Protocol of the Session on November 7, 2024

Aufbruch – Andreas Geisel hat das auch gerade für sich persönlich beschrieben –; ein Aufbruch in eine neue, gemeinsame Zukunft. Gleichzeitig bedeutete sie für viele aber auch schmerzhafte Umbrüche im eigenen persönlichen Leben, einen Aufbruch ins Ungewisse. So groß die Freude und die Hoffnung damals waren, sie sind verbunden mit Enttäuschungen, mit Versäumnissen und nicht eingehaltenen Versprechungen.

Wir stecken in einer tiefen gesellschaftlichen Krise. Die Demokratie wird zunehmend infrage gestellt. Autokratische Bewegungen und Regime sind auf dem Vormarsch, und rechtsradikale Terrorstrukturen planen den Umsturz der Demokratie in Deutschland. Der Blick in den Medien richtet sich dann sehr oft vor allem auf Ostdeutschland. Es wird mit dem Finger gezeigt auf Klischeebilder von den undankbaren Jammerossis, die die Demokratie immer noch nicht verstanden hätten. Auf der anderen Seite gibt es rechte Führer aus dem Westen, die die DDR gleichsetzen mit der heutigen Bundesrepublik und behaupten, sie seien deswegen im Osten so erfolgreich, weil die Ossis die Diktatur wiedererkennen würden. Wir haben heute wieder gehört, wie die Wessis von rechts bei Zeitzeugenberichten die ganze Zeit reinrufen „Wie heute! Wie heute!“.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD – Zuruf von Frank-Christian Hansel (AfD)]

Ich glaube, beide Erzählungen sind falsch. Statt den Bürgerinnen immer wieder vorzuwerfen, dass sie nicht demokratisch genug eingestellt wären, sollten wir lieber die Frage stellen, wie demokratisch ihre Lebenswirklichkeit 35 Jahre später ist; wie demokratisch ihre Erfahrungen sind, wie gut sie sich selbst repräsentiert fühlen, wie die Erfahrung von Selbstermächtigung heute ist.

Eine der bitteren Erfahrungen nach der Wende war, dass Institutionen und Führungspositionen im Osten hauptsächlich durch westdeutsche Menschen besetzt wurden. Statt darauf zu vertrauen, dass auch Ostdeutsche das nötige Wissen, die Erfahrung und vor allem auch das Engagement haben, um in der neuen Gesellschaft Verantwortung zu übernehmen, wurden Führungsrollen fast ausschließlich an Menschen aus dem Westen vergeben. Dies betraf nicht nur politische Ämter, sondern auch Spitzenpositionen in Unternehmen, Universitäten, in Krankenhäusern, in der Verwaltung und auch in den Medien. Oft hatten die neuen Führungskräfte keinerlei Bezug zu der Region, in der sie tätig waren, und entsprechend gab es auch wenig Verständnis für die lokalen Besonderheiten und Bedürfnisse. Viele qualifizierte Ostdeutsche, die sich engagiert und gut ausgebildet in die neue Gesellschaft einbringen wollten, wurden so aus Entscheidungsprozessen ausgeschlossen. Außerdem wurden etliche Frauen aus Arbeit herausgedrängt, die nach westdeutscher Auffassung eher Männerjobs waren. Ihnen wurde auf diese Weise ihre berufliche Zukunft genom

men, und auch das hat zur Altersarmut bei ostdeutschen Frauen beigetragen.

In diesem Vorgehen liegt ein essenzieller Keim für Enttäuschung und Entfremdung und für das Gefühl, eben nicht vereint, sondern vielleicht doch eher übernommen worden zu sein. Die Westdominanz in den Chefetagen hat außerdem die Verbundenheit vieler Ostdeutscher mit den neuen Institutionen geschwächt. Durch das Gefühl, dass ihre Perspektiven nicht gehört und ihre Interessen nicht ernst genommen wurden, verloren Menschen ihr Vertrauen in das politische System und in seine Strukturen.

Auch Medien haben ihren Teil dazu beigetragen. Über Jahrzehnte hat ein westdeutscher Blick auf „die Ostdeutschen“ den medialen Raum dominiert, und es wurde ein völlig verzerrtes Bild in Umlauf gebracht und reproduziert.

[Ronald Gläser (AfD): Heute auch!]

Auch dadurch wurde jede Menge Vertrauen verspielt. Während westdeutsche Perspektiven ab 1990 sozusagen der Standard waren, das Maß aller Dinge, gab es kaum Wertschätzung für ostdeutsche Geschichten und Lebensleistungen – eben auch die Lebensleistung der Friedlichen Revolution –, weder ideell noch materiell.

