Protocol of the Session on April 4, 2019

Um es mit Max Mannheimer zu sagen, der Auschwitz und vier weitere Konzentrationslager überlebte, viele Jahre der Lagergemeinschaft Dachau vorstand – ich zitiere:

Ihr seid nicht verantwortlich für das, was geschah. Aber dass es nicht wieder geschieht, dafür schon.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD, der LINKEN, der CDU und der FDP]

Dieser Verantwortung stellen wir uns. Und gerade deshalb begrüßen wir, dass der Senat nun das Berliner Landeskonzept zur Weiterentwicklung der Antisemitismusprävention vorgelegt hat.

Rückblickend möchte ich mich noch einmal sehr herzlich für den gemeinsamen Antragsprozess bei allen beteiligten Fraktionen bedanken, mit dem dieses Konzept vor rund einem Jahr angestoßen wurde. Diese Geschlossenheit war und ist ein sehr wichtiges Signal.

(Präsident Ralf Wieland)

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD, der LINKEN, der CDU und der FDP]

Bedanken möchte ich mich aber auch bei allen, die an der Erarbeitung mitgewirkt haben: bei der Landesantidiskriminierungsstelle, aber insbesondere bei allen zivilgesellschaftlichen Vertreterinnen und Vertretern mit ihrer enormen fachlichen Expertise. Der Einsatz, würde ich sagen, hat sich mehr als gelohnt.

Mit dem Konzept liegt nun ein umfangreiches Maßnahmenpaket vor, das bundesweit Vorbildcharakter hat. Es begreift Antisemitismus richtigerweise als gesamtgesellschaftliches Problem und als Querschnittsaufgabe. Folglich schlägt es Gegen- und Präventionsstrategien in allen gesellschaftlichen Bereichen vor. Ziel der Anstrengungen ist die konsequente Erfassung und Verfolgung von antisemitisch motivierten Straftaten, die Stärkung des Opferschutzes und der Beratung, die Auseinandersetzung in pädagogischen Kontexten, die Stärkung der Zivilgesellschaft sowie eine allgemeine Antisemitismusprävention durch Sensibilisierung der Stadtgesellschaft.

Das Gute ist: Wir fangen hier nicht bei null an. Das Konzept baut auf einer gefestigten Struktur im Land Berlin auf. Es existiert bereits eine Vielzahl von fachlich hochqualifizierten und innovativen Projekten, die nun strategisch zusammengeführt und verwaltungsübergreifend zusammengedacht werden. Es existiert als Dachstruktur das bewährte Landesprogramm gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus unter Regie der Landesantidiskriminierungsstelle.

Im Rahmen des aktuellen Doppelhaushalts hat die rot-rotgrüne Koalition die Antisemitismusprävention bereits deutlich ausgebaut. Bei der Generalstaatsanwaltschaft Berlin gibt es seit August letzten Jahres erstmals eine Beauftragte für Antisemitismus.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Beifall von Emine Demirbüken-Wegner (CDU)]

Ja, das ist wirklich Applaus wert! – Auch die Praxisstelle Bildung und Beratung als Anlaufstelle bei antisemitischen Vorfällen an Schulen hat ihre Arbeit schon aufgenommen. Wie das nun vorliegende Landeskonzept aufzeigt, war dies aber erst der Anfang. Berlin erhält eine hauptamtliche Ansprechperson zu Antisemitismus. Vorgesehen ist die verstärkte Qualifizierung von pädagogischem Personal, Polizei und Strafverfolgungsbehörden, die bessere Verfolgung von antisemitischer Hasspropaganda im Internet, die Stärkung von jüdisch

muslimischen Allianzen gegen Antisemitismus und vieles, vieles Weitere mehr.

