Protocol of the Session on December 12, 2013

Die leicht königlich-gönnerhafte Geste, mit der der Regierende Bürgermeister vorhin den Haushalt des Kultursenators erläuterte, erinnerte mich irgendwie an Friedrich den Großen. Das war ein gewisser Politiker von Format. Ihm wird die Aussage zugeschrieben, dass es mit den Philosophen wie mit einer Zitrone sei: Man quetscht sie aus, und wenn kein Saft mehr kommt, wirft man sie weg. Genau das praktizieren Sie mit Teilen der Berliner Kulturlandschaft, Herr Wowereit! Sie schmücken sich mit deren Leistungen, quetschen sie förmlich aus, und dann werden die irgendwie zur Seite gelegt. Die zynische Idee der Herren Kollegen Graf und Saleh, mit den die 25 Millionen Euro überschießenden Einnahmen aus der

City-Tax, also – übersetzt – einer Summe, die sich der Null nähert, diese Nullsumme

[Zuruf]

von unten oder von oben, genau –, die wollen Sie dann auch noch dritteln. Dieses Drittel wollen Sie der freien Szene zur Verfügung stellen. Das ist schon unerhört! Den fast 40 000 frei arbeitenden Berliner Künstlerinnen und Künstlern kann man, denke ich, nicht deutlicher klar machen, dass man sie eigentlich für nebensächlich hält, für ausgequetschte Zitronen, und sie sich genau genommen vom Acker machen können.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lange?

Nein! Jetzt bin ich gleich fertig. Wir können dann diskutieren. – Einer von diesen machen Sie es sogar recht unverblümt von Angesicht zu Angesicht klar, den sogenannten Finanzierungsvorschlag für Sasha Waltz kann man nur als perfide bezeichnen. Genau diese Art des Kulturkannibalismus der Betroffenen untereinander, den Sie hier befördern, den wollte die Koalition für die freie Szene eigentlich vermeiden. Sie spielen die Gattungen gegeneinander aus, Sie spielen die Freien und die Institutionellen gegeneinander aus, und aus der Not einer vollkommen konzeptionslosen Kulturpolitik fallen Sie zurück in das alte „Teile und Herrsche!“.

Zurück zur Zitrone: Herr Wowereit! Die möchte ich Ihnen am Ende meiner Rede schenken. Ich denke, es ist besser, Zitronen zu pressen, als weiterhin Künstlerinnen und Künstler unter einem solchen Druck arbeiten zu lassen. – Vielen herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Für die Piraten jetzt der Kollege Lauer!

Was soll man da noch sagen? – Sauer macht lustig! – Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Zu dieser späten Stunde jetzt also der Kulturhaushalt. Ich habe mit dem Kollegen Kowalewski getauscht und bin künftig im Gesundheitsausschuss. Ich werde mich in Zukunft zum Glück nicht mehr um dieses Thema kümmern müssen. Weshalb zum Glück? – Was findet hier an Kulturpolitik in Berlin statt? Wir haben es gesagt, heute Morgen hat es Herr Verrycken gesagt, nur 0,8 Prozent werden im Haushalt überhaupt herumgeschoben. Jetzt haben wir die Summen noch einmal von Herrn

(Wolfgang Brauer)

Brauer gehört, was davon im Kulturhaushalt herumgeschoben wird. Da kann man sich die Frage stellen: Was macht dieser Ausschuss eigentlich das ganze Jahr? – Herr Schneider lacht. Darauf habe ich gewartet. Ich interpretiere das nicht. – Also: Was macht der Ausschuss das ganze Jahr? Wie ernst nimmt er sich? Wie ernst wird man von jemandem genommen, der neben dem Amt des Regierenden Bürgermeisters auch noch das mit dem Kultursenator irgendwie machen muss? Dementsprechend läuft es sich dann auch an.

