Zwei wichtige Gründe für die Gründung einer Pflegekammer sind Interessenvertretung nach außen und Gestaltung und Bewachung von Fortbildungs- und Weiterbildungsangeboten nach innen. Auch das ist wichtig.
Im Bereich Gesundheit und Pflege verändert sich in letzter Zeit unheimlich viel, und der Staat hat weder Kompetenzen noch Kapazitäten, um diese Sachen zu überwachen.
Meine Fraktion findet eine grundsätzliche Kritik an Pflichtverkammerung in Ordnung. Das ist okay. Diskussionen über Alternativen sind willkommen. Nach allem, was wir aber wissen – ich glaube, das geht Ihnen auch so –, ist eine Verabschiedung als Verkammerungssystem im Gesundheitswesen innerhalb der nächsten Jahre überhaupt nicht realistisch. Es ist die Entscheidung der Pflegefachkräfte, ob sie eine Kammer wollen. Sie haben sich in Berlin mit klaren Voten dahin entschieden, und ich erwarte zwar keinen Jubel von Ihnen, aber ich erwarte Respekt gegenüber dieser Entscheidung.
Es ist nämlich ziemlich krass zu erleben, welche Ängste durch diese Entscheidungen bei den Partnern der Pflege ausgelöst werden, wie sich vor allem Nichtpflegende ins Zeug werfen, um Pflegekräfte vor Enttäuschungen zu retten. Klar, wenn sich eine große Berufsgruppe organisieren will, löst das schon viele Ängste aus.
Jetzt aber zu Ihnen, Herr Czaja. Sie haben Pflegefachkräfte befragt. Sie haben deutlich signalisiert, dass sie, wenn sie sich dafür entscheiden, eine Kammer bekommen könnten. Die Pflegenden haben dann entschieden, und Sie haben sie im Regen stehengelassen. Die Pflegenden interessiert das Problem mit Ihrem Koalitionspartner eigentlich nicht. Man kann schon sagen, Sie haben es nicht geschafft, die SPD-Fraktion, Ihren Koalitionspartner, auf diesem Weg mitzunehmen. Das nennt man auch vermasselt.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen der Linken! Ihr Motto ist: Das System ist Mist; Pflege lieber absaufen lassen als in so einem Mistsystem zu retten. – Ja, ich kann einfach nicht glauben, dass Die Linke mehrheitlich so einen Antrag trägt. Der Pflegeberuf ist so unattraktiv wie selten zuvor.
Übrigens, gerade jetzt bleiben so viele Ausbildungsplätze leer wie niemals zuvor. Kollegen! Ihr Antrag macht uns weder zu Anhängern noch zu Gegnern der Kammersysteme. Wir wollen, dass es der Pflege besser geht und dass in Gremien, die darüber entscheiden, nicht ausschließlich Ärzte wie Herr Albers sitzen und sich anmaßen zu wissen, was für die Pflege das Beste ist.
Apropos, in der Pflegeszene sagt man, unsere Ausschussvorsitzende ist die beste Begründung für die Gründung einer Pflegekammer.
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Wie groß muss die Angst vor einer Kammerbildung der in der Pflege Beschäftigten bei der antragstellenden Fraktion sein, um den Senator aufzufordern, diesem Treiben ein politikdiktiertes Ende zu bereiten? Wie stark spielen bei diesem Antrag die von den Beschäftigten und Selbstständigen finanzierten Spielwiesen für Ärzte- und Apothekerfunktionäre eine maßgebliche Rolle, wenn es darum geht, pflegeorientierte Gegenmacht zu verhindern? Und drittens: Wie sehr werden durch die Antragsteller Ängste der Verdi-Gewerkschaftler unausgesprochen aufgegriffen, den eigenen Einfluss, der sich sowieso nur sehr schwach in Mitgliederzahlen niederschlägt, noch weiter einzubüßen? Auf Betreiben vieler in der Pflege Tätigen wurde der Kammergedanke angestoßen. Die Alice-Salomon
Hochschule organisierte eine Informations- und Befragungskampagne, die in ihrer Fairness ihresgleichen sucht – das Ganze unterstützt durch die zuständige Senatsverwaltung. Vor der Abfrage wurden Expertenanhörungen durchgeführt, erste Erfahrungsberichte aus anderen Bundesländern – immerhin drei sozialdemokratisch regierten Bundesländern – eingeholt
und mit einem schriftlichen Pro und Kontra an die Abstimmungsberechtigten herangetragen. Bei der Abstimmung entschieden sich 58,8 Prozent dafür, 17,1 Prozent waren dagegen. Das Ergebnis passte vielen, auch den hier Antragstellenden, nicht ins Konzept. Die Folge ist: Diese Mehrheit wird diffamiert, und man muss nur noch, wie es heißt, mit einer kritischen Lesart das Ergebnis zerreden oder umdeuten.
