Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Grünen wollen – was Kollege Behrendt gerade vorgetragen hat –, dass in Deutschland lebende Ausländer bei Volksbegehren und Volksentscheiden abstimmungsberechtigt sind. Bisher war das aus den von Herrn Behrendt genannten rechtlichen Gründen nicht möglich. Er hat hier zutreffend auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem 83. Band, Seite 27
und Seite 20 zitiert. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden: Staatsvolk definiert sich über Staatsangehörigkeit und das Staatsvolk ist wahlberechtigt. – Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, lieber Kollege Behrendt, wollen Sie ja kühn, wie Sie sagen, umgehen, indem Sie das Wort „wahlberechtigt“ durch „stimmberechtigt“ ersetzen. Das klingt nach einer einfachen Lösung. Ich halte es zugegebenermaßen für juristisch äußerst dünnes Eis.
In der Intention des Antrags sind wir möglicherweise gar nicht so weit voneinander entfernt. Sie werden auch bei uns in der Fraktion und in der Partei viele Unterstützer finden, die sagen, dass jahrelang in Deutschland oder in Berlin lebende Ausländer an Volksbegehren oder Volksentscheiden teilnehmen können. Sie finden bei uns auch viele Befürworter – auch das ist kein Geheimnis –, das haben Sie in den Antrag ebenfalls aufgenommen, die auch 16-Jährige zu Volksbegehren zulassen wollen. Nur die Wahrheit ist, lieber Kollege Behrendt: Wir werden Sie bei dem Anliegen nicht unterstützen. Und das aus zwei Gründen – erstens: Die Antragsumsetzung ist unserer Auffassung nach rechtlich so nicht zulässig.
Zweitens: Im Koalitionsvertrag haben wir uns – auf Seite 960 können Sie es nachlesen – dahingehend verständigt, dass wir in dieser Legislaturperiode keine Änderung am Abstimmungsgesetz oder an der Verfassung von Berlin zur Änderung von Bürgerbegehren und Volksbegehren vornehmen wollen.
Auch eine Änderung des Wahlalters werden wir nur einvernehmlich mit dem Koalitionspartner vornehmen, Sie wissen das. Sie haben schon einen Antrag zur Absenkung des Wahlalters eingereicht, Ihr Antrag ist abgelehnt worden. Wir halten uns selbstverständlich an unseren Koalitionsvertrag.
Unabhängig davon ist Ihr Vorschlag auch rechtlich nicht umsetzbar. Ich will mit Ihnen einen Fall aus dem Lehrbuch Verfassungsrecht konkret von Andreas Fisahn besprechen. Der Fall lautet Fallübung zum kommunalen Wahlrecht – Seite 130:
Das Bundesland X engagiert sich für die Integration ausländischer Staatsbürger. Es möchte daher für die Wahl kommunaler Organe usw. ein Wahlrecht für lange in Deutschland lebende Ausländer normieren. – Das ist nach diesem Fall nicht möglich, da das Bundesverfassungsgericht auf Artikel 28 und Artikel 20 Absatz 2 abgestellt und gesagt hat, dass es nicht zulässig sei, dass einzelne Bundesländer solche Bestrebungen aufgreifen. Demnach und nach der Rechtsauffassung des Bundesverfassungsgerichts können sie nicht einfach durch eine Worterset
zung festlegen, dass ausländische Staatsbürger an Volksbegehren und Volksentscheiden teilnehmen können.
Träger der öffentlichen Gewalt ist die Gesamtheit der Deutschen, die in Berlin ihren Wohnsitz haben. Sie üben nach dieser Verfassung ihren Willen unmittelbar durch Wahl zu der Volksvertretung und durch Abstimmung, mittelbar durch die Volksvertretung aus.
Insofern meinen wir, dass sich auch aus der Verfassung von Berlin heraus ergibt, dass der vorliegende Antrag rechtlich nicht umsetzbar ist. Mit anderen Worten: Wir können und werden auch im Ausschuss diesem Antrag nicht Folge leisten und ihn nicht beschließen können. – Herzlichen Dank!
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Beim Kollegen Kohlmeier musste ich gerade etwas schmunzeln, denn im Koalitionsvertrag stehen auch viele andere Dinge, die Sie auch nicht machen.
