Ich hatte vorhin auf Virchow verwiesen und auf die von ihm aufgezeigte Beziehung zwischen Verhalten und Verhältnissen.
Keine Zwischenfragen, danke! – Und wieder: Wir fordern Verhaltensänderungen der Menschen ein. Wir haben das bereits im November getan. Richtig war damals, Verhältnisse in Aussicht zu stellen, die das ermöglichen, weil über die sogenannten Novemberhilfen auch Existenzen gesichert werden sollten. Aber nun warten alle auf Auszahlung, manche sogar immer noch auf Antragstellung. Diesen Schuh, finde ich, muss sich die Bundesregierung anziehen. Hilfe war versprochen, aber: versprochen, gebrochen! – Das zeigt noch einmal: Die Häme über unser Handeln hier im Frühjahr war absolut unangebracht. Ja, mag sein, dass nicht alle, die damals finanzielle Hilfe bekamen, diese auch brauchten. Aber eine riesige Mehrheit brauchte sie und braucht sie schnell. Dafür haben wir gesorgt! Wir halten das für deutlich besser und angebrachter als das, was jetzt geschieht.
Aus Sorge, dass eine kleine Minderheit etwas unberechtigterweise bekommen könnte, werden nun alle mög
lichen Hürden errichtet, mit der Folge, dass nun auch die, die sie wirklich brauchen, auf Hilfe warten und einen riesigen Aufwand betreiben müssen, um sie zu bekommen. Das kann nicht sein!
Da muss sich auch niemand wundern, wenn einige versuchen, sich mit Glühweinverkauf über Wasser zu halten.
Zu diesen Verhältnissen, die wir in den Blick nehmen müssen, zählen auch die beengten Wohnverhältnisse, die es in unserer Stadt gibt. Deshalb bin ich froh, dass der Senat ein Konzept auf den Weg gebracht hat, Menschen aus beengten Wohnverhältnissen die Quarantäne in Hotels zu ermöglichen, die sonst geschlossen wären. Dazu gehört, Menschen ohne Wohnung eine Möglichkeit der Unterkunft auch am Tage zu bieten, und dazu gehören die 24/7-Unterkünfte, die die Sozialsenatorin an den Start gebracht hat.
Kein Verständnis habe ich allerdings dafür, dass es die Bundesregierung nicht schafft, wenigstens eine Anhebung des ALG-II-Satzes um 100 Euro auf den Weg zu bringen,
null Verständnis, dass es immer noch keinen Unternehmerinnenlohn für Soloselbstständige gibt, und auch null Verständnis, dass erst jetzt juristische Klarstellungen erfolgen, dass von der Pandemie Betroffene einen Anspruch haben, Gewerbemietverträge neu zu verhandeln, und noch weniger, dass es kein Anspruch auf Mietminderung ist. Deshalb werden wir in der Koalition über einen Antrag auf eine Bundesratsinitiative reden, die die Gewerbemieten, also Fixkosten für Unternehmen, begrenzt.
Durch die Krise kommen wir nur mit Solidarität. Deshalb braucht es, wenn jetzt weitere Maßnahmen in der Pipeline sind, weitere Hilfen und eine klare Aussage dazu. Die Einzelhandelsgeschäfte, die im Dezember und Januar schließen sollen, müssen eine klare Perspektive haben.
Debatten, wie der Chef der CDU-Bundestagsfraktion sie vom Zaune bricht, dass jetzt ein Ende der Fahnenstange erreicht sei, sind aus meiner Sicht unverantwortlich.
Aber immerhin hat ihm ja auch ein Ökonom widersprochen, der unverdächtig ist, ein Linker zu sein. Ich bin da ganz bei ihm: Jetzt ist die Zeit, Schulden zu machen und alles zu tun, die Pandemie zu bekämpfen und auch für die Folgen vorzusorgen. Aus den Schulden herauswachsen können wir, wenn die Wirtschaft wieder läuft. Jetzt braucht es, finde ich, ein kraftvolles What-ever-it-takes, um Sicherheit für alle zu vermitteln.
