Protocol of the Session on October 1, 2020

Ein Blick nach Brandenburg könnte deshalb hilfreich sein, denn das dortige Ministerium für Bildung, Jugend und Sport bietet interessante Informationsseiten zum Wahlrecht ab 16 nebst einschlägigen Analysen und einer Broschüre. Ich denke, hier könnte das Land Berlin die sprichwörtliche Seite abschneiden, um das Thema insgesamt, nicht nur jungen Menschen, bewusster zu machen.

Mir war es im Zusammenhang mit unserer heutigen Beschlussfassung ein Anliegen, folgendes Problem mit deutlich zu machen: Die gesetzliche Senkung des Wahlalters wird nicht automatisch zum Selbstläufer. Wer glaubt, damit seien alle schwierigen Fragen erledigt oder zu erledigen, irrt. Es muss auch daran gearbeitet werden, immer wieder im praktischen Miteinander zu zeigen, welche Potenziale in die politische Mitarbeit junger Men

schen vor Ort für die weitere Ausgestaltung der Demokratie stecken.

Ich darf Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lux zu lassen?

Nein danke! – Unser Thema ist heute die Absenkung des Wahlalters der Bürgerdeputierten. Das ist die Sternstunde heute und kein anderes Thema.

[Beifall bei der CDU]

Es ist schade, dass Sie diese freudige Atmosphäre heute nicht mit uns so hundertprozentig teilen möchten, sondern sie noch immer trüben wollen. Das lasse ich mit einer Zwischenfrage nicht zu. –

Was wollte ich sagen? – Wer das bereits miterlebt hat, weiß, wie viel Kreativität, Begeisterung und Kraft aus einer solchen Zusammenarbeit erwachsen. Also freuen wir uns doch bitte alle gemeinsam, dass wir heute dafür einem breiten Konsens den Weg öffnen konnten. Deshalb noch einmal meinen herzlichen Dank an alle, die daran mitgewirkt haben!

[Beifall bei der CDU und der LINKEN – Beifall von Raed Saleh (SPD)]

Für die SPD-Fraktion hat Herr Kollege Dörstelmann das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, dass sich hier eine breite Basis gefunden hat, dieses Vorhaben zu stützen. Das betrifft – historisch betrachtet, wie wir es vorhin hörten – die Groß-Berliner genauso wie die Klein-Berliner. Es ist besonders erfreulich, dass es den Bezirken zugutekommen wird, wenn jetzt die Möglichkeit besteht, den jungen Berlinerinnen und Berlinern eine neue Möglichkeit der politischen Teilhabe auch in den Bezirksverordnetenversammlungen zu eröffnen.

[Beifall bei der SPD]

Warum ist es wichtig, dass wir diesen Weg gehen? – Es ist wichtig, um zunehmender Politikverdrossenheit bereits auf unterster Ebene ein Stück weit entgegenzutreten. Es ist eine gute Sache, wenn sich junge Menschen in einem solchen politischen Umfeld, in einem solchen Plenum in einer Fachausschusssitzung oder in anderer Form engagieren können.

(Emine Demirbüken-Wegner)

Ich glaube, dass sie dazu eine ganze Menge beitragen können. Und es ist auch richtig diesen Weg zu gehen, denn wir dürfen eins nicht vergessen: Die Bürgerdeputierten haben eine ganz bestimmte Aufgabe: Sie sind nicht in erster Linie Vertreterinnen oder Vertreter einer Partei. Sie sollen externen Sachverstand in die BVV mit hineintragen. Dafür ist es sachgerecht zu sagen, selbstverständlich können auch junge Leute im Alter von 16 bis 18 Sachverstand in eine BVV, in die Ausschüsse tragen. Das kann man doch gar nicht leugnen. Es ist doch sinnvoll, dass sie – insbesondere, aber nicht nur – über altersbezogene Themen zusammen mit den anderen diskutieren.

