Guten Morgen, meine Damen und Herren! Ich eröffne die 99. Sitzung des 12. Landtags von Baden-Württemberg und begrüße Sie.
das gilt nur für den Nachmittag –, Herr Finanzminister Stratthaus und Herr Minister für Wissenschaft, Forschung und Kunst von Trotha.
Meine Damen und Herren, heute hat Kollege Dr. Schäfer Geburtstag. In Abwesenheit gratuliere ich ihm sehr herzlich und wünsche ihm alles Gute.
Im E i n g a n g befindet sich ein Schreiben des Staatsgerichtshofs vom 18. Oktober 2000 betreffend Organstreitverfahren der Fraktion Die Republikaner gegen die Landesregierung wegen des Unterlassens, sich eine Geschäftsordnung zu geben. Ich schlage vor, das Schreiben an den Ständigen Ausschuss zu überweisen. – Sie stimmen dem zu.
Aktuelle Debatte – „Leitkultur in Deutschland“ – Einwanderungsdebatte unter falschen Vorzeichen – beantragt von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
Das Präsidium hat die üblichen Redezeiten festgelegt: Gesamtdauer 50 Minuten ohne Anrechnung der Redezeit der Regierung, fünf Minuten für die einleitenden Erklärungen und fünf Minuten für die Redner in der zweiten Runde.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Man muss es wirklich so hart sagen: Die CDU hat auf den Begriff „deutsche Leitkultur“ oder, wie es jetzt heißt, „Leitkultur in Deutschland“ deshalb nicht verzichtet, und zwar gegen alle gut gemeinten Ratschläge, insbesondere auch aus den eigenen Reihen – ich sage nur Peter Müller, Volker Rühe, Heiner Geißler, Hildegard Müller, Rita Süssmuth –, weil der Begriff vor allem für Unklarheit, für Kopfschütteln, ja für Empörung sorgt und, sage ich, für Empörung und Verwirrung sorgen soll, auf der einen Seite für Empörung, auf der anderen Seite für Zustimmung an den Stammtischen – oder was die CDU dafür hält. Die Zustimmung kam mittlerweile ja auch schon. Insbesondere kam sie von den Republikanern am letzten Wochenende.
„Was soll das?“, fragt man sich. Frau Merkel hat bei der Vorstellung ihres Eckpunktepapiers zur Zuwanderung den Begriff „Leitkultur in Deutschland“ unter anderem damit begründet, dass er schon allein deshalb gut sei – das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen –, weil sich die anderen so schön darüber aufregen. Das ist an Zynismus eigentlich kaum zu überbieten.
Überhaupt, meine Damen und Herren zur Rechten hier: Das ganze unselige Hin und Her um die deutsche Leitkultur – – Herr Merz hat diesen Begriff zufällig erfunden, weil er auf Frage eines Journalisten einmal blöd rausgeschwätzt hat – anders kann man es nicht sagen.
(Vereinzelt Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen – Oh-Rufe von der CDU – Abg. Rapp REP: Völlig falsch!)
Frau Merkel ist zunächst dagegen und verspricht Paul Spiegel: „Das machen wir weg“, und dann ist es doch drin. Herr Teufel ist dafür, spricht mittlerweile sogar von „nationaler Leitkultur“.
Herr Oettinger ist dagegen, Rommel schauderts, von Trotha findet es absurd. Den Vogel schießt Frau Schavan als stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende ab: Ihr ist das Niveau der Debatte zu niedrig und zu degoutant. Sie beschließt, es sei ihr egal, was in diesem Papier steht. Das ist eigentlich unglaublich.
Dieses ganze Hin und Her, meine Damen und Herren, steht meines Erachtens für die Schwierigkeiten in der CDU, in der politischen Realität anzukommen. Die politische Realität ist, dass sich die CDU in einem wichtigen gesellschaftspolitischen Feld endlich und nur auf ständigen Druck der Wirtschaft hin von ihrer Lebenslüge verabschiedet hat, dass Deutschland kein Einwanderungsland sei. Das, meine Damen und Herren, ist der wahre Grund für die Instrumentalisierung des Begriffs Leitkultur.