Und um eines dabei klarzustellen: Trotz dieser zahlreichen Maßnahmen werden wir uns gewiss nicht zurücklehnen, sondern das Gegenteil ist der Fall. Der Kampf gegen Antisemitismus muss langfristig und differenziert

erfolgen. Die Strategien sind daher immer wieder zu prüfen und anzupassen, und es ist ausdrücklich begrüßenswert, dass das vorgelegte Landeskonzept sich als lernend im Sinne einer stetigen Weiterentwicklung versteht. Und diesen Lernprozess werden wir ganz sicher auch parlamentarisch begleiten – da können Sie sehr, sehr sicher sein.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Klar ist auch: Antisemitismus kommt nicht isoliert vor. Es geht immer um Gesamtzusammenhänge, die Ausgrenzung unterschiedlichster Art ermöglichen. Darauf hat nicht zuletzt der unabhängige Expertenkreis Antisemitismus der Bundesregierung hingewiesen. Antisemitische Einstellungen gehen einher mit einem Bündel von menschenverachtenden Haltungen: von Rassismus über Sexismus, Homo- und Transfeindlichkeit bis hin zu Antiziganismus und Feindlichkeit gegenüber Musliminnen und Muslimen. Menschenverachtung ist aber immer gleichermaßen unerträglich. Antisemitismus, Rassismus – alle Formen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit wenden sich immer gegen unsere offene Gesellschaft. Sie sind alle demokratiezersetzend.

Deswegen braucht es auch immer unseren Widerspruch und unsere Zivilcourage, wenn Jüdinnen und Juden attackiert werden, wenn einer Muslima in aller Öffentlichkeit das Kopftuch heruntergerissen wird, oder wenn ein gleichgeschlechtliches Paar auf offener Straße angegriffen wird. Hass unterscheidet nicht, und unsere Solidarität darf auch keinen Unterschied machen. Sie gilt allen!

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Das beginnt bereits hier in diesem Haus, im parlamentarisch-politischen Raum. Eine Fraktion hat bekanntlich ein recht einseitiges, instrumentelles Verhältnis zum Antisemitismus.

[Frank-Christian Hansel (AfD): Ja, Die Linke!]

Für sie wird Antisemitismus vor allem dann wichtig, wenn er sich gegen andere Minderheiten mobilisieren lässt, insbesondere gegen muslimische Communities und gegen Geflüchtete. Um es klarzustellen: Mit ihrem Geschichtsrevisionismus und der gezielten Relativierung der NS-Terrorherrschaft durch Gauland, Höcke und Co. ist die AfD nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems, über das wir heute sprechen.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Beifall von Danny Freymark (CDU) – Stefan Franz Kerker (AfD): Bleib mal beim Thema!]

Um Charlotte Knobloch, die langjährige Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, zu zitieren, formuliert beim Holocaust-Gedenken im Bayerischen Landtag:

Heute und hier ist eine Partei vertreten, die die Verbrechen der Nationalsozialisten verharmlost.

[Gunnar Lindemann (AfD): Ja, Die Linke! – Stefan Franz Kerker (AfD): Reden Sie mal zum Thema!]

Diese sogenannte Alternative für Deutschland gründet ihre Politik auf Hass und Ausgrenzung und steht nicht auf dem Boden unserer demokratischen Verfassung.

[Frank-Christian Hansel (AfD): Alles Blödsinn!]

Damit, mit diesen Punkten, sollte sich die AfD dringendst beschäftigen.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD, der LINKEN, der CDU und der FDP – Frank-Christian Hansel (AfD): Das machen wir jeden Tag!]

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Berliner Landeskonzept zur Weiterentwicklung der Antisemitismusprävention geht ein Signal an alle Jüdinnen und Juden in unserer Stadt, dass wir an ihrer Seite stehen und eingreifen, wann immer sich Antisemitismus Bahn bricht. Es gilt: Nie wieder! Gegen jeden Antisemitismus! – Vielen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD, der LINKEN, der CDU und der FDP]

Für die CDU-Fraktion hat Frau Kollegin Seibeld das Wort. – Bitte schön, Frau Kollegin!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unser Haus hat, wie Sie sich alle erinnern werden, im Mai letzten Jahres den fraktionsübergreifenden Entschließungsantrag gefasst: „Gegen jeden Antisemitismus! – Jüdisches Leben in Berlin schützen“.

