Protocol of the Session on May 12, 2016

[Martin Delius (PIRATEN): Tut mir leid!]

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zurzeit fahndet die Polizei mit Fotos aus der Videoüberwachung in Lankwitz nach mehreren potenziellen Gewalttätern. Sie hat in den letzten Jahren mit einer Reihe von Fotos aus der Videoüberwachung Täter überführen können, die in den öffentlichen Bahnen Gewalttaten begangen haben. Das ist das, was wir von Anfang an in Sachen Videoüberwachung immer wieder gesagt haben: Wir müssen wissen, was sie kann und was sie nicht kann. Die Videoüberwachung kann im Zweifel Täter identifizieren und Beweise für Gewalttaten liefern – zum Beispiel auf Bahnhöfen. Solange sie das kann – es ist erwiesen, dass sie das kann –, kann man nicht einfach darüber hinweggehen und sagen, das bringt gar nichts. Wir wissen aus den Erfahrungen der letzten Jahre, dass damit eine erhebliche Anzahl von Tätern überführt werden konnte, und insofern ist das ein sinnvolles Instrument.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD und der CDU]

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Höfinghoff?

Nein! Ich muss meinen Gedankengang im Zusammenhang vortragen, sonst wird nicht deutlich, was wir dazu meinen.

Die zweite Seite ist natürlich, dass man beschreiben muss, was Videoüberwachung nicht kann. Selbstverständlich ist bisher nicht messbar, welche generalpräventive, sicherheitsschaffende, vorbeugende Wirkung die Videoüberwachung haben kann, und deswegen haben wir sie auch nicht eingeführt. Das war nicht der Grund, warum wir das ausgeweitet haben, sondern das waren einzig und allein die Repression und die Beweisführung. Deswegen sind wir nach wie vor skeptisch bei der Behauptung, die Videoüberwachung schaffe mehr Prävention oder Sicherheit. Nein! Sicherheit schafft man durch Personal, durch Doppelstreifen, durch Präsenz vor Ort und durch Reaktionen tatsächlich in dieser Minute – wenn es denn möglich ist.

[Oliver Höfinghoff (PIRATEN): Warum macht es denn keiner? – Martin Delius (PIRATEN): Endlich sagt es mal einer!]

Das ist die eigentliche sicherheitserhöhende Maßnahme, die getroffen werden muss. Deswegen noch einmal: Man

muss sehr differenzieren, was man damit erreichen will und was man nicht erreichen kann. Das haben wir von Anfang an so gesehen.

In diesem Antrag, den Sie vorlegen, beantragen Sie ein Moratorium. Das heißt, bis eine längere Evaluation abgeschlossen ist, soll keine weitere Videoüberwachung,

[Martin Delius (PIRATEN): Das stimmt nicht!]

keine Ausweitung der Videoüberwachung stattfinden. Und das halten wir in der Tat für fahrlässig, das kann man so strikt nicht machen. Wenn es eine Berechtigung gibt und die Polizei sagt, wir können an einem bestimmten Ort durch Überwachung Täter eventuell leichter überführen, dann müssen wir uns dieser Sache stellen und können sie nicht von Vornherein ablehnen. Wir können zum Beispiel darüber diskutieren, was wir am Alexanderplatz machen, allerdings muss man gleichzeitig auch immer darüber nachdenken und mitentscheiden, dass dort mehr Personal zur tatsächlichen Erhöhung der Sicherheit eingesetzt wird. Das wäre unverzichtbar, wenn man die Überwachung ausweiten will. In diesem Zusammenhang macht die Videoüberwachung Sinn,

[Oliver Höfinghoff (PIRATEN): Glauben Sie!]

und deswegen werden wir Ihrem Antrag nicht folgen. – Danke!

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Vielen Dank, Kollege Zimmermann! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erteile ich nun dem Kollegen Lux das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen setzt sich ein für mehr Sicherheit im öffentlichen Nahverkehr und mehr Sicherheit im öffentlichen Raum. Es steht fest, dass dafür Personal erforderlich ist, nämlich jenes Personal, das Rot-Rot damals bei der Polizei gekürzt und dieser Senat noch nicht wieder aufgebaut hat und insbesondere das Personal auf den Bahnsteigen der BVG, das in Ihrer Regierungszeit weggefallen ist. Da muss doch schon deutlich gesagt werden: Das war ein klarer und schwerer Fehler. Es kann doch nicht sein, dass Berlin eine der wenigen Städte ist, wo man für den Fall der Fälle keine Ansprechpersonen hat, wenn auf einem Bahnhof etwas passiert.

