Protocol of the Session on December 14, 2000

(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Das ist aber schade!)

weil all diese Dinge bereits auf dem Weg sind.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Lachen beim Bündnis 90/Die Grünen – Abg. Braun SPD: Set- zen! Sechs! – Abg. Christine Rudolf SPD: Die Stu- fen in Baden-Württemberg bewegen sich im Milli- meterbereich!)

Das Wort erhält Frau Abg. Rastätter.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Derzeit gibt es Ganztagsschulen in Baden-Württemberg für ca. 1 % der Schulkinder. 4 von 2 500 Grundschulen in Baden-Württemberg sind Ganztagsschulen. Die Stadt Karlsruhe zum Beispiel hat 15 Jahre lang beim Land darum gekämpft, eine Ganztagsgrundschule einrichten zu dürfen.

(Abg. Ingrid Blank CDU: Mit Erfolg!)

Für ein weiteres Prozent der Schulkinder gibt es Hortplätze am Nachmittag. – So viel zur Ausgangslage, so viel zur Familienfreundlichkeit, so viel zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie in Baden-Württemberg.

(Beifall bei Abgeordneten des Bündnisses 90/Die Grünen und der SPD)

Nun hat die CDU die Ganztagsschule entdeckt und strebt einen zügigen Ausbau an. Glückwunsch zum ersten Schritt der ideologischen Abrüstung! Da Sie aber, Frau Ministerin Schavan, nicht einmal dazu bereit sind, die Grundschule

aufgrund der veränderten Lebenslage von Familien und aufgrund der veränderten Kindheit zu einer echten Halbtagsschule weiterzuentwickeln, stellen sich schon berechtigte Zweifel ein, wie diese Ganztagsschulen aussehen sollen.

Ein Wort noch zu Herrn Seimetz. Wir wollen auch nicht, dass die Schulen zu Reparaturwerkstätten der Gesellschaft werden. Auch wir wollen die Familie stärken.

(Zuruf des Abg. Deuschle REP)

Ich darf sagen, dass das auch das ausdrückliche Ziel der Bundesregierung ist.

Aber in einem Punkt wollen wir das Rad der gesellschaftlichen Entwicklung nicht zurückdrehen. Wir begrüßen die zunehmende Berufstätigkeit von Frauen, und wir wollen alles tun, damit Frauen in der Arbeitswelt Beruf und Familie vereinbaren können und auch Karriere machen können.

(Beifall bei Abgeordneten des Bündnisses 90/Die Grünen und der SPD – Abg. Birgitt Bender Bünd- nis 90/Die Grünen: Und die Männer auch!)

Ganztagshauptschulen sollen nur an den so genannten Brennpunkthauptschulen eingerichtet werden – das hat Herr Seimetz noch einmal deutlich hervorgehoben –, also an ca. 10 % der Hauptschulen. Wir Grünen halten die Etikettierung „Brennpunkthauptschule“ für außerordentlich fragwürdig, denn sie lenkt davon ab, dass wir an allen Hauptschulen in Baden-Württemberg Kinder aus schwierigen sozialen Problemlagen haben und dass wir an allen Hauptschulen Kinder haben, die besonders viel schulische und soziale Unterstützung brauchen.

Hauptschulen, die nicht als Brennpunkthauptschulen ausgewiesen sind, bekommen heute schon keine Sozialstunden, haben kein erweitertes Bildungsangebot, kriegen keine Schulsozialarbeit,

(Abg. Seimetz CDU: Das stimmt ja so nicht!)

haben kaum noch AG- und Förderstunden. Jetzt sollen sie auch nicht die Möglichkeit bekommen, sich zu Ganztagshauptschulen weiterzuentwickeln. Wir halten dies aufgrund der Problemlagen vieler Hauptschulkinder für nicht verantwortbar.

(Beifall bei Abgeordneten des Bündnisses 90/Die Grünen und der SPD)

Nun zum pädagogischen Konzept der Ganztagsschulen. Das Hauptziel, meine Damen und Herren, ist doch nicht, die Kinder von der Straße oder aus dem Elternhaus zu holen. Der Hauptzweck besteht vielmehr darin, sie schulisch und sozial zu stützen, sie auf die Berufsausbildung vorzubereiten und ihnen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Deshalb darf eine Ganztagsschule keine Betreuungseinrichtung und keine Verwahranstalt für Schulkinder sein, sondern sie muss zu einem echten Lern- und Lebensort weiterentwickelt werden.

Nach Ihren Äußerungen, Frau Kultusministerin – ich habe Ihre Stellungnahme im „Focus“ gelesen –, besteht bei mir

die Befürchtung, dass wir wieder ein additives Modell bekommen, ein Sparmodell, das wir bereits von der verlässlichen Grundschule bestens kennen, bestehend aus einem traditionellen Unterrichtsvormittag, an den nachmittags Sport, Freizeit und Hausaufgabenbetreuung angehängt werden.

