Sie nötigen uns hier sogar, eine namentliche Abstimmung ohne Rücksicht auf Hygieneregeln durchzuführen. Halten Sie einfach den Mund!
Der Shutdown, die Schließung von Geschäften, Kultureinrichtungen, Sportstätten, im gesamten Hotel- und Gaststättenbereich, die Einschränkung bei den körpernahen Dienstleistungen bis hin zu den Zahnärztinnen und Physiotherapeuten hat die Kurzarbeit und die Erwerbslosigkeit in Berlin in schon lange nicht mehr bekannte Höhe getrieben. Erstmals seit fünf Jahren haben wir wieder eine zweistellige Arbeitslosenzahl. Mehr als 38 000 Firmen haben Kurzarbeit angemeldet. 47 000 Menschen haben während der Krise ihre Arbeit verloren. Die coronabedingten Kündigungen liegen in Berlin über dem Bundesdurchschnitt. Warum ist das so? – Berlin ist Dienstleistungsmetropole, und Berlin ist immer noch Hauptstadt prekärer und oft auch nur bedingt existenzsichernder Arbeit. In dieser Krise zeigen sich in unserer Stadt die dramatischen Folgen der Niedriglohnstrategie, die jahrelang von den verschiedenfarbigen Bundesregierungen verfolgt wurden. Wer nur den Mindestlohn oder nur knapp über den Mindestlohn verdient und jetzt Kurzarbeiter- oder Arbeitslosengeld bekommt, der oder die kann davon nicht leben. Der Weg führt direkt zum Jobcenter zu ergänzendem Hartz IV.
Viele Beschäftigte im Hotel- und Gaststättenbereich bekommen noch nicht einmal Kurzarbeiter- oder Arbeitslosengeld. Als geringfügig Beschäftigte oder mit Minigehältern plus Schwarzgeld landen sie direkt in Hartz IV. Der Senat hat auf die Krise schnell reagiert und verschiedene Hilfsprogramme für die Unternehmen, die Kultur, die Soloselbstständigen, die sozialen Einrichtung aufgelegt. Das ist gut und notwendig. Dafür vielen Dank!
Jetzt ist der Zeitpunkt, wo wir darüber nachdenken müssen, wie wir weitere Förderungen auch in gesellschaftlich sinnvolle und notwendige Kriterien binden können. Dazu zählen gute Arbeit, tarifliche Bezahlung, Bereitschaft zu betrieblicher Ausbildung, ökologische Nachhaltigkeit und Klimagerechtigkeit. Wie kann es sein, dass die Bundesregierung 9 Milliarden Euro zur Rettung eines einzigen Konzerns bereitstellt, ohne dass diese Kriterien wirklich erfüllt werden? 9 Milliarden für die Lufthansa, und die kündigt jetzt Arbeitsplatzabbau an. Ich glaube, das geht nicht.
Auch im Konjunkturpaket der Bundesregierung von gestern Abend konnte ich nichts zu guter Arbeit, Tarifbindung, Pflege oder Anerkennung der großen Leistung der Beschäftigten in der Krise lesen.
Ich weiß – ich habe das Konjunkturpaket gut gelesen –, dass die SPD echt gekämpft hat. Aber wer mit der CDU und der CSU regieren muss, bekommt halt nicht das heraus, was er herausbekommen würde, wenn wir als Rot-Rot-Grün regieren würden.
Das kann ich nachvollziehen, weil die Situation in diesem Bereich dramatisch ist, der auch für unsere Stadt so wichtig ist. Aber gerade hier darf es keine bedingungslose Förderung geben. Wie heißt es immer so schön: In jeder Krise liegt eine Chance. Hier haben wir die Chance, wirklich umzusteuern, gute Arbeit und ökologische Nachhaltigkeit in den Dienstleistungen zu verankern und zur Bedingung für staatliches Geld zu machen. Das muss für uns hier in Berlin genauso gelten wie auf Bundesebene. Beide, Bund wie Länder, müssen bereit sein, schnell in Arbeit und Beschäftigung zu investieren.
