Ich weiß nur eines – dass es das Prädikat „der beste“ und „der zweitbeste“ bei Historikern nicht gibt.
Die Zeiten von damals haben sich glücklicherweise geändert. Um Diktatoren wie Hitler und seine Spießgesellen von der Liste zu entfernen, brauchen wir die Historiker nicht.
Das können wir als Parlamentarier selbst entscheiden. So ist es ja auch geschehen. Im Übrigen, Herr Magalski, die Geschichte hat gesprochen, die Messen sind gesungen. Sie können sie kritisch betrachten, aber Sie können sie nicht revidieren. Weltgeschichte, sagt Hegel, ist nicht der Boden des Glücks – oder, wie Richard Löwenthal formuliert, kein Seminar.
Ich gebe Ihnen noch ein krasses Beispiel: Berliner Ehrenbürger ist u. a. der russische Zar Nikolaus I. Er verbannte und behinderte Puschkin. Er unterdrückte die Reformbewegung der Dekabristen. Er lehnte die Aufhebung der Leibeigenschaft ab. Und wenn Sie bei Wikipedia nachlesen, dann können Sie noch weitere wenig sympathische Züge erkennen. Vom heutigen Standpunkt aus hätte er als Berliner Ehrenbürger keine Chance, wäre disqualifiziert.
Aber können wir die russisch-preußische Geschichte wirklich korrigieren? Wollen Sie wirklich Nikolassee oder Nikolskoe umbenennen? Finden Sie sich doch damit ab, dass die Mächtigen dieser Welt vor 200 Jahren mangels Demokratie und mangels Rechtsstaat ihre Macht missbrauchten! Genießen wir gerade heute am 8. Mai stattdessen die Aufklärung und ihre Folgen! Genießen wir es, den dunklen Zeiten in Europa und Deutschland entkommen zu sein! Versuchen wir aber nicht, altklug Geschichte zu entsorgen!
Ihren Antrag, Herr Magalski, den wir ablehnen werden, habe ich zum Anlass genommen, einen Blick auf die Liste der 117 Ehrenbürger zu werfen. Dabei ist mir aufgefallen, dass viele Menschen, denen die Stadt zutiefst verbunden ist, in der Liste fehlen, z. B. Wilhelm von Humboldt, Hegel und Ernst Reuter. Vielleicht sollten wir prüfen, das Gesetz zu ändern, dass es nur zulässt, Lebende zu Ehrenbürger zu ernennen. Ich belasse es einmal bei dieser Anregung und danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Präsident! – Herr Magalski! Was die rechtlichen Grundlagen dieser seinerzeitigen Tat der Berliner Stadtverordnetenversammlung anbelangt, da müssen Sie nicht viel lesen. Lesen Sie nur das Ermächtigungsgesetz, das war die rechtliche Grundlage!
Auflistungen von Einzelpersönlichkeiten, an solche Leute vergebene Auszeichnungen und Ehrungen werden immer umstritten sein. Das liegt in der Natur der Sache. Und Frauen – ich knüpfe hier an Frau Bangert an – sind in unserer tatsächlich nur formal gleichgestellten Welt immer im Nachtrab – immer, auch in der Berliner Ehrenbürgerliste. Ich bedauere das zutiefst.
Auch die lange Liste der Nobelpreisträger ist eine Liste des Ruhmes, aber auch eine Liste von Peinlichkeiten. Auch sie ist – um die Piraten zu zitieren – mehr oder weniger stark umstritten, immer. Otto Hahn bekam den Preis 1945 für die Entdeckung der Kernspaltung. Lise Meitner wurde geflissentlich ignoriert. Barack Obama erhielt ihn 2009 für seine Friedenspolitik, und heute brennt auch durch sein Zutun der halbe arabische Raum. Etliche derer, die beim Ableben von Günter Grass vor wenigen Tagen – warum ist Grass eigentlich nie Ehrenbürger Berlins geworden, Herr Lehmann-Brauns? –
mit den Weihrauchkesseln des Ruhmes wedelten, wollten Grass 2012 den Literaturnobelpreis wieder aberkennen lassen. Wie gesagt: Solcher Streit ist ein normaler Vorgang. Zudem: Keine Kommission ist vollkommen, keine handelt vollkommen neutral. Das wäre finsterer Aberglaube, Herr Magalski, so etwas anzunehmen. Und die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse, Frau Kollegin Lange, sind häufig morgen früh schon der Schnee von gestern.
