Protocol of the Session on November 14, 2019

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Einsamkeit ist ein real bestehendes Problem in der heutigen Gesellschaft. Ein Beauftragter für Einsamkeit wird dieses Problem nicht lösen – warum? –, weil Einsamkeit ein vielschichtiger Begriff ist mit ungefähr genauso vielfältigen Ursachen: Individualisierung, die Forderung nach beruflicher Flexibilität und soziale Isolation durch Hartz IV befördern das Leben allein. Wenn dies als politisches Problem begriffen wird, müssen auch die entsprechenden Ursachen benannt und angegangen werden.

[Beifall von Carsten Schatz (LINKE) und Steffen Zillich (LINKE)]

Wer über Vereinzelung und Einsamkeit spricht, muss auch über Verdrängung aus dem gewohnten Kiez reden. Wer darüber spricht, muss auch über Altersarmut und prekäre Lebensverhältnisse sprechen, denn wer kein Geld hat, ist von sozialer Teilhabe ausgeschlossen. Die Debatte zur Grundrente auf Bundesebene hat die CDU meines Erachtens in der Öffentlichkeit verloren. Sie wollen einen Einsamkeitsbeauftragten, gleichzeitig fällt es Ihnen aber sehr schwer, die Altersarmut zu bekämpfen. Das ist entlarvend.

[Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Wer über Einsamkeit redet, muss über Wohnungsbau und Stadtplanung reden, wo fußläufig erreichbare, barrierefreie Begegnungsräume und soziale Orte mitgeplant werden müssen. Berlin stärkt mit dem nächsten Haushalt unter anderem die Stadtteilzentren. Lichtenberg schreibt gerade eine neue Seniorenbegegnungsstätte aus. Die städtischen Wohnungsbaugesellschaften wie zum Beispiel die HOWOGE in Lichtenberg plant beim Neubau Begegnungsräume mit ein.

Und wer über Einsamkeit spricht, muss natürlich auch über Pflege sprechen, eine Pflege, die alte Menschen zu Hause mit Kurzbesuchen versorgt – unter dem Diktat der Wirtschaftlichkeit. Hier ist weder Geld noch Zeit, sich um diese Menschen wirklich zu kümmern, ganz zu schweigen von den Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte.

(Dr. Hugh Bronson)

Berlin wird dazu Anfang 2020 eine Bundesratsinitiative starten, die fordert, dass Leiharbeit in der Pflege verboten wird.

[Beifall von Carsten Schatz (LINKE)]

Und wie Gesundheitssenatsverwaltung startete den Pflegedialog 2030 mit diesem Prozess. Es wird eine nachhaltige Perspektive für gute Pflege und Pflegebedingungen in Berlin entwickelt.

Wer über Einsamkeit spricht, muss auch über Kinderarmut sprechen. Die soziale Isolation der Eltern hat entsprechende Folgen für die Kinder. Dagegen hilft das kostenfreie Mittagessen in der Grundschule, das kostenfreie Bahnfahren für Schülerinnen und Schüler, der kostenfreie Besuch von Museen und Theatern und das vor Kurzem von der Koalition beschlossene Jugendförder- und Beteiligungsgesetz.

[Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Einsamkeit entsteht dann, wenn es an sozialer Einbindung in die Gemeinschaft fehlt und das Gefühl entsteht, dass es einem an Menschen mangelt, mit denen man Zeit verbringen kann und die einem helfen, wenn man sie braucht.

Als Lösung all dieser Probleme einen Beauftragten zu fordern, ist Schaufensterpolitik. Deutlich wirksamer ist es, Angebote zu stärken, die Menschen zum Beispiel zu Hause aufsuchen. Auch dafür habe ich ein Beispiel aus Lichtenberg: Der Verein „Miteinander Wohnen“ mit seinen 250 Mitgliedern in Friedrichsfelde macht genau das; sie gehen nach Hause, fahren die Menschen zum Arzt, laden zum Sport, zum Kuchen ein, verbinden die Menschen. Solche Beispiele gibt es natürlich nicht nur in Lichtenberg. Konzentrieren wir uns doch einfach auf diese Maßnahmen!

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Ülker Radziwill (SPD)]

Vielen Dank! – Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Schlömer das Wort.

[Kurt Wansner (CDU): Jetzt kommt die soziale Kälte wieder!]

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Demirbüken-Wegener! Ich zitiere eine Parteikollegin von Ihnen, die ich sehr schätze. Diana Kinnert, Mitglied der CDU Berlin, hat es einmal in einem Interview in einer Zeitung sehr treffend skizziert – ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin:

Die Einsamkeit im Alter hat drastische politische Auswirkungen: Krankheiten nehmen zu, die Gesundheitskosten steigen. Gleichzeitig gehen Solidarität und Empathie zurück, Misstrauen und Angst machen sich breit, ein Nährboden für populistische Politik. Auch Deutschland braucht eine Anti-Einsamkeits-Offensive.

