Aber die wichtigste Frage ist noch nicht gestellt: Das ist die Frage der Nachhaltigkeit. Nach Deutschland sollen noch Horst Seehofers Planungen jährlich 200 000 Migranten kommen. Die werden nach dem Königsteiner Schlüssel verteilt, das bedeutet 5 Prozent für Berlin. 5 Prozent von 200 000 sind 10 000, das heißt pro Bezirk und Jahr ungefähr 1 000 Migranten über die Asylschiene jährlich.
Die sogenannten MUFs im Osteweg und Dahlemer Weg fassen zwischen 300 und 400 Migranten. Wenn sich mein Bezirk mit der offensichtlich bemühten Bezirksbürgermeisterin Cerstin Richter-Kotowski seit 2017 schwertut, diese Standorte zu befürworten, kann man ihr das glauben. Aber bei diesen beiden sogenannten MUFs geht es doch nur um zwei Drittel der Migrantenmenge, die in der Zukunft nach der Planung der Bundesregierung der Bezirk jedes Jahr aufnehmen muss! – Das ist die Best-CaseVariante ohne erneute Krise.
Das kann doch nur heißen, dass wir ab heute jedes Jahr in jedem Bezirk drei solcher Standorte genehmigen müssen. Die Krisen im Islambogen und in Afrika werden nicht ausgehen. Wollen Sie mal nachrechnen, wie lange es dauert, bis in Berlin alle Parkflächen mit MUFs vollgebaut sind? Was wird dann sein? – Da nutzt Ihnen auch ein Gesamtkonzept nichts, liebe Frau Seibeld hinter mir! – Vielen Dank, tschüss!
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Es wird die Überweisung des Antrags sowie der Änderungsanträge federführend an den Ausschuss für Integration, Arbeit und Soziales und mitberatend an den Ausschuss für Bil
dung, Jugend und Familie sowie an den Hauptausschuss empfohlen. – Widerspruch hierzu höre ich nicht. Dann verfahren wir so.
In der Beratung beginnt die Fraktion der FDP, und hier die Kollegin Dr. Jasper-Winter. – Bitte schön!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Alle Menschen haben eine berufliche Perspektive verdient. Dafür braucht es das Bekenntnis zur Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung. Es ist eine Frage der Gerechtigkeit, dass jede und jeder eine Chance hat, ganz unabhängig von Herkunft und Engagement der Eltern.
Nur wenn der Zugang zu Bildung allen offensteht, können wir das Zukunftsversprechen gegenüber jungen Frauen und Männern auch einlösen. Darum ist die Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung für uns Freie Demokraten mehr als nur ein Lippenbekenntnis.
Wir brauchen ein vielfältiges Bildungsangebot. Nur so können wir den ganz individuellen Begabungen und Interessen aller Menschen gerecht werden.
Der Senat teilt eigentlich dieses Selbstverständnis – zumindest steht es so im Koalitionsvertrag. Die Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung ist eben eine Frage der Wertschätzung. Wenn junge Menschen sich frei für einen beruflichen oder akademischen Ausbildungsgang entscheiden sollen, dann geht es um drei Punkte: erstens Wertschätzung aller Bildungswege, zweitens die Anschlussfähigkeit an den Arbeitsmarkt und drittens um die Klarheit, welcher Bildungsweg eigentlich in welchen Beruf führt, und da habe ich viele Fragezeichen.
In Berlin befinden sich zurzeit 93 195 junge Menschen auf dem beruflichen Bildungsweg. Sie bereiten sich in den Oberstufenzentren und Berufsschulen der Hauptstadt auf ihr Berufsleben vor. Doch wohin führt sie dieser Weg, und wie gut sind sie auf das Berufsleben vorbereitet? Wie gut passt die jeweilige Ausbildung zu den
persönlichen Interessen und Begabungen? – Diese Fragen sind aktuell nicht ausreichend beantwortet. Wir beobachten in Berlin zum einen, dass junge Menschen mit im Durchschnitt 21,6 Jahren eine berufliche Ausbildung beginnen. Hier vergeht vom Schulabschluss bis zum Beginn der dualen Ausbildung viel Zeit. Zum anderen machen viele Schülerinnen und Schüler zunächst eine vollzeitschulische Ausbildung, um dann noch einmal eine duale anzuschließen.
Wir haben den Eindruck, dass sich einige junge Menschen einfach in Warteschleifen befinden, und das kann hier doch nicht das Ziel sein!