Wenn heute von strukturschwachen Regionen in Ostdeutschland gesprochen wird, darf man nicht vergessen, dass diese Entwicklung die Folge von politischen Entscheidungen war. Auf dem Gebiet der ehemaligen DDR fand kein Wirtschaftsaufbau statt, sondern die zweite Deindustrialisierung nach 1945. Statt wie mit dem Marshallplan der Westalliierten im Erleben der Menschen Demokratisierung und wirtschaftlichen Aufschwung direkt miteinander zu verknüpfen, wurden westdeutsche Goldgräber auf das Land losgelassen, und viele hatten das Gefühl, dass es einen Ausverkauf gab von allem, was nicht niet- und nagelfest war. Dabei hätte man doch aus der BRD-Erfolgsgeschichte die richtigen Lehren ziehen können.

Wenn wir heute über den Mauerfall sprechen, müssen wir auch darüber reden, dass die innerdeutsche Grenze auch heute, 35 Jahre später, also ungefähr zwei Generationen, immer noch existiert; physisch kaum noch, außer an ein paar Gedenkorten in Berlin, aber eben doch auf anderen Ebenen. Damit meine ich jetzt nicht nur, dass man im Westen vielleicht weniger mit Pittiplatsch und Schnatterinchen verbunden ist – die unsichtbare Grenze zeigt sich gravierend an niedrigeren Löhnen, einer ungerechten Rentenstruktur oder darin, dass Ostdeutsche von ihren Eltern wenig bis überhaupt nichts vererbt bekommen. Solange diese Ungleichheiten bestehen und es keine politischen Mehrheiten für deren Überwindung gibt, ist es kaum verwunderlich, dass auf der Verliererseite Zweifel an der Demokratie aufkeimen. Dem müssen wir entgegenwirken.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Mathias Schulz (SPD)]

Wenn wir über den Mauerfall und über die Wiedervereinigung sprechen, die damit eingeläutet wurde, dann sollten wir auch darüber reden, dass dieser Prozess noch nicht abgeschlossen ist. Man kann auch heute noch in die Führungsetagen gucken; das ist ganz aufschlussreich. Der Berliner Senat beispielsweise besteht aus elf Menschen, nur drei von ihnen haben eine Ostbiografie. Das ist keine so ungewöhnliche Quote, aber für Berlin, finde ich, trotzdem bemerkenswert. Wir müssen uns diese Ungleichheit und Ungerechtigkeit bewusst machen und gemeinsam daran arbeiten, die Mauern weiter abzubauen, die nach wie vor bestehen, seien es die wirtschaftlichen, die sozialen oder auch die mentalen Mauern.

Wenn wir heute über den Mauerfall und die damit verbundene Einheit sprechen, dann sollten wir also nicht nur an die Geschichte erinnern, obwohl das sehr eindrücklich und auch wichtig ist, sondern wir sollten dieses Erinnern auch als Auftrag begreifen, uns für die Demokratie und ihre Erhaltung einzusetzen und Menschen das Gefühl von Selbstermächtigung zu geben, in dieser Demokratie mitzuwirken, in der jede Stimme gleich gilt. Das sind Werte, die es zu erhalten gilt, gerade in Zeiten der Krisen, wenn sie unter Druck stehen. Das ist auch unsere gemeinsame Verantwortung hier im Parlament. – Vielen Dank!

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Vielen Dank! – Für die AfD-Fraktion hat der Abgeordnete Trefzer das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenige Wochen vor dem Mauerfall, am 7. Oktober 1989, dem 40. und letzten Staatsfeiertag, versammelte sich noch einmal eine illustre Runde aus Weggefährten und Freunden der DDR in Ostberlin, beim Staatsbankett und auch bei der Militärparade in der ersten Reihe. Prominent mit dabei ein bewährter Kampfgenosse, wie es damals hieß: Jassir Arafat. Er war seit Anfang der Siebzigerjahre ein gern und häufig gesehener Gast der SED-Führung.

[Lachen von Ronald Gläser (AfD) – Carsten Ubbelohde (AfD): Das ist ja wie heute bei der Partei Die Linke!]

Wie weit die Unterstützung der DDR im Kampf gegen Israel ging, ist erst in den letzten zehn Jahren durch neuere Forschungen in vollem Umfang deutlich geworden. Die DDR erkannte die PLO-Führung nicht nur als erster europäischer Staat an, sie unterstützte den terroristischen Kampf gegen Israel auf allen Ebenen und wurde ein Trainings- und Rückzugsort für palästinensische Terroristen,

die hier nicht nur in Waffen- und Sprengstoffgebrauch, sondern auch in Guerilla- und Terrortaktiken unterrichtet wurden.

