Protocol of the Session on November 26, 2015

Wie ist die gegenwärtige Situation? Wie ist die Aufgabe des Koordinierungsstabes zur Unterbringung von Flüchtlingen? – Die gegenwärtige Situation ist dadurch gekennzeichnet, dass über Nacht Flüchtlinge in Berlin ankommen, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Koordi

(Benedikt Lux)

nierungsstabs sich morgens treffen, um zu beraten, wie viele Flüchtlinge angekommen sind wie sie bis zum Ende des Tages untergebracht werden können, um für die Nacht für Obdach zu sorgen, um für die Nacht Obdachlosigkeit zu vermeiden. Aufgrund der Zahl 800 Flüchtlinge pro Tag laufen wir der Situation hinterher und suchen immer am aktuellen Tag eine Unterbringungsmöglichkeit.

[Dr. Klaus Lederer (LINKE): Wie lange schon?]

Wir stehen vor der Frage, wie wir das ändern können, ob wir für 2016 Vorsorge treffen können, damit wir nicht im Mai 2016 wieder zusammentreten und sagen, oh, wir sind aber überrascht, dass 2016 auch viele Flüchtlinge zu uns kommen, was machen wir denn da jetzt –, sondern unsere Aufgabe muss es doch sein, der Entwicklung zuvorzukommen, nicht der Situation hinterherzulaufen, sondern Vorsorge zu treffen, damit wir Unterkünfte für Menschen haben, damit wir Obdachlosigkeit vermeiden können. Darum geht es hier.

In der letzten Plenarsitzung hat der Regierende Bürgermeister in der Regierungserklärung einen Neun-PunkteMaßnahmeplan vorgestellt, den wir jetzt abarbeiten. Die Nutzung der Ränder des Tempelhofer Feldes gehört zu dieser Frage dazu. Die temporäre Nutzung der Ränder des Tempelhofer Feldes ist nach unserer Auffassung 2016 erforderlich, bzw. wir müssen Vorsorge treffen, damit wir die Ränder nutzen können, falls es notwendig wird.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Otto?

Nein, gegenwärtig in der Erklärung nicht.

Keine Zwischenfragen.

Gestatten Sie mir an der Stelle die deutliche Erklärung: Die Volksabstimmung gilt.

[Martin Delius (PIRATEN): Ach ja?]

Das Tempelhof-Gesetz gilt.

[Dr. Klaus Lederer (LINKE): Genau!]

Es geht hier bei der Ergänzung des Tempelhof-Gesetzes nicht um die Ermöglichung von Randbebauung.

[Martin Delius (PIRATEN): Ach ja?]

Es geht hier um die temporäre Ermöglichung der Vermeidung von Obdachlosigkeit in den Jahren 2016 bis Ende 2019, nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Wir sind im Moment dabei, viele Unterkünfte für Menschen zu suchen. Wir belegen alte Bürogebäude, die Hangars des Flughafens Tempelhof. Wir nehmen Sporthallen in Anspruch. Das ist außerordentlich problematisch für den Schulsport. Und es ist sehr problematisch für die Sportvereine, die dann Trainingsmöglichkeiten verlieren. Es ist übrigens auch problematisch für die Bezirke, die die Sporthallen nach Freiziehung wieder übernehmen müssen, weil natürlich Sanierungskosten durch die artfremde Nutzung entstehen. All das nehmen wir an dieser Stelle auf uns, um Obdachlosigkeit zu vermeiden, um humanitäre Hilfe zu leisten. Vor diesem Hintergrund der Inanspruchnahme der vielfältigen Möglichkeiten in unserer Stadt ist es einfach notwendig, alle Möglichkeiten durchzuprüfen, alle Möglichkeiten zu denken.

[Udo Wolf (LINKE): Wann denn endlich? Wann denn endlich?]

Ich möchte einige Fragen beantworten, die in der Diskussion aufgetaucht sind, erstens die Frage, müssen wir das Gesetz überhaupt ändern. – Da lohnt ein Blick in den Gesetzestext. Das Tempelhof-Gesetz § 5 – Rechte und Pflichten des Landes Berlin – enthält Absatz 3:

Die Eigentümerin verzichtet, soweit in § 7 keine Ausnahmen hierzu genannt sind, darauf … Gebäude und Bauwerke im Rechtssinne zu errichten und bauliche Anlagen, Aufschüttungen und Abgrabungen herzustellen.