Die Ehrenbürgerliste Jahrzehnte vor dem Ersten Weltkrieg interessiert mich auch, aber allenfalls aus historischen Gründen. Natürlich bin ich stolz darauf, dass unsere Vorgänger die Größe hatten, Menschen wie Heinrich Schliemann, Rudolf Virchow oder Ernst Ludwig Heim – um Gottes willen, wer war das überhaupt? Was sagt denn Wikipedia dazu? – auf die Liste zu setzen. Bei Otto von Bismarck, ich gebe es zu, Herr Kollege, habe ich schon meine Zweifel, und Zar Nikolaus I. – ich fand das toll, dass Sie das dargestellt haben, Herr Lehmann-Brauns – tanzte als Reaktionär selbst bei den Romanows aus der Reihe. Und der General Friedrich von Wrangel ist nun eine komplette Fehlleistung unserer politischen Ahnen: einen Menschen mit der Ehrenbürgerschaft der Stadt Berlin auszuzeichnen, der mit Waffengewalt 1848 diese Demokratie abschaffte: Um Gottes willen, was hat die denn geritten!
Aber um das zu sehen, Herr Magalski, braucht man keine Kommission. Ein gutes Geschichtsbuch reicht auch. Sie müssen ja nicht unbedingt ein Berliner Geschichtsbuch nehmen. Nehmen Sie ein gutes!
Schwieriger ist es da mit dem 20. Jahrhundert. Aber da helfen auch Kommissionen nicht. Dass das Unrecht an Marlene Dietrich und Nikolai Bersarin beseitigt wurde, wurde bereits erwähnt, aber das war weniger das Ergebnis von Kommissionen; die Fakten lagen da seit Jahren auf dem Tisch. Das war das Ergebnis von vielen intensiven Gesprächen, an denen auch viele beteiligt waren, über die Parteigrenzen hinweg und auch über die Koalitionsgrenzen hinweg.
Natürlich kann man über einige Namen streiten, die nach 1945 auf die Liste kamen – mit Verlaub, ich habe relativ wenig Lust dazu, aber das ist meine persönliche Meinung – oder auch von dieser Liste gestrichen wurden. Ich sage Beispiele: Otto Dibelius, wenn ich an den Tag von Potsdam denke und seine wüsten, antisemitischen Ausfälle des Jahre 1933, dann kriege ich immer Bauchschmerzen, wenn ich an seinem Portrait in unserer Ehrenbürgergalerie vorbeigehe. Oder Heinrich Lübke oder Alexander Kotikow oder Lucius D. Clay, der wurde ja mal von Harry S. Truman zurückgepfiffen. Warum eigentlich? Apropos Truman: Weshalb ist Truman nie auf die Ehrenbürgerliste geraten? Harry S. Truman hat für diese Stadt mehr getan als George W. Bush. Aber gut, okay, da wäre Einiges zu diskutieren. Und wenn das mit einer solchen Kommission möglich werden könnte, dann versuchen wir es – bitte schön!
Aber, Herr Magalski, Sie haben das in der kurzen Zeit, die Sie jetzt hier sind, erlebt: Dieser Senat nimmt niemandes Rat gerne an, auch von einer solchen Kommission nicht. Und wie beratungsresistent einige Entscheider sind, zeigt der Umgang mit dem Abräumen der Ehrengräber bedeutender Persönlichkeiten wie zum Beispiel von Friedrich Paulsen, dem Vater des modernen Gymna
siums, oder von Leo Blech, dem verdienstvollen Direktoren der Berliner Hofoper zu Zeiten von Richard Strauss, 2013 bzw. 2014 geschehen. Gut, Blech war Jude und musste deshalb 1937 seinen Posten und das Land verlassen. Man hätte in Sachen Leo Blech, Herr Regierender Bürgermeister, auch zum Beispiel mit Michael Blumenthal sprechen können. Machen Sie es heute, Sie sehen ihn doch: Wie gehen wir mit Blech um?
Oder, anderes Beispiel, man hätte natürlich Michael Blumenthal auch fragen können, wie wohl er sich auf einer Liste zusammen mit Paul von Hindenburg fühlt. Aber das können wir immer noch korrigieren, und ich hoffe, wir tun das auch. Das ist wirklich einer der wenigen Punkte, wo ich Korrekturnotwendigkeiten sehe.
Hindenburg steht am Anfang einer Entwicklung, an deren Ende sich dann Auschwitz und Treblinka befinden. Hindenburg hat die erste Judenzählung des deutschen Heeres 1916 zumindest gedeckt und abgesegnet. Das war am Anfang des mörderischen Antisemitismus. Das sollten wir nicht vergessen.
Um den von einer Liste zu streichen, liebe Frau Bangert, braucht es keine neue Kommission – die Fakten liegen auf dem Tisch –, man braucht seitens einiger Parlamentarier in diesem Haus nur ein kleines bisschen Charakter. Den kriegt aber auch keine Kommission in die Rücken geimpft. Das kann man nur selbst machen. Die Fakten liegen, wie gesagt, auf dem Tisch.
So lange diese Liste um ganz wenige Positionen nicht bereinigt ist, haben Neuernennungen, wie die jüngst geschehene, ein kleines Geschmäckle, und es tut mir leid um den zu Ehrenden, vor dem ich große Hochachtung habe. – Vielen herzlichen Dank!
Vielen Dank, Kollege Brauer! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Es wird die Überweisung des Antrags an den Ausschuss für Kulturelle Angelegenheiten empfohlen. Widerspruch höre ich nicht, dann verfahren wir so.
