Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vorab: Trotz der Anfrage, die wir vor mehr als einem Vierteljahr eingereicht haben – die Antwort ist inzwischen da, aber nichtssagend –, gibt es in Berlin keine Klarheit über Anlässe und Ausmaß des Einsatzes der nicht individualisierten Funkzellenabfrage. Das sind Grundrechtseingriffe, und die Verwaltung kann dazu nichts sagen – ich finde, es spricht Bände hinsichtlich des Umgangs mit diesem Ermittlungsinstrument.
Nun hat uns der Justizsenator das Angebot gemacht, wir sollten das diskutieren. Ich finde, das ist ein durchaus ehrenwertes Angebot. Ich glaube jedoch, inzwischen können wir das unter „erledigt“ abhaken. Jede und jeder, der sich im Internet die Stellungnahmen aus der von meiner Fraktion beantragten Anhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages herunterlädt, kann sich selbst ein Bild machen. Ich finde auch, dass die ganze Bandbreite der vertretenen Positionen dort abgebildet ist. Wir können die Stellungnahmen jetzt schon bewundern, und wir können die rechtlichen Aspekte, die im Rahmen der nicht individualisierten Funkzellenabfrage zu berücksichtigen sind, identifizieren.
Meine Fraktion hat einen Antrag eingebracht, in dem der Senat aufgefordert wird, sich in der Tat für die Abschaffung der nicht individualisierten Funkzellenabfrage in § 100g Abs. 2 Satz 2 der Strafprozessordnung einzusetzen und in einem zweiten Schritt als erste Maßnahme die Initiative Sachsens im Bundesrat zu unterstützen. Ich greife jetzt einiges heraus – lesen Sie selbst: Sie schränkt erstens die Tatbestandsvoraussetzungen des § 100g Abs. 2 ein, zweitens hebt sie die Verhältnismäßigkeitsprüfung hervor und versieht sie mit einer Begründungspflicht, wobei der Aspekt der Betroffenheit Unbeteiligter besonders berücksichtigt werden soll – zwischengeschoben: Gucken wir uns den Beschluss des Richters an, der damals die Friedrichshain-Kreuzberger Funkzellenabfrage genehmigt hat, dann besteht aller Anlass für eine solche Klarstellung – und drittens, der die statistische Erhebung über die Anwendung des Instruments vorschreibt – angesichts der Tatsache, dass der Berliner Senat nicht sagen kann, wo und wie und in welchem Umfang sie eingesetzt wird, spricht auch diese Vorgabe für sich.
Normalerweise knüpfen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft in strafrechtlichen Verfahren an einen individualisierten Verdacht an. Die individualisierte Funkzellenabfrage tut dies, die nicht individualisierte Funkzellenabfrage tut dies nicht. Es handelt sich um die heimliche und pauschale nachträgliche Erhebung von Telekommunikationsspuren durch Staatsorgane in einem zeitlich und
räumlich begrenzten Gebiet und betrifft de facto alle. Damit das Ganze einen Sinn hat, ist ein Raster erforderlich. Das ist ein massiver Eingriff in die Grundrechte unabgrenzbar vieler Menschen, und erst in Verbindung mit einem Raster ist es ein Instrument der Verdachtsgenerierung, denn es gibt hier keinen Tatverdacht. Wir sprechen über Eingriffe in das Fernmeldegeheimnis, die Rückschlüsse auf die Bewegungsgewohnheiten, auf Freundschaftsbeziehungen, auf Kontakte und vieles andere mehr zulassen. Bei Abfrage auf Demonstrationen wie in Dresden kommt ein massiver Eingriff in das Versammlungsgrundrecht hinzu. Da hat das Bundesverfassungsgericht die Hürden aufgrund des mit der Beschränkung durch Ermittlungen verbundenen Einschüchterungseffektes besonders hoch gehängt.
Jeder Einzelne ist bei einem verdachtslosen Eingriff in seine grundrechtlichen Freiheiten umso intensiver betroffen, je weniger er selbst für einen staatlichen Eingriff Anlass gegeben hat. Zudem gibt es das erhöhte Risiko, Ziel weitere behördlicher Ermittlungsverfahren zu werden. Es reicht, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein, um, wie das Bundesverfassungsgericht sagt, in weitem Umfang Ermittlungen ausgesetzt zu werden und unter Erklärungsdruck zu geraten, sich faktisch also rechtfertigen zu müssen, ob und warum man dort war – heimlich überwacht. Das heißt, es ist de facto die Abschaffung der Unschuldsvermutung im Strafgesetzbuch, in der Strafprozessordnung und die Umdrehung, nämlich dass ich im Zweifelsfall beweisen muss, dass ich unschuldig bin. Ich finde das einigermaßen gravierend.
Ein Mensch, dem das droht, wird möglicherweise darauf verzichten, beispielsweise auf eine Demonstration zu gehen, also von seinem Demonstrationsrecht nach Artikel 8 Abs. 1 Grundgesetz Gebrauch zu machen, weil dieses Instrument de facto eine Anwesenheitsliste ermöglicht. Er wird möglicherweise darauf verzichten, an einem Ort zu verweilen oder dorthin zu gehen, der – in Anführungsstrichen – ob zu Recht oder zu Unrecht übel beleumundet ist – Admiralsbrücke, Kreuzberg oder andere Orte. Oder er wird gar darauf verzichten, sich ein Mobilfunktelefon zu verschaffen oder es zu nutzen. Ich finde, mit Freiheit hat dies nicht viel zu tun.
Lieber Kollege Rissmann! Der Rechtsstaat lebt nicht vom Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger, sondern er lebt vom Misstrauen der Bürgerinnen und Bürger, und das ist in einer modernen Demokratie durchaus auch so vorgesehen und gut so!
Deswegen kann ich zum Schluss sagen: Aus meiner Sicht ist die Abschaffung die einzige richtige Konsequenz – und ich war schon einigermaßen überrascht, dass die Piraten sagen, sie wollen das nicht –, weil Verdachtsgenerierung mit technischen Mitteln bar jeder Rechts
staatlichkeit ist. Verdachtsgenerierung mit technischen Mitteln ist ein Schritt hin zum Überwachungsstaat, weil sie es nicht in den Griff bekommen. Das wissen Sie als Piratinnen und Piraten am besten.
Bis zu diesem Zeitpunkt hoffen wir, dass die sächsische Bundesratsinitiative Erfolg hat. Was den Piraten-Antrag angeht, muss man sich über die Rahmenbedingungen unterhalten, ob es geht oder nicht geht. Ich glaube schon, dass es möglich ist, durch eine Anordnung die Nutzung von Ermittlungsbefugnissen einzuschränken. Ob „restriktiver“, wie Sie in Ihrem Antrag geschrieben haben, reicht, darüber werden wir im Rechtsausschuss reden müssen.
Mittlerweile wird zu beiden Anträgen die Überweisung federführend an den Ausschuss für Verfassungs- und Rechtsangelegenheiten, Verbraucherschutz, Geschäftsordnung und mitberatend an den Ausschuss für Digitale Verwaltung, Datenschutz und Informationsfreiheit empfohlen. Gibt es hierzu Widerspruch? – Den höre ich nicht; dann verfahren wir so.
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verfassungs- und Rechtsangelegenheiten, Verbraucherschutz, Geschäftsordnung vom 18. Januar 2012 und Beschlussempfehlung des Hauptausschusses vom 8. Februar 2012 Drucksache 17/0115 Neu
zum Antrag der Fraktion der SPD, der Fraktion der CDU, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der Fraktion Die Linke und der Piratenfraktion Drucksache17/0083
Ich eröffne die zweite Lesung und schlage vor, die Einzelberatung der zwei Artikel miteinander zu verbinden, und höre hierzu keinen Widerspruch.
Ich rufe also auf die Überschrift und die Einleitung sowie die Artikel I und II – Drucksache 17/0083. Eine Beratung ist nicht vorgesehen.
Zum Gesetzesantrag Drucksache 17/0083 empfiehlt der Fachausschuss einstimmig – mit allen Fraktionen – und der Hauptausschuss mehrheitlich – gegen eine Stimme der Piraten bei einer Stimmenthaltung der Piraten – die Annahme. Wer dem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen der SPD, der CDU, der Grünen, die Linksfraktion und die Fraktion der Piraten und der fraktionslose Abgeordnete. Gegenstimmen? – Eine Gegenstimme bei den Piraten. Enthaltungen? – Zwei weitere Enthaltungen. Damit ist das Einundzwanzigste Gesetz zur Änderung des Landesabgeordnetengesetzes so beschlossen.
Erstes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung der Stiftung „Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen“
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kulturelle Angelegenheiten vom 16. Januar 2012 und Beschlussempfehlung des Hauptausschusses vom 8. Februar 2012 Drucksache 17/0156
Ich eröffne die zweite Lesung und schlage vor, die Einzelberatung der zwei Artikel miteinander zu verbinden, und höre hierzu keinen Widerspruch.
Ich rufe also auf die Überschrift und die Einleitung sowie die Artikel I und II. Eine Beratung ist nicht vorgesehen.
Zum Gesetzesantrag Drucksache 17/0010 empfehlen die Ausschüsse mehrheitlich gegen Linke und Piraten die Ablehnung. Wer dem Antrag dennoch zustimmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen Die Linke und die Piraten. Gegenstimmen? – Das sind die Fraktionen der SPD und der CDU und der fraktionslose Abgeordnete. Enthaltungen? – Das ist die Fraktion der Grünen und eine weitere Enthaltung. – Vielen Dank!
