptabel, und das ist nicht vermittelbar.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

Deswegen tun wir gut daran, unser Instrumentarium daraufhin zu überprüfen: Tun wir alles, ist das Instrumentarium lückenlos? Wir haben ein System von Strafen und Maßregeln. Wenn eine Strafe verbüßt ist, können wir einen Täter, wenn er gefährlich ist, unter Umständen weiter festhalten, und zwar in der Form der so genannten Sicherungsverwahrung. Sie kann allerdings – das ist richtig gesagt worden – nur am Anfang verhängt werden. Es wurde auch zu Recht gefragt: Wie soll ein Richter oder eine Richterin bei einer zehn-, zwölfjährigen Strafe am Anfang sagen, ob der Täter oder die Täterin danach noch gefährlich ist? Das legt die Latte wirklich so hoch, dass die Fälle relativ selten sind. Das ist auch in Ordnung; es ist ja eine einschneidende Maßnahme. Wir haben etwa 40 solcher Täter im Land. Aber man muss sich schon fragen: Entgehen uns da nicht ein paar Fälle, die ganz verhängnisvoll enden können?

Der Haken der bisherigen Regelung ist im Übrigen seit längerem bekannt. Er ist bekannt von Bayern bis nach Berlin.

An dieser Stelle: Es ist natürlich absurd, zu sagen, wir hätten uns irgendwann einmal gegen einen bayerischen Vorstoß gestellt. Der allererste Vorstoß war zwischen Bayern und uns abgesprochen. Bayern hat ihn mit unserer Hilfe eingebracht. Die beiden weiteren Vorstöße kamen von uns.

(Abg. Bebber SPD: Ich habe nicht gesagt, dass Sie sich dagegengestellt haben!)

Diese Lücke ist seit langem erkannt, und zwar nicht nur von mir.

Ich will Ihnen, lieber Herr Bebber, mit Genehmigung des Herrn Präsidenten ein interessantes Zitat zur Kenntnis geben. Bundesinnenminister Schily hat im Juni/Juli 1998 in einem Interview geäußert – ich zitiere das jetzt wörtlich –: