Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich begrüße Sie recht herzlich zur konstituierenden Sitzung der 18. Wahlperiode des Abgeordnetenhauses von Berlin. Ich beglückwünsche Sie alle als gewählte Abgeordnete der neuen Legislaturperiode, sowohl die Wiedergewählten als auch die Neugewählten, darunter auch zwei neue Fraktionen, im Hause: die Fraktionen der AfD und die Fraktion der FDP.
Ich begrüße alle unsere Ehrengäste, darunter auch Frau Britta Stark, Präsidentin des Landtags Brandenburg, die Präsidentin des Verfassungsgerichtshofes Sabine Schudoma, altgediente Parlamentarier, darunter die ehemaligen Präsidenten des Abgeordnetenhauses Dr. Herwig Haase, Reinhard Führer und Walter Momper, den Vizepräsidenten der 17. Wahlperiode Andreas Gram sowie weitere Mitglieder des bisherigen Präsidiums, Mitglieder des Deutschen Bundestages, anwesende Stadtälteste, Vertreter der Kirchen und alle Zuschauer und Zuhörer sowie die Medienvertreter, die auf den Tribünen Platz genommen haben. – Herzlich willkommen!
Bevor ich zum weiteren Verfahrensverlauf komme, möchte ich Herrn Tom Schreiber von der SPD-Fraktion zum heutigen Geburtstag gratulieren. – Herzlichen Glückwunsch, Herr Schreiber!
Bis zur Beschlussfassung über die Geschäftsordnung, die das Abgeordnetenhaus der 18. Wahlperiode unter Punkt 3 der heutigen Tagesordnung beschließen wird, verfahren wir bei Bedarf entsprechend den Regeln, die in der 17. Wahlperiode des Abgeordnetenhauses gegolten haben. – Ich höre hierzu keinen Widerspruch, dann verfahren wir so.
Nach Artikel 54 Abs. 5 Satz 2 der Verfassung von Berlin tritt das Abgeordnetenhaus unter dem Vorsitz des ältesten Mitglieds des Hauses zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen.
Sehr geehrte Damen und Herren! Mein Name ist Bruni Wildenhein-Lauterbach. Ich wurde am 28. Februar 1947 in Berlin geboren und darf fragen, ob ein gewähltes Mitglied des Hauses anwesend ist, das älter ist als ich. – Das scheint nicht der Fall zu sein.
Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Es gehört zur parlamentarischen Tradition im Berliner Abgeordnetenhaus, dass der älteste oder die älteste Abgeordnete die Möglichkeit hat, zu Beginn einer neuen Wahlperiode eine Rede zu halten. Ich habe nun diese Gelegenheit, und es ist mir eine große Ehre, auch, weil seit 1951 zum zweiten Mal eine Frau an dieser Stelle sitzt, dass ich dieses Amt ausüben darf.
Zur Eröffnung der 1. Wahlperiode des Abgeordnetenhauses von Berlin 1951 begann der Alterspräsident Wilhelm Lawrenz noch mit den Worten: „Hochansehnliche Versammlung.“ Die Form der Anrede hat sich geändert. Der Inhalt seiner Rede mit den Hinweisen auf die Verfassung, Gemeinschaft und Wirtschaft demokratisch zu ordnen und dem sozialen Fortschritt und dem Frieden zu dienen, hat an Aktualität nicht verloren, im Gegenteil. Und so möchte ich die Gelegenheit nutzen, einige Anmerkungen zu machen, die das Zusammenleben in unserer Stadt betreffen. Dabei möchte ich mein Augenmerk auch darauf richten, was wir im Allgemeinen als Wandel oder Veränderung empfinden.
Doch lassen Sie mich zuerst etwas Persönliches sagen, was mir sehr am Herzen liegt: Ich bin sehr stolz darauf, in einer Demokratie zu leben. Ich konnte mein ganzes Leben in Frieden und Freiheit verbringen. Es ist nicht mein Verdienst, aber ich bin sehr dankbar dafür.