Deshalb fordern wir mit dem vorliegenden Antrag eine echte Bestandsaufnahme der vollzeitschulischen Ausbildungsgänge. Wir wollen mithilfe einer wissenschaftlichen Evaluation wissen, wie hoch die Abschlussquoten sind, inwiefern eine Anschlussfähigkeit an den Arbeitsmarkt gegeben ist und ob es unnötige Doppelstrukturen zwischen schulischer Ausbildung einerseits und dualer Ausbildung andererseits gibt, die den Eintritt in den Arbeitsmarkt verzögern. Dabei möchten wir auch diejenigen zu Wort kommen lassen, die man bisher kaum befragt: Schülerinnen und Schüler. Was hat sie dazu bewegt, einen bestimmten Ausbildungsgang zu wählen? Und vor allem: Was hat es ihnen gebracht?
Verstehen Sie mich nicht falsch! Wir stehen nicht für die Abschaffung vieler vollzeitschulischer Ausbildungsgänge per se. Wir wollen eine Vielfalt im System erhalten – aber natürlich dort, wo es Sinn macht. Das ist jetzt alles nicht neu. Sie denken sich vielleicht: Warum ist der Antrag denn nötig, wo es doch ein Projekt ProWebeSO gab, das sich jahrelang mit genau dieser Thematik befasst hat? – Das hat es. Aber zum einen werden die Ergebnisse dieses Projekts vom Senat schlicht nicht umgesetzt. Der Senat hat uns letztens erklärt – halten Sie sich fest! –, dass sage und schreibe ein Ausbildungsgang nun genau unter die Lupe genommen wird. Das kann ja wohl nicht das Ergebnis eines Reformprozesses sein!
Zum anderen beobachten wir, dass es auch einen Stillstand der Diskussion innerhalb der Sozial- und Wirtschaftspartner, OSZ und der Verwaltung gibt, und dass die unterschiedlichen Erwartungen hier einfach dazu führen, dass man nicht vorankommt und sich einigt.
Deshalb brauchen wir eine neutrale, wissenschaftliche Stelle, die den Blick aller Akteure berücksichtigt und zu einer Gesamtbetrachtung der Situation zusammenführt. Erst wenn das geschehen ist und die Interessen ausgeglichen sind, können wissenschaftlich fundierte und zugleich praxistaugliche Empfehlungen an die Politik formuliert werden. Nur auf einer solchen Grundlage kann der Reformstau endlich gelöst werden.
Wenn gelten soll, dass niemand verloren gehen darf, dann müssen wir daran jetzt etwas ändern. Die berufliche Bildung in Berlin braucht endlich Klarheit, Anschlussfähigkeit und echte Wertschätzung, und hierfür machen wir heute einen ersten Schritt.
Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Kollegin Jasper-Winter! Den Konsens haben Sie am Anfang Ihrer Rede festgehalten: die Gleichwertigkeit der allgemeinbildenden und der beruflichen Ausbildung. Das ist Konsens in diesem Haus, und da ziehen wir gemeinsam an einem Strang wie bei vielen anderen Themen auch, die Sie in Ihrer Rede angesprochen haben.
Nun ist Evaluieren eines der gern genutzten Worte im politischen Bereich. Im Kern geht es ja dann immer darum, sich selbst zu vergewissern, ob die politischen Maßnahmen Früchte tragen. Berufliche Bildung und Ausbildung bilden eine maßgebliche Säule der Bildungs- und Schulpolitik. Es geht nämlich darum, Menschen erstmals für einen Beruf zu qualifizieren, aber auch nach einer beruflichen Ausbildung weiterzuqualifizieren, und es braucht – das ist auch klar – verschiedene Angebote für verschiedene Menschen mit völlig unterschiedlichen Qualifikationen. Aus diesem Grund bietet Berlin auch ein unglaublich breites, manchmal zugegebenermaßen auch ein etwas unübersichtliches Angebot in der beruflichen Bildung und Ausbildung an: klassische duale Ausbildung, berufliche Gymnasien, Berufsfachschulen, Berufsoberschulen und manches mehr. Die integrierte Berufsvorbereitung IBA gehört auch dazu. Wie wir geflüchtete Menschen für den Arbeitsmarkt qualifizieren, spielt nachher unter einem weiteren Tagesordnungspunkt noch eine Rolle.
Wir werden heute den Antrag zur Beratung in die zuständigen Ausschüsse überweisen. Ob es aber Sinn macht, erneut das Ausbildungssystem einer umfassenden Evaluation zu unterziehen, will ich in Zweifel ziehen. Sie sprachen selbst das Projekt ProWebeSO an – die Weiterentwicklung und Stärkung der beruflichen Schulen und Oberstufenzentren. Das hat nämlich nach 2014 in Berlin eine große Rolle gespielt, und wir haben auch schon sehr umfassend unser Berufsausbildungssystem untersucht und bewertet. Dazu liegen aus mehreren Projektphasen Zwischenberichte und Abschlussberichte mit umfas
senden Empfehlungen vor, die erst in Teilen umgesetzt sind. Da haben Sie recht. Ob wir allerdings ein Erkenntnisdefizit oder ein Umsetzungsdefizit haben, ist relativ eindeutig: Wir befinden uns eher in der Umsetzung, weil die Erkenntnisse in den Abschlussberichten vieler enthalten sind.
