Protocol of the Session on October 20, 2022

Laut Statista sind die Mieten in Berlin auch 2022 weiter gestiegen. Die Angebotsmieten zwischen dem ersten und dritten Quartal dieses Jahres haben sich um über 6 Prozent weiter erhöht. Das Spekulationskarussell mit Immobilien und Boden hat sich also in Berlin trotz Krisen weitergedreht und zeigt, wie zentral der Bestandsschutz von Mieterinnen ist. Diese extreme Notlage muss jetzt zu wirkungsvollen Notmaßnahmen führen. Wir brauchen jetzt einen Mietenstopp für alle Berlinerinnen, denn die Mieterinnen sollen zumindest nicht weiter belastet werden.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Beifall von Sebahat Atli (SPD) und Torsten Hofer (SPD)]

Es gibt leider bisher keine Übergewinnsteuer auf überteuerte Mieten; angebracht wäre es jetzt aber doch angesichts der Zeitenwende. Daher sind temporäre Einnahmeverzichte durch einen Mietenstopp für ein Jahr nicht zu

viel verlangt. Es wäre ein wichtiges Signal der Solidarität der Immobilienwirtschaft an die Mieterinnen und Mieter.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD und der LINKEN]

Machen wir uns nichts vor: Diese Krise wird nicht ohne Wohlstandsverlust gehen, denn wir werden nicht allen alles bezahlen können. Alle müssen ihren Beitrag leisten, und als Politik ist es unsere Aufgabe, hier in diesem Haus dafür zu sorgen, dass die Lasten gerecht verteilt werden. Auch deshalb ist es jetzt an der Zeit, dass auch die Immobilienwirtschaft sich an dieser Krise beteiligt.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Beifall von Sebahat Atli (SPD)]

Ich danke Ihnen, Herr Senator Geisel, dass Sie vor einigen Wochen ein Kündigungsmoratorium bei den landeseigenen Wohnungsunternehmen ausgesprochen haben. Das ist gut, aber das reicht noch nicht. Es kann ja nicht sein, dass wir als Land in dieser Situation auch noch die Mieten erhöhen. Wenn wir heute einen Mietenstopp von der privaten Wohnungswirtschaft einfordern, müssen wir das eben auch selbst tun und dem Beispiel von Potsdam folgen. Treten wir also endlich auf die Bremse! Ich bin sehr froh, dass nun auch Sie erkannt haben, dass ein Mietenstopp für die Berlinerinnen notwendig ist.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Es ist gut, dass die Bundesregierung jetzt das Wohngeld verdoppeln und den Empfängerinnenkreis verdreifachen will. Das ist über einen begrenzten Zeitraum notwendig, aber das Wohngeld packt das Problem eben nicht an der Wurzel. Es kostet nicht nur den Bund Geld, sondern auch uns als Land Berlin. Jedes Jahr werden wir wahrscheinlich 100 Millionen Euro oder mehr aufbringen müssen. Klar, soziale Wohnungspolitik gibt es nicht umsonst, aber wir können und wollen steigende Mieten nicht dauerhaft subventionieren. Zentral ist jetzt vor allem, Herr Geisel, die schnelle Umsetzung, damit die Menschen das Geld nicht erst im späten Frühjahr bekommen. Ich setze da ganz auf Ihre allseits bekannte Aufsichtspflicht und auf konkretes Handeln von Ihnen. Sie müssen die Bezirke unbedingt unterstützen!

[Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Elif Eralp (LINKE)]

Der eigentliche Hebel für einen Mietenstopp für alle liegt aber auf der Bundesebene. Neben einem Mietenstopp muss jetzt das angekündigte und wohl vereinbarte Kündigungsmoratorium durch den Bund kommen. Auch Indexmieten müssen endlich gedeckelt werden. Die Ampel musste sich jetzt entscheiden – die Mieterinnen jetzt schützen oder im Regen stehen lassen. Wir in Berlin als Rot-Grün-Rot sind dagegen klar: Wir tun alles, was wir können, um den Berlinerinnen und Berlinern nicht nur warme Worte, sondern warme Wohnungen zu sichern. – Vielen Dank!

(Taylan Kurt)

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Es folgt für die FDP-Fraktion Kollege Bauschke.