Man muss klipp und klar sagen, dass der Kollege Behrendt ein Anliegen in die parlamentarische Beratung eingebracht hat, dem man politisch eigentlich – außer man ist Christdemokrat – nicht wirklich was entgegensetzen kann. Natürlich müssen die langjährig in Berlin lebenden Einwohnerinnen und Einwohner der Stadt politisch das Recht haben, genauso über Dinge mitzubestimmen wie alle deutschen Staatsangehörigen, die in Berlin leben, auch.
Natürlich ist es auch völlig richtig, das Alter derjenigen, die an direktdemokratischen Entscheidungen mitwirken, genauso wie bei Wahlen auf 16 Jahre herabzusetzen. Es ist überhaupt nicht einzusehen, warum bei der BVV gelten soll, was im Abgeordnetenhaus nicht gilt. In Brandenburg hat es auch funktioniert mit Rot-Rot und der Unterstützung der Grünen. Ich glaube, die FDP hat sogar auch noch mitgemacht. Da ist es auch auf Landesebene
und auf kommunaler Ebene eingeführt worden. Es gibt also keinen triftigen Grund, das nicht zu machen.
Ich hatte während der Bundestagswahl die Gelegenheit, mit der Kollegin Högl, die ja SPD-Spitzenkandidatin war, auf vielen Podien zu sitzen. Wenn sie eines wie eine tibetanische Gebetsmühle immer wieder heruntergeklappert hat, dann: Man muss endlich das Ausländerwahlrecht einführen! Das ist mein politisches Fazit: Beide Anliegen sind rundum vernünftig, und beiden Anliegen fühlt sich auch die Linksfraktion absolut verpflichtet.
Jetzt haben wir trotz alledem das Rechtsproblem. Da sollten wir nicht drum herumreden, da müssen wir uns auch nicht gegenseitig austricksen. Wir haben einen konkreten Antrag vorliegen, und der unterliegt noch ein paar mehr Kriterien als nur dem guten Willen. Ein Kriterium ist die Rechtsordnung. Ich muss gestehen: Ich war schon ein bisschen über die Art und Weise überrascht, wie versucht wird, das Anliegen umzusetzen. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1990 hat der Kollege Behrendt genannt. Der Bremische Staatsgerichtshof hat im März 2014 diese Rechtsprechung im Übrigen noch einmal bestätigt. Dazu gibt es auch ein spannendes Minderheitenvotum, das sagt, aus welchen Gründen – die ich überzeugend finde – diese Rechtsprechung heutzutage eigentlich nicht mehr haltbar ist. So oder so ist aber nach dieser Rechtsprechung das Wahlvolk – und zwar auf allen drei staatlichen Ebenen – grundsätzlich identisch, gebildet durch die deutschen Staatsangehörigen und niemanden sonst.
Die einzige Durchbrechung, das hat Kollege Behrendt auch gesagt, ist die Grundgesetznorm von Artikel 28 Absatz 1 Satz 3, die Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern kommunales Wahlrecht vermittelt. Das ist die einzige Durchbrechung, die das Grundgesetz zulässt. Ich glaube nicht, dass die Annahme der Grünen zutrifft, die dem Antrag letztlich zugrunde liegt, die den Antrag trägt, dass nämlich das Wahlvolk – und nur das Wahlvolk – vom Homogenitätsprinzip des Artikels 28 umfasst sei, während das, nennen wir es mal, Abstimmungsvolk – dort nicht explizit erwähnt – vom Landesverfassungsgesetzgeber frei festgelegt werden kann.
Da steht nicht: Alle Staatsgewalt geht von Völkern aus. Sie wird von Völkern, von zwei Völkern – von einem Volk in Wahlen und von einem anderen Volk in Abstimmungen – ausgeübt. Das ist jetzt ein rechtssystematisches Argument, kein politisches Argument. Rechtssystematische Argumente sollten wir aber bei Rechtsfragen,
Es ist, glaube ich, insofern ein bisschen gewagt, davon auszugehen, dass für die direkte Demokratie ein anderer, flexiblerer Staatsvolkbegriff zugrunde gelegt werden kann als bei der repräsentativen. Das scheint mir doch sehr zurechtgebogen. Wie gesagt: In der Sache teile ich, was Sie wollen. Ihre Argumentation ist aber sehr zurechtgebogen.
