Protocol of the Session on December 14, 2000

Vielen Dank, Herr Präsident.

Auch aus der heutigen Debatte wie generell aus der öffentlichen Debatte kann geschlossen werden, dass es in Deutschland keinen Dissens darüber gibt, dass die Brücken zwischen Schule und Familie stärker werden müssen. Das ist kein rein bildungspolitisches, sondern ein gesellschaftspolitisches Thema.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Zweitens: Wir haben bei vielen anderen Debatten hier im Haus auch festgestellt, dass bei allem, was wir bildungspolitisch und auch an Brückenbau zwischen Familie und Schule bedenken, die veränderten Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen im Vordergrund stehen müssen. Das kann man jetzt auch, wenn man die Parteiprogramme liest, quer durch die Parteien feststellen. Das ist Konsens.

(Abg. König REP: Haben Sie unseres gelesen?)

Dieser Konsens ist in meinen Augen ein Fortschritt. Das ist gut so. Das ist gut im Blick auf Kinder und Jugendliche, die unter der Hektik, der Beschleunigung, der Unübersichtlichkeit dieser Gesellschaft am meisten leiden.

Ich glaube, wir sind uns auch darüber einig, dass das, was wir in der Bildung tun, was wir in der Weiterentwicklung der Schulen tun, was wir beim Stichwort Betreuung tun, ein Stück dazu beitragen soll, in die Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen mehr Beständigkeit zu bringen. Insofern glaube ich auch, dass die Schule der Zukunft nicht nur ein attraktiver Lernort sein muss, sondern auch ein Ort sein wird, der gegenüber der Schule der Vergangenheit um vieles ergänzt ist.

Jetzt kommen die Dissenspunkte oder, sage ich einmal, die Punkte der Auseinandersetzung, die sich immer daraus ergeben, ob man gerade regiert oder ob man in der Opposition ist. Das kann man quer durch Deutschland feststellen. Die Grundsätze sind einfach festzustellen. Die Frage ist dann: Wie kann ich sie konkret so umsetzen, dass daraus realistische, finanzierbare und angesichts der Pluralität in unserer Gesellschaft akzeptable Lösungen werden? Wer glaubt, es gebe in unserer Gesellschaft einen Konsens darüber, wie das jetzt genau aussehen muss, der irrt doch. Wenn Sie morgen in Baden-Württemberg ankündigen würden, dass alle 4 500 Schulen ab dem kommenden Schuljahr im klassischen Sinne – ich überspitze bewusst – Ganztagsschulen sind, die von 8 bis 17 Uhr stattfinden, bekämen Sie einen Aufstand in diesem Land.

(Beifall bei der CDU – Abg. Zeller SPD: Was soll denn das? – Abg. Brechtken SPD: Wenn sich alle anständig verhalten müssten, würde man auch ei- nen Aufstand bekommen!)

Insofern muss die Devise sein: Wir brauchen Wege mit vielfältigen Lösungen. Wir brauchen bedarfsorientierte Angebote. Wir werden mehr Angebote brauchen.

Wir haben im Übrigen in den letzten fünf Jahren, lieber Herr Zeller, weitaus mehr Möglichkeiten geschaffen, als es in der ersten Hälfte der Neunzigerjahre gab. Sie wissen so gut wie ich, dass das unter anderem damit zusammenhängt, dass die finanzielle Situation der Schulträger in der ersten Hälfte der Neunzigerjahre schlechter war als in der zweiten Hälfte und wir deshalb jetzt vorangekommen sind.

Bis heute habe ich nicht kapiert, was Sie immer mit dem Weltbild bei uns meinen, über das Sie sich aufregen.

(Zuruf der Abg. Christine Rudolf SPD)

Jedenfalls ist völlig unstrittig, dass in unserem Land die Entwicklung zu Ganztagsangeboten, die Entwicklung der Horte und der Betreuungsangebote und übrigens auch die pädagogische Weiterentwicklung der Schulen im Moment so konsequent vorangetrieben wird wie lange zuvor nicht.

(Zuruf des Abg. Wintruff SPD)

Hier gibt es einen deutlichen Zuwachs. Das wissen Sie so gut wie ich.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Meine Damen und Herren, Baden-Württemberg hat seit Beginn der Neunzigerjahre ein Gesamtkonzept. Das Gesamtkonzept enthält mehrere Elemente. Dazu gehörte die Kernzeitenbetreuung, die heute so weit entwickelt ist, dass

(Ministerin Dr. Annette Schavan)

an 80 % der Grundschulen in Baden-Württemberg ein Betreuungsangebot besteht.