Dazu werden dann beispielsweise – der Kollege der Linkspartei hat es eben wieder getan – eine von 200 Petenten eingereichte hektografierte Petition sowie Briefe an den Ausschussvorsitzenden angeführt.
Bei anderen Vorhaben, bei denen die hier Antragstellenden ihre eigene Meinung bestätigt finden, werden Petenten oder per Brief oder E-Mail protestierende Bürgerinnen und Bürger auf die Seite geschoben, auf die Mehrheitsentscheidung verwiesen und als schlechte Demokraten dargestellt. Immer so, wie es gerade passt, Herr Kollege!
Eine Pflegekammer kann sich nur dann, und das wissen wir auch, erfolgreich als eine Gegenmacht mit eigenem Profil in unserem etablierten Kammersystem behaupten, wenn sie freiwillig von einem großen Teil der Betroffenen gegründet, ausgestattet und dauerhaft mitgetragen wird. Wenn sich diese Mehrheit unter den Betroffenen findet, werden wir – und ich bin sicher, auch der Senator – diesen Weg weiter mitgehen und fördern.
Es ist nicht die Aufgabe einer Pflegekammer, beispielsweise Löhne und Gehälter zu verhandeln. Es wird eine ähnliche „Arbeitsteilung“ wie zwischen Ärztekammer und Marburger Bund geben. Aber: In den Bereichen der Aus- und Weiterbildung, bei der Qualifikationsanbahnung und -sicherung, bei der Lobbyarbeit in der Öffentlichkeit und insbesondere im Ringen mit den anderen im Gesundheitswesen vertretenen Kammern auf gleicher Augenhöhe, wird sich die Kraft einer Pflegekammer, davon bin ich fest überzeugt, bewähren.
Ein weiteres Argument erscheint mir wichtig. Sowohl bei der schriftlichen Befragung als auch besonders deutlich bei der Onlineabfrage unter den Schülerinnen und Schülern der Kranken-, Kinder- und Altenpflege – bei der letzteren mit 59,1 Prozent Ja-Antworten – zeigt sich, dass
besonders die Jüngeren einer Verkammerung das Wort reden. Diese jungen Leute stellen nach meiner Auffassung in großem Maße die Zukunft der Pflege in unserer Stadt dar. Der hier vorliegende Antrag und in dessen Folge die von Ihnen erwartete Direktive des Senators verdeutlichen gerade diesen jungen Auszubildenden, wie wenig ernst Sie deren Meinung nehmen.
Letzter Gedanke: Ist es Ihnen nicht ernsthaft verdächtig, wenn Sie maßgebliche Teile der Pflegeunternehmerschaft beim Kampf gegen eine Pflegekammer – und das mit dem plumpen Argument der Beiträge – fest an Ihrer Seite finden? – Alles Weitere im Ausschuss! Ich danke Ihnen!
[Beifall bei der CDU – Beifall von Thomas Birk (GRÜNE) – Oliver Friederici (CDU): Sehr gut! – Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Ha, ha, macht euch nur Mut!]