Wir Deutschen werden in Europa und der Welt wieder geachtet, und auch unser Berlin wirkt wie ein Magnet auf viele Menschen aus Nah und Fern. Dass das so ist, liegt an der internationalen Vertrauensarbeit, die fast alle demokratischen Politikerinnen und Politiker im Nachkriegsdeutschland praktizierten und auch immer noch praktizieren, trotz vieler neuer Problemlagen. Es liegt an der konsequenten Wahrung der Menschenrechte. Dazu hat sich unser Land verpflichtet. Es wird von der ganzen Welt bewundert. Darauf können wir stolz sein. Ich würde mir aber auch wünschen, dass sich nicht länger diejenigen rechtfertigen müssen, die die Menschenrechte achten.
[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der CDU und der FDP – Beifall von Andreas Wild (AfD)]
Es müssen sich doch vielmehr diejenigen erklären, die unser Grundgesetz ignorieren und zu Gewalt, Hass und Fremdenfeindlichkeit aufrufen.
Schon häufiger haben wir erlebt, dass neue Parteien in das Abgeordnetenhaus von Berlin eingezogen sind. Ei
nige von ihnen konnten sich als politische Kraft etablieren, andere haben nur kurz die Geschicke der Stadt mitbestimmt, und wieder andere kommen nach Jahren wieder. Die Wählerinnen und Wähler haben das so entschieden, und wir haben ihr Votum zu respektieren. Unsere oberste Pflicht ist es, ihre Interessen zu vertreten.
Was aber auch zum Ausdruck kommt: Unsere Demokratie lebt. Ihr ist der Wandel nicht fremd, sie baut sogar darauf auf. Der Wandel, die Veränderung sind ein steter Begleiter der Menschheit, und das wird auch so bleiben. Wer wie ich schon Jahrzehnte in dieser Stadt lebt, hat viele Wandlungen mitgemacht. Die zerbombte Stadt, den Wiederaufbau, die Teilung Berlins, den Mauerfall und das Zusammenwachsen zweier Stadtgesellschaften, die unterschiedlicher nicht sozialisiert sein konnten. Diese Geschichten füllen ganze Bibliotheken, und sie werden auch weiter gefüllt werden, weil sich die Fragenstellungen an die historischen Ereignisse von Generation zu Generation verändern.
Die Prämisse dieser Geschichtsschreibung ist und bleibt die Faszination, die vom Wandel ausgeht. Sie ist der rote Faden aus dem Zusammenspiel von Vergangenheit und Gegenwart. Sie ist der rote Faden der menschlichen Entwicklung. Wir sind geworden, wer wir sind. Die Dinge verharren nicht nur. Sie sind auch nicht einfach über uns gekommen. Sie wurden gemacht, und zwar von uns Menschen. Deshalb tragen wir auch die Verantwortung für Gegenwart und Zukunft.
Aber ich sage auch: In der Politik kommt es nicht allein darauf an, Verantwortung zu übernehmen. Nein, der Auftrag an die Politik, an uns Politikerinnen und Politiker ist: Wir müssen den Wandel gestalten, und zwar nicht aus Gründen des Selbstzwecks, sondern weil wir Politikerinnen und Politiker den Menschen die Wege ebnen müssen, damit sie ein gutes Leben in unserer Stadt führen können. Sicher, das geschieht nicht immer im Konsens, aber genau das ist doch die Stärke demokratischer Systeme, dass sie den politischen Streit parlamentarisch kultivieren und in geordneten Bahnen per Mehrheitsentscheidung beenden. Offen gesagt: Ich persönlich kann nicht erkennen, was an diesem Prinzip nicht mehr zeitgemäß sein soll, zumal unsere Landesverfassung durchaus modern ist und Volksabstimmungen zulässt. Bürgerbeteiligung muss aber auch gelebt werden. Nur so kann Vertrauen geschaffen werden und ein Miteinander für ein soziales Berlin als Grundlage für gelebte Demokratie aufgebaut werden. Ich halte deshalb all die Analysen einer Krise der Demokratie oder einer Krise der Repräsentation in der Demokratie für überzogen.