Übrigens haben in diesem Projekt Schulleitungen, Wissenschaft, Politik, Verwaltung, Wirtschafts- und Sozialpartner und andere mitgewirkt. Mit anderen Worten: Eigentlich haben wir das geleistet, was Sie so umfassend in Ihrem Antrag fordern, und zahlreiche Fragestellungen, die in der Begründung des Antrags aufgeführt sind, sind bereits erörtert worden.
Nein, danke! – Das Berliner Ausbildungsmodell – BAM – ist zum Beispiel ein Ergebnis des Projektes ProWebeSO und wird seit dem Schuljahr 2017/18 an mehreren OSZ erprobt. Es stellt sich darüber hinaus auch die Frage nach dem zusätzlichen Erkenntnisgewinn, zumal die Erkenntnisse des ProWebeSO II, also aus der zweiten Projektphase, in die Evaluierung einbezogen werden sollen. Insbesondere die Bildungsübergangsstrukturen der berufsfachschulischen Angebote sind ja gemäß diesen Ergebnissen aus ProWebeSO angepasst worden. Aufgrund der Anzahl der zu qualifizierenden Jugendlichen, der Prognose der Schülerzahlentwicklung sowie der niedrigen Ausbildungsbetriebsquote ist das alternativlose Einstellen der Berufsfachschulangebote in größerem Umfang ohnehin keine unmittelbare Handlungsoption.
Nicht so ganz verstehe ich, was bei Ihnen mit einer externen, unabhängigen Evaluation gemeint ist. Wenn es nur darum geht, dass am Ende die üblichen Beratungsgesellschaften teure Aufträge bekommen haben – also das Modell von der Leyen –, dann sage ich ganz ehrlich, dass ich den Partnern, die in diesem ProWebeSO-Prozess beteiligt waren und die sehr umfassend ausgewählt worden sind, deutlich mehr zutraue. Alles Weitere können wir dann im Ausschuss bzw. in den Ausschüssen gemeinsam diskutieren. Wie gesagt, ich glaube, in vielen Punkten ziehen wir an einem Strang.
Es macht aber Sinn, Erkenntnisse, die man vor relativ kurzer Zeit gewonnen hat, zunächst einmal umzusetzen, bevor man die nächste Evaluation und das nächste Pro
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen! Der Kollege Buchner muss nach meinem Eindruck irgendwie immer dann ran, wenn es darum geht, etwas abzulehnen, was eigentlich total sinnvoll ist.
Als wir zuletzt im Ausschuss darüber geredet haben, dass uns selbstverständlich eine sofortige Verbeamtung helfen würde, hat Frau Dr. Lasić fluchtartig den Ausschuss verlassen, die Senatorin ist auch gegangen, und Herr Buchner musste erklären, warum das Blödsinn ist. Ich habe nun wieder den gleichen Eindruck: Zu einem Antrag, der absolut sinnvoll ist, wird als Begründung angeführt, dass er nicht notwendig ist, und er wird in die Ausschüsse überwiesen. Wenn wir nur ein Vollzugsproblem und kein Erkenntnisproblem hätten, frage ich mich, warum der Senat seit knapp zwei Jahren nicht das umsetzt, was an Erkenntnissen und Beschlüssen auf dem Tisch liegt.
Gucken wir uns das insgesamt an. Das haben meine beiden Vorredner ja auch getan. Die berufliche Bildung ist Teil der Gesamtbildung. Wir wollen, dass unsere Kinder, bestmöglich ausgebildet, von der Kita über die berufliche Ausbildung zu einem guten Job kommen. Wenn wir uns diesen Gesamtvorgang in Berlin anschauen, stellen wir fest, dass wir massive Probleme haben, denn wir sind leider in fast allen Bereichen ganz hinten. Das betrifft den Bereich der Bildung. Wir haben das in den letzten Wochen eingehend diskutiert. Wir, das Land Berlin, sind in jedem Monitoring, in allen Ergebnissen, in allen Bewertungen ganz hinten. Wir haben große Probleme, unsere Lehrer in Berlin zu halten, und wir haben im Bereich der beruflichen Bildung eine Vielfalt und einen Beginn der Ausbildung mit dem höchsten Stand in ganz Deutschland – wir haben also auch dort Zeiten, die wir verlieren für unsere Kinder.