Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 27. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin. Ich begrüße Sie, unsere Gäste und Zuhörer sowie die Medienvertreter sehr herzlich.
Ich freue mich sehr, heute unter unseren Gästen Herrn Fregattenkapitän des Einsatzgruppenversorgers „Berlin“ der deutschen Marine Marcel Rosenbohm und seine Begleitung, Herrn Oberleutnant zur See Florian Bones begrüßen zu können.
Wir trauern um unseren ehemaligen Präsidenten und Stadtältesten von Berlin, Walter Sickert, der heute Nacht im Alter von 94 Jahren gestorben ist. Mit Walter Sickert verliert Berlin eine herausragende Persönlichkeit, die dem Abgeordnetenhaus 21 Jahre lang, von 1963 bis 1985 angehört hat. Über viele Jahre hinweg hat er mit großem Mut, Entschlossenheit, Klugheit und Kompetenz maßgeblich das politische Leben in Berlin als Politiker und Gewerkschaftsvorsitzender mitbestimmt.
Unvergessen sind die großen Reden von Walter Sickert zu den Freiheitsdemonstrationen am 1. Mai, die das damalige Lebensgefühl im eingemauerten Berlin widerspiegelten.
Walter Sickert war ein ungewöhnlicher Mann mit einem ungewöhnlichen Leben. Am 2. Februar 1919 in Hamburg als sechstes Kind eines Werkmeisters und Schlossers geboren, trat er bereits mit neun Jahren der kommunistischen Jugendorganisation „Jung-Spartakusbund“ und dem kommunistischen Jugendverband „KJVD“ bei.
In den Jahren 1934 und 1935 wurde er für mehrere Monate im Konzentrationslager Hamburg-Fuhlsbüttel in Schutzhaft gehalten wegen Vorbereitung zum Hochverrat und wegen Vorbereitung illegaler kommunistischer Schriften. Dank seines jugendlichen Alters wurde er jedoch aus dem großen Prozess herausgenommen und unter Polizeiaufsicht gestellt.
Walter Sickert besuchte die Volksschule in HamburgUhlenhorst und schloss 1936 eine Lehre als Schlosser und Maschinenbauer ab. Danach war er in diesem Beruf in Hamburg tätig. Ab 1937 fuhr er als Maschinenaspirant zur See, bis er 1938 zum Reichsarbeitsdienst und an
Bei Kriegsende geriet Walter Sickert im April 1945 in englische Kriegsgefangenschