Alle sind gefordert, in die Stadt hineinzuhören. Es geht darum zu wissen, wo die Menschen der Schuh drückt.
Deshalb ist mir auch unbegreiflich, wie Ihr Fraktionsvorsitzender Herr Saleh hier eine Erfolgsbilanz zieht und die SPD im Wahlkampf damit wirbt, dass alles so bleiben möge, wie es ist. „Berlin bleibt bezahlbar!“ – Könnte das nicht nur daran liegen, dass Sie eine Werbeagentur aus Düsseldorf beschäftigen? Ich sage: Der SPD ist in der Koalition mit der CDU die Fähigkeit abhandengekommen, einfach mal hinzuhören, was die Stadt bewegt.
Wir wissen alle: Berlin ist eine tolle Stadt mit tollen Menschen, mit einem großen Engagement und einer großen Bereitschaft, sich einzubringen und mitzutun. – Doch die soziale Spaltung wächst. Die Möglichkeiten der Teilhabe sind ungleich verteilt, und der Unmut nimmt zu, weil es keine eindeutigen Signale insbesondere vom Regierenden Bürgermeister gibt, dass sich daran mit der Wahl am 18. September wirklich etwas ändern soll. Ihre Koalitionsspielereien sind da nur das eine, aber dass wir hier wieder die Erzählung der Koalition von der wachsenden Stadt hören inklusive Jubelmeldungen z. B. über das Jobwunder Berlin, ist schon ein Ding.
Dass Menschen sich mit mehreren unsicheren Jobs durchschlagen müssen und davon ihre Existenz zu bestreiten haben, ist in Berlin mittlerweile ebenso alltäglich wie die Tatsache, dass Menschen im Rentenalter Werbung in Briefkästen einwerfen oder in Mülltonnen nach Flaschen suchen. Ja, es entstehen viele neue Arbeitsplätze in unserer wachsenden Stadt, aber was sind das für Arbeitsplätze, zu welchem Gehalt, zu welchen Bedingungen und mit welcher Absicherung? Wer sich von Auftrag zu Auftrag hangeln muss, von Tagelohn zu Tagelohn, wie soll der sein Leben planen? Wie soll so jemand eine Familie gründen oder sich sogar im Kiez einmischen und demokratisch beteiligen?
Ich kann mich nicht erinnern, wann in Ihrem Senat, lieber Michael Müller, zum letzten Mal irgendeine Senatorin
Vergleichbare Geschichten lassen sich zu allen wichtigen Themen Berlins erzählen – zu Mietenexplosion, Wohnungsnot und Verdrängung, zu Verwaltungschaos und Politikversagen, zu bröckelnden Brücken und permanenten Störungen bei der S-Bahn. All diese Storys sind verbunden mit einem weitgehend handlungsunfähigen Senat, und wir haben heute ja noch einmal vorgeführt bekommen, wie sehr Sie sich lieben, wie sehr Sie sich einig sind und wie sehr Sie bereit sind, die Probleme dieser Stadt tatsächlich anzupacken.
Diese große Koalition hat sich fünf Jahre lieber gezankt und blockiert, anstatt sich den Problemen dieser Stadt zu stellen, und sie hat die Konflikte in der Stadtgesellschaft nicht moderiert und gelöst, sondern angeheizt und instrumentalisiert wie Herr Henkel mit seiner Wahlkampfaktion in der Rigaer Straße: Auf Anruf eines Investors mal eben so ohne Titel und rechtswidrig ein feuchtes Kellergeschoss räumen lassen!
Es wundert uns nicht, dass die zentralen Wahlkampfbotschaften von SPD und CDU in den Ohren vieler Berliner wie Hohn klingen, denn da, wo Berlin stark ist, wie die CDU jubelt, ist das nicht wegen des amtierenden Senats so, sondern weil viele Menschen in unserer Stadt aufopferungsvoll für andere einstehen und den sozialen Zusammenhalt organisieren – so, wie in der Flüchtlingshilfe, wo sie die Probleme anpacken, die der CDU-Senator Czaja erst organisiert hat.
Wir haben in den vergangenen fünf Jahren aus der Opposition heraus gemeinsam mit Initiativen in der Stadt verschiedene, zum Teil doch sehr konkrete Vorschläge auf den Tisch gelegt – zur Integration Geflüchteter, zur Mietenpolitik, zum Personal, zu Bildung und Nahverkehr. Die schwarz-rote Koalition hat sich nicht nur abgewöhnt, den Berlinerinnen und Berlinern zuzuhören, sie schaffte es nicht einmal, sich ernsthaft mit den Vorschlägen der Opposition auseinanderzusetzen. Wie man auch heute wieder an der Änderung der Tagesordnung sehen kann, wird das, was stört, einfach qua Mehrheit in den Papierkorb befördert.
Lieber Herr Saleh! Die Bedarfsprüfung für Kita und Hort hätten Sie gestern im Hauptausschuss haben können. Sie hätten einfach nur zustimmen müssen.
Stattdessen haben Sie es vertagt. Das ist genau das, was wir von Ihnen heute hier wieder gehört haben: eine Welle von Ankündigungen, was Sie an Großartigem vorhaben und jetzt, aber jetzt wirklich und auf jeden Fall und unbedingt und ganz schnell tun wollen. Aber es stellt sich die Frage, warum Sie das nicht in den letzten fünf Jahren gemacht haben.