§ 8 – Verbote – sagt:

In Widerspruch zu den Schutzzielen stehend und folglich untersagt sind: 1. Erweiterungen der Gebäude, Bauwerke und baulichen Anlagen, 2. jede Form von Camping und provisorischen Behausungen …

Dann haben wir noch die zehnseitige Begründung zum Tempelhof-Gesetz. Auch dort zitiere ich die Einzelbegründungen, die darstellen, wie die Paragrafen des Tempelhof-Gesetzes ausgelegt werden sollen. Einzelbegründung zu § 5 – Rechte und Pflichten des Landes Berlin –:

In dieser Norm sind die Rechte und Pflichten des Landes Berlin hinsichtlich der … definierten Fläche festgelegt. … Berlin verzichtet darauf, Verträge abzuschließen, mit denen es sich in Widerspruch zu den Normen des Tempelhofer-FeldGesetzes setzen würde.

Und zu § 8 Nr. 2 als Klarstellung:

Als Camping oder provisorische Behausungen im Sinne des Verbots gelten, unabhängig davon, ob eine Übernachtung stattfindet, alle auf mehreren Seiten materiell abgegrenzten Räume, die zum Aufenthalt von Menschen bestimmt sind.

Also ist die Frage klar zu beantworten: Nach dem bisher geltenden Tempelhofer-Feld-Gesetz ist eine temporäre

(Senator Andreas Geisel)

Unterbringung von Menschen an den Rändern des Feldes zur Vermeidung von Obdachlosigkeit nicht zulässig. Gerade deshalb gebietet es der offene Umgang mit dem Gesetz, der Respekt vor dem Tempelhofer-Feld-Gesetz – Herr Lux hat vorhin von dem Volksgesetz gesprochen –, offen mit der Frage umzugehen, ob wir eine Ergänzung vornehmen, nicht verdruckst, sondern klar zu sagen, was wir wollen, nicht heimlich Zelte oder Traglufthallen zu errichten, ohne das Gesetz selbst anzufassen. Wir müssen offen und klar den Berlinerinnen und Berlinern sagen, was wir tun, und dann auch tun, was wir sagen.

[Zuruf von der LINKEN]

Zweitens: Was wollen wir mit der Änderung, mit der Ergänzung des Gesetzes ermöglichen? – Es geht um die befristete Unterbringung von Menschen, längstens bis zum 31. Dezember 2019. Wir wollen Traglufthallen als Möglichkeit für die Unterbringung der Menschen an den Rändern, an einigen Rändern des Feldes aufstellen können. Es gibt bisher nur ein konkretes Projekt, das ist die IGA-Blumenhalle am Tempelhofer Damm. Dort soll diese Halle, die etwa 700 bis 800 Menschen beherbergen kann, im Januar/Februar nächsten Jahres aufgestellt werden. Verschiedene Artikel in Zeitungen des heutigen Tages suggerieren, dass es dort Meinungsverschiedenheiten gäbe. Diese Artikel entsprechen nicht den Tatsachen.

[Zuruf von Steffen Zillich (LINKE)]

Es werden weitere alternative Standorte gesucht, auch für weitere Hallen, auch im Bezirk Pankow, aber nicht alternativ, sondern additiv. Der Senat steht zu dem gestern im Senat beschlossenen Gesetzentwurf.

[Antje Kapek (GRÜNE): Der Senat schon!]

Für alle anderen Flächen gibt es, außer der angesprochene IGA-Blumenhalle am Tempelhofer Damm, noch keine konkreten Projekte. Alles andere ist reine Vorsorge, damit wir auch 2016 handlungsfähig sind, denn wir wissen nicht, was 2016 passiert. Wenn wir davon ausgehen müssen, dass die Zahl der Flüchtlinge, die nach Berlin kommen, auch 2016 anhält, müssen wir handlungsfähig sein.

Drittens: Arbeitet der Senat nach Salamitaktik? –

[Lachen bei den Grünen und der LINKEN – Heidi Kosche (GRÜNE): Das glauben wir! – Dirk Behrendt (GRÜNE): Er gibt es zu, er gibt es zu!]

