Protocol of the Session on January 12, 2017

Zumal selbst der Autor des Fragebogens, Peter Neumann, – das ist jetzt veröffentlich worden – sagte, der Fragebogen sei für die damaligen Zwecke schon gar nicht mehr tauglich gewesen.

Bleibt der Vorwurf, dass Andrej Holm nicht sorgfältig genug mit seiner Vergangenheit umgegangen ist, sie zu verharmlosen versucht habe. Ich weiß nicht, ob das wirklich zutreffend ist. Es ist nicht einfach für jemanden, sich zu offenbaren, dass er bei der Staatssicherheit ist. Und das, was wir hier in den letzten Stunden erleben, zeigt es ja auch noch einmal: Es ist ganz schwer, darüber ruhig zu reden, ohne hier angebrüllt zu werden. Trotzdem sage ich: Es sind Fehler passiert. Andrej Holm ist kein Berufspolitiker. Da muss er lernen. Aber auch hier ist die Realität nicht schwarz oder weiß.

Zum letzten Punkt, zum Linksextremismus: Eines geht nicht. Es ist letztinstanzlich eindeutig festgestellt worden, dass die Ermittlungen gegen Andrej Holm damals rechtswidrig waren. Es kann nicht sein, dass wir nach dem Motto verfahren: Schmeißen wir nur ordentlich mit Dreck, es bleibt schon etwas hängen. – Andrej Holm ist rehabilitiert.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Das bitte ich Sie anzuerkennen!

[Heiko Melzer (CDU): Wovon reden die denn?]

Jetzt hat für die AfD-Fraktion Herr Hansel das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen! Liebe Gäste! Was sich in den letzten Wochen vor unseren Augen als Fall Holm abgespielt hat, hat eine große politische, geradezu paradigmatische Bedeutung und übersteigt die Niederungen des Tagesgeschäfts. Es geht um die Kernfrage: Was ist und für wen machen wir eigentlich Politik? – Wenn wir dieses Thema haben, kommen wir um den großen Soziologen Max Weber nicht herum.

Aber vorweg: Wir haben ein klares Führungsversagen des Regierenden Bürgermeisters und der ihn tragenden, ehemals stolzen Sozialdemokratischen Partei mit einem klaren antikommunistischem Profil, mit einem Willy Brandt, der den Bau der Mauer mit ansehen musste, aber eben auch noch das Glück hatte, in Dankbarkeit ihr Ende mitzuerleben. Ich bin damals übrigens in diese Partei eingetreten. Ich weiß nicht, ob ihm gefallen würde, was hier für ein Spiel betrieben wird, denn beide – Sie, Herr Regierender Bürgermeister, und auch Sie, liebe Kollegen der SPD – machen hier den Kotau vor Partnern, die nur noch Klientelpolitik für linke Randgruppen in unserer

(Katina Schubert)

Stadt machen. Politik für die Mehrheit der Menschen in unserer Stadt ist für Sie, für diesen Senat, ein Fremdwort.

[Beifall bei der AfD]

Allen voran die Grünen frönen einer Immobilitätswende, die den normalen Arbeitnehmer, der pendelt und sein Auto nehmen muss und vielleicht auch nehmen will, massiv behindert und in den Stau zwingt. Sie machen das, weil es Ihrer Gesinnung entspricht. Sie machen das, weil Sie glauben, damit die Menschheit zu retten, darüber hinaus aber vergessen, dass es den Menschen gibt, den konkret fassbaren Menschen, den einfachen Menschen, der seinen Alltag bewältigen will, der sein Kind zuerst in die Schule bringt und danach zur Arbeit fährt und das am Abend wieder zurück.

Die Linken machen nur noch Politik für sich selbst, für ihre eigene Ideologie und – das ist in dieser Unverfrorenheit neu – für ihre eigenen Leute; hier für einen Vertreter des sozialistischen Unterdrückungsapparats, dem er dienen zu müssen glaubte, aus einem scheinbar höheren Weltverbesserungsverständnis heraus. Pustekuchen! Für wen haben wir Politik zu gestalten? – Für die Menschen, die uns gewählt haben, aber nicht nur für diejenigen, sondern am Ende für alle, für das Volk, übrigens für das deutsche Volk, auf das jeder seinen Amtseid zu leisten hat,

[Canan Bayram (GRÜNE): Gilt das auch für mich?]

der in politische Verantwortung kommt – selbstverständlich für Sie auch.

Hier sind wir beim Stichwort Verantwortung. Max Weber unterscheidet zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik. Er hat dieses Begriffspaar geprägt, das die gegenwärtige Konfliktsituation treffend benennt. Gesinnungsethik führt im Resultat nicht zum Erfolg praktischen Handelns. Der Erfolg ist gar nicht ihr Maßstab, sondern die Gesinnung ist Handlungsmotivation selbst. Gut allein ist der gute Wille. Dieser Gesinnungsethik stellt Max Weber die Verantwortungsethik gegenüber, die die Folgen einer Handlung bei der Handlungsentscheidung immer mit berücksichtigt. Ich nenne das auch politischen Realismus. Das, liebe Genossen, war doch mal Ihr Thema, zumindest unter Helmut Schmidt. Bei ihm hätte es ein solches Führungsversagen nicht gegeben – aus Verantwortung für das Land.