[Torsten Schneider (SPD): Jetzt sind wir gespannt! – Paul Fresdorf (FDP): Da könnt ihr gleich was lernen!]

Herr Schneider hört uns ja grundsätzlich gerne zu. – Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vergangenen Montag hat der Berliner Erzbischof Sozialverbände und Institutionen sowie Mitglieder dieses Hauses zum Hedwigsessen eingeladen. Die Tischrede hielt Professor Dr. Ottmar Edenhofer, der als Direktor und Chefökonom des renommierten Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung wahrscheinlich vielen hier im Haus bekannt sein wird. Seine Rede betraf dabei nicht nur die Folgen des Klimawandels, sie war vielmehr eine Art Plädoyer an die Politik, die richtigen Konsequenzen zu ziehen und klug zu handeln. Er betonte die absolute Notwendigkeit der industriellen Transformation und warnte vor den Folgen weiterer sozialer und gesellschaftlicher Spaltung. Ich muss gestehen, als dieser Impuls zu Ende war, war ich etwas ratlos. Auch noch als ich nach Hause fuhr, stellte ich mir die Frage: Wie sollen wir das jemals alles schaffen in diesem Riesenpaket der Herausforderungen?

Der dauerhafte Krisenmodus, in dem sich unser Land mindestens seit 2008 befindet, ermüdet und ermattet. Ich glaube, dieses Gefühl kennen wir alle, aber Hilflosigkeit und Ohnmacht können hier nicht die Antworten sein, denn Resignation und Scheitern sind keine Optionen. Das wird mir auch immer wieder bei den zahlreichen Begegnungen in dieser Stadt bewusst, wenn ich Gespräche mit Bürgerinnen und Bürgern, Vertreterinnen und Vertretern von Institutionen, Vereinen, Verbänden, aber auch von Unternehmen führe, Gespräche, in denen man die Hoffnungen und Erwartungen der Menschen spürt. Gerade in diesem Moment ist das die größte Motivation, auch wenn die politische Lösung anscheinend oft sehr schwer zu finden ist.

Unserem Land – der Titel der Aktuellen Stunde verrät es – steht ein schwieriger, wenn nicht sogar dramatischer Winter bevor. Auch die kommenden Jahre werden sicherlich nicht einfacher werden durch die Inflation, die drohende Rezession, die Energiekrise, den brutalen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, aber auch weitere Spannungsfelder wie den stagnierenden und zurückgehenden globalen Handel, die unvorhersehbaren Auswirkungen der mutigen Demonstrationen für die Freiheit im Iran und in Afghanistan oder die tagesaktuellen aggressiveren Drohungen Chinas gegenüber dem demokratischen

Taiwan. Die Herausforderungen sind gewaltig. Dabei müssen wir hier in Berlin doch jetzt alles tun, was in unserer Macht steht, um zumindest den Menschen die Antworten zu geben, die wir bieten können.

[Beifall bei der FDP]

Und da ist das gemeinsame Versprechen, niemanden in diesem Kältewinter zurückzulassen, das mindeste. Wir müssen die Voraussetzungen dafür schaffen, statt in Lethargie zu verharren. Späte Appelle an die BVG, irgendwann die Bahnhöfe für Menschen in Not zu öffnen, oder einen Anruf in Brandenburg, ob man vielleicht nicht doch helfen könne, können wir uns in diesem Winter – das sage ich mit absoluter Nüchternheit und Deutlichkeit – nicht leisten. Die können lebensgefährlich werden.

[Beifall bei der FDP]

Wir müssen uns bei diesen Herausforderungen verdeutlichen, wie wir zielgerichtet Lösungen und Perspektive anbieten. Die Zahl wurde schon genannt: obdachlose und wohnungslose Menschen. Wir wissen nicht ganz genau, wie viele davon in unserer Stadt betroffen sind. Bei Obdachlosigkeit gehen wir von 10 000 Menschen aus. Die Zählung ist leider aufgrund des Mangels an Freiwilligen ausgefallen. Bei wohnungslosen Menschen gehen wir von 31 000 Menschen aus. Ich gehe davon aus, dass die Dunkelziffer, die wir erwarten dürfen, noch mal wesentlich höher ist. Hinzu kommt die Anzahl der geflüchteten Menschen aus zahlreichen Regionen der Welt, wo wir bereits im Januar dieses Jahres kaum mehr freie Plätze hatten.