Wenn die Coronakrise nicht zu einer neuen Welle von struktureller Erwerbslosigkeit führen soll, brauchen wir sinnvolle Konjunktur- und Arbeitsmarktprogramme für all diejenigen, die vor allem auf absehbare Zeit nicht zurück in ihrer alten Jobs können, weil sich ihre Branchen beispielsweise massiv verändern. Ich nenne nur als Beispiel den ganzen Bereich der Reiseunternehmen, des Businessverkehrs. Videokonferenzen machen viele Reisen demnächst unmöglich. Da werden sich richtige strukturelle Veränderungen andeuten. Darauf müssen wir reagieren.
Schon vor der Coronakrise hatten junge Menschen deutschlandweit die schlechtesten Chancen, einen betrieblichen Ausbildungsplatz zu erhalten. Nur 11 Prozent der Berliner Betriebe bilden aus. Viele Unternehmen haben jetzt angekündigt, ihr Ausbildungsengagement im neuen Ausbildungsjahr verringern zu müssen. Wir dürfen nicht einen ganzen Jahrgang zurücklassen. Es ist schon gut, dass die meisten Azubis im letzten Ausbildungsjahr trotz widriger Bedingungen ihre Abschlüsse machen können. Aber das reicht nicht. Auszubildende, deren
Betrieb den Ausbildungsvertrag gekündigt hat, brauchen bei der Suche nach einem neuen Ausbildungsbetrieb Hilfe durch die Kammern, die Bundesanstalt für Arbeit, durch die Verbundberatung, durch die Berufsagentur.
Frau Kollegin! Ich darf Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wild, fraktionslos, zulassen.
Nein! – Es ist richtig, dass aufnehmende Betriebe dann auch eine Unterstützung bekommen, wie es jetzt auch das Konjunkturpaket der Bundesregierung vorsieht. Es ist gut, dass der Senat das Berliner Ausbildungsprogramm ausweiten will. Für die duale Berufsausbildung brauchen wir aber die Unternehmen. Auch in der Krise können sie sich ihrer Verantwortung für die jungen Menschen und der Sicherstellung ihres eigenen Fachkräftebedarfs nicht entziehen. Deshalb bitten wir die landeseigenen Unternehmen ebenso wie den öffentlichen Dienst selbst, jetzt über den Bedarf auszubilden und Vorbild zu sein.
Die Verbundausbildung ermöglicht es auch kleinen Betrieben, sich an der Ausbildung zu beteiligen. Ich appelliere an die Unternehmen, das im Interesse der jungen Menschen zu nutzen. Wer aber partout nicht ausbildet, auch wenn er es könnte, der sollte sich finanziell an der Ausbildung der Fachkräfte der Zukunft beteiligen.
Leave no one behind – lass niemanden zurück, das gilt auch für die Jugend in Berlin. Schon jetzt ist die Jugendarbeitslosigkeit überproportional angestiegen. Das ist Gift für eine solidarische Stadtgesellschaft. Auch die Menschen mit Einwanderungsgeschichte sind überproportional von der neuen Arbeitslosigkeit betroffen. Deswegen ist es gut, dass sowohl die Arbeits- wie die Bildungsverwaltung mit den Sozialpartnern auf Hochtouren arbeiten, um in der Ausbildung
und mit der Schaffung neuer schulischer und überbetrieblicher Ausbildungsmöglichkeiten Neues zu schaffen.