[Beifall bei der AfD – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Haben Sie das alles vergessen, alles verdrängt, nur um des puren Machterhalts willen? Ihre Aufgabe – wir haben das insbesondere heute immer wieder gehört – ist, für mehr Sicherheit für den Bürger zu sorgen, nicht den eigenen Genossen zu versorgen, wie das Die Linke tut.

Herr Müller! Fangen Sie an, Verantwortung für diese Stadt und ihre Menschen zu übernehmen! Denken Sie darüber nach, für wen Sie eigentlich Politik machen.

Opfern Sie diese Stadt nicht der Koalitionsarithmetik! Lassen Sie Toiletten Toiletten sein, kümmern Sie sich um wirkliche Belange der Menschen! Trennen Sie sich von Herrn Holm und von dem, wofür er stand und bis heute steht! Oder müssen wir, was es noch schlimmer machte, etwa davon ausgehen, dass das eine gezielte, bewusste Provokation war, ein Austesten einer bisherigen Schamgrenze, jetzt, über 27 Jahre nach der Wende, mal zu schauen, ob die SED- und Stasiverstrickung wieder gesellschafts- und regierungsfähig ist, quasi als ein kleiner Akt der Vorbereitung von Rot-Rot-Grün im Bund?

[Beifall bei der AfD – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Wenn dem so wäre, haben Sie wirklich die sozialdemokratische Tradition des Antikommunismus und des politischen Realismus verraten. Ein Erbe, das – und jetzt hören Sie genau zu! – wir als Partei des politischen Realismus aus der Mitte der Gesellschaft erben. Wenn das so ist, machen Sie nur weiter so! Dann wird sich nämlich bei der nächsten Wahl das Volk, der Wähler, von Ihnen trennen und Sie aus Ihrem Amt entlassen, und das wäre dann auch gut so.

[Beifall bei der AfD – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen – Herr Kollege Wesener!

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als letzter Redner in dieser Debatte hätte ich mir gewünscht, sagen zu können: Wir haben eine gute Debatte geführt –, denn ich denke, der Anlass, der Umgang mit der DDRVergangenheit und ihrem Erbe, wäre es allemal wert gewesen.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

Es gab eine ganze Reihe von Wortmeldungen, die mich beeindruckt haben, aber es gab hier auch einige Äußerungen, Ausfälle, wo mich gestandene Männer an Pennäler erinnert haben, die sich über den Ordnungsruf eines Lehrers freuen. Ich finde, das wird der Debatte nicht gerecht, und ich möchte es zum Abschluss noch einmal sachlich versuchen.

Ein Antrag auf Missbilligung gehört nicht zum parlamentarischen Tagesgeschäft. Wäre er business as usual, würde seine eigentliche Intention ins Leere laufen, nämlich ein besonders schweres Fehlverhalten zu kennzeichnen und zu sanktionieren. Unbestritten ist das Recht der Opposition, einen solchen Antrag zu stellen, und eines Parlaments, einen solchen Antrag auch zu beschließen. Eine andere Frage ist, wann das politisch wirklich klug und geboten ist und ob man das parlamentarische Instrument

(Frank-Christian Hansel)

der Missbilligung nicht langfristig entwertet, wenn man es allzu häufig nur des politischen Knalleffekts wegen nutzt. Diese Fragen muss sich heute die FDP, diese Fragen muss sich Herr Czaja, stellen lassen. Ihr Antrag kommt so daher: In der Stadt, in Berlin, gibt es eine breite Diskussion über den angemessenen Umgang mit der DDR-Vergangenheit, aber die FDP kennt schon das Ergebnis und weiß als Einzige Bescheid. – So eine Haltung finde ich anmaßend.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Bei so viel Selbstgewissheit kann es schwerlich echte Vergangenheitsbewältigung und gelebte Erinnerungskultur geben. Aber auch 27 Jahre nach der friedlichen Revolution hat sich die Debatte über dieses Kapitel der deutschen Geschichte eben nicht erübrigt, im Gegenteil. Die Redebeiträge eben und in der vorangegangenen Debatte haben es einmal mehr gezeigt: Wir sind noch lange nicht so weit, eine finale Antwort auf alle Fragen geben zu können. – Dabei geht es eben nicht allein darum, ob Andrej Holm zu Recht oder zu Unrecht zum Staatssekretär ernannt wurde. Es geht auch um die Frage, wie wir ganz generell mit dem Erbe der DDR-Diktatur umgehen, mit ihren Opfern und Tätern, mit Aufarbeitung und Erinnerung, mit Schuld und Vergebung. Die Debatte um Andrej Holm ist auch deshalb so schwierig, weil sie mindestens zwei Ebenen hat: Zum einen gibt es die politische Debatte, die politische Dimension und damit auch die Frage der Glaubwürdigkeit und persönlichen Verantwortung, zum anderen ist aber auch die generelle Frage: Wie werden wir dem Einzelfall gerecht, ohne den Grundsatz der Gleichbehandlung zu verletzen? – Es liegt nahe, zwischen einem 18-jährigen Auszubildenden und einem, der als Erwachsener über viele Jahre Menschen bespitzelt oder kujoniert hat, zu unterscheiden.