Sie sind unter Druck geraten, und nur dieser Druck hat dazu geführt, dass jetzt ein Wettbewerb des „Schneller, weiter, höher!“ bei der SPD ausgerufen wurde. Stadtwerk! Mir klingelten die Ohren. Aber wer hat es versemmelt? Wer hat denn damals den Volksentscheidsinitiatoren gesagt: „Brauchen wir gar nicht, machen wir schon alles, können wir schon.“?
Lieber Herr Saleh! Ein Antrag zur Privatisierungsbremse liegt seit drei Jahren hier im Plenum, der liegt seit drei Jahren hier im Abgeordnetenhaus. Warum haben Sie nicht einfach zugestimmt? Warum kommen Sie jetzt, zehn Tage vor der Wahl, mit so etwas rüber? – Das ist doch lächerlich.
Und die CDU macht das, was sie immer tut, wenn die Not groß ist: Ängste schüren, am liebsten vor Linksextremisten, auch wenn keine Statistik hierbei einen relevanten Anstieg des Problems ausweist! Zur Not muss die Polizei dann mal Überstunden machen und auch mal ohne richterlichen Entscheid anrücken, um die gewünschten Reaktionen und Bilder zu erzeugen und einen Herrn Henkel, den man in den letzten vier Jahren nicht gesehen hat, kurz vor der Wahl noch mal ein bisschen in das Kameralicht zu rücken.
Darüber kann man am Ende natürlich nur lächeln, aber nicht mehr lächeln kann ich angesichts der sommerlichen Posse von Frank Henkel, vehement ein Burkaverbot einzufordern. Das ist quasi Ihr „Veggie-Day“, Herr Henkel. Herr Henkel hält das ernsthaft für einen Beitrag zur Bekämpfung des Terrorismus. Das ist doch wirklich abenteuerlich und absurd. Kein terroristischer Anschlag ist in Europa von einer Frau mit Burka verübt worden. Viele haben sogar Schwierigkeiten, hier in unserem Land irgendwo eine Frau zu finden, die eine Burka trägt. Das ist ein bisschen wie die Zombie-Apokalypse. Die kennen auch ganz viele nur aus dem Film oder aus dem Kino. Trotzdem glauben aber manche, dass sie über uns kommen wird.
Leider ist dieser Vorstoß zwar absurd, aber auch ebenso eiskalt berechnet. Frank Henkel weiß, dass von der unauffindbaren Burkaträgerin in unserem Land keine terroristische Gefahr ausgeht. Er kann aber die eigene Anhängerschaft, die gerade mit der AfD liebäugelt, damit schön das Gruseln lehren und noch einmal so richtig den dicken Max spielen. Dass damit Ängste und Ressentiments verstärkt werden, nimmt er in Kauf.
Werter Frank Henkel! Ihre Abgrenzung von der AfD vorgestern Abend beim RBB in allen Ehren, aber Sie sind wenig glaubwürdig. Sie sind auch nicht hilfreich. Statt der AfD das Wasser abzugraben, leiten Sie es nur auf deren Mühlen. Im eigenen Interesse, aber vor allem im Interesse des friedlichen Zusammenlebens in unserer Stadt: Fischen Sie nicht mit Ressentiments! Blinken Sie nicht immer rechts, Herr Henkel!
Liebe Ramona Pop! Die kleine Bemerkung kann ich mir an der Stelle nicht ersparen: Ein bisschen weniger Selbstgerechtigkeit würde Ihnen gut tun.
Diskutieren Sie mit Herrn Kretschmann und Herrn Palmer Ihre Vorstellungen zur Geflüchteten-Politik! Ich sage Ihnen, Die Linke hat im Deutschen Bundestag geschlossen gegen sämtliche Verschärfungen des Asylrechts und gegen die weitere Ausweitung angeblich sicherer Herkunftsländer gestimmt. Wenn die Grünen eine solche Bilanz vorweisen können, können sie anfangen, uns zu belehren.
Ja, inklusive Frau Wagenknecht! Herr Kretschmann dagegen fand im Bundesrat, dass man die sicheren Herkunftsstaaten durchaus noch ein bisschen ausweiten könnte, egal, ob dort Lesben und Schwule verfolgt werden, weil die Bürgerinnen und Bürger im Ländle – meinte Herr Kretschmann wahrscheinlich – das Auf-sie-zuBewegen brauchen.
Es muss sich etwas ändern. So viel steht fest. Ungelöste Probleme und ungehörte Bürgerinnen und Bürger führen zu Politikverdrossenheit. Die fällt, wie wir zuletzt in Mecklenburg-Vorpommern beobachten konnten, allen auf die Füße. Uns ist schon bewusst, wie hoch die Erwartungen der Berlinerinnen und Berliner an diese Wahl sind. Unsere Stadt braucht aber eine andere Regierung, die ihre Interessen und Sorgen aufnimmt, einen Senat, der mit ihr kommuniziert und für sie arbeitet, der vor allem nicht darauf fixiert ist, die Macht zu erhalten. Wir
brauchen eine Politik, die bereit ist, die Stadt Schritt für Schritt den Bürgerinnen und Bürgern zurückzugeben. Berlin ist antiautoritär gewachsen. Deshalb wird dafür auch kein starker Landesvater oder eine eloquente Landesmutter benötigt. Es sind die Berlinerinnen und Berliner selbst, die längst damit begonnen haben, die Stadt zu verändern.
In den vergangenen Jahren ist eine vielfältige, aktive Stadtgesellschaft entstanden, die nicht mehr darauf wartet, dass Regierung und Verwaltung aus der Hüfte kommen. Mit Volksbegehren erzwingen die Berlinerinnen und Berliner Zugeständnisse in der Mietpolitik und setzen die Rekommunalisierung der Energiewirtschaft auf die politische Agenda.