Besonders getroffen sind die Beschäftigten in den Werkstätten für behinderte Menschen. Viele Werkstätten sind geschlossen, Aufträge bleiben aus. Da die dort Arbeitenden nicht offiziell als Beschäftigte gelten, bekommen sie weder Kurzarbeiter- noch Arbeitslosengeld. Der Senat hat für sie einen Rettungsschirm in Höhe von 500 000 Euro vorgesehen; das ist schon mal gut. Es ist aber jetzt schon deutlich absehbar, dass es weitere Mittel brauchen wird,
In einer solchen tiefgreifenden Krise ist es überhaupt nicht egal, wer regiert. Ich bin froh, dass der Senat sichergestellt hat, dass die Träger in den sozialen, kulturellen und beschäftigungspolitischen Bereichen weiterarbeiten können und konnten und die Chance bekamen, neue digitale Formate auszuprobieren.
Die Krise hat aber auch deutlich gemacht, wie tief die soziale Spaltung unserer Gesellschaft geht. Der Aufforderung, zu Hause zu bleiben, können obdachlose Menschen nicht nachkommen. Der Maßgabe, Abstandsregelungen einzuhalten, können Menschen, die in Gemeinschaftsunterkünften leben, kaum gerecht werden. Auch hier hat der Senat gezeigt, dass er kreativ Politik gestalten kann. Bundesweit einmalig hat die Senatorin dafür gesorgt, dass drei 24/7-Einrichtungen für obdachlose Menschen eingerichtet wurden. Dort können sie sich nicht nur aufhalten und die Hygieneregeln einhalten, sondern sie bekommen auch Wiedereingliederungsangebote. Die Coronakrise zeigt: Sammelunterkünfte sind nicht pandemietauglich. Wir müssen den Weg hin zu Unterkünften in Wohnungs- und Appartmentstrukturen beschleunigen. Wir brauchen die Grundstücke von den Bezirken für den Bau von modularen Bauten. Das gilt nicht nur für obdachlose und geflüchtete Menschen, sondern für alle, die in Gemeinschaftsunterkünften leben.
[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD – Carsten Ubbelohde (AfD): Nach Hause schicken!]
Diese Krise zeigt, wie wichtig das Öffentliche ist, wie wichtig es ist, dass wir mit Vivantes und Charité leistungsfähige landeseigene Kliniken haben, die die Krankenversorgung sicherstellen. Jetzt muss es darum gehen, dass für die Beschäftigten insgesamt im Gesundheitssektor gute Arbeit und bessere Arbeit geschaffen wird. Deshalb unterstützen wir den Krankenhauspakt von Verdi.
Die Krise zeigt auch, wie wichtig eine handlungsfähige Stadt ist. Für uns gilt: Wir werden nicht in die Krise hineinsparen. Wir brauchen weitere Investitionen in die öffentliche Infrastruktur, in den Schulbau, in unsere soziokulturelle Infrastruktur. Wir wollen eine solidarische, weltoffene und gastfreundliche Stadt bleiben, in der niemand zurückgelassen wird. Das wird uns in den nächsten Jahren vor noch größere Herausforderungen stellen. Umso wichtiger ist es, dass wir jetzt für Strukturveränderungen sorgen, die Berlin als lebenswerte Stadt erhalten. Dafür brauchen wir im Bund ein Umdenken. Es kann jetzt nicht um Steuersenkungen gehen, sondern darum, die Vermögenden an der Finanzierung der Krise zu beteiligen.
Es ist gut, dass sich der Senat für eine Anhebung des Hartz IV-Satzes einsetzt; 100 Euro mehr sind schon wichtig. Leider findet sich nichts davon im Kulturpaket.
Wer bezahlt die Krise? Das wird die entscheidende politische Frage der nächsten Monate. Für uns ist klar: Es dürfen nicht die Transfergeldbeziehenden, die Niedrigverdienenden, die Kinder, die Alleinerziehenden, die Rentnerinnen und Rentner sein. Umverteilung von oben nach unten ist das Gebot der Stunde.
Warum ich jetzt über das Konjunkturpaket entlastet werde, kann ich nicht richtig nachvollziehen. Ich glaube, da müssen wir noch deutlicher und schärfer werden in dem, was Umverteilung heißt. – Danke schön!