Das Problem bei der Kulturpolitik ist, glaube ich, nicht, dass wir 400 Millionen Euro und noch etwas mehr für Kunst und Kultur ausgeben, sondern dass wir eigentlich als Politik, aber auch die Kulturschaffenden, überhaupt nicht mehr wissen, wofür wir das ausgeben und was wir da eigentlich machen. Denn es ist ja alles möglich. Die Zeiten, in denen es wie in der Renaissance, eine Leitkultur oder irgendetwas gab, wogegen man sich auflehnen konnte, sind vorbei. Es ist alles möglich. Ich glaube, Frau Lange hat vorhin etwas von „gesellschaftskritisch“ gesagt. Wann waren Sie denn das letzte Mal in einem Theater oder in irgendeiner Veranstaltung, von der Sie gesagt haben: Oha, hier kommt von Kulturschaffenden ein Impuls, über den ich so richtig nachdenken muss; hui, da sehe ich meine Steuergelder bei der Arbeit? – Es passiert nicht. Deshalb ist das, was in Berlin stattfindet, auch okay. Da kommen viele Leute und wollen sich das irgendwie anschauen. Ich habe es vorhin beim Thema CityTax schon einmal gesagt: Diese Behauptung, die kämen alle nach Berlin, weil wir hier so eine tolle freie Szene haben oder weil wir so tolle Opern oder sonst etwas haben – ich habe vorhin mit Herrn Schmitz gerätselt, über wie viele Plätze Berlin abends in Kulturinstitutionen überhaupt verfügt. Wir waren uns nicht ganz sicher. Wenn man sehr konservativ rechnet, ist es wahrscheinlich irgendetwas zwischen 30 000 und 50 000. Selbst wenn es 50 000 sind, es kommen 26 Millionen Touristen im Jahr nach Berlin, das sind 70 000 am Tag, das ist einmal das Olympiastadion gefüllt. Die kommen jetzt alle wegen der kulturellen Institutionen nach Berlin? Wenn man sich die Auslastung unserer kulturellen Institutionen anschaut, dann mache ich da ein Fragezeichen. Dann kommen die freie Szene und die anderen kulturellen Institutionen, und weil es keinen Maßstab, keine Bewertungsgrundlage gibt, ist alles total wichtig, was die machen, und es ist alles total super, was die machen. Es stellt sich kein Politiker hin und sagt: Ich kürze euch das weg. – Bei Sasha Waltz ist das passiert, gut, meine Güte, dann geht die halt woanders hin. Das passiert doch irgendwie ständig. Was war das damals in Bochum, Nokia? Die haben gesagt, hier gehen wir weg, weil wir nicht mehr die Förderung bekommen.

[Zuruf von Thomas Birk (GRÜNE)]

Ja, Sie können ja gleich noch eine Kurzintervention machen, Herr Birk. Machen Sie noch einmal eine Kurzintervention, dann können Sie das Lied von der freien Szene singen. Ja, es ist Scheiße – Entschuldigung! Unparla

mentarisches Wort! –, es ist schlecht, dass die prekär arbeiten. Macht die Frau an der Kasse bei Netto auch – oder der Mann. Wie sollen wir denen eigentlich angesichts der Wirtschaftslage, angesichts dessen, wie wir hier im Parlament mit Geld umgehen, wofür wir Geld rauswerfen – ohne irgendeinen Maßstab – – So würden wir in keinem anderen Politikbereich mit den Dingen umgehen. Das ist das Problem. Darüber wird in diesem Ausschuss nicht diskutiert, darüber wird in diesem Haus nicht diskutiert, sondern wenn Lobbying im Kulturbereich stattfindet, dann ist das automatisch gut, weil es sich um Kultur handelt und Kultur gut ist. Alles ist irgendwie super. Ich habe mittlerweile den Eindruck, wir machen das nur noch, weil wir Angst davor haben, dass wir irgendwann feststellen, dass im Land der Dichter und Denker keiner mehr in die Theater und das alles geht, wenn man die Förderung komplett streichen würde. Deshalb ist das, was Frau Lange gesagt hat, vollkommen in Ordnung. Lasst uns denen die Gelder nicht streichen, lasst uns denen das Geld weiter irgendwie nachwerfen. Das ist ja super. Dann sollen die da ihr ganzes Kulturgebimsel machen. Das ist wichtig. Aber, mein Güte! – Vielen, lieben Dank!

[Beifall bei den PIRATEN]

Vielen Dank, Herr Kollege! Das muss ich noch einmal nachlesen. – Herr Regierender Bürgermeister!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Schönen Dank für die Zitrone! Ich hoffe, sie ist unbehandelt und ökologisch angebaut.

[Evrim Sommer (LINKE): Bio!]

Nee? – Doch. Wird bestätigt. Da bin ich erst einmal zufrieden. Ansonsten kann ich verstehen, dass Sie glauben, mit „Die Übergangsgesellschaft“ das richtige Theaterstück gefunden zu haben, das Sie sich anschauen. Es ist ein altes Werk und wird vom Sohn jetzt neu inszeniert. Herr Brauer! Bei Ihnen ist es allerdings nicht nötig, dass da etwas neu inszeniert wird. Solange ich Sie kenne, erzählen Sie immer dasselbe. Das hat sich wirklich kontinuierlich erhalten. Es wird dadurch aber auch nicht besser. Es lässt sich simpel zusammenfassen: Sie sind ein überzeugter Kulturmensch – ich nehme Ihnen das auch ab –, und Sie sagen: Koste es, was es wolle, wer immer auch fordert, was er will. Egal wie, Sie sind an dessen Seite. Das finde ich toll. Ein wirklich sympathischer Mensch, ein Menschenfreund, ein Kulturfreund. Damit kann man natürlich Politik gestalten. Es passte zur Haushaltsrede Ihres Fraktionsvorsitzenden.

[Zurufe von der LINKEN]

Aber Sie müssen einmal zur Kenntnis nehmen, dass wir zwar alle nach oben schauen, aber das Geld nicht vom

(Christopher Lauer)

Himmel kommt, sondern von den Steuerzahlern und aus den Einnahmen des Landes Berlin.

