Protocol of the Session on April 2, 2020

Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit rund drei Wochen befindet sich unsere Stadt in einem jetzt schon historischen Krisenmodus. Das öffentliche Leben ist stark heruntergefahren. Wir halten physischen Abstand, wir bleiben zu Hause, damit wir das Virus nicht übertragen, damit wir Leben retten – und das werden wir.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Die allermeisten haben es verstanden, und deswegen reden wir nicht über frühzeitige Lockerungen, sondern wir reden darüber, wie wir das erhalten, was unsere tolle Stadt und die Menschen, die hier leben, ausmacht. Was für eine Zeit, in der Krankenpfleger, Ärztinnen, Busfahrer, Paketboten, Polizei, Rettungskräfte und Kassiererinnen arbeiten, was das Zeug hält, und anderen im Homeoffice und Homeschooling die Decke auf den Kopf fällt. Manche Leute werden dieser Tage sehr einsam, aber sehr viele haben auch Angst um ihren Job und ihre wirtschaftliche Grundlage.

Deswegen helfen die Regierungen von Bund und Ländern – damit wir gut durch diese Krise kommen. Es ist eine ordentliche Kraftanstrengung, wie das Land Berlin mit rund 1 Milliarde Euro und der Bund mit rund 2 Milliarden Euro in kürzester Zeit wirtschaftliche Soforthilfen auf die Beine stellen. Schnellste und unbürokratische Hilfen in kürzester Zeit – wer hätte das gedacht?

Mit dem Soforthilfeprogramm I haben wir den Liquiditätsfond der Investitionsbank Berlin für alle Branchen und Unternehmen mit weniger als 250 Beschäftigten geöffnet, sowie für Selbstständige und Angehörige der freien Berufe, um die wirtschaftlichen Folgen der Krise zu bekämpfen. Alleine hier wurden in den letzten 14 Tagen 100 Millionen Euro an verfügbaren Mitteln bereitgestellt; in einem zweiten Schritt werden diese Mittel auf 200 Millionen Euro erweitert werden.

Das Soforthilfeprogramm II ist der zentrale Bestandteil der Berliner Hilfspakete gegen die wirtschaftlichen Folgen der Coronapandemie. Es ist ein Zuschussprogramm für Kleinunternehmen und Solo-Selbstständige mit bis zu

15 000 Euro Soforthilfe. Dieses Programm steht für kleine und Kleinstunternehmer aus einer Vielzahl von Bereichen offen. Die Investitionsbank Berlin leistet mit diesem Programm schnell und unbürokratisch Hilfe. Mit Stand gestern sind 143 000 Anträge ausgezahlt;

1 268 418 124,65 Euro sind geflossen. Es sind 150 000 Antragsteller und Antragstellerinnen, es sind 210 000 weitere Menschen dort beschäftigt. Folglich erreichen wir rund 360 000 Menschen mit diesen Soforthilfen. Das ist eine Wahnsinnsleistung unserer Investitionsbank, und das lassen wir uns auch nicht von Miesmachern und Besserwissern kleinreden.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Ich bin der festen Überzeugung, die Zuschüsse bringen viele Kleinunternehmen und Selbstständige in Berlin über die nächste Zeit. Gerade in den von der Krise hart getroffenen Unternehmen und Branchen rund um Veranstaltungen, Messe, Reisen, Gastgewerbe und Kultur kommt die Hilfe genau richtig. Wir werden diese Hilfen fortführen und ausdehnen. Natürlich werden wir auch an den sozialen Bereich, die größeren Berliner Unternehmen denken, die noch eher über den nächsten Monat kommen, aber die sich auch um die Zukunft sorgen. Hier werden wir als Land Berlin nicht alles abdecken können, hier stehen auch Banken und Sparkassen in der Verantwortung, Kredite zu gewähren, die die IBB nicht tragen kann. Natürlich setzen wir auf das weitere Engagement, auf die Kooperation des Bundes, die geladene Bazooka. Nur gemeinsam können wir unser wirtschaftliches Leben durch die Krise bringen.