Zweitens haben Sie in dem gleichen Zusammenhang die Videoüberwachung eingeführt. Auch hier möchte ich daran erinnern, dass Rot-Rot das Gesetz verabschiedet hat, wonach die Videoüberwachung im öffentlichen Nahverkehr zulässig ist. Damals wurde uns versprochen, das werde evaluiert. Das war Ihre Zusage, die der Fraktion

der SPD und auch der Linksfraktion. Diese Zusage ist nicht eingehalten worden. Das ist bedauerlich, denn es ist wichtig und richtig, die unterschiedliche Wirkung, die die Kameraüberwachung auf den öffentlichen Raum hat, zum jetzigen Zeitpunkt zu erforschen, genauso wie das in London, in Großbritannien auch getan wurde, wo es bekanntlich massiv mehr Videoüberwachung gibt.

Ja, Herr Zimmermann, Sie haben recht! Es ist gut, dass sich anhand der Videobilder, die momentan zur Aufklärung genutzt werden, Täter feststellen lassen. Das sind mit die schlimmsten Gewalttaten, die dort passieren, und deshalb haben nicht nur die Opfer, sondern auch die Allgemeinheit einen Anspruch darauf, dass diese Täter bestraft werden. Das ist gut und richtig so. Die Polizei geht verantwortungsbewusst mit den Videobildern um, die ihr zur Verfügung gestellt werden – übrigens in einer sehr kurzen Zeit. Das Opfer einer Straftat im öffentlichen Straßenland muss sich innerhalb von 48 Stunden bei der Polizei melden, damit die Videoüberwachung ausgewertet werden kann. Das ist eine kurze Zeit, die dazu anhalten soll, sich schnell zu melden, wenn man Opfer einer Straftat geworden ist.

Aber, und auch darüber hätten wir reden sollen, lieber Herr Kollege, wo ist die Grenze? Wo ist die Grenze der Argumentation „Aufklärung ist alles“? Sie könnten die gesamte Stadt mit Videokameras vollhängen, aber ich bin mir sicher, wir würden das nicht wollen. Deswegen ist es sinnvoll und richtig, zu überlegen und evaluieren zu lassen, wo Kameras Sinn machen könnten und wo sie nicht sinnvoll wären, das von unabhängigen, dritten Experten vornehmen zu lassen. Nichts anderes will dieser Antrag. Den Satz mit dem Moratorium könnten Sie jederzeit, noch bis zum Ende der Debatte und bis zur Abstimmung streichen, denn ich habe Sie so verstanden, dass Sie das Moratorium stört. Ich glaube, im Ergebnis würden wir Grüne dem auch noch zustimmen, denn uns kommt es darauf an, eine Sicherheitspolitik zu machen, die so wenig wie möglich Dritte betrifft. Das muss man sich auch vor Augen halten: Unzählige, wahrscheinlich Millionen Bürgerinnen und Bürger werden pro Tag von Kameras abgefilmt. Die allermeisten haben damit kein Problem, aber es gibt Leute, die damit ein Problem haben, und das auch zu Recht, weil das Bundesverfassungsgericht mehrmals festgestellt hat, dass man selbst bestimmen soll, welche Daten man preisgibt und welche nicht. Das ist natürlich bei einer laufenden Videoüberwachung eingeschränkt.

Ich hoffe, dass es mittlerweile bereits in weiten Kreisen der CDU eine solche Sensibilität gibt, denn z. B. Mitglieder der Jungen Union, die nach Riga fahren, oder auch Frau Vogel, die irgendwo in Altglienicke mit Nazis demonstriert, wissen, was es bedeutet, abgefilmt zu werden, und was es bedeutet, aus Versehen abgefilmt zu werden wie im Beispiel der Jungen Union. Das ist übrigens eine Straftat, das Zeigen von verfassungswidrigen Kennzei

chen hier in Deutschland, die der Innensenator gesehen hat. Als er diese Straftat gesehen hat in Berlin vor einigen Jahren – das muss man noch einmal feststellen –, hat er diese nicht zur Anzeige gebracht. Das ist Paralleljustiz, wenn die CDU meint, so etwas intern klären zu können. Das ist ein rechtsfreier Raum. Das war eine Straftat, Neonazisymbole bzw. Hakenkreuze zu zeigen, die durch das Video dokumentiert worden sind, und da hätte man eigentlich als zukünftiger Innensenator eine Strafanzeige stellen müssen, denn nur so kann überprüft werden, welcher Strafvorwurf besteht.

