Protocol of the Session on July 10, 2025

Erste Lesung

Ich eröffne die erste Lesung des Gesetzesantrags. In der Beratung beginnt die Fraktion der SPD. – Bitte schön, Herr Abgeordneter Meyer, Sie haben das Wort.

Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Zu Beginn möchte ich ein paar Anmerkungen zum Mindestlohn im Allgemeinen machen. Die Einführung des Mindestlohns ist eine echte Erfolgsgeschichte. So profitieren davon wirklich Millionen Beschäftigte im Niedriglohnsektor, in

Minijobs, in Teilzeitjobs, wo vor allem auch Frauen davon profitieren. Auch brauchen viele Leute keine Aufstockung mehr anzunehmen, und vor allem steigen auch viele höhere Löhne, um den Abstand zum Mindestlohn zu bewahren.

Der Mindestlohn wirkt, er ist wichtig. Er sorgt für mehr soziale Gerechtigkeit gerade bei denen, die mit ihrer Arbeit diese Stadt tagtäglich am Laufen halten, doch zu wenig Anerkennung erfahren, vor allem zu wenig verdienen und sich diese Stadt kaum leisten können.

[Beifall bei der SPD]

Umso wichtiger ist es, dass wir dort, wo wir Verantwortung tragen, wo wir etwas machen können, wo wir etwas regeln können, dies auch tun und Verantwortung übernehmen, und das ist beim Landesmindestlohn.

So haben wir schon 2013, und zwar unter Rot-Schwarz, zwei Jahre vor der Einführung des Bundesmindestlohns einen Landesmindestlohn hier in Berlin eingeführt. Aktuell liegt er mit 13,69 Euro sogar 87 Cent über dem Bundesmindestlohn. Das ist richtig so, das brauchen wir. Und in dieser Form und dieser Verlässlichkeit muss er sich auch weiterentwickeln. Es geht um die Verantwortung für diese Stadt. Das ist, das muss man so sagen, in der Vergangenheit so verlässlich nicht passiert.

In einigen Jahren gab es gar keine Erhöhung, und es gab sogar einige Jahre oder eine Zeit, wo der Landesmindestlohn überhaupt keine Wirkung entfaltet hat, weil er unter dem Bundesmindestlohn lag und das unter, das müssen wir sagen, Rot-Rot-Grün, weil wir uns da nicht einigen konnten. Das darf so nie wieder passieren. Die Menschen brauchen Verlässlichkeit, sie brauchen einen starken Landesmindestlohn, sie brauchen Transparenz. Genau das werden wir mit diesen Änderungen hier liefern. So soll sich die Entwicklung des Landesmindestlohns an der des Bundesmindestlohns orientieren. Was das bedeutet, kann ich ganz konkret sagen: Zum 1. Januar 2026 würde das bedeuten, dass sich der Landesmindestlohn auf 14,84 Euro und zum 1. Januar 2027 auf dann 15,59 Euro und damit knapp einen Euro über dem Bundesmindestlohn entwickeln würde. Das ist der richtige Weg, das ist der notwendige Weg. Das ist ein zukunftsorientierter Weg, und deswegen werden wir das auch machen.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der CDU – Zuruf von Frank-Christian Hansel (AfD)]

Die zweite Änderung ist mir persönlich auch noch sehr wichtig, denn hier geht es neben dem rein Finanziellen um Respekt, um Anerkennung, um Anstand und um eine Frage der Haltung. Es geht um die Zusammensetzung des Landesmindestlohns. Grundsätzlich wird der Mindestlohn tatsächlich als eine Art Mindestgesamtverdienst betrachtet. Das bedeutet, am Ende des Monats wird alles, was man verdient hat, durch die Stunden gerechnet. Das muss dann ungefähr den Mindestlohn ausmachen. Auf

(Carsten Ubbelohde)

den ersten Blick ist das soweit durchaus nachvollziehbar, aber dennoch zeigen sich hier extreme Ungerechtigkeiten, die nicht zu akzeptieren sind und die wir nicht akzeptieren wollen. Was bedeutet das in der Praxis? – In der Praxis heißt das, dass bis auf wenige Ausnahmen die Zuschläge und Prämien auf den Stundenlohn angerechnet werden und man damit letztlich seinen eigenen Stundenlohn senkt, wenn man den Mindestlohn erhält.