Gleichzeitig wissen wir, dass in der Vergangenheit etliche einen Job verloren oder gar nicht erst bekommen haben, vermutlich ohne dass dabei der einzelnen Biografie in jedem Detail Rechnung getragen wurde. All diese Fragen scheinen die Berliner FDP nicht sonderlich zu interessieren. Ihr Urteil steht fest, deshalb haben Sie sich auch mit Ihrem Antrag keine große Mühe gemacht. Dieser Antrag ist leider kein Beitrag zur Diskussion, die wir führen müssen, die wir führen wollen: der Diskussion über die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit. – Wer es mit der ernst meint, entledigt sich nicht der offenen Fragen durch billige Skandalisierung, Herr Czaja.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Deshalb war es richtig, dass sich der Senat auf ein Verfahren verständigt hat, inklusive der Klärung der verschiedenen Fragen rund um die Biografie von Andrej Holm. Das Ergebnis wollen wir abwarten. Klar ist für uns Grüne aber auch: Egal, wie dieses Verfahren ausgeht, seine Konsequenzen können nicht allein arbeitsrechtlich begründet sein; da hat die Kollegin West völlig recht. Es

ist schon mehr als misslich, dass bei der Wahl des Verfahrens der Eindruck entstanden ist, die Politik wälze ihre Verantwortung auf die Gremien der HumboldtUniversität ab. Das wäre in der Tat falsch, denn jede Entscheidung in dieser Sache ist eine politische,

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD und der CDU]

zumal eine sachgerechte Behandlung des Einzelfalls immer auch die Gleichbehandlung aller im Blick haben muss.

[Sebastian Czaja (FDP): Den Eindruck können Sie ja heute korrigieren!]

Genauso klar ist für uns – und das sage ich mit Blick auf unsere Koalitionspartner und den Herrn Staatssekretär –: Es reicht nicht aus, einen adäquaten Umgang mit der Vergangenheit für sich zu reklamieren, genauso wenig, wie es reicht, sich selbst dafür zu entschuldigen, Teil eines diktatorischen Systems gewesen zu sein. Man kann dessen Opfer höchstens um Entschuldigung bitten. Aufarbeitung, und das haben auch wir Grüne schmerzhaft lernen müssen, muss zuerst bei der eigenen Haltung ansetzen.

Anders als die FDP wollen wir Grüne die Diskussion führen, gerne auch kontrovers. Anders als die Opposition wollen wir deshalb auch keine Sofortabstimmung, sondern die Überweisung an den Ausschuss als einen Ort der gesellschaftlichen Debatte. Wenn diese Debatte gelingt, kann sie ein guter Beitrag zur Aufarbeitung von StasiUnrecht und DDR-Vergangenheit sein, aber das hängt nicht zuletzt davon ab, wie wir diese Debatte miteinander führen. Ich hoffe, dass der Antrag der FDP und Teile dieser Diskussion heute dafür nicht stilbildend waren. – Danke schön!

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Vielen Dank! – Zu dem Antrag hat die antragstellende Fraktion die sofortige Abstimmung beantragt. Die Fraktion der SPD beantragt dagegen die Überweisung an den Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung, Digitale Verwaltung, Datenschutz, Informationsfreiheit und zur Umsetzung von Artikel 13 Abs. 6 GG sowie § 25 Abs. 10 ASOG. Über diesen Überweisungsantrag lasse ich zuerst abstimmen. Wer der Überweisung zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die SPDFraktion, die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die Fraktion Die Linke. Gegenstimmen? – Wir sind uns hier oben uneinig. Es gibt einen Teil des Präsidiums sagt: Das Erstere kann gar nicht die Mehrheit sein, zwei sehen das anders.

Dann müssen wir den Hammelsprung gemäß § 70 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung machen. Ich bitte Sie, den Saal

(Daniel Wesener)

zu verlassen. Ich mache noch einmal darauf aufmerksam, dass wir über den Überweisungsantrag abstimmen. Wer der Ausschussüberweisung zustimmen möchte, geht durch die Tür für Ja, wer dem nicht zustimmen möchte, geht durch die Nein-Tür und wer sich enthalten will, kann das tun. Die Beisitzerinnen und Beisitzer des Präsidiums müssten sich zum Auszählen zur Verfügung stellen. An jeder Tür sollten es mindestens zwei Personen sein. Ich bitte nun die Mitglieder des Abgeordnetenhauses in einem geordneten Verfahren wieder in den Plenarsaal zu kommen.

[Gongzeichen – Abstimmung gem. § 70 Abs. 2 GO Abghs]

Ich habe das Signal bekommen, dass die Abstimmung abgeschlossen ist.

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