Liebe Berlinerinnen und Berliner! Vor uns liegen weitere schwere Wochen. Deshalb mein Appell: Halten wir Abstand zueinander, tragen wir Alltagsmasken, halten wir uns an Hygieneregeln, nutzen wir die Corona-Warn-App, lüften wir regelmäßig, wenn wir uns drinnen aufhalten, und vor allem: Halten wir die Zahl an physischen Kontakten zu anderen Menschen klein und überschaubar. Bei Letzterem kann übrigens auch ein kleines Notizbuch helfen.
Es gilt aber auch: Kontakte reduzieren ist nicht Isolation und darf nicht Isolation sein. Achten wir aufeinander! Die vielen Initiativen, die im Frühjahr in Berlin aus dem Boden geschossen sind, wo sich gegenseitig geholfen und aufeinander geachtet wurde, machten Mut. Lassen wir sie in den nächsten Wochen wieder aufleben. Auch unter den Bedingungen, dass Weihnachten und Neujahr nun vielleicht nur im kleinen Kreis begangen werden können, wünsche ich Ihnen allen geruhsame Feiertage und alles Gute für das neue Jahr! – Vielen Dank!
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist heute übrigens der 10. Dezember. Warum ich das so ausdrücklich betone, hat einen ganz besonderen Grund, denn erstens war es der 10. März, nämlich Dienstag, der 10. März, heute vor genau neun Monaten, da hat dieser Senat den ersten Lockdown beschlossen, nämlich die Großveranstaltungen in dieser Stadt zu verbieten.
Der zweite Aspekt, der diesen Tag besonders macht, ist, dass heute in wenigen Stunden der Beratertag der amerikanischen Arzneimittelbehörde stattfinden wird und wo mit großer Wahrscheinlichkeit im Anschluss die Zulassung des Coronaimpfstoffs von Biontech und Pfizer in den USA erfolgen wird. Sie wissen, in Großbritannien ist dieser bereits zugelassen. In Europa wird die Zulassung in den nächsten Tagen erfolgen.
Da muss man sagen: In neun Monaten einen solchen Impfstoff zu entwickeln, ihn zu erproben und zu einer Zulassung zu bringen, in so kurzer Zeit, das ist einmalig und ein riesiger Erfolg für Wissenschaft und Forschung, und es ist ein großartiges Zeichen der Hoffnung für all diejenigen, die sich so sehr nach Normalität sehnen.
Ein Impfstoff, der innerhalb von neun Monaten entwickelt wurde, bei dem die erste Impfung bereits eine erste Schutzwirkung herstellt, und bei der nach der zweiten Impfung eine Schutzwirkung von 95 Prozent besteht, ist also weitaus mehr als die meisten Experten im Vorfeld erwartet hatten. Da können wir als Berliner zu Recht stolz sein, dass Pfizer seine Firmenzentrale hier in Berlin hat. Das ist ein großartiges Zeichen für den Wissenschafts- und Forschungsstandort Berlin.
Was ich allerdings ziemlich befremdlich fand, ist, dass Rot-Rot-Grün dieses Thema für die Aktuelle Stunde angemeldet hat und ein bisschen suggerieren möchte, dieser Senat hätte mit dem Erfolg auch nur ansatzweise etwas zu tun.
Den Erfolg, den Sie daran haben wollen, den sehe ich nicht. Einfach 80 Impfkabinen in eine leere Halle mit einem Kühlschrank zu schieben, das ist kein Erfolg.
Ich vermute allerdings, Sie lenken damit wieder einmal den Fokus auf Erfolge anderer, um von den eigenen Misserfolgen abzulenken.
Da die Impfdosen sehr viele Menschen viele Monate lang nicht erreichen werden, weil kein Impfstoff für die gesamte Bevölkerung bereitsteht, sind wir immer noch weit von einem normalen Leben entfernt. Da lohnt es sich, hier am neunten Monatstag der Pandemie in Berlin über die Missstände des Senats zu reden, die in den nächsten Tagen und Wochen nachgebessert werden müssen, wenn Ihnen der Infektionsschutz tatsächlich wichtig ist.