Klar ist, wir müssen jetzt ansetzen, mit jedem Baustein zu arbeiten. Da ist die Kältehilfe natürlich ein Baustein mit oberster Priorität, aber auch die Kältehilfe steht vor der Inflation und den steigenden Energiepreisen. Wir müssen hier insbesondere die unverzichtbaren Hilfseinrichtungen und Initiativen unterstützen, aus der Kälte flüchtet nämlich niemand in die Kälte. Die grundlegende Idee, Frau Senatorin, eines „Netzwerks der Wärme“ finde ich durchaus richtig und unterstützenswert, aber einfach nur bestehende Einrichtungen als mögliche Wärmepunkte aufzulisten, ist vielleicht zu wenig.

[Beifall bei der FDP]

Wir sind gespannt, wie sich dieses Projekt entwickelt. Seien Sie da auch unserer Unterstützung versichert! Wichtig ist, allein ein heißer Kaffee wäre, wenn, dann nur ein Tropfen auf den eiskalten Berliner Asphalt. Die Menschen brauchen in dieser Not dringend ein Zuhause, das Geborgenheit und Schutz bietet, vor allem ein Zuhause, bei dem sie keine Angst haben müssen, es zu verlieren. Der Bund – und das will ich an dieser Stelle festhalten – hat hier geliefert. Mit dem Abbau der kalten Progression ist dafür gesorgt, dass den Menschen mehr Geld bleibt. Die Einführung des Bürgergeldes und die Reform des Wohngeldes sind weitreichende sinnvolle Maßnahmen, um die steigenden Kosten etwas abzufedern.

[Beifall bei der FDP – Zurufe von der SPD und der LINKEN]

Diese Maßnahmen des Bundes müssen jetzt durch Maßnahmen des Landes Berlin ergänzt werden. Die Verantwortung endet dabei eben nicht allein bei landeseigenen Wohnungsunternehmen. Wenn ich mir die Überlegungen zum Mietenstopp anschaue, bei allem Verständnis dafür, müssen wir aber festhalten, dass es auch die Menschen bekommen, die es im Zweifel nicht brauchen. Wir brauchen hier zielgerichtetere, genauere, bessere Hilfen für die, die das brauchen.

[Beifall bei der FDP – Zurufe von den GRÜNEN – Torsten Schneider (SPD): Das ist ja das Gegenteil wie bei der kalten Progression!]

Wir haben Menschen, die jetzt schon jeden Cent doppelt umdrehen müssen. Und wenn wir über die Gruppe der Mieterinnen und Mieter in dieser Stadt sprechen, dürfen wir eine Gruppe nicht außer Acht lassen, die vor allem von der linken Seite oft vergessen wird, nämlich Kleinvermieter und Eigentümer, denn auch die stehen vor gewaltigen Herausforderungen. Wenn Mieterinnen und Mieter ihre Miete nicht mehr zahlen können, dann sind auch diese Menschen betroffen. Manche, ganz klar, können das verkraften, aber es gibt auch Betroffene, insbesondere im Kleinvermieterbereich, für die damit eine existenzielle Krise beginnt.

[Beifall bei der FDP]

Für manche ist es dann plötzlich die Altersvorsorge, die wegbricht. Es verschärft die soziale Lage in unserer Stadt. Ja, die Energiekrise macht Berliner Vermieter und Mieter zu einer Schicksalsgemeinschaft. Der „Tagesspiegel“ beleuchtete vor wenigen Wochen genau einen solchen Fall und fragte: Was wird aus diesem Haus? – Darauf muss die Politik jetzt antworten.

Für das Problem der Wohnungslosigkeit spielen sicherlich viele individuelle Faktoren eine Rolle. Das Problem der fehlenden und bezahlbaren Wohnungen in dieser Stadt hat jedoch einzig und allein politische Gründe. Als Freie Demokraten sagen wir es ganz klar: Die Bauverhinderungspolitik dieses Senats führt zu einer wachsenden Wohnungs- und Obdachlosigkeit. Hier zeigt sich das große Scheitern des Senats und der Regierungskoalition.