Abu Nidal, mitverantwortlich für mehr als 100 Anschläge, betrieb von Ostberlin aus einen schwungvollen Waffenhandel. Mitglieder der Abu-NidalGruppe erhielten übrigens am gleichen Stasiobjekt bei Briesen eine Waffenausbildung, wo schon Christian Klar, der damalige RAF-Terrorist und spätere Bundestagsmitarbeiter von Diether Dehm, mit Panzerfäusten hantierte. Auch bei den Anschlägen auf die Friedenauer Diskothek La Belle und das Maison de France am Kurfürstendamm mit zusammen vier Toten hatte die Stasi ihre Finger im Spiel.

Es lohnt sich, diese Zusammenhänge einmal in Erinnerung zu rufen. Gerade in Zeiten, in denen linksextreme Gruppen erneut Hand in Hand mit propalästinensischen Aktivisten und Islamisten den Kampf gegen Israel beschwören.

[Beifall bei der AfD]

Wenn wir heute an die Friedliche Revolution im Herbst 1989 erinnern, erinnern wir eben auch an den Untergang des Terrorunterstützerstaates, der die DDR war und der sich in seinem Hass auf Israel von keinem Ostblockstaat übertreffen ließ. Den vielen 100 000 Menschen, die schon im September und im Oktober 1989 in über 300 Orten von der Ostsee bis zum Erzgebirge auf die Straße gingen, war die volle Dimension des Verbrechens, der Zersetzungsmaßnahmen und der Manipulation sicherlich noch nicht bewusst, aber sie ahnten, dass sie es mit einer allumfassenden Ausprägung des Unrechts zu tun hatten. Umso dankbarer erinnern wir uns heute ihres Einsatzes für ein freies, demokratisches und friedliebendes Deutschland.

[Beifall bei der AfD]

Dabei gilt unsere besondere Anerkennung denjenigen Frauen und Männern, die der SED-Herrschaft bereits in den Jahren davor Widerstand entgegengesetzt und so zum Sturz der Diktatur beigetragen haben, und wir gedenken derjenigen, die bis 1989 Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft geworden sind, die ermordet, die verfolgt, inhaftiert, physisch und psychisch gefoltert, deren Gesundheit ruiniert oder deren Leben anderweitig beeinträchtigt wurde. Sie dürfen wir bei aller Freude über den Mauerfall am heutigen Tage nicht vergessen,

[Beifall bei der AfD]

Viele von ihnen, die bis heute vom Unrecht gezeichnet sind, das ihnen in der DDR angetan wurde, fremdeln mit dem Spektakel, das alle fünf Jahre rund um den 9. November stattfindet. Ich kann dieses Gefühl sehr gut nachvollziehen. Bei aller Begeisterung für die Lichtgrenze vor zehn Jahren und auch die jetzigen Aktionen entlang des ehemaligen Mauerverlaufs kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die politisch Verfolgten

(Anne Helm)

und Widerständigen von vor 1989 wieder einmal aus dem Blick geraten.

Man muss einfach auch konstatieren: Wir geben 10 Millionen Euro für dieses Jubiläumsfest aus, aber wir schaffen es nicht, die SED-Opferrente auf ein angemessenes Niveau anzuheben und die Anerkennung von verfolgungsbedingten Gesundheitsschäden endlich einfacher und unbürokratischer zu regeln. Das kann eigentlich nicht sein, meine Damen und Herren!

[Beifall bei der AfD]

Deswegen fordern wir auch und gerade am heutigen Tag, dass die Opferrente deutlich erhöht und die Anerkennung verfolgungsbedingter Gesundheitsschäden analog der Regelung für geschädigte Soldaten erleichtert wird.

Auch die Haftzwangsarbeit ist weiterhin nicht hinreichend aufgearbeitet. Es spukt in vielen Köpfen immer noch die Vorstellung herum, wer inhaftiert wurde, der werde schon einen triftigen Grund dafür geliefert haben, denn man wurde doch sicherlich nicht einfach so weggesperrt. Nein, aber genau so war es in vielen Fällen, denn die DDR war eben kein Rechtsstaat. Sie war von Anfang an ein Unrechtsstaat. Noch heute leiden viele ehemalige Zwangsarbeiter unter den Folgen der Haft. Deswegen ist es ausdrücklich zu begrüßen, dass sich IKEA jetzt endlich dazu bereit erklärt hat, 6 Millionen Euro in den geplanten bundesweiten Härtefallfonds einzuzahlen. Das reicht aber bei Weitem nicht aus. Andere Firmen wie ALDI, die ebenfalls von Zwangsarbeit profitiert haben, müssen folgen.