[Zurufe von der CDU]

Sie sehen, hier wird ziemlich widersprüchlich bis bigott mit dem Mittel der Videoüberwachung umgegangen. Wenn man im öffentlichen Nahverkehr Personal einsparen kann, um es dann an den Görlitzer Bahnhof oder in den Görlitzer Park zu schicken, ist es okay, aber wenn man Videoüberwachung hat, um das Zeigen von verfassungsfeindlichen Symbolen aufklären und verfolgen zu lassen, wird der Mantel des Schweigens darübergelegt. Das ist nichts anderes als Paralleljustiz.

[Oliver Höfinghoff (PIRATEN): Darf man denn noch rote Sterne zeigen?]

Deswegen mein Appell an Sie: Stimmen Sie dem Antrag zu, um am Ende wissenschaftlich evaluieren zu lassen, was Videoüberwachung bringen kann. – Vielen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Danke schön! – Für die CDU-Fraktion erteile ich jetzt das Wort dem Kollegen Dr. Juhnke. – Bitte!

Vielen Dank, Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! – Lieber Kollege Lux! Denken auch Sie an die Videoüberwachung! Die zeichnet auch auf, was Sie hier im Regelfall an Unsinn von sich geben, und das können sich dann Ihre Enkel noch angucken. Ich weiß nicht, ob Sie damit immer so gut bedient sind, wenn Sie hier mit dem Finger auf andere zeigen.

[Martin Delius (PIRATEN): Das ist hier keine Videoüberwachung! – Weitere Zurufe von den PIRATEN]

Dann zu dem Thema, das die Piraten schon in dritter Runde diskutieren – ich sage es gleich im Voraus: Nichts spricht im Grundsatz gegen die Evaluation der Wirkung von Videoüberwachung, und ich habe auch gar keine Zweifel an deren Sinnhaftigkeit. Wir haben Videoüberwachung an vielen Stellen: bei Tankstellen, bei Geldautomaten, bei den Banken und bei den Kaufhäusern. Warum sollten sich erwerbswirtschaftlich orientierte Un

(Benedikt Lux)

ternehmen dieses teuren Mittels bedienen, wenn es denn keine Sinnhaftigkeit haben sollte?

[Oliver Höfinghoff (PIRATEN): Oh, Mann!]

Ich habe aber Zweifel daran, dass das Ergebnis dieser Studie bei den Piraten zu irgendeiner Meinungsänderung führen würde. Aus diesem Grunde bezweifle ich die Sinnhaftigkeit dieses Vorgehens.

[Lachen von Oliver Höfinghoff (PIRATEN) – Oliver Höfinghoff (PIRATEN): Herr Juhnke! Dass Sie das Level noch mal senken können, hätte ich nicht gedacht!]

Sie haben, Herr Lauer, einmal im Ausschuss gesagt: Vielleicht könnte das Ergebnis sein, dass wir sogar mehr Videoüberwachung haben wollen. – Wer soll Ihnen das denn glauben, wenn Sie nicht einmal die evidenten Erfolge der Videoüberwachung überzeugen, die wir bei der repressiven Wirkung tatsächlich sehen, wo nicht eine Woche vergeht, in der irgendwelche Fahndungsbilder zu Erfolgen führen? Wie soll Sie das denn überzeugen auf dem in der Tat methodisch deutlich schwierigerem Feld der präventiven Wirkung? Denn dort haben wir verschiedene Faktoren, die zusammenwirken, wo wir nicht genau sagen können, was separiert die Wirkung von Videoüberwachung ist. – Das wird Sie mit Sicherheit nicht überzeugen, und darin liegt auch die Erklärung für Ihren Antrag: Das Moratorium ist der Hauptzweck Ihres Antrages. Sie wollen versuchen, durch eine Diskussion über methodische Fragen und Interpretation der Ergebnisse bei dieser Frage der Videoüberwachung einen Stillstand zu erzeugen. Das ist ein sicherheitspolitische Amoklauf.

