Protocol of the Session on January 29, 2015

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Wir Berliner, so behauptet dieses Blatt, lungern neun Stunden am Tag herum, auch am Arbeitsplatz, Bundesdurchschnitt seien 7,2 Stunden. Das ist kein Wunder, die anderen haben mehr Feiertage und müssen nicht während der Arbeitszeit abhängen.

[Christopher Lauer (PIRATEN): Ja!]

Früher war das auch bei uns anders. Im Mittelalter gab es bis zu 200 Feiertage im Jahr.

[Beifall und Heiterkeit bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD und den PIRATEN – Christopher Lauer (PIRATEN): Sehr gut!]

Selbst Spitze-auf-Knopf-rechnende Sozialhistoriker kommen auf mindestens 100 Nicht-Arbeitstage. Praktisch gab es im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation um 1500 die Fünftagearbeitswoche, tolle Sache!

[Christopher Lauer (PIRATEN): Sehr gut!]

Kein Wunder, dass sich das aufstrebende städtische Bürgertum der Thesen eines rabiat gewordenen Wittenberger Theologieprofessors bemächtigte,

[Zuruf von der CDU: Na, na, na! – Heiterkeit bei den PIRATEN]

der lakonisch bemerkte: Freunde, von der Arbeit stürbet niemand!

Alle Reformatoren gingen im Prinzip davon aus, dass der – jetzt im Ernst – mündige Christ sich nicht sklavisch an von der Obrigkeit gesetzte Festzeiten halten müsse, wenn er denn sein gesamtes Leben, Kollegin Seibeld, als Gottesdienst begreife. Dem Feiertagswesen stand die Reformation durchaus ablehnend gegenüber.

[Beifall von Christopher Lauer (PIRATEN)]

Luther stellte 1590 fest, dass der liederliche Müßiggang, der die Feiertage präge, mehr Sünde als Gottesdienst sei.

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN – Christopher Lauer (PIRATEN): Du meine Güte!]

Und jetzt kommen Sie hier an und wollen zur Jubelfeier eben dieses genuinen Feiertagsgegners einen arbeitsfreien Feiertag installieren,

[Heiterkeit bei der LINKEN und den PIRATEN]

und das auch nur einmalig.

[Daniel Buchholz (SPD): Alle 500 Jahre!]

Um Gottes willen! Das wirft natürlich die Frage auf, ob wir nun bei allen bedeutenden Jubiläen mit einem einma

ligen freien Tag rechnen dürfen. Ein Rat an Sie, Bürgermeister Henkel: Planen Sie bitte für den Berliner öffentlichen Dienst in zwei Jahren einen zusätzlichen Brückentag ein. Der Reformationstag fällt auf einen Dienstag,

[Heiterkeit und Beifall von Christopher Lauer (PIRATEN)]

und wir wollen die Zeit zum liederlichen Müßiggang doch nicht verschenken! Obwohl: Ich bin mir sicher, die Lobbyisten des Einzelhandelsverbandes reiben sich jetzt schon Daumen und Zeigefinger, denn unter Garantie wird der 29. Oktober 2017 ein verkaufsoffener Sonntag!

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN – Zurufe von Daniel Buchholz (SPD) und Christopher Lauer (PIRATEN]

Da ignoriert man natürlich gerne, dass Martin Luther es vor 500 Jahren mit der Austreibung der Wechsler aus dem Tempel verdammt ernst meinte.

[Beifall bei der LINKEN]

Und jetzt kommen Sie mir bitte nicht damit, dass ich als Linker die Bedeutung der Reformation beschädige – mitnichten!

[Heiterkeit bei der LINKEN und den PIRATEN]

Das machen die evangelischen Bischöfe schon selbst:

[Beifall und Heiterkeit bei der LINKEN und den PIRATEN]

Für uns ist klar,

hören Sie bitte genau zu! –

dass wir die Reformation nicht als ein antirömisches Ereignis gestalten wollen.

Sagte wer? – Der sächsische Landesbischof Jochen Bohl. Reformation und nicht antirömisch – sind wir im falschen Film? Luther, Melanchthon, Bugenhagen und Calvin betrieben die Sache dezidiert als antirömisches Projekt, nichts anderes. Rom hatte es verstanden, und das Trienter Konzil in der Folge dann auch.

[Heiterkeit bei den PIRATEN]

Gut! Aber: Bei Bischof Bohl findet sich ein leicht jesuitischer Haken. Wenn der Reformationstag nicht seines historischen Kernes entledigt wird – jetzt wird es sehr ernst! –, steht natürlich auch in Berlin die Frage nach dem katholischen Allerheiligen am ersten November.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN – Christopher Lauer (PIRATEN): Ganz genau! Richtig!]

Ich sehe schon einen Endlosstreit von Theologen und Rechtsgelehrten auf uns zukommen – Sie müssen es dann ausbaden – mit Eskalationsgefahren. Religionskriege entzündeten sich oft an Banalitäten.

[Beifall und Heiterkeit bei der LINKEN und den PIRATEN]

Wir wollen doch nicht, dass unser Regierender Fürst – jetzt ist er nicht da – und sein Stadtvogt aus dem Fenster gestürzt werden.

[Beifall und Heiterkeit bei der LINKEN und den PIRATEN]

Daher unser Vorschlag, und das meine ich jetzt sehr ernst: Lassen wir diese Albernheit mit dem einmaligen Reformationstag. Führen wir ihn auch in Berlin als dauerhaften arbeitsfreien gesetzlichen Feiertag ein, das wäre konsequent,

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN – Zurufe von den PIRATEN]

und, um des lieben Friedens willen, Allerheiligen gleich mit.

[Beifall und Heiterkeit bei der LINKEN und den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Damit hätten wir immer noch zwei Feiertage weniger als in Süddeutschland, und wir wären wieder bei Luther, der von seiner sturen Feiertagsfeindlichkeit am Ende seines Lebens abwich.

Die Christen

sagte er –

können wohl ohne solche Stücke

er meinte Feiertage –

geheiligt werden und bleiben … Aber um der Kinder und des einfältigen Volks willen

der meinte uns –