Um das einmal deutlich zu machen: Habe ich einen vertraglichen Stundenlohn unter dem Mindestlohn, aber am Sonntag kommen die Sonntagszuschläge nicht obendrauf, sondern werden einfach verrechnet, würde ich im Extremfall am Sonntag keinen Cent Zuschläge bekommen und würde am Sonntag genauso viel verdienen wie in der Woche. Wohingegen zum Beispiel ein Kollege, der einen höheren Stundenlohn hat, die Zuschläge noch mal oben extra draufbekommt und noch mal deutlich mehr verdient. Ausgerechnet den untersten Lohngruppen werden so auch noch die Zulagen genommen. Das ist nicht nur grob ungerecht, es ist unsozial, es ist respektlos und muss korrigiert werden. Genau das werden wir hier tun,

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

zumal – und das will ich betonen – Zulagen keine Geschenke sind, sondern in der Regel Erschwernisse ausgleichen sollen. Die haben selbstverständlich auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den untersten Lohngruppen zu bekommen. Es ihnen vorzuenthalten, ist schlicht unanständig und inakzeptabel. Nur weil der Mindestlohn juristisch immer wieder als Gesamtentgelt definiert wird, bedeutet das nicht, dass wir das auch übernehmen müssen. Deshalb gehen wir in Berlin wieder voran, gehen neue Wege und definieren den Landesmindestlohn als Mindeststundenlohn, und die Zulagen kommen selbstverständlich obendrauf. Genau so gehört sich das. Die Menschen haben es verdient. Deshalb sind die Änderungen auch so wichtig und richtig. – Vielen Dank dafür!

[Beifall bei der SPD – Beifall von Dr. Martin Pätzold (CDU) und Stephan Schmidt (CDU) – Torsten Schneider (SPD): Wir sind die Guten!]

Vielen Dank! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Wapler das Wort. – Bitte schön!

Die Guten sind wir! – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Unsere Rederunden zur Arbeitsmarktpolitik gelten immer als ein bisschen fad, weil es hier und im Ausschuss zwischen den demokratischen Fraktionen einiges an Übereinstimmung gibt. Das betrifft sicher auch die Bedeutung eines gesetzlichen Mindestlohns. Das war

gerade auch für manche aus der CDU ein weiter Weg, 2013 hier in Berlin.

[Zuruf von Kurt Wansner (CDU)]

Es können sich sicherlich noch viele an die Debatten um die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns auf Bundesebene erinnern. Heute können wir gemeinsam feststellen, dass wir Mindestlöhne brauchen, um die Menschen vor Armut und Ausbeutung zu schützen, um soziale Teilhabe für alle zu sichern, um gegen Lohndumping vorzugehen und auch gegen unlauteren Wettbewerb unter den Unternehmen. Wir brauchen Mindestlöhne, um Gerechtigkeit zu schaffen, denn jeder Mensch muss von seiner Arbeit leben können.

[Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Damiano Valgolio (LINKE)]

Freilich, allzu weit sind wir noch nicht gekommen. Viele Berlinerinnen und Berliner haben trotz Vollzeitjobs nicht genug zum Leben, schauen mit mulmigem Gefühl in den Briefkasten nach Post vom Vermieter, wissen nicht, wie sie die nächste Reparatur bezahlen können, weil Arbeit immer noch viel zu schlecht bezahlt wird. Das ist Realität, auch in Berlin. Deshalb ist es richtig, dass wir uns dort, wo wir direkt Einfluss nehmen können, für faire Löhne einsetzen. Es ist auch positiv, dass die Koalition den Grundsatz öffentliches Geld nur für Gute Arbeit von Rot-Grün-Rot übernommen hat, denn es kann nicht angehen, dass wir Lohndumping auch noch subventionieren.