Gesetz über die Feststellung des Haushaltsplans von Berlin für die Haushaltsjahre 2012 und 2013 (Haushaltsgesetz 2012/2013 – HG 12/13)
Ich eröffne die erste Lesung. Ich habe die Gesetzesvorlage vorab federführend an den Hauptausschuss und mitberatend in Bezug auf die Einzelpläne bzw. einzelne Kapitel an die entsprechenden Fachausschüsse überwiesen und darf Ihre nachträgliche Zustimmung hierzu feststellen. Die Fachausschüsse haben bereits teilweise mit den Haushaltsberatungen begonnen.
Zunächst wird die Gesetzesvorlage durch den Senat begründet. Das Wort hat der Finanzsenator. – Bitte sehr, Herr Dr. Nußbaum!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor nicht mal ganz einem halben Jahr durfte ich in diesem Haus die letzte Haushaltsrede vortragen. Ich bekomme Übung, wie alle bekommen Übung. Aber auch die Verwaltung ist bereits geübt. So konnten wir es schaffen, doch relativ schnell – trotz Wahlen, Koalitionsverhandlungen und Regierungsbildung –, vor dem geplanten Termin und in weniger als vier Monaten einen neuen Entwurf für den Doppelhaushalt 2012/2013 dem Parlament zuzuleiten. Deshalb möchte ich mich an dieser Stelle noch einmal ganz ausdrücklich bei allen Kolleginnen und Kollegen, bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bedanken. Wir haben gemeinsam und sehr konstruktiv daran gearbeitet, dass wir sehr schnell und schnellstmöglich zu diesem neuen Doppelhaushalt gekommen sind. Vielen Dank dafür!
Es ist auch, glaube ich, in unserem gemeinsamen Interesse, die haushaltslose Zeit möglichst schnell zu beenden, damit dann auch auf der Basis eines guten Haushalts eine gute Politik gemacht werden kann. In der Tat ist dies ein guter Haushalt, mit dem wir unsere Politik für Berlin umsetzen können. Diese Politik bedeutet an erster Stelle eine solide Finanzpolitik, die die Neuverschuldung abbaut, den Haushalt konsolidiert und auch mit Investitionen und Schwerpunktsetzungen die Zukunft gestaltet. Den Berliner Weg nannte der Regierende Bürgermeister in seiner Regierungserklärung diesen Weg, und für diesen Berliner Weg gehören z. B. die Investitionen in Kinder, in Jugendliche und ihre Zukunftschancen – sprich: die Bildung, vom Kindergarten bis zum Uni-Abschluss – an die erste Stelle.
Ich nenne beispielhaft einige Schwerpunkte, die wir in diesem Haushalt abbilden: Ausbau der Kindertagesbetreuung. Das Betreuungsangebot und die Betreuungsqualität werden verbessert. Wir sind mittlerweile bei mehr als 1 Milliarde Euro an Ausgaben jährlich, und Berlin nimmt in diesem Punkt eine bundesdeutsche Spitzenstellung ein. Wir bauen ferner bedarfsgerecht die Kitakapazitäten aus. Hierfür stehen 20 Millionen Euro für 2012 und 2013 und danach weiter jährlich 16 Millionen
Euro zur Verfügung. Es geht darum, auch für die geburtenstarken Jahrgänge ein ausreichendes Platzangebot vorzuhalten. Wir wollen die Ausbildungskapazitäten für Erzieher und Erzieherinnen erhöhen. Es ist klar: Wo wir größeren Bedarf haben, müssen wir auch stärker ausbilden.
Die Schulstrukturreform, die wir in den vergangenen Jahren finanziell schwerpunktmäßig ausgestaltet haben, wird auch wiederum in den Jahren 2012 und 2013 mit jeweils 16 respektive 18 Millionen Euro im Haushaltsplan vertreten sein. Es geht darum, den Ausbau von Grund- und Sekundarschulen zu Schulen mit einem gebundenen Ganztagsangebot sowie die Umwandlung weiterer Gymnasien zu Ganztagsschulen verstärkt fortzusetzen.
Wir schließen die Betreuungslücke in der 5. und der 6. Grundschulklasse. Vom nächsten Schuljahr an – das ist die gute Nachricht – werden zunächst die Fünftklässler, ab 2013 dann auch die Sechstklässler ein schulisches Betreuungsangebot außerhalb der Ferienzeiten erhalten. Auch das kostet uns Geld, aber gutes Geld – 7 Millionen Euro, um genau zu sein.
Wir werden das Schulanlagensanierungsprogramm mit 32 Millionen Euro fortsetzen, und wir werden auch das Sportanlagensanierungsprogramm mit 9 Millionen Euro im Jahr fortsetzen. Rückblickend kann man dann sagen, dass bis zum Jahr 2013 im Rahmen dieses Programms mehr als 720 Millionen Euro in die Sanierung von Schul- und Sportanlagen geflossen sind.
Wir werden die konsequente Umsetzung der Hochschulverträge fortsetzen. Das kostet uns 982 Millionen Euro im Jahr. Und wir werden die Umsetzung des CharitéVertrages ebenso mit 218 Millionen Euro machen.