Wir als Berlinerinnen und Berliner, wir als Abgeordnetenhaus von Berlin wissen, wie hart dieses Geld verdient und wie wichtig es ist, jeden Euro verantwortungsvoll auszugeben. Als ich im Oktober 2006 Abgeordneter wurde, befand sich Berlin mitten in der Haushaltskonsolidierung. Seitdem hat sich die Situation unseres Landes deutlich verbessert. Wir haben seit acht Jahren positive Jahresergebnisse und konnten Schulden zurückzahlen, Wir haben das letzte Jahr mit einem Wirtschaftswachstum von 3 Prozent abgeschlossen. Diese positiven finanzpolitischen Entwicklungen, kombiniert mit den Erfahrungen aus den schweren Jahren der Haushaltskonsolidierung versetzen uns nun in die Lage, verantwortungsvoll und sehr schnell erste gezielte Schritte im Kampf gegen die Folgen der Coronapandemie zu gehen. Unsere Anstrengungen, unserer Attraktivität als Land Berlin und unser verantwortungsvolles Handeln in den letzten Jahren liefern nun die Grundlage, um vielen Kleinunternehmern und Kleinunternehmerinnen, Soloselbstständigen und Kreativen, dem Schuster an der Ecke, der Yogalehrerin, der Projektagentur, der Autorin, ihrem Lieblingsbuchladen, der Kiezkneipe und dem Späti konkrete Hilfe anzubieten.

Aber, das wollen wir nicht verschweigen, es stehen uns harte Jahre bevor, wenn die Krise gesundheitlich

(Frank-Christian Hansel)

überstanden sein wird. Steuereinnahmen werden wegbrechen, unsere Landesunternehmen und Beteiligungen, auch die Flughafengesellschaft rutschen dieser Tage tief in die Miesen. Nach acht Jahren mit satten Überschüssen wird Berlin dunkelrote Zahlen schreiben. 22 600 Berliner Unternehmen haben bereits Kurzarbeit beantragt. Zu Recht werden wir weitere existenzsichernde Maßnahmen ergreifen müssen: beim Mieterschutz, bei der Grundsicherung, bei der Steuer und bei Insolvenzen. Unsere Wirtschaft ist ja gerade auch eine soziale Marktwirtschaft, eine Gesellschaftsordnung der Freiheit und des menschlichen Miteinanders.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Wir als Gesellschaft und vor allem wir als Politik brauchen Vertrauen, um den vor uns stehenden Ausgleich zu organisieren, bei dem die starken Schultern mehr tragen werden, aber auch nachhaltige, regionale und natürlich ökologische Impulse für ein Wiedererstarken die Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft gesetzt werden müssen. Wir wissen, jetzt helfen wir schnell und unbürokratisch. Wir wissen aber auch, spätestens bei der Steuererklärung müssen wir abrechnen, ob die Zuschüsse zur Existenzsicherung nötig waren. Das Geld ist hart erarbeitet, wir können es nicht ohne Sinn und Verstand ausgeben. Auch in der Krise muss ein investierter Euro ein gut investierter Euro sein.

[Sibylle Meister (FDP): Dann macht mal!]

Aber, worauf wir jetzt schon stolz sein können, ist die Hilfsbereitschaft und Leistungsfähigkeit vieler Unternehmen in der Stadt. Es braucht eben auch in der Krise nicht nur den starken Staat und viel Geld, sondern auch Kreativität und Solidarität, das Handeln jedes Einzelnen und der Unternehmen. Es ist doch toll, wenn wie gestern, die Bayer AG mit dem Landeslabor Berlin verkündet, die Testkapazitäten zu erhöhen.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Es ist doch gut, wenn KaDeWe und Lafayette ihr Personal für den Ökobäcker bereitstellen, anstatt auf Kurzarbeit zu gehen. Wenn im Netz von den Schulen, Unis, Opernhäusern, Museen, Theatern und Clubs digitale Angebote für Bildung und Kultur geschaffen werden. Wenn mit Berlin (a)live eine Plattform geschaffen wird, mit der jeder im Netz Berliner Kulturangebote abrufen kann, oder wenn die Technologiestiftung „Hack the Crisis“ macht und jeder dort neue Geschäftsideen entwickeln kann. Oder wenn sich gerade die kleinen, sympathischen Läden im Kiez organisieren. Jetzt ist auch die Stunde für Onlineshops aus und für den Kiez gekommen. Wie meine Kollegin Nicole Ludwig, die eigentlich hier hätte sprechen sollen, mit viel Herzblut in ihrem Charlottenburger Kiez, aber auch darüber hinaus unterwegs ist, um die lokalen Händler digital zu vernetzen, das ist großartig. Davon brauchen wir mehr!