[Zurufe]

Das ist in allen einzelnen Bereichen begrenzt. Natürlich ist diese Wachstumsrate, die wir im Kulturbereich haben, in der gesamten Bundesrepublik Deutschland einmalig, genauso, wie die Berliner Kulturlandschaft weltweit einmalig ist.

Frau Bangert! Sie haben zwar fast dasselbe Tempo drauf gehabt, wie Frau Pop in ihrer Rede,

[Sabine Bangert (GRÜNE): Danke!]

es geht wirklich schnell, auch als Süddeutsche –,

[Heiterkeit]

aber Frau Pop hat wenigstens – das habe ich vorhin schon erwähnt –, die tollen Seiten an Berlin wirklich gewürdigt. Sie haben so getan, als befänden wir uns in einem Desaster, als sei die Kulturlandschaft am Ende. Mitnichten! In der Tat, die Menschen kommen in diese Stadt, weil es eine reichhaltige Kulturlandschaft gibt,

[Zurufe]

weil es die Infrastruktur gibt. Das heißt nicht, dass jeder Mensch, der nach Berlin kommt, dauernd in die Oper, die Philharmonie oder die freie Szene läuft,

[Zurufe]

sondern das Angebot macht es und vor allen Dingen die Haltung einer Stadt, das geistige Klima, das in einer Stadt herrscht. Dafür steht diese Stadt Berlin.

[Zurufe]

Deshalb ist sie innovativ, und deshalb können sich hier die einzelnen Bereiche entwickeln. Es wäre in der Tat fatal, wenn die freie Szene gegen die sogenannte Hochkultur in Stellung gebracht würde. Es ist Quatsch! Wir brauchen beides in dieser Stadt, beides muss gepflegt werden. Deshalb hat es Zuwächse gegeben im etablierten Bereich wie in der freien Szene. Die Summen sind hier schon genannt worden. Das ist eine 20-prozentige Steigerung im Etat für die freie Szene. Das ist ein Riesenerfolg dieser Koalition.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Das ist eine Erfolgsgeschichte.

[Oliver Höfinghoff (PIRATEN): Da war sie wieder!]

Wenn kulturelle Einrichtungen erfolgreich sind, machen sie für sich auch einen höheren Zuschussbedarf geltend. Das ist bei Sasha Waltz und bei anderen so. Wenn man kein System wie in der Bundesliga mit Auf- und Absteigern hat, dann ist das nur machbar, wenn sich das Volumen kräftig ausdehnt. Aber eins kann nicht akzeptiert werden – das müssten auch Kulturinteressierte in einem Parlament akzeptieren –, nämlich dass die einzelnen Einrichtungen selbst definieren können, wie hoch ihr Zuschuss sein wird. Es kann nicht sein, dass gesagt wird:

Ich brauche den und den Zuschuss, und wenn ihr mir den nicht gebt, seid ihr Kulturbanausen. – Das wird vom Parlament festgelegt, vom Rahmen, der in den Haushaltsberatungen bestimmt wird. Ich habe Verständnis dafür, dass man meint, mit ein paar Millionen Euro mehr – auch für Sasha Waltz – besser arbeiten zu können. Aber das muss woanders weggenommen werden, und darauf haben Sie keine Antwort gegeben. Sie sagen immer, es muss was draufgepackt werden. Das ist schön, aber das ist Wunschkonzert. Das geht weder im Sozial-, Schul- noch im Kulturbereich. Tut mir leid, das ist die Realität, die es auch für den kreativen Bereich der Kunst und Kultur geben muss.

Wir sind stolz auf das, was die Künstlerinnen und Künstler in dieser Stadt leisten. Wir sind stolz auf das, was wir als Staat an Unterstützung – als Rahmenbedingung – geben.

[Benedikt Lux (GRÜNE): Das wird aber nicht reichen!]

Das kann sich nicht nur in Berlin oder in Deutschland, sondern international sehen lassen. Sie sollten Ihre internationalen Kontakte nutzen, um vergleichende Studien anzustellen und zu sehen, wie die Situation anderswo ist. Ich glaube, da braucht sich Berlin wahrlich nicht zu verstecken. Wir sind da sehr erfolgreich. – Schönen Dank!

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Vielen Dank, Herr Regierender Bürgermeister! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. – Wer nun insgesamt den Kapiteln „Kulturelle Angelegenheiten“ mit den Kapitelnummern 0310, 0312 bis 0314, 0319 und 0320 unter Berücksichtigung der Empfehlungen des Hauptausschusses gemäß Drucksache 17/1400 und den Auflagenbeschlüssen Nummern 35 und 36 des Hauptausschusses vorbehaltlich der am Ende der Sitzung abzustimmenden Änderungsanträge der Fraktionen zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen der SPD und der CDU und der fraktionslose Abgeordnete. Gegenstimmen? – Das sind die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die Linksfraktion und die Piratenfraktion. Enthaltungen? – Ich sehe keine Enthaltungen. Dann ist das so beschlossen.

Ich rufe nun auf

lfd. Nr. 1 h:

Einzelplan 11 – Gesundheit und Soziales –