Der große Wurf, liebe Kolleginnen und Kollegen, wie das der geschätzte Martin Pätzold im Neuen Deutschland – das ist auch bemerkenswert – genannt hat, ist der Entwurf aber nicht, leider nicht. 13,69 Euro pro Stunde, wie sie die Koalition jetzt gesetzlich festschreiben will, widersprechen der europäischen Mindestlohnrichtlinie. Das ist auch unterhalb der Grenze für relative Armut. 13,69 Euro reichen nicht zum Leben. Dafür wird ein Mindestlohn von mindestens 15 Euro benötigt, und zwar hier und jetzt und nicht erst in ein oder zwei Jahren.

[Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Dr. Michael Efler (LINKE) und Damiano Valgolio (LINKE)]

Wenn wir die Erwerbsarmut in Berlin beenden wollen, dann wäre es nur gut und richtig, auch den Landesmindestlohn hier und jetzt auf 15 Euro zu erhöhen.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Dabei verweist Ihr Antrag, liebe Koalition, zu Recht darauf, dass die bisherigen Anpassungen des Landesmindestlohns durch den Senat unzureichend gewesen sind. Aber ich weiß nicht, ist es wirklich weise, den Mindestlohn jetzt ausgerechnet an die Empfehlungen der Mindestlohnkommission auf Bundesebene zu binden? Die Kommission, die gerade erst eine Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns auf nur 14,69 Euro bis 2027 beschlossen hat – ein gebrochenes Versprechen von Schwarz-Rot übrigens –, hat es jedenfalls bisher nicht vermocht,

(Sven Meyer)

existenzsichernde Löhne zu gewährleisten und Erwerbsarmut zu verhindern. Ich habe den Eindruck, die Senatskoalition versteckt sich beim Landesmindestlohn ausgerechnet hinter einer Mindestlohnkommission, die dringend reformiert gehört, um eine faire Lohnfindung zu erreichen. Darüber, glaube ich, werden wir im Ausschuss noch debattieren müssen.

Wir müssen da auch noch mal über unser Selbstverständnis reden bei Aussagen wie, es dürfe keinen politischen Mindestlohn geben, als wäre die Entscheidung über die Höhe des Mindestlohns nicht immer ein politischer Prozess,

[Beifall bei den GRÜNEN]

als gäbe es keine öffentlichen Debatten darüber und als würde die Politik bei der Festsetzung keine Rolle spielen. Auch die Tarifautonomie ist nicht etwas, wohinter sich eine Koalition verstecken kann. Wir sind als Gesetzgeber gefordert, einen existenzsichernden Mindestlohn sicherzustellen. Das ist unsere Verantwortung. Existenzsicherung ist eine politische Aufgabe, die wir hier und heute erfüllen müssen. – Vielen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Vielen Dank! – Für die CDU-Fraktion hat der Abgeordnete Prof. Dr. Pätzold das Wort. – Bitte schön!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich finde, die Debatte zeigt die Komplexität des Themas. Das will ich zu Beginn ganz deutlich sagen. Wir haben gerade in der Rede gehört, wie die historischen Diskussionen zu den Mindestlöhnen liefen, auch in unserer Bundesrepublik Deutschland, aber auch international. Es ist eine Frage dessen, wie sie wirken, auch eine Kritik dessen, was damit vielleicht angestellt wird. Wir stehen heute hier und müssen feststellen, dass es gute Entscheidungen waren, den Landesmindestlohn und den Bundesmindestlohn einzuführen. Es waren immer Koalitionen mit Beteiligung der SPD und mit Beteiligung der CDU.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Zur Wahrheit gehört auch, und ich habe extra noch einmal nachgeguckt – – Es ist gut für den Parlamentarismus – ich will das wirklich sagen –, dass Bündnis 90/Die Grünen immer zugestimmt haben auf Landesebene beim Landesmindestlohn, beim Bundesmindestlohn als wir den eingeführt haben. Wir bringen heute das Dritte Gesetz zur Änderung des Landesmindestlohngesetzes ein. Ich will ganz deutlich in Richtung Ihrer Fraktion sagen: Halten Sie Kurs! Trauen Sie sich auch diesmal wieder, bei uns zuzustimmen! – Das ist meine freundliche Erinnerung an

die Geschichte und der Appell, sich wieder an diesen Veränderungen, an den Entwicklungen, an denen wir arbeiten, zu beteiligen.