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Beifall von Dr. Clara West (SPD)]

Auch wir als Konsumenten und Konsumentinnen haben eine Verantwortung und die Wahl. Unterstützen wir die lokalen Händlerinnen und Händler, unterstützen wir die nachhaltigen Angebote! Mal ist es nur ein Klick weiter, vielleicht ein paar Cent teurer, aber es gibt in der Regel mehr Qualität und Charme vor Ort. Das Geld, das wir jetzt nicht in unserer Stammkneipe lassen, zahlen wir später als Trinkgeld nach.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Mitmenschlichkeit, Innovation, Nachhaltigkeit und zivilgesellschaftliches Engagement machen uns krisenfest, bieten Förderung unabhängig von Geld und pushen jetzt die Möglichkeiten, die uns mit der Digitalisierung gegeben worden sind. Bei so viel Engagement, das dieser Tage läuft, bei der Selbsthilfe in einem ungeahnten Ausmaß, da bleibt einem die Spucke weg. Dafür können wir wirklich dankbar sein. Es ist so wichtig, dass die Menschen sich jetzt dort einbringen können, wo sie am meisten gebraucht werden.

Aber, bei Ebbe sieht man auch, wer nackt im Wasser war.

[Heiterkeit bei den GRÜNEN und der LINKEN]

Damit meine ich: Ist unsere Art und Weise, wie wir in den großen Industrienationen leben, wirtschaften und arbeiten nachhaltig? – Nein, sie ist es nicht! Ist der absolute Verlass auf den globalen Markt schlau? – Nein! Lieferketten vielleicht sogar bei Medizinprodukten werden noch lange unter Druck stehen, je nachdem, wo das Virus gerade wütet. Deswegen sind natürlich regionale Impulse, die uns in dieser Krise sichern, auch welche, die uns nach der Krise leistungsfähiger machen werden. Das wird eine zentrale Erkenntnis aus dieser Ausnahmesituation sein: Regionale, kreislauforientierte Systeme sind krisenfester und eine wichtige Ergänzung zur globalen Wirtschaft.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Wir alle auf dieser Welt müssen an systemerhaltenden Strukturen, Produktion, Handel und Versorgung auf lokaler Ebene arbeiten, wo es geht, digitalisiert, nachhaltig. Die internationale Arbeitsteilung bleibt wichtig. Aber nur gemeinsam heilen wir uns gegen das Virus, gesundheitlich, wirtschaftlich und sozial. Das ist gerade keine Absage an unseren internationalen Handel und unsere internationalen Kooperationen. Globale Kooperation, davon bin ich fest überzeugt, und auch europäische Solidarität werden nach dem Virus umso wichtiger sein, gerade jetzt, wo die gestrigen Kräfte allerorten vor sich hin dilettieren, handlungsunfähig, machtgeil, verantwortungs- und völlig orientierungslos und fern jeder wissenschaftlichen Evidenz.

[Zuruf von Holger Krestel (FDP)]

Oh, fühlen Sie sich angesprochen? – Jetzt ist die Zeit, umzusteuern, um gestärkt aus der Krise herauszukommen. Wir werden unsere Wirtschaft nachhaltiger aufstellen müssen, und wir werden das tun. Eine leistungsfähige Wirtschaft ist die, die nicht nur einem einzelnen Menschen, einer Gruppe oder nur einem Staat dient, sondern allen Menschen gemeinsam. – Vielen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Für die FDP-Fraktion hat jetzt Frau Meister das Wort. – Bitte schön!

Vielen herzlichen Dank! – Meine Damen! Meine Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Wenn Sie Bilder sehen vom Ku’damm, vom Tauentzien an einem Samstag, dann denken wir eigentlich, dass dort Menschenmassen unterwegs sein müssten, Touristen, die die Straßen bevölkern, Berliner und Berlinerinnen auf der Suche nach einem letzten Geschenk vor Ostern, auf der Suche nach kleinen Dingen, mit denen man anderen Freude macht. Was Sie aber sehen, ist große Leere. Es ist ein Laden neben dem anderen geschlossen. Es trifft sie alle, ob Zara oder Gucci dransteht, ob Primark oder KaDeWe, es trifft sie alle.