[Lachen von Oliver Höfinghoff (PIRATEN)]

Den Stillstand können wir uns nicht leisten vor dem Hintergrund, dass die BVG ständig steigende Anforderungen hat, was Videomaterial anbelangt; dass die Bund-LänderArbeitsgruppe zur Früherkennung von Anschlägen im ÖPNV mehr Videoüberwachung als sinnvolles Mittel herausgestellt hat in der Frage der Terrorbekämpfung; dass die S-Bahn weiter aufrüstet. Diesen Stillstand können Sie vielleicht irgendwie mit Ihrem Parteiprogramm vereinbaren, aber wir werden diesen Antrag ablehnen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Danke schön, Dr. Juhnke! – Ich erteile dem Kollegen Taş für die Linksfraktion das Wort. – Bitte sehr!

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die öffentliche Sicherheit und Ordnung ist ein wichtiges Rechtsgut, die Persönlichkeitsrechte der Berlinerinnen und Berliner aber auch. Die Installation einer Kamera in der Öffentlichkeit, insbesondere die Speiche

rung der aufgenommenen Daten, stellt einen Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung dar. Folglich hat diese Maßnahme Ultima Ratio zu sein, das heißt, letztes mögliches Mittel, auf das zurückgegriffen werden muss, wenn keine milderen Alternativen zur Verfügung stehen. Vor allem muss sie wirksam sein – genau darüber haben Sie noch keinen Nachweis erbracht, lieber Herr Innensenator! Sie sind daher gehalten, eine vernünftige und breite wissenschaftliche Studie in Gang zu setzen, denn nicht wir müssen uns für unsere Freiheitsrechte rechtfertigen, sondern der Staat, der in diese Freiheitsrechte eingreifen will.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN – Zuruf von der LINKEN: Bravo, so ist es!]

Ich habe Zweifel am Sinn und Zweck der Videoüberwachung. Vergegenwärtigen wir uns hierzu die Lage auf einem verlassenen Bahnsteig, auf dem jemand von mehreren vermummten Personen angegriffen wird! Die Koalitionsfraktionen müssen mir doch zustimmen, dass Sicherheitspersonal zur Verhinderung einer solchen Straftat geeigneter ist als eine Videokamera.

[Frank Zimmermann (SPD): Ja, stimme zu! Absolut!]

Niemand bestreitet, dass begangene Straftaten in manchen Fällen mithilfe von Videobildern aufgeklärt werden. Das kann aber nicht unser alleiniges Ziel sein. Wir wollen, dass Straftaten gar nicht erst verübt werden können. Das effektivere Mittel ist der Ausbau des Sicherheitspersonals, das in einer Gefährdungssituation zugunsten der Bürgerinnen und Bürger intervenieren kann.

In den vergangenen Jahren ist der Einsatz von Kameras zur Überwachung des öffentlichen Raums übrigens enorm angestiegen. So haben wir es im Land Berlin inzwischen mit nahezu 15 000 Kameras zur Bewachung der Öffentlichkeit zu tun, mit anderen Worten, die Berlinerinnen und Berliner werden auf Schritt und Tritt beobachtet, insbesondere wenn sie den öffentlichen Nahverkehr benutzen. Was hat das bislang für die Kriminalitätsbekämpfung in dieser Stadt tatsächlich gebracht? – Ich sage, wenig, die CDU und die SPD sagen, viel. Wirklichen Aufschluss über diese Fragen kann uns nur eine breite wissenschaftliche Untersuchung geben. Diese aber verweigern Sie uns mit der Begründung, eine wirkliche Evaluation wäre nicht nötig und auch gar nicht möglich. – Wenn Sie sich so sicher sind, warum haben Sie Angst davor?

Sie verstecken sich nicht nur hinter fadenscheinigen Argumenten, sondern haben auch noch eins draufgesetzt und ein neues Modellprojekt am Alexanderplatz vorgeschlagen. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: Sie wollen keine Untersuchung über die bestehende Videoüberwachung, Sie wollen aber ein neues Überwachungsprojekt einführen, damit das dann untersucht werden kann. Das ist vollkommen absurd und wi

(Dr. Robbin Juhnke)