Das kann vieles sein. Das kann der Verkehr vor der Schule, das können die Zuständen in den Vereinen, in denen sie sich engagieren, das können Bedingungen der Ausbildungen sein. Sie dürfen eines nicht vergessen: Viele von ihnen – im Alter zwischen 16 und 18 – machen gerade Abitur oder haben bereits den mittleren Schulabschluss. Da stellen sich solche Fragen.

Da ist vielleicht keine gutachterlich ausgebildete, aber doch eine persönliche Expertise und ein Sachverstand naheliegend. Die sollten wir Ihnen auch nicht absprechen, sondern wir sollten ihnen das an dieser Stelle zutrauen. Deshalb würde ich Sie alle bitten, diesen Weg, dieses Vorhaben, das wir jetzt angestoßen haben und gehen, zu unterstützen und unseren jungen Leuten damit zu signalisieren: Wir trauen euch etwas zu. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN – Raed Saleh (SPD): Sensationell! – Sven Kohlmeier (SPD): Den roten Teppich machen wir das nächste Mal! Wir können auch zusammenhalten! – Beifall von Katalin Gennburg (LINKE)]

Für die AfD-Fraktion hat nun Herr Dr. Bronson das Wort. – Bitte schön! – Keine Zwischenfragen, sagt der Kollege an. Ich bitte jetzt um Ruhe!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen von der CDU! Auslöser dieser Debatte ist der Antrag. Sie wollen das Alter der Bürgerdeputierten auf 16 Jahre herabsenken und begründen es damit, dass es eine Kompatibilität geben müsse.

Auf der einen Seite haben wir die Wahlberechtigten für die Bezirksverordnetenversammlungen – BVV – mit ihren jungen 16 Jahren. Auf der anderen Seite sind die Bürgerdeputierten, die das 18. Lebensjahr vollendet haben müssen, um gewählt werden zu können. Diese von Ihnen versuchte Angleichung ist, mit Verlaub, grober Unfug.

[Beifall von Andreas Wild (fraktionslos) – Andreas Wild (fraktionslos): Bravo!]

Bürgerdeputierte sind in den BVV-Ausschüssen rede- und stimmberechtigt. Sie sind damit dem Bezirksverordneten gleichgestellt. Das Mindestalter für die Wahl als Bezirksverordneter liegt aber nicht bei 16, sondern richtigerweise bei 18 Jahren, insofern ist die von Ihnen angestrebte Kompatibilität bereits gegeben.

Es ist schon erstaunlich, dass ausgerechnet die CDU, die ansonsten – ebenso wie die AfD – jegliche Absenkung des Mindestwahlalters kategorisch ablehnt, jetzt mit einem solchen Antrag um die Ecke kommt. Sie stellen sich damit übrigens gegen die große Mehrheit der Deutschen. Nach einer Civis-Umfrage zur Bundestagswahl lehnen Dreiviertel der Befragten die Absenkung des Wahlalters ab. Knapp 64 Prozent gaben sogar an, das Wahlalter solle auf keinen Fall herabgesetzt werden. Was also treibt die CDU zu diesem seltsamen Vorgehen? – Es ist, leider zum wiederholten Mal, ein durchsichtiger Versuch, sich dem grünen Wunschkoalitionspartner anzubiedern.

[Beifall von Andreas Wild (fraktionslos) – Zuruf von der CDU: Was? – Lachen bei den GRÜNEN]

Das bleibt natürlich nicht unerwidert, denn es ist beileibe kein Zufall, dass der ursprüngliche Antrag der CDU heute von den Grünen neu verpackt zur Priorität gemacht worden ist. Sagen wir es deutlich: Mit sachgerechter Politik hat dieser Antrag nichts zu tun. Es ist vielmehr das traurige Dokument einer einstmals bürgerlich-konservativen Partei, die sich mittlerweile in inhaltlicher Beliebigkeit verliert.