[Katalin Gennburg (LINKE): Das ist nicht Ihr Ernst! – Zuruf von Sven Kohlmeier (SPD)]

Hinter jedem Laden, hinter jedem Fenster verbirgt sich ein persönliches Schicksal,

[Torsten Schneider (SPD): Mir blutet wirklich das Herz! – Weitere Zurufe von der SPD und der LINKEN]

ein persönliches Schicksal von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, die dort mit niedrigen Löhnen vielfach Teilzeit arbeiten, über denen jetzt Kurzarbeit hängt mit 60 Prozent ihrer Löhne und die nicht wissen, wie es weitergehen soll. Viele, die inhabergeführte Geschäfte betreiben, stehen dort und überlegen sich, wie sie am nächsten Tag die Rechnungen zahlen, weil sie eben nicht nur die Gehälter ihrer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zahlen müssen, sondern die Lieferanten, den Handwerker, ihre Nebenkosten bezahlen müssen.

[Torsten Schneider (SPD): Ku’damm-FDP!]

Ich möchte nicht, dass genau diese Menschen in 14 Tagen auf einmal ihre Krankenversicherung nicht mehr zahlen können,

[Beifall bei der FDP – Beifall von Roman Simon (CDU) und Andreas Wild (fraktionslos)]

weil diese Menschen genauso wie unsere Handwerker, unsere Journalisten, die Restaurantbesitzer, Kulturbetrei

ber, wie Opernsänger, wie alle möglichen Menschen unsere Wirtschaft sind, die Menschen, die vor Ort die Arbeit leisten. Deswegen ist es so wichtig, genau diesen Menschen zu helfen. Deswegen ist es richtig, dass wir alle im Hauptausschuss auch diesen Programmen zugestimmt haben und dass das Geld schnell und deutlich fließt.

Natürlich wird es so sein, ich glaube, darüber sind wir uns alle im Klaren, dass wir an der einen oder anderen Stelle auch noch eine Nachregulierung brauchen werden. Wenn Sie sich überlegen, was es heißt, dass das Kurzarbeitergeld 60 Prozent ihres Nettolohns bedeutet, dann überlegen Sie sich das einmal, was es bei einem Gehalt einer Verkäuferin oder eines Menschen heißt, der nur sehr wenig Geld verdient.

[Beifall bei der FDP – Beifall von Dirk Stettner (CDU) und Andreas Wild (fraktionslos)]

Ich hoffe, dass es viele hier in dem Raum gibt, die sich das überhaupt vorstellen können, was es heißt, wenn es wirklich richtig knapp wird, wenn es ganz knapp wird. Deswegen ist es wichtig zu überlegen und darüber nachzudenken, auch für uns, wie es am Ende des Tages weitergehen kann, weil Wirtschaft immer auch ein Stück Psychologie ist. Wirtschaft braucht Hoffnung, braucht ein Maß zwischen dem Schutz unseres höchsten Guts, das wir haben, unserer Gesundheit, und einem wirtschaftlichen Abwägen der Folgen. Deswegen müssen wir auch irgendwann kreativ sein und überlegen, ob es Möglichkeiten gibt, ob es Chancen gibt, eventuell über Zugangsbeschränkungen, Mundschutz, Apps, neben dem kleinen Buchladen auch den Schreibwarenladen nebenan wieder zu eröffnen,

[Katina Schubert (LINKE): Der Buchladen ist doch offen!]

ob es Möglichkeiten gibt, nicht nur dem Drogeriemarkt, auch der Parfümerie oder dem Restaurant, natürlich der kleinen Gastronomie, der Terrassenwirtschaft, dem Biergarten, etwas zu ermöglichen.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der AfD – Beifall von Roman Simon (CDU)]

Deswegen ist es wichtig, dass wir darüber nachdenken, wie es weitergehen könnte, dass wir den Menschen klarmachen: Ja, wir haben ihr Schicksal im Blick, und wir überlegen uns, wie es weitergehen könnte, und wir denken auch über Alternativen nach, weil es für die Menschen irgendwann existenziell wird. Dann werden sie sich schwertun, dabei zuzuschauen, wie ihr eigenes Lebenswerk, ihr eigener, gerade gegründeter Laden, die eigene Idee, das eigene kleine Unternehmen auf einmal auf der Strecke bleibt. Auf einmal geht alles vor die Hunde. Auf einmal können sie nicht mehr schlafen und wissen nicht mehr, wie sie ihren Kredit, der noch aus alten Zeiten stammt, bedienen sollen. Dann werden die Menschen

(Benedikt Lux)