[Beifall bei der FDP]

Viele Berlinerinnen und Berliner finden schlicht und einfach kein Zuhause, weil es schlicht und einfach kein Zuhause mehr gibt. Die Landeseigenen können und sollen nicht mehr bauen, die Privaten sollen und dürfen nicht mehr bauen.

[Steffen Zillich (LINKE): Hat der intergalaktische Kontrollrat beschlossen oder was?]

Politbüro heißt es doch bei Ihnen, oder?

[Heiterkeit und Beifall bei der FDP – Beifall von Kai Wegner (CDU)]

Wenn wir den Kampf gegen die wachsende Wohnungs- und Obdachlosigkeit wirklich aufnehmen wollen, dann ist dies eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe von Bund, Land und Bezirken. Wenn wir Debatten führen, wo eine Fußbodenheizung oder ein Fahrstuhl zum Thema barrierefreie Wohnung plötzlich Ausdruck von Luxuswohnungen sind, dann sind das Debatten, die falsch laufen.

[Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Wir haben schon das Thema Sozialwohnungsbau angesprochen: null Anträge in diesem Jahr. Wenn ich an den Bereich der WBS-Wohnungen denke: Ein Zehntel der Menschen, die WBS-berechtigt sind, haben die Möglichkeit, eine dieser Wohnungen zu bekommen. Bis 2027 werden davon 25 Prozent aus der sozialen Bindung laufen. Man sieht, hier läuft etwas gewaltig schief.

[Beifall bei der FDP]

Über das Thema digitalisierte Verwaltung, leichte Antragstellung und Onlineverfahren schweige ich lieber. An wirkungsvollen Ansätzen muss es Ihnen aber nicht mangeln, liebe Koalition, denn wir als Freie Demokraten haben schon in der letzten Legislaturperiode ein durchaus starkes Papier mit liberalen Ansätzen zur Wohnungs- und Obdachlosigkeit erarbeitet und vorgelegt. Es ist kein neoliberales Hexenwerk, wie es sicherlich manche in diesem Haus bewerten würden, sondern es sind pragmatische und umsetzbare Vorschläge für eine würdevolle Politik, die den Menschen wirklich hilft und Elend und Not nicht nur verwaltet.

[Beifall bei der FDP]

Dazu gehört auch eine Housing-First-Strategie, die Perspektive bietet. Gerade hier in Berlin können wir auf die Expertise vieler erfolgreicher karitativer Träger zurückgreifen. Daher war es auch wichtig, dass wir die Mittel erhöht haben. Wir als FDP hätten die Mittel in den Haushaltsberatungen gerne noch weiter erhöht, es wurde aber leider nicht angenommen. Denn klar ist, wir müssen den Leuten eine Perspektive geben. Liebe Frau Kollegin Brunner! Diesen Seitenhieb kann ich mir nicht ganz verkneifen: Ich fand es wichtig und richtig, dass wir hier insbesondere über Frauen sprechen, aber wenn ich an das Thema Kriseneinrichtungen für Frauen denke, dann haben wir hier wirklich noch Hausaufgaben zu machen. Da hätten wir wesentlich schneller sein können.

[Beifall bei der FDP]

Sie sehen also, es sind zahlreiche Herausforderungen, für die wir Lösungen brauchen. Wenn uns dies nicht gelingt, wird das dazu führen, dass unser demokratisches System und unsere demokratische Kultur weiterhin ins Wanken geraten. Die rechten Ränder wachsen, die gesellschaftliche Spaltung nimmt zu. Die soziale Frage in diesem bevorstehenden Winter ist entweder Zündstoff oder Löschmittel. Was es ist, das liegt an uns und unseren Entscheidungen. Die große Mehrheit in diesem Haus ging doch in

die Politik, um irgendwie zu gestalten, und wir wollen doch auch noch gestalten. Es ist jetzt an uns, dass wir die Probleme lösen, Vertrauen schaffen und beweisen, dass unsere Demokratie stark, wehrhaft und mitfühlend ist. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der FDP]

Für den Senat spricht die Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales. – Bitte sehr, Frau Kipping!