(Zuruf der Abg. Carla Bregenzer SPD)

Ich zwinge Eltern nicht, ihre Kinder in die Betreuung zu schicken. Das ist wohl wahr.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. König REP: Jawohl! Freiwillig muss es sein!)

Sie können das Land suchen, in dem an 80 % der Grundschulen ein solches Angebot besteht.

(Zustimmung bei der CDU – Widerspruch bei der SPD)

Zweitens: Wir haben in Baden-Württemberg rund 250 Hortgruppen an den Schulen.

(Zuruf der Abg. Carla Bregenzer SPD)

Wir haben darüber hinaus rund 380 Hortgruppen, die außerhalb der Schule ein klassisches Ganztagsangebot machen.

(Zuruf der Abg. Carla Bregenzer SPD)

Die Zahl der Ganztagsschulen – das ist schon gesagt worden – wurde auf 74 erhöht. Sie kann sofort weiter erhöht werden, sofern entsprechende Anträge von Schulträgern eingehen.

(Zurufe der Abg. Carla Bregenzer und Christine Rudolf SPD)

Meine Damen und Herren, wenn wir Bedingungen wie in NRW hätten, gäbe es bei uns nicht eine einzige Ganztagsschule. Darüber redet hier ja niemand: NRW zahlt 10 000 DM Pauschale pro Ganztagsschule und keine Mark mehr, und es gibt keine Stunde Lehrerzuweisung. Das Land Baden-Württemberg zahlt für das Ganztagsangebot bis zu sieben Lehrerstunden; das macht rund 35 000 DM aus. Das heißt, wir gehen einen Weg, der dauerhaft stabil ist, der den Kommunen dauerhaft die Möglichkeit gibt, Anträge zu stellen.

(Zuruf der Abg. Carla Bregenzer SPD)

Deshalb bin ich davon überzeugt, dass wir im Vergleich mit anderen Bundesländern sehr weit vorangekommen sind. Die Zahlen wurden zum Teil genannt. In RheinlandPfalz sind es 44 Ganztagsschulen, in Hessen 16, und in Nordrhein-Westfalen, meine Damen und Herren, sind es nur deshalb so viele, weil sie an die Gesamtschule gebunden wurden. Deshalb verwechseln manche das Wort schon einmal; das kann ich auch gut verstehen. Das war ein eigenes Programm, das aber im Wesentlichen nie auf andere Bundesländer übertragen worden ist.

(Glocke des Präsidenten)

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abg. Rudolf?

Ja. Bitte schön.

Frau Abg. Rudolf, bitte.

(Abg. König REP: Da kommt keine gescheite Fra- ge!)

Frau Ministerin, ist es richtig, dass auf Ihrem Schreibtisch 127 Anträge auf Einrichtung von weiteren Ganztagsschulen in Baden-Württemberg liegen, und wie wollen Sie damit in Zukunft umgehen?

Nein, das ist nicht richtig, Frau Rudolf.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des Abg. Krisch REP – Zuruf des Abg. König REP)

Bei uns liegen nicht 127 Anträge, die nicht bearbeitet werden. Die Anträge, die eingereicht wurden, sind bewilligt, weil wir ja den Ausbau wollen.

(Abg. Christine Rudolf SPD: Das steht aber in der Stellungnahme zu unserem Antrag! – Zuruf der Abg. Carla Bregenzer SPD)

Wir haben gesagt – und so kommt die Zahl 127 zustande –: Von den schon verabschiedeten Haushalten und der mittelfristigen Perspektive her können es 10 % sein. Dann kommen wir auf eine Zahl zwischen 127 und 130 Schulen. Das heißt, die Vorstellung, dass im Kultusministerium zig Anträge liegen, die nicht bearbeitet oder nicht bewilligt werden, trifft nicht zu. Auch das habe ich öffentlich schon einmal – –

(Zuruf der Abg. Christine Rudolf SPD)

Sie reden über einen Antrag, zu dem im März Stellung genommen wurde. Damals gab es Anträge. Heute sind die Anträge bewilligt.

(Abg. Carla Bregenzer SPD: Aber dann ist Ihre Stellungnahme falsch! – Gegenruf des Abg. König REP: Die haben die Stellungnahme zu ihrem eige- nen Antrag nicht gelesen!)

Die Zahl 127 hat mit den 10 % der Hauptschulen zu tun, die prinzipiell ein solches Angebot machen können, weil wir hierfür im Staatshaushalt die Voraussetzungen geschaffen haben. Insofern sind die Voraussetzungen im Staatshaushalt für 127 Hauptschulen geschaffen, meine Damen und Herren.

Gestatten Sie noch eine Nachfrage, Frau Ministerin?

Bitte schön.