Nein. Wir lernen und präzisieren. Ich will Ihnen das schildern, wie wir in den vergangenen 14 Tagen vorgegangen sind.

[Zurufe von den GRÜNEN und der LINKEN]

Es gab die Überlegung, wenn wir am Tempelhofer Damm die IGA-Blumenhalle im Januar/Februar aufstellen, was dann danach passiert. Müssten wir nicht jetzt alle Karten auf den Tisch legen und deutlich sagen, dass wir Optionen schaffen, um für den Fall, dass sich die Flüchtlingssituation nicht entspannt, auch weitere Flächen belegen zu können? Da kam in der Diskussion ins Spiel, auch die

Neuköllner Seite des Tempelhofer Feldes mit in Anspruch zu nehmen. Wir haben die vergangenen 14 Tage genutzt, diese Frage weiter zu untersuchen und weiter zu präzisieren. Deshalb sind die Flächenvorschläge herausgekommen, die jetzt in der Gesetzesänderung enthalten sind. Es sind Präzisierungen. Wir haben deutlich gemacht, wir schließen die Nutzung der Gemeinschaftsgärten in der Oderstraße aus. Wir haben deutlich gemacht, wir nutzen die Fläche des ehemaligen Zwangsarbeiterlagers nicht. Wir brauchen die Fläche am Columbiadamm als zweite Zufahrt für das Gebäude des Flughafens Tempelhof, um dort die mit Flüchtlingen belegten Hangars entsprechend versorgen zu können.

Vierter Punkt: Was ist eigentlich mit dem Gebäude des Flughafens Tempelhof? Und warum nutzen wir nicht das Vorfeld? – Wenn wir im Frühjahr nächstens Jahres aller Voraussicht nach alle sieben Hangars des Flughafengebäudes Tempelhof belegt haben, dann befinden sich in dem Gebäude etwa 5 000 Menschen.

[Heidi Kosche (GRÜNE): Es sind ja schon 3 000!]

Das ist wie eine kleine Stadt. Das Vorfeld dieses Gebäudes hat eine zentrale Funktion für die Logistik. Frischwasserversorgung, Entsorgung von Abwasser, Materiallager, medizinische Einrichtungen, Krankenstation, gegebenenfalls Quarantänelager, Schul- und Bildungseinrichtungen,

[Zuruf von Elke Breitenbach (LINKE)]

all diese Dinge müssen aufgestellt werden. Es ist auch eine Sicherheitsfrage, da Feuerwehr und Polizei im Zweifelsfall dort ungehinderten Zugang haben. Es gibt auch den Vorschlag, Versorgungsleitungen gegebenenfalls in die Regenentwässerungskanäle auf dem Vorfeld zu legen. Technisch wäre das mit beträchtlichem finanziellen und zeitlichen Aufwand sicherlich möglich. Nur: Die Regenwasserkanäle sind auf Regenentwässerung ausgelegt. Was passiert eigentlich dann, wenn es regnet? Was passiert, wenn wir diese Regenentwässerungen entsprechend mit Versorgungsleitungen belegt haben? – Ich kann es Ihnen sagen: Das Vorfeld wird überschwemmt.

„Alternative Standorte“ ist die Frage: Warum nutzt der Senat nicht alternative Standorte? – Wir nutzen alternative Standorte.

[Zuruf von den GRÜNEN: Welche?]

Ich sagte schon, in diesem Jahr haben wir 65 000 Menschen in der Stadt untergebracht. Und das sind die Größenordnungen, mit denen wir auch im nächsten Jahr zu rechnen haben. Ja, wir werden viele alternative Standorte nutzen müssen, wie beispielsweise – das ist auch schon diskutiert – das ICC oder andere Großeinrichtungen oder die Messehalle, die für die Grüne Woche vorgesehen ist, die wir gegenwärtig nutzen. Das wird auch 2016 der Fall sein.

(Senator Andreas Geisel)

5 000 Menschen im Gebäude des Flughafens Tempelhof unterzubringen, ist eine Größenordnung, die ich vor Monaten noch vollkommen ausgeschlossen hätte. Ich will hier auch deutlich sagen: Natürlich ist eine dezentrale Unterbringung von Menschen in kleineren Größenordnungen viel besser. Das ist vollkommen unbestritten. Nur, darüber sind wir hinweg.