Gestatten Sie mir, sehr geehrter Herr Kultursenator, noch eine Bemerkung zu Ihrer Pressekonferenz zum Mauerfalljubiläum vorgestern, auch weil Sie ja gleich anschließend mit Ihrem Redebeitrag dran sind: Es ist sicherlich löblich, wenn Sie anlässlich des Jahrestages des Mauerfalls den gesellschaftlichen Zusammenhalt beschwören, zur Entfeindungsliebe, wie Sie gesagt haben, aufrufen und symbolisch die Hand für alle Berliner ausstrecken. Da passt es dann allerdings nicht so wirklich, dass Sie im gleichen Atemzug Berliner, die mit meiner Partei sympathisieren, als Populisten abtun und quasi zu Bürger zweiter Klasse erklären, so wie das auch die Kollegen Dr. Juhnke und Geisel getan haben. Ich weiß, dass das eigentlich gar nicht Ihre Art ist, Herr Senator, aber jedenfalls kam das bei mir so rüber. Auch der Absatz im Antrag der Koalition und der Grünen, in dem vermeintliche Populisten die Friedliche Revolution kapern, hat genau diesen Sound, so, als hätten die Antragsteller dieser Anträge ein Monopol auf die Friedliche Revolution.

[Beifall bei der AfD]

Diese Klischees tragen gerade nicht zum gesellschaftlichen Zusammenhalt bei. Ich glaube, wer wirklich etwas zur Überwindung der aufgerissenen Gräben zwischen Ost und West tun will und es mit der ausgestreckten Hand

ernst meint, der muss auch heute Mauern niederreißen, und seien es Brandmauern.

[Beifall bei der AfD]

Gerade die Menschen in Ostdeutschland haben ein feines Gespür für die Gefährdung von Demokratie. Da brauchen sie auch keine Belehrungen über Asylpolitik des ehemaligen SED-Mitglieds Geisel.

[Beifall bei der AfD]

Übrigens auch diejenigen, die sich vor dem 9. November mit der SED-Herrschaft arrangiert hatten, waren froh, dass die Verlogenheit der öffentlichen Medien, die allgegenwärtige Bespitzelung, die Gesinnungsschnüffelei und die vorgeschriebenen Treuebekundungen zum sozialistischen Staat endlich vorbei waren. Umso ernüchternder war es für viele gelernte DDR-Bürger und ihre Nachkommen allerdings, als sie beobachten mussten, wie sich spätestens seit 2015 die Anklänge an diese für überwunden geglaubten Zustände auch in der Bundesrepublik mehrten. Da wurde die Willkommenskultur zum unhinterfragbaren Dogma erhoben und die öffentlichrechtlichen Medien verkamen mehr und mehr zur Regierungssprachrohren. Nicht viel anders war es in der Coronazeit, wo Kritiker der Coronamaßnahmen wieder als staatsfeindliche Elemente mundtot gemacht wurden. All dies stieß den Menschen in Ostdeutschland bitter auf. Als gebrannte Kinder der Diktatur reagieren sie naturgemäß empfindlicher als Westdeutsche auf die Grenzüberschreitungen des Staates.

[Beifall bei der AfD – Zuruf von Christian Gräff (CDU) – Carsten Ubbelohde (AfD): Recht hat er!]

Genau aus diesem Grund –

[Zuruf von Christian Gräff (CDU)]

hören Sie doch bitte mal zu, Herr Gräff! – ist es übrigens auch eine große Genugtuung für viele Ostdeutsche, dass Donald Trump die Wahlen in den USA gewonnen hat,

[Zuruf von Anne Helm (LINKE)]

obwohl oder gerade weil er in den Mainstreammedien in Deutschland und im öffentlich-rechtlichen Rundfunk immer wieder verteufelt wurde. Denn die antiwoke Botschaft aus den USA ist gerade für viele Ostdeutsche ziemlich einfach zu entschlüsseln. Sie lautet: Jetzt müsst ihr im Westen mal von euren lieb gewordenen Gewohnheiten Abstand nehmen!

[Beifall bei der AfD]

Nachdem wir uns 1989/90 ändern mussten, seid ihr jetzt dran! –, und zwar aus dem einfachen und gleichen Grund: weil der Sozialismus in seinen unterschiedlichen Verpuppungen wieder mal keine Lösung, sondern Teil des Problems ist, damals wie heute.