Diese Aussage teilen wir im Grundsatz, denn sie ist eine sehr treffende Aussage. Aber wir glauben, einen Einsamkeitsbeauftragten, den brauchen wir nicht; denn ein Einsamkeitsbeauftragter ist selber ein Einsamer – ein Einsamer, der Einsame sucht.

[Heiterkeit und Beifall bei der FDP]

Die Sonderorganisation, organisationsrechtlich betrachtet, steht allein in der Ablauf- und Aufbauorganisation der öffentlichen Verwaltung. Sie steht außerhalb der Fachlichkeit und hat keinen Zugang zum staatlichen Unterstützungssystem. Deshalb lehnen wir Sonderorganisationen wie Beauftragte, in diesem Fall einen Einsamkeitsbeauftragten, prinzipiell ab. Es ist Aufgabe der Zivilgesellschaft, es ist Aufgabe von bürgerschaftlichem Engagement und Aufgabe von Ehrenamtlern und nicht Aufgabe des Staates. Wir anerkennen auf der anderen Seite, dass Einsamkeit die Kehrseite von Selbstbestimmung und Freiheit ist. Sie erfordert Solidarität zu allen Generationen. Es zeigt sich denn auch in Studien, dass neben den zu erwarteten Zahlen von einsamen Menschen in hohem und höchsten Alter vor allen Dingen auch junge Menschen um das 35. Lebensjahr herum sich einsam fühlen. Darauf wird in ihrem Antrag kaum oder gar nicht eingegangen. Dieses Phänomen der Einsamkeit in jungem Alter ist bisher kaum erforscht und bedarf vorerst einer umfassenden Untersuchung, bevor hier voreilig Mutmaßungen angestellt werden.

[Beifall bei der FDP]

Ich glaube, es ist richtig, die Zivilgesellschaft zu stärken, zivilgesellschaftliche Institutionen zu stärken, Institutionen wie Silbernetz oder die von Frau Klein dargestellten. Ich glaube, dass wir mehr Aufmerksamkeit zeigen müssen, mehr Offenheit zeigen müssen, dass wir uns Mühe geben müssen alle miteinander im zivilen Gemeinwesen, und Empathie zeigen müssen, auf andere Menschen zugehen und sie ernst nehmen, Opfer für sie bringen, das ist der richtige Weg. Es mag unsexy sein, aber ein Beauftragter hilft uns nicht. Danke schön!

[Beifall bei der FDP – Beifall von Kurt Wansner (CDU)]

Vielen Dank! – Für die Fraktion Bündnis 90/Grüne hat die Kollegin Dr. Kahlefeld das Wort.

(Hendrikje Klein)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Beauftragte können eine sehr sinnvolle Einrichtung sein, denn sie haben einen sehr klaren Auftrag, sind ihrem einen Thema verpflichtet und können es ressortübergreifend vorantreiben. Ein Beauftragter/eine Beauftragte für das Problem Einsamkeit macht aber keinen Sinn, und wir lehnen den Antrag der CDU-Fraktion ab.

Der Antrag bietet für das Problem der Einsamkeit keinen politischen Lösungsansatz und ist in seiner fachlichen Schnoddrigkeit ausgesprochen ärgerlich. Ganz offensichtlich wird ein ernstes Problem benutzt, um sich zu profilieren, denn es gibt gerade ein großes mediales Interesse dafür, aber es gibt kein wirkliches Interesse an seiner Lösung. Ich bin eigentlich sicher, dass die CDU-Fraktion das selbst genauso einschätzt, denn sonst hätte sie in den Haushaltsberatungen die Mittel für eine Beauftragte eingestellt,

[Heiko Melzer (CDU): Es gibt so etwas wie den Hauptausschuss!]

in der Senatsverwaltung, wie es der Antrag fordert, oder im Gesundheitsressort. Aber das hat sie nicht getan. Es gab überhaupt keine Initiative der CDU zum Thema Einsamkeit in den zurückliegenden Haushaltsberatungen.

[Jürn Jakob Schultze-Berndt (CDU): Die sind noch nicht abgeschlossen!]

Was es gibt, sind mehrere Artikel zum Thema Einsamkeit diverser Berliner Printmedien aus dem Mai letzten Jahres. Dort findet sich auch das Zitat von Berlin als Hauptstadt der Einsamkeit, und ein großer Teil der Zahlen, die ich gerade in der Rede der Kollegin noch einmal gehört habe.