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte im Ausschuss angedeutet, dass ich mich erst wieder zur Pflegekammer äußere, wenn das Gesetz oder der Vorschlag zur Errichtung einer Pflegekammer vorliegt. Nun haben wir gehört, dass wir das wohl in dieser Legislaturperiode nicht mehr erleben werden. Wieso also dieser Antrag? – Die Argumente von Herrn Dr. Albers fand ich sehr gut, sie hätten auch zum Antrag gepasst „Abschaffung der Ärztekammer – keine Spielwiese für Ärztefunktionäre“. Ich wäre dafür, sich ernsthaft Gedanken zu machen, wie man das Kammersystem reformieren kann.
Ich musste mich seit Beginn der Legislaturperiode aber auch damit auseinandersetzen, dass gerade von den Pflegeverbänden, also denjenigen, die sich für die in der Pflege ausgebildeten Berufstätigen einsetzen, durchaus gute Argumente für die Errichtung einer Pflegekammer vorgebracht worden sind, und das nicht, weil sie genau das gleiche Spiel machen wollen wie die Ärztekammer oder weil sie unbedingt diese Spielwiese brauchen, sondern weil sie eben seit Jahren durch die Gesundheitspolitik, durch die Praxis in den Heimen und in den Krankenhäusern als Berufsstand an den Rand gedrängt werden. Da hilft es nichts, Herr Dr. Albers, wenn Sie darauf hinweisen, dass viele, die da arbeiten, nicht von der Kammer profitieren würden, weil sie gar nicht Mitglied werden könnten. Wir hatten das neulich im Ausschuss bei dem Gesetz über die Pflegehilfskräfte: Genau das wollen wir ja verhindern. Wir möchten, dass alle, die in der Pflege arbeiten und keine dreijährige Ausbildung haben, diese in
Zukunft absolvieren können. Wir wollen Bedingungen dafür schaffen, dass sie sie erwerben können. Genau das ist aber auch im Interesse der Berufsverbände, die dafür werben, dass die Pflege ihren Stellenwert als eigenständiger Heilberuf im Gesundheitssystem erhält. Die Argumentation, die sie für eine Kammer vorbringen, halte ich durchaus für bedenkenswert. Solange wir nun mal dieses System haben, sehe ich keine Möglichkeit, durch Aufwertung der Berufsverbände das Gleiche zu erreichen, denn diese Berufsverbände gibt es ja schon, die werden aber auch nicht beitragsfrei sein. Gerade aus diesen Gründen haben sie auch nicht so den Zulauf, vor allem aus der Gruppe derjenigen, die als Hilfskräfte arbeiten.
Generell kann ich dieses Projekt nicht abschließend beurteilen, denn es liegt mir kein Vorschlag vor, wie das realisiert werden soll. Es wird gerade mit der Höhe der Beiträge argumentiert – man weiß es eben nicht. Es ist natürlich klar, dass, wenn man eine Kammer hat, da ein Beitrag gezahlt werden soll, und ich habe auch große Bedenken, wenn es um Zwangsbeiträge geht, aber man kann sich auch eine für alle Beteiligten sinnvolle Gestaltung vorstellen. Es geht ja gerade darum, das wurde auch gesagt, dass die Arbeit der Kammer vor allem die unabhängige – also von Unternehmen und Staat unabhängige – Weiterentwicklung des eigenen Berufsstands darstellt, und das ist durchaus eine wichtige Aufgabe, die von einer Kammer erfüllt werden kann. Es muss, wie gesagt, keine Kammer sein, dann aber sollten wir mal das gesamte Kammerwesen oder -unwesen auf den Prüfstand stellen, statt einer Berufsgruppe, die im Moment hier benachteiligt ist, generell die Errichtung einer solchen Kammer zu verbieten. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!
Vielen Dank! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Es wird die Überweisung des Antrags an den Ausschuss für Gesundheit und Soziales und an den Hauptausschuss empfohlen. – Widerspruch höre ich nicht. Dann verfahren wir so.