Da nenne ich Ihnen einmal die Punkte, die aus Sicht der FDP am allerwichtigsten sind, für die man auch schnell Lösungen anbieten kann. Das Erste – Herr Dregger hat es schon richtig angesprochen –, das ist die ContainmentStrategie, das A und O in einer Pandemie, die schnelle Kontaktnachverfolgung potenziell Infizierter. Egal, wie gut die Impfung anläuft, das Virus wird nicht gänzlich verschwunden sein, jedenfalls definitiv nicht im nächsten Jahr. Deshalb wird es auch im nächsten Jahr das Wichtigste sein, die Infektionen schnell ausfindig zu machen, potenziell infizierte Kontaktpersonen zu informieren und dann auch zu isolieren. Da sehen wir, dass das in dieser Stadt einfach nicht funktioniert. Sie haben die Bezirksämter mit diesen Problemen alleine gelassen. Sie haben die Last auf die Bezirksämter abgewälzt, und das funktioniert einfach nicht mehr so weiter.
Wir haben Ihnen einen Vorschlag gemacht, wie man das besser organisieren könnte. Wir wollen ein KontaktCallcenter, das berlinweit organisiert ist zur Bekämpfung
dieser Pandemie. Sie müssen heute diesem Antrag eigentlich nur zustimmen oder demnächst in den Ausschüssen.
Der zweite Punkt, der genauso wichtig ist, das ist testen, testen, testen. Bis heute hat der Senat keine verbindliche und klare Teststrategie vorgelegt, weder in den Schulen noch in den Pflegeheimen. Und da ist es kein Wunder, wenn man lediglich Schnelltests an die Pflegeheime ausliefert und das als Eigenverantwortung der Heime betitelt, in Wirklichkeit aber die Pflegeheime mit diesem Problem alleine lässt. Da muss man sich nicht wundern, dass die Zahlen in den Pflegeheimen ansteigen. Und es ist bitter, dass nach neun Monaten der Koalitionspartner, die Grünen, als Opposition in der Koalition hier einen Fünfpunkteplan vorlegt. Mit all den Punkten haben Sie absolut recht, aber die fordern wir seit Monaten. Nach neun Monaten nun so einen Plan vorzulegen, anstatt hier tätig zu werden, ist einfach zu wenig.
[Beifall bei der FDP – Beifall von Dirk Stettner (CDU) – Silke Gebel (Bündnis 90/Die Grünen): Wir haben im März vorgelegt!]
Entschuldigung, die Luft ist hier sehr trocken in diesem Raum. – Und wenn wir schon beim Thema Versagen sind und trockener Luft, könnte ich sagen, dann kommen wir doch mal zu dem landeseigenen Unternehmen BVG. Es kann doch einfach nicht wahr sein, dass es bis heute in der BVG kein Hygienekonzept gibt. Es gibt nicht einen installierten Desinfektionsspender. Es gibt keine Möglichkeit, Abstände einzuhalten. Und die BVG tut hier alles, um diese Pandemie auszusitzen. Das dürfen Sie sich als Senat hier auch nicht gefallen lassen.
[Beifall bei der FDP und der AfD – Vereinzelter Beifall bei der CDU – Zuruf von Ülker Radziwill (SPD)]
Da haben wir einen umfangreichen Antrag mit Ideen eingebracht, wie wenigstens die Pflegekräfte und das medizinische Personal sicher zur Arbeit kommen, indem sie kostenlos parken dürfen und auch Taxigutscheine erhalten können. Sie müssen diesem Antrag hier heute eigentlich auch nur zustimmen, wenn Ihnen der Infektionsschutz wichtig ist.
Damit komme ich zu dem Punkt, der wahrscheinlich am meisten erklärt, warum Berlin die Pandemie nicht in den Griff bekommt, obwohl immer härtere Lockdownmaßnahmen erfolgen: Das ist das Problem der jahrzehntelang kaputtgesparten Krankenhäuser in dieser Stadt.
In Berlin haben wir derzeit 1 500 Infizierte am Tag. Das entspricht 0,04 Prozent der Bewohner dieser Stadt. Und wir alle wissen, dass nur die wenigsten, nämlich 5 Prozent, eine stationäre Hilfe in Anspruch nehmen