Ja, es gibt in einer Großstadt wie Berlin viele Menschen, die einsam sind. Stadtluft macht frei, und diese Freiheit eröffnet die Möglichkeit, neue Kontakte zu knüpfen und neue Beziehungen aufzubauen. Aber: Oft sind Familien und Freunde mobil, ziehen weg und dann bleiben Menschen auch alleine zurück. Einsamkeit kann außerdem Menschen jeden Alters befallen, das hat Herr Kollege Schlömer gerade auch schon gesagt. Viele junge Menschen leiden darunter, entweder länger oder in Phasen. In den genannten Berliner Presseartikeln des letzten Jahres ist zu lesen, dass 49 Prozent der Menschen in Berlin in einem Einpersonenhaushalt leben. Aber daraus kann man auf keinen Fall auf Einsamkeit schließen. Fachlich ist Einsamkeit ein sehr komplexes Phänomen. Als Gegenstand politischen Handelns ist es nicht isoliert zu betrachten, sondern strukturell vergleichbar mit Gesundheitsfragen als Querschnittsaufgabe.

Der vorliegende Antrag ist unausgegoren, er ist mit den Fachleuten in der Stadt nicht hinreichend abgesprochen und nimmt den vorhandenen Sachverstand und die Erfahrung vor Ort nicht ernst. Wer ernsthaft etwas gegen Einsamkeit tun möchte, muss Nachbarschaften und Kieze

schützen, hier leben alte Menschen in ihren lange gewachsenen Strukturen. Nach der Verdrängung aus ihren Wohnungen ist die Einsamkeit vorprogrammiert. Jugendliche brauchen Angebote, in denen Sie sich ausprobieren und Anschluss finden können. Sinnvoll ist alles, was schon genannt wurde, auch von der Kollegin Klein. Erhalt und Stärkung von Besuchsdiensten, eine Thematisierung von Einsamkeit im Kontext von Jugendarbeit, die Unterstützung für passgenaue, kluge Projekte wie Silbernetz, die Förderung von Mehrsprachigkeit in der Sozialen Arbeit, die Lösungen müssen so vielfältig sein, wie es das Problem der Einsamkeit selbst ist.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Vielen Dank! – Dann hat die Kollegin DemirbükenWegner um eine persönliche Bemerkung nach § 65 der Geschäftsordnung gebeten.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Meine Kollegin sagte, dass ich die Arbeit der freien Träger verachten würde. Das ist ganz schön – – Ja, mir fehlen eigentlich die Wort, wie ich dieses interpretieren soll. Fakt ist, dass ich das vehement zurückweise, Frau Kollegin! Falls Sie meinen Ausführungen gefolgt sind: Ich habe gesagt: Man darf Verantwortung nicht abgeben an Wohlfahrtsverbände, denen die Rahmenbedingungen dafür nicht gegeben sind.

Wenn Sie das Wortprotokoll verinnerlicht hätten, dann hätten Sie auf Seite 7 auch die Aussage von Frau Schilling gelesen, dass die Finanzierung des Wohlfahrtswesen kaum Aufwüchse, außer tarifliche Lohnleistungen, aufweist und es somit für die Verbände fast unmöglich ist, sich eines neuen, bis dato noch eher vernachlässigten Themas, allein auf ehrenamtlicher Basis anzunehmen. Wortprotokoll, Frau Kollegin! Darüber hinaus, weil Sie hier immer sagen, keiner hat das gefordert. Ich unterstreiche noch einmal: Silbernetz-Stellungnahme, in der steht: ein Parlamentarischer Staatssekretär.

Noch einmal mit Blick auf die anderen Koalitionäre: Lesen Sie weiterhin auf Seite 7, dort wird durch Silbernetz e.V. der Blick nach Großbritannien gerichtet und gesagt, Berlin sollte endlich einmal – –

Frau Kollegin Demirbüken-Wegner! Sie sind in einer persönlichen Erklärung!

Das gehört eigentlich alles dazu,

[Torsten Schneider (SPD): Sie widerspricht der Präsidentin!]

weil dies mit dem Thema verhaftet ist.

Darüber hinaus, liebe Frau Kahlefeld, warten Sie doch einmal ab, was die Haushaltsberatungen Ende des Monats ergeben und beraten Sie sich dann einmal.

[Anja Kofbinger (GRÜNE): Sie hätten es doch schon längst anmelden können!]

Frau Kollegin! Das ist nicht Bestandteil einer persönlichen Erklärung!

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Zu dem Antrag auf Drucksache 18/2232 empfiehlt der Fachausschuss mehrheitlich – gegen die Fraktion der CDU – die Ablehnung. Wer dem Antrag dennoch zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die CDUFraktion. Gegenstimmen? – Bei Gegenstimmen sämtlicher anderen Fraktionen sowie eines fraktionslosen Abgeordneten ist der Antrag damit abgelehnt.

Tagesordnungspunkt 11 steht als vertagt auf der Konsensliste. Der Tagesordnungspunkt 12 war Priorität der Fraktion der FDP unter der laufenden Nummer 4.3. Tagesordnungspunkt 13 steht wiederum auf der Konsensliste.

Ich rufe nun auf