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die weltweite Coronapandemie macht vor Deutschland und Berlin nicht halt. In den vergangenen Sitzungen des Abgeordnetenhauses galt unsere besondere Aufmerksamkeit der Gesundheits- und Wirtschaftspolitik, wohl wissend, dass die getroffenen Maßnahmen weit in die Gesellschaft hineinwirken. Auch deshalb ist es gut, dass wir uns heute im Besonderen mit der Arbeits- und Sozialpolitik befassen. Eines ist mir bei all dem wichtig: Es war und ist das Coronavirus, nicht der Staat, das unsere Grundrechte einschränkte.
Niemand hat sich irgendeine Entscheidung leicht gemacht, auch wenn es immer jene geben wird, die schon immer alles besser wussten und entsprechende Masterpläne für diese nie dagewesene Situation in den Schreibtischschubladen hatten. Lassen Sie uns gerade deshalb fair und lösungsorientiert den Ist-Zustand und weitere Schritte besprechen.
Offen gesagt: Ich bin stolz auf unser Land. Kaum ein Land kommt besser durch diese Krise hinsichtlich der Infektionszahlen, hinsichtlich der Instrumente des Sozialstaates. Kaum ein Land nimmt mehr Mittel für die verschiedensten Hilfen in die Hände – ja, auch der viel gescholtenen schwarzen Null wegen, die uns diese Hilfen erst ermöglichte.
Mit welchen Situationen sehen wir uns in Berlin konfrontiert? – Zunächst zur Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt: Erstmalig seit dem Jahr 2015 haben wir in Berlin wieder mehr als 200 000 Arbeitslose. Die Quote ist gegenüber 2019 um 2,2 auf 10 Prozent gestiegen. Zum Vergleich: In Brandenburg sind es im selben Zeitraum nur 0,8 Prozent gewesen. Das hat auch etwas mit Besonderheiten des Berliner Arbeitsmarktes zu tun, ja, das ist richtig, sagt aber ebenso etwas über die in Berlin getroffenen und nicht getroffenen gezielten frühzeitigen Maßnahmen aus.
In diesem Zusammenhang kann ich Ihnen von Rot-RotGrün einige unangenehme Fragen nicht ersparen: Warum haben Sie kleine und mittelständische Unternehmen mit über 10 bis 100 Beschäftigten nicht von Beginn an unterstützt? Die sogenannte Soforthilfe V, die über die IBB erst seit dem 18. Mai zu beantragen ist – der Coronazuschuss –, hatte mit „sofort“ reichlich wenig zu tun. Alle anderen Bundesländer waren früher dran. Die Wahrheit ist: Hier mussten Sie zum Jagen getragen werden, Frau Senatorin Pop!
Was Berlin zuvorderst rettet, ist das starke Vorgehen der Bundesregierung. Einige Maßnahmen seien hier beispielhaft genannt: Das Kurzarbeitergeld, ohnehin ein Segen, wurde deutlich verbessert. Die Anspruchsdauer des Arbeitslosengeldes wurde verlängert. Der Zugang zur sozialen Grundsicherung wurde erleichtert, ebenso der zu weiteren existenzsichernden Leistungen. Der Zugang zum Kinderzuschlag wurde vereinfacht. Es gibt Zuschüsse für soziale Dienste. Es gibt deutliche Verbesserungen bei den Zuverdienstmöglichkeiten in der Kurzarbeit und hinsichtlich des Steuerfreibetrags für Rentnerinnen und Rentner. In der vergangenen Nacht hat sich die große Koalition – darauf dürfen wir auch mal gemeinsam stolz sein, dies in Richtung der Berliner SPD gesagt – auf 57 weitere Punkte im Umfang von 130 Milliarden Euroverständigt. Dies sind konjunkturbelebende Maßnahmen, die uns sicherlich deutlich weiterhelfen werden.