Es gibt gewichtige Stimmen in der Literatur, die die Bundesverfassungsgerichtsentscheidung von 1990 für nicht mehr zeitgemäß halten. Auch verfassungsrechtliche Rechtsprechung kann sich ändern. So hat das Bundesverfassungsgericht noch 1957 die Strafbarkeit der Homosexualität aus der Verfassung notwendig abgeleitet, während es heute in ständiger Rechtsprechung die Gleichstellung von Ehe und Lebenspartnerschaft fordert. Das geht also offenbar.
Ich glaube insofern auch, dass wir daran arbeiten müssen. Prof. Hans Meyer von der Humboldt-Universität hat am 6. November 2014 auf einer Veranstaltung von Citizens for Europe die Argumente noch einmal zusammengetragen. Ich finde, wir sollten daran arbeiten, dass sich diese Rechtsprechung ändert. Das geht aber nur durch Aufklärung, nicht durch Trickserei. In einer anderen Frage haben wir hier im Hause eigentlich schon eine Mehrheit, und das gilt im Übrigen nicht nur für Abstimmungen, sondern eigentlich auch für Wahlen. Wir hatten es hier schon einmal besprochen, Fritz Felgentreu hat es aber damals mit ein paar aufrechten, wackeren Sozialdemokraten torpediert, nämlich die Herabsetzung des Wahlalters für das Abgeordnetenhauses auf 16 Jahre. Ich gebe Ihnen Brief und Siegel, Kollege Behrendt: Es wird keine 20 Jahre dauern, bis wir das hier umsetzen. – Vielen Dank!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was ich als Christdemokrat hier sagen werde, ist durch meinen Vorredner bereits antizipiert worden. Er hat damit recht gehabt. Ich will die Gelegenheit nutzen, es kurz auszuführen. Kollege Lederer hat recht, wenn er sagt, dass die Christdemokraten gegen diese verfassungsrechtlich nicht vertretbare Vorstellung des Kollegen Behrendt ins Feld ziehen werden. Er hat auch recht damit, dass auch die
Es ist mit der Verfassung, mit unserem Grundgesetz nicht vereinbar, es ist aus grundsätzlichen staatsrechtlichen Erwägungen, aber auch aus politischen Gründen falsch, was Sie vorhaben. Die Präambel unseres Grundgesetzes benennt das deutsche Volk als Ausgangspunkt der Verfassungs- und Staatsgewalt. Artikel 20 Absatz 2 ist bereits von zwei Rednern angesprochen worden, ich will ihn noch mal zu Gehör bringen:
Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.
Das Volk im Sinne des Gesetzes und in der Rechtstradition sowie rechtsvergleichend in allen Staaten dieser Erde, lieber Herr Behrendt, ist die Gesamtheit der Staatsbürger und nicht irgendein willkürlich von Ihnen bestimmter Kreis, der eben diese Merkmale nicht aufweist – innerer Zusammenhalt, Verbindung, Sesshaftigkeit usw.
Auf den Punkt gebracht: Staatsbürgerliche Rechte wie Wahlen und Abstimmungen sind schon logisch nicht von der Staatsbürgerschaft zu trennen. Das Staatsrecht weist dem Staat konstitutiv die Elemente Staatsgebiet, Staatsgewalt und Staatsvolk zu, was die Summe der Staatsbürger ist. Damit ist Ihr Ansatz, und das wissen Sie, Herr Behrendt, auch dogmatisch schon nicht tragbar.
Praktisch ist es angreifbar, was Sie vorhaben. Es ist politisch abzulehnen. Die Ausübung dieser staatsbürgerschaftlichen Rechte ist von der Staatsbürgerschaft nicht trennbar. Sie kann nicht auf andere Gruppen übertragen werden. Für mich ist es wichtig zu betonen, dass dieses Staatsvolk keine abgeschlossene, neudeutsch gesagt Closed-Shop-Gruppe ist, die andere ausgrenzt. Vielmehr ist es so, dass jedermann, der sich hier rechtmäßig aufhält, sich rechtstreu verhält und sich hier dauerhaft aufhalten will, die Staatsbürgerschaft unterdessen weitgehend unproblematisch erlangen kann und damit auch an Wahlen und Abstimmungen teilnehmen kann. Ihr Antrag ist aus rechtlichen, grundsätzlichen und politischen Gründen als grüner Populismus abzulehnen. – Danke!
[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD – Benedikt Lux (GRÜNE): Versuch mal als Nichtdeutscher, die Staatsbürgerschaft zu erlangen! Von wegen einfach!]