Aber, meine Damen und Herren, das wichtigste Merkmal einer Ganztagsschule ist die zeitliche Entzerrung des Unterrichts, ist die Rhythmisierung von Phasen der Anspannung und Phasen der Entspannung, von konzentrierter Arbeit, Bewegung, Spiel und attraktiven Freizeitangeboten. Eine Ganztagsschule muss so attraktiv sein,

(Zuruf des Abg. Rückert CDU)

dass Schulkinder dort gern den ganzen Tag bleiben. Ganztagsschulen brauchen die besten Angebote, die beste Pädagogik und die besten Lehrkräfte.

Damit wir gute Ganztagsschulen bekommen, brauchen wir vor allem gute Rahmenbedingungen an Ganztagsschulen. Wir haben Ihnen hierzu heute einen Entschließungsantrag vorgelegt. Ich will Ihnen die wichtigsten Punkte daraus nennen.

Wir wollen zum einen Ganztagsschulen an allen Hauptschulen, die ein solches Angebot einrichten möchten. Wir wollen aber auch, dass Realschulen und Gymnasien, die eine Ganztagsschule einrichten möchten, nicht ausgeschlossen werden.

Wir dürfen den Schulen aber die Einrichtung von Ganztagsschulen nicht wieder als weitere Aufgabe von oben überstülpen. Vielmehr kann ein gutes pädagogisches Ganztagsangebot an der Schule nur von innen heraus entwickelt werden. Dafür brauchen die Schulen – insbesondere die Hauptschulen, an denen die Lehrkräfte besonders hohe pädagogische Aufgaben zu leisten haben – Zeitkontingente, Entlastung und eine Schulentwicklungsbegleitung, damit dabei ein schlüssiges Ganztagsschulkonzept herauskommt.

Wir brauchen auch die Unterstützung der Schulträger, der Kommunen. Die Kommunen sind durch schulische Aufgaben bereits heute finanziell extrem stark belastet. Die Kommunen benötigen eine faire Lastenverteilung zwischen Land und Schulträgerschaft. Deshalb muss der Anteil des Landes erhöht werden.

Meine Damen und Herren, wir Grünen treten für Ganztagsschulen ein. Wir werden uns auch dafür einsetzen, dass dies gute Angebote werden –

(Zuruf des Abg. Scheuermann CDU)

im Interesse unserer Kinder und der Familien und als Bereicherung für unsere ganze Gesellschaft.

Ich bedanke mich.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei Ab- geordneten der SPD)

Das Wort erhält Frau Abg. Berroth.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir reden über ein Thema, das den Liberalen seit Jahrzehnten wichtig ist.

(Zurufe von der SPD)

Es ist wichtig aus frauen- und familienpolitischen, aber auch aus bildungspolitischen und pädagogischen Gründen.

Nun sind der Antrag und die Stellungnahme dazu schon über ein halbes Jahr alt. Nach dem aktuellen Stand – nach dem, was man aus der Presse erfahren hat – gehe ich davon aus, dass die Stellungnahme inzwischen etwas anders ausfallen würde und dass vielleicht auch der Beitrag des Kollegen Seimetz etwas mehr rückwärts als vorwärts gerichtet ist.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der SPD)

Zu der uns vorliegenden Stellungnahme sind drei Anmerkungen nötig.

Erstens: Kernzeitenbetreuung gehört nicht zum Ganztagsangebot, weder vom Zeitumfang noch von der Betreuung. Die Ganztagsschule ist ein pädagogisches Gesamtkonzept und keine Kinderbetreuung.

Zweitens: Es kann bei diesem Thema nun wirklich nicht nur um Hauptschulen gehen.

Drittens: Das Angebot darf nicht auf ein schwieriges soziales Umfeld beschränkt bleiben. Sonst erhalten wir nämlich eine Stigmatisierung der Ganztagsschule und nicht das, was sie eigentlich ist, nämlich ein super Angebot.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der SPD)

Liberale Bildungspolitik fordert einen kontinuierlichen Ausbau des Ganztagsangebots für alle Schularten. Wir wollen allerdings nicht an allen Schulen Ganztagsangebote.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Das ist auch wahr!)

Unser Ziel ist, im ganzen Land in akzeptabler Erreichbarkeit Ganztagsschulen aller Gattungen zu haben. Ob es sich dabei um staatliche Schulen oder um Institute in freier Trägerschaft handelt, wollen wir gern dem Markt überlassen. Ich danke aber den Privatschulen für das erfreulich große Angebot, das sie im Ganztagsbereich bieten.

Aktivitäten der FDP/DVP-Fraktion zu diesem Thema gab es schon 1990 und anschließend von 1993 bis 1995. Ich möchte unseren Fraktionsvorsitzenden Ernst Pfister ausdrücklich loben, der dabei sehr aktiv war. Zwischen 1993 und 1995 lag eine lange Zeit. Sie werden sich erinnern, Herr Zeller, dass die große Koalition eigentlich versprochen hatte, in dieser Richtung etwas tun zu wollen, und dann nicht zu Potte gekommen ist.

(Abg. Brechtken SPD: Mit denen kannst du halt nichts anfangen!)