Die CDU hat sich in der Sache bewegt, und sie will dies mit Worten verschleiern. Es handelt sich um Nebelwerfen, um den rechten Rand einzubinden, weil die dort das mit der Einwanderung vielleicht nicht so gut finden könnten. Das ist der Punkt.
Dafür nehmen Sie, Herr Ministerpräsident, und Frau Merkel und Frau Schavan und die ganze CDU in Kauf, dass das aufgeklärte und tolerante Deutschland und mehr noch das Ausland über Sie entsetzt ist.
„Die Woche“ von heute titelt über Frau Merkel übrigens: „Die Kanzlerkandidatin in spe: Sie hat kein Konzept, und sie driftet nach rechts ab“.
Das ist es. Der Begriff Leitkultur entspricht nicht ihrer Meinung, aber man benutzt ihn, um den rechten Rand einzubinden. Sie driftet nach rechts ab, und Frau Schavan schließt sich an.
Den gebildeten Ständen wird patzig entgegengerufen, sie sollten sich nicht so aufregen, mit „Leitkultur in Deutschland“ sei gemeint – das sagt das Papier wörtlich –: „die Werteordnung unserer christlich-abendländischen Kultur, die von Christentum, Judentum, antiker Philosophie, Humanismus, römischem Recht und der Aufklärung geprägt“ sei.
Da fehlen nur noch „Euphrat und Tigris“. Das ist ja interessant. Die Frage ist nur: Warum nennen Sie das „deutsche Leitkultur“? Das ist doch der Witz dabei.
Bei den weniger gebildeten Ständen – das ist die Doppelstrategie, die Sie hier betreiben – kommt das mit der Leitkultur ganz anders an, nämlich so: Wenn einer aus dem Ausland kommt und bei uns sein will, dann soll er sich so aufführen wie wir, sonst kann er draußen bleiben.
den manche noch von früher kennen, als es hieß: Solange du deine Füße unter meinen Tisch streckst, läuft es so, wie es bei mir zu laufen hat. Das ist der Begriff der Leitkultur.
Dabei ist es absurd: Weder das Christentum noch das Judentum wurden meines Wissens von einem Deutschen erfunden; sie sind, wie sollte es anders sein, orientalischen Ursprungs – also nichts mit der deutschen Leitkultur. Antike Philosophie und römisches Recht haben ihren Ursprung ebenfalls nicht im Teutoburger Wald – auch nichts mit der Leitkultur. Mit der Aufklärung ist es so eine Sache, meine Damen und Herren von der CDU. Ich weiß nicht, ob Sie mir folgen können, aber Descartes und Voltaire waren Franzosen, und Kant kam leider zu spät und war in Deutschland nicht geschichtsmächtig. Die Entwicklung, dass aus aufklärerischen Gedanken, die die alten Mächte hinwegfegen, Demokratien wurden, in denen der Mensch als Mensch und Individuum im Mittelpunkt stand, nicht als abgeleitete Größe von Gott oder von einem Kaiser oder einem König, und dass diese Demokratien später eine Menschenrechtstradition, eine Bürgerrechtstradition und einen Grundrechtekanon ausgeprägt haben, fand in Großbritannien, in Frankreich und in den USA statt, aber leider nicht bei uns in Deutschland. Bei uns ist dies erst später geschehen.
Nach dem Ende des zwölfjährigen Tausendjährigen Reiches haben uns die westlichen Alliierten diese Werte Gott sei Dank – dafür muss man dankbar sein – –
Nein, wir müssen nicht in Sack und Asche gehen, aber wir können nicht behaupten, dass das die deutsche Leitkultur ist. Dies ist der Punkt.