In der Beratung beginnt die Fraktion der SPD. – Herr Kollege Jahnke, bitte schön, Sie haben das Wort!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt einen dummen Satz, der mich als Wirtschaftspolitiker maßlos ärgert. Der lautet: Berlin hat ja keine Industrie mehr. – Dies ist angesichts von 17,4 Milliarden Euro Industrieumsatz im vergangenen Jahr – davon 9,8 Milliarden Euro, die in den Export gingen – wirklich Unsinn. Gasturbinen beispielsweise aus Berlin, Motorräder, auch andere Produkte neuer Branchen von Hidden Champions sind in der ganzen Welt gefragt. Berlin hat Industrie.
Richtig ist aber, dass die industrielle Basis nach wie vor zu schmal ist und Berlin als Industriestandort eine noch viel größere Vergangenheit hat. Industrielle Bauten und Anlagen prägen das Stadtbild Berlins in allen Bezirken, sie prägen damit auch die Identität der Stadt, die Struktur der Stadt. Riesige Areale der führenden Konzerne der einstigen Elektropolis Berlin wie Siemens, AEG, Osram, am Gesundbrunnen, in Siemensstadt oder Schöneweide zeugen hiervon ebenso wie die unzähligen Hinterhofwerkstätten und -fabriken in Berlin-Kreuzberg, Schöneberg oder Neukölln. Zum Teil werden diese Bauten noch bis heute industriell-gewerblich genutzt. Die Gasturbinen, von denen ich sprach, werden in der Peter-Behrens-Halle von 1909 hergestellt, das BMW-Motorradwerk geht auf die Zwanzigerjahre zurück. Aber auch völlig neue Branchen, Start-ups ziehen in alte Produktionsgebäude, in alte Brauereien ein. Das ist richtig; die wirtschaftliche Nutzung sollte im Vordergrund stehen. Hier entstehen Arbeitsplätze. Die IHK hat gerade dieser Tage erst ein Industrieflächenkonzept angemahnt.
Aus der Geschichte Neues zu entwickeln heißt aber auch, kulturelle Kontinuität zu wahren, Zukunft mit dem Bewusstsein um die DNA der Stadt zu gestalten. Genau dies meinen wir mit Industriekultur. Industriekultur ist ein riesiges Pfund, mit dem Berlin wuchern kann. Über bloßen Denkmalschutz geht das weit hinaus. Denkmalschutz bei Produktion in historischen Gebäuden ist oft sogar ein Zielkonflikt für die Unternehmen, die dort produzieren wollen und davon ein Lied singen können. Erhalt historischer Bausubstanz muss in das Gesamtkonzept einbezogen werden.
Es geht aber auch um die Erschließung alter Industriebauten und -flächen für kreativwirtschaftliche Nutzungen und auch für das Berlin-Marketing zum Beispiel von visit-Berlin, zum Beispiel auch für den Tourismus. Die Geschichte Berlins ist ein ganz wesentlicher Grund, warum Touristen nach Berlin kommen. Warum soll Geschichte eigentlich immer nur Preußens Gloria, Nazi-Zeit oder die Mauer bedeuten? Geschichte ist natürlich auch, wie in dieser Stadt gelebt und gearbeitet wurde, und dies kann man sehr viel stärker kulturell, touristisch nutzen. Andere Gegenden machen uns das sehr gut vor, beispielsweise das Ruhrgebiet, das Saarland oder Sachsen. Die europäische Kulturhauptstadt Ruhr 2010 ist sicherlich beispielgebend.
Das hier in Berlin ansässige Berliner Zentrum für Industriekultur, BZI, soll, so fordert es unser Antrag, zusammen mit öffentlichen Akteuren – mit anderen Museen oder auch mit der Deutsche Bahn – wie auch mit Privatunternehmen ein Konzept entwickeln. Es ist eine wirkliche Querschnittsaufgabe, daher ist der Antrag in vier Parlamentsausschüsse überwiesen worden. Es sind Aspekte der Stadtentwicklung, der Kultur, der Medien und der Wirtschaft betroffen. Ich freue mich auf die Diskussion in den Ausschüssen. – Vielen Dank!