[Beifall bei der CDU und der SPD – Zuruf von Damiano Valgolio (LINKE)]

Selbst die Linken haben bisher nicht dagegen gestimmt. Ich habe es mir auch noch mal angeguckt. Beim Landesmindestlohn habt ihr nicht dagegen gestimmt, und beim Bundesmindestlohn habt ihr nicht dagegen gestimmt, weil wir ja alle sehen, dass es eine Notwendigkeit gibt. Der Kollege Sven Meyer hat es angesprochen: Selbst in einer Koalition von SPD, Linken und Grünen gab es Phasen, wo Sie nicht in der Lage waren, sich damit auseinanderzusetzen, in welcher Höhe ein Mindestlohn steigen sollte, obwohl es Inflation gab und gleichzeitig Gehälter gestiegen sind.

Wenn man sich mit offenen Augen mit der Thematik beschäftigt, dann kann man, finde ich, nur zu dem Ergebnis kommen, dass das, was wir heute vorschlagen, das, worauf wir uns in den Koalitionsverhandlungen geeinigt hatten, etwas ist, das nachhaltig wirkt. Wie ich es öfter sage: Es ist eine sozialpolitische Errungenschaft.

Ich will es noch mal in zwei Punkten ausführen. Ich fange beim ersten Punkt an, der eigentlich Konsens sein müsste, der von meinem geschätzten SPD-Kollegen Sven Meyer schon dargestellt wurde. Natürlich war die Idee, als wir den Mindestlohn eingeführt haben, dass Zulagen und andere Entgeltbestandteile nicht dazugerechnet werden dürfen. Aber wie das so ist, wenn man Gesetze nicht ordentlich formuliert – das durchaus als Selbstkritik – oder eben Flanken offen lässt, dann muss man in der Lage sein, das gesetzlich anzupassen. Das tun wir jetzt, und da kann ich mir nicht vorstellen, dass die Grünen, aber auch die Linken dagegen stimmen. Bei Ihnen von den Grünen habe ich, glaube ich, eine Vorstellung, wie Sie damit umgehen. Aber zumindest in die Richtung der Linken würde ich sagen: Da müssten wir Sie doch an unserer Seite haben.

[Zuruf von Damiano Valgolio (LINKE)]

Damit Sie auch beim zweiten Punkt – vielleicht ist der erste ja für Sie etwas stärker – zustimmen – – Gerade auch in der historischen Bewertung – – Wir erleben jetzt Phasen, wo wir auch über politische Mindestlöhne diskutieren werden. Eine Höhe von 15 Euro wird immer genannt. Wir haben es in der Koalition erlebt, als wir nicht in der Verantwortung waren, als die Mindestlöhne nicht angepasst wurden. Es ist doch ein großer Wurf, dass wir sagen, wir orientieren uns prozentual an der Bundesmindestlohnkommission, und dass es gelingt, dann auch den Mindestlohn über eine Rechtsverordnung, über die Senatsverwaltung anzupassen. Da haben wir – ich will das auch wertschätzend sagen – mit der Staatssekretärin Klapp und ganz vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Personen, die sich frühzeitig darum kümmern, dass das rechtzeitig umgesetzt wird. Diesen Mechanismus ein

(Christoph Wapler)

zuführen, ihn aus der politischen Debatte zu nehmen, schafft doch auch Rechtssicherheit für diejenigen, die davon abhängig sind: diejenigen, die den Mindestlohn erhalten, aber auch die Unternehmen, die das frühzeitig einplanen müssen.

Deswegen kann ich nur nachdrücklich darum bitten – – Es ist die erste Debatte, die erste Lesung jetzt im Berliner Abgeordnetenhaus. Ich habe an die Geschichte erinnert, an diejenigen, die sich daran beteiligt haben. Mein Wunsch ist, dass Bündnis 90/Die Grünen auch wieder dabei ist und sich die Fraktion die Linke vielleicht auch daran erinnert, dass es hier die Möglichkeit gibt, wirklich etwas Nachhaltiges auf den Weg zu bringen, das langfristig wirkt und eine sozialpolitische Errungenschaft ist. Deswegen bitte ich um Zustimmung.

[Beifall bei der CDU und der SPD]

Vielen Dank! – Für die Fraktion Die Linke hat der Abgeordnete Valgolio das Wort. – Bitte schön!