Was wir erleben, ist nicht der Untergang der parlamentarischen Demokratie. Was wir erleben, ist vielmehr die zunehmende soziale Spaltung unserer Gesellschaft, auch unserer Stadtgesellschaft. Man muss nicht unbedingt aus dem Wedding kommen wie ich, um zu verstehen, dass
sich viele Menschen einfach nur abgehängt fühlen. Sie sind fest davon überzeugt: Egal, wer regiert, für uns ändert sich ja doch nichts. – Sie fühlen sich nicht mehr dazugehörig. Sie erleben unsere Gesellschaft als Abstiegsgesellschaft, obwohl es der Mehrheit in Deutschland besser geht als je zuvor. Das muss uns doch alle aufrütteln! Deshalb müssen wir darum kämpfen, dass die Menschen, die sich deklassiert fühlen, wieder in die Aufstiegsgesellschaft integriert werden. Das schaffen wir aber nur, wenn wir auch denen eine Aufstiegsperspektive geben, die sich am Ende der sozialen Leiter sehen. Das schaffen wir nicht mit einer Politik, die mit scheinbar einfachen Lösungen die Gunst der Berlinerinnen und Berliner zu gewinnen sucht.
Wir als demokratische Parteien wirken an der Willensbildung des Volkes mit. Das ist der Auftrag an die demokratischen Parteien, und das ist auch der Auftrag an uns als Abgeordnete. Ich wünsche mir, ich wünsche uns allen, dass wir offen in die Zukunft blicken. Wir sind eine weltoffene Hauptstadt und können das auch jederzeit beweisen. Es liegt an uns, dafür zu kämpfen. Die Chance Berlins ist, dass sich die Stadt als moderne multikulturelle und freie Metropole im Herzen Europas etabliert. Auch wenn wir uns in diesem Hohen Haus oft mit vermeintlichen Kleinigkeiten beschäftigen müssen: Wir dürfen diese Perspektive nicht aus den Augen verlieren.
Was bleibt? – Der Wandel wird unsere Stadt und die Menschen weitertragen, ob wir das wollen oder nicht. Über die Ausrichtung dieses Wandels entscheiden letztendlich wir mit. Genau das zeichnet ein starkes selbstbewusstes und unabhängiges Parlament aus. Wie es so schön heißt: Wer in der Vergangenheit verharrt, den Wandel ignoriert, der wird die Zukunft verlieren. – In diesem Sinne wünsche ich uns in der 18. Wahlperiode des Abgeordnetenhauses von Berlin viel Energie, Ausdauer und Erfolg bei der Aufgabe, unsere Stadt so zu gestalten, dass sich möglichst alle wohlfühlen, die hier leben. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!
Bevor ich die Beschlussfähigkeit des Hauses feststelle, möchte ich die vier an Jahren jüngsten Mitglieder des Abgeordnetenhauses in das amtierende Präsidium
berufen. Ich bitte folgende Abgeordnete, rechts neben mir Platz zu nehmen: die Jüngste, eine Abgeordnete der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Frau June Tomiak, und den Jüngsten, Herrn Herbert Mohr von der Fraktion der AfD. Links von mir bitte ich Herrn Kristian Ronneburg von der Fraktion Die Linke und Frau Anne Helm, ebenfalls von der Fraktion Die Linke, Platz zu nehmen.
Ich werde nun die Beschlussfähigkeit des Hauses durch Namensaufruf feststellen lassen. Die aufgerufenen Kolleginnen und Kollegen bitte ich, auf den Namensaufruf jeweils mit Ja zu antworten und sich dabei vom Platz zu erheben. Ich bitte Frau Abgeordnete Tomiak, mit dem Aufruf zu beginnen.
Herzlichen Dank! – Es sind alle Abgeordneten aufgerufen worden. Damit hat sich das Abgeordnetenhaus konstituiert. Die Beschlussfähigkeit ist festgestellt.
Ich bedanke mich bei den jüngsten Abgeordneten für ihre Hilfe, bitte Sie aber, hier noch Platz zu behalten und mir als vorläufiges Präsidium beizusitzen.
Antrag der Fraktion der SPD, der Fraktion der CDU, der Fraktion Die Linke, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion der FDP Drucksache 18/0001