[Beifall bei der AfD – Beifall von Andreas Wild (fraktionslos)]

Jetzt wird versucht, sich an die minderjährigen Klimahüpfer von Fridays for schulfrei ranzuwanzen.

[Anne Helm (LINKE): Wie reden Sie denn über Menschen?]

Das wird aber nicht funktionieren. Die 18-Jährigen werden die CDU trotzdem nicht wählen, die 16-Jährigen erst recht nicht. Jungwähler wollen mit dem schwarzen Kanzlerwahlverein einfach nichts zu tun haben. Freuen kann sich die CDU aber auf den baldigen Vorstoß der Grünen, die 16- bis 18-Jährigen auch zu Abgeordneten auf Landesebene zuzulassen, wie es der Kollege Lux angedroht hat.

[Hakan Taş (LINKE): Spricht ja nichts dagegen!]

Ein Wort an die noch nicht Achtzehnjährigen, die diese Debatte verfolgen: Auch die AfD schätzt das politische Engagement von Jugendlichen sehr.

[Beifall von Frank-Christian Hansel (AfD) – Zurufe von den GRÜNEN]

Ein politisches Amt jedoch, und sei es auch nur ein Ehrenamt, kann nicht pädagogische Ergänzung zum Poli

(Florian Dörstelmann)

tikunterricht an den Schulen sein. Es ist kein Betriebspraktikum. Politische Ämter, auch Ehrenämter sind zu wichtig und zu einflussreich, um als Spielwiese und Raum zum Ausprobieren missbraucht zu werden.

[Zurufe von Michael Dietmann (CDU) und Stefanie Fuchs (LINKE)]

Im Berliner Bezirksverwaltungsgesetz heißt es dazu in § 20 – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten –:

Bürgerdeputierte sind sachkundige … Bürger, die stimmberechtigt an der Arbeit der Bezirksverordnetenversammlung teilnehmen.

Das umschreibt die ursprüngliche Idee im kommunalen Verfassungsrecht: Bürgerdeputierte müssen sachkundig sein. Aus gutem Grund beginnt nach § 2 BGB die Volljährigkeit erst mit der Vollendung des 18. Lebensjahres. Das bedeutet auch, dass man erst dann voll geschäftsfähig ist und das aktive und passive Wahlrecht erlangt. 16Jährige können rechtswirksam noch nicht einmal ihren eigenen Berufsausbildungsvertrag unterzeichnen.

[Zuruf von der AfD: Genau!]

Sie sind schlicht nicht voll geschäftsfähig. Dennoch wollen Sie von der CDU sie zu Trägern politischer Entscheidungsgewalt machen.

[Zuruf von Stefanie Fuchs (LINKE)]

Das ist widersinnig und deswegen falsch. Was aber sachlich falsch ist, kann politisch nicht richtig sein.

[Beifall bei der AfD – Beifall von Andreas Wild (fraktionslos) – Frank-Christian Hansel (AfD): Das stimmt!]

Die AfD lehnt diesen Antrag ab. – Vielen Dank!

[Beifall bei der AfD – Beifall von Andreas Wild (fraktionslos) – Sven Kohlmeier (SPD): Was ist denn mit der anderen Fraktion der AfD?]

Für die Fraktion Die Linke hat nunmehr Herr Dr. Efler das Wort. – Bitte schön!

[Zuruf von Hakan Taş (LINKE) – Karsten Woldeit (AfD): Dürfen Sie schon wieder Auto fahren?]

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geschehen noch Wunder in diesem Haus: Rot-Rot-Grün bringt zusammen mit der CDU-Faktion einen gemeinsamen Gesetzentwurf ein und beschließt ihn auch hoffentlich gleich. Das ist, glaube ich, alles andere als selbstverständlich, gerade angesichts der sich hier immer stärker abzeichnenden Wahlkampfkulisse. Ich

finde, das ist ein positives Beispiel für eine demokratische parlamentarische Kultur – gerne mehr davon!