Diese Entschließung war und ist ein starkes Signal an die Berliner Juden. Es war sehr gut, dass die Entschließung mit so großer, fraktionsübergreifender Mehrheit gefasst werden konnte. Und hierzu hatte der Senat bis zum 28. Februar 2019 ein Konzept vorzulegen. Das hat nicht ganz geklappt, aber ich bin sehr dafür, lieber gründlich und gut als schlecht und schnell zu arbeiten, und in Berlin ist man ja schon dankbar, wenn die angepeilte Jahreszahl noch erreicht wird.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Nun liegt er also vor, der Bericht des Senats. Zwar scheint es im Senat noch Unstimmigkeiten über die Urheberschaft zu geben – Behrendt oder Chebli –, aber darauf kommt es für die Inhalte ja nicht an. – Herzlichen Dank also an den Senat für diese umfangreiche Arbeit. Es ist gut und wichtig, dass das Landeskonzept da ist, und es

enthält auch vieles Richtige, aber die vor uns allen liegende Aufgabe – die Bekämpfung des Antisemitismus – wird uns wohl leider viel Kraft kosten und mehr als Konzepte erfordern.

[Beifall bei der CDU, der LINKEN und den GRÜNEN – Beifall von Hanno Bachmann (AfD)]

An der einen oder anderen Stelle hätte ich mir dann tatsächlich auch mehr Mut und mehr Konkretes gewünscht. Gestolpert bin ich schon ganz zu Beginn, nämlich bei der Frage der Auswirkungen auf den Haushalt. Dort heißt es – ich darf zitieren –:

Die aufgeführten Maßnahmen sind im Haushaltsplan 2019 berücksichtigt. Über die künftigen Maßnahmen wird anlässlich der Haushaltsplanaufstellung 2020/2021 zu entscheiden sein.

Ich hoffe sehr, dass damit nicht gemeint ist: Wir machen 2019 mal weiter wie bisher, wir haben ja jetzt ein Landeskonzept. – Das, meine Damen und Herren von der Koalition, ist nicht das, was unser Entschließungsantrag erreichen wollte. Der Kampf gegen Antisemitismus und Israel-Hetze darf und muss Geld kosten, und ich hoffe sehr, dass wir uns an dieser Stelle auch einig sind.

[Allgemeiner Beifall]

Ausgesprochen erfreulich ist, dass sich der Senat nun endlich der CDU-Forderung angeschlossen und sich zu einem Antisemitismusbeauftragten durchgerungen hat. Ich hätte mir gewünscht, dass dieser, wie im CDU-Antrag vorgesehen, auch als konkreter Ansprechpartner für Schulen, Jugendeinrichtungen und Ähnliches zur Verfügung steht und nicht in erster Linie koordinierend und administrativ tätig ist. Aber hier geht die Entwicklung auf jeden Fall in die richtige Richtung.

[Beifall bei der CDU]

Problematischer finde ich einen anderen Aspekt. Immer wieder schimmert durch das Landeskonzept die irreführende Vorstellung, Antisemitismus sei eine weitere Form der Diskriminierung, so z. B. auch bei der Zuständigkeitsbeschreibung der Antidiskriminierungsbeauftragten für Schulen, wie auf antisemitische Vorfälle zu reagieren ist. Tatsächlich ist Antisemitismus zwar selbstverständlich auch eine Form der Diskriminierung, geht darüber aber weit hinaus und kann daher auch nicht in einen Topf mit anderen Formen der Diskriminierung geworfen werden.

[Beifall bei der CDU, der AfD und der FDP]

Denn Antisemitismus zielt letztendlich auf die Vernichtung des Staates Israel und auf die Vernichtung der Juden, und zudem hat der Antisemitismus andere, auch historische Ursachen als andere Formen der Diskriminierung. Ihm muss daher auch anders begegnet werden, und dieser traurigen Besonderheit trägt das Landeskonzept noch zu wenig Rechnung.

[Beifall bei der CDU, der AfD und der FDP]

(Sebastian Walter)