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bürgerschaftliches Engagement vom 13. April 2015 Drucksache 17/2230
In der Beratung beginnt die Fraktion der SPD, und die Kollegin Ülker Radziwill hat das Wort. – Bitte schön!
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In zweiter Lesung behandeln wir nun und erneut als Priorität der Koalitionsfraktionen den vorliegenden Antrag zur Ehrenamtskarte. Ein wesentlicher Schwerpunkt des seit über einem Jahr existierenden Ausschusses für Bürgerschaftliches Engagements in diesem Hause besteht darin, das Ehrenamt und das bürgerschaftliche Engagement in Berlin mehr zu würdigen. Wir wollen die Wertschätzung, das Engagement für das Allgemeinwohl, sich für andere, sich aktiv für die Gesellschaft einzusetzen, noch mehr unterstützen und würdigen. Daher begrüßen wir die Initiative des Senats, das Konzept der Ehrenamtskarte weiter zu entwickeln und viel stärker auf die Bedürfnisse der Empfänger und Empfängerinnen auszurichten. Die Ehrenamtskarte ist ein sinnvolles Instrument, aber das Angebot muss ausgeweitet werden, damit die Akzeptanz und die Attraktivität der Berliner Ehrenamtskarte erhöht werden kann. Daher haben wir uns nach längeren Beratungen im Ausschuss auf folgende Punkte geeinigt:
Erstens: Der Partnerkreis für Vergünstigungen, die durch die Karte zu erreichen sind, soll ausgeweitet werden. Der Senat wird hierzu ein Interessenbekundungsverfahren initiieren. Zweitens: Die Karte soll auf die Metropolenregion Berlin/Brandenburg ausgeweitet werden. Daher wird der Senat auf Brandenburg zugehen. Ziel ist es, nach Möglichkeit eine einheitliche Ehrenamtskarte für die Metropolenregion anzubieten. Drittens: Ein Beirat soll die Ausgestaltung und die zukünftige Weiterentwicklung der Ehrenamtskarte aktiv begleiten und prägen. Der Ausschuss Bürgerschaftliches Engagement bildet dazu diesen Beirat.
Damit geht aus dem Parlament klar die Botschaft: Die Verbesserung der Ehrenamtskarte und die Würdigung des Ehrenamtes ist uns ein wichtiges Anliegen, und wir begleiten es aktiv mit. Wir setzen hier auch auf einen Dialogprozess mit Akteurinnen und Akteuren sowie Partnerinnen und Partnern im Bereich der Engagementkultur und der Anbieterseite in Berlin und Brandenburg.
Ich will die Gelegenheit nutzen und eine jüngste Aktivität der Senatskanzlei hervorheben. Was sagt Ihnen „Blauer Bär“? – Am Dienstag, also vor zwei Tagen, überreichte der Regierende Bürgermeister Michael Müller den Europapreis mit dem Namen „Blauer Bär“. Erstmalig wurde dieser Preis verliehen. Er wird vom Land Berlin und der Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland ausgelobt. Gern zitiere ich dazu den Regierenden Bürgermeister.
Angesichts eines zunehmend antieuropäischen Populismus und der Bedrohung unserer europäischen Grundwerte soll die Auszeichnung ein deutliches Zeichen des Bekenntnisses Berlins zur europäischen Integration setzen. Mit dem „Blauen Bären“ werden beispielhafte Berliner Initiativen, Projekte und Personen gewürdigt, die mit ihrem überwiegend ehrenamtlichen Engagement in unterschiedlichsten Gesellschafts- und Politikbereichen zum Zusammenwachsen Europas und seiner Menschen beitragen und sich für unsere gemeinsamen europäischen Überzeugungen einsetzen.
Recht hat Michael Müller, und daher passt dieser Preis im Vorfeld des 70. Jahrestages der Befreiung auch ganz gut.
Das Thema der Aktuellen Stunde aufgreifend, will ich die Gelegenheit nutzen, mich beim Regierenden Bürgermeister auch dafür zu bedanken, dass er sich in seiner heutigen Rede bei den vielen ehrenamtlichen Helfern und Helferinnen, die sich zur Unterstützung der Flüchtlinge einsetzen, bedankt hat. Jedes Ehrenamt in Berlin ist wichtig, aber ganz besonders aktuell ist das Engagement für Flüchtlinge in unserer weltoffenen Metropole. Dieses Engagement ist von hohem Wert für die Betroffenen, aber auch für unsere Gesellschaft.
Gemeinsam setzen wir uns gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus, aber auch gegen Diskriminierung ein. Ehrenamt und bürgerschaftliches Engagement ohne Vorurteile prägt positiv das Klima in unserer Stadt. Daher ist es wichtig, dieses Engagement zu würdigen. Die Berliner Ehrenamtskarte ist ein Teil dessen. Ich bitte Sie um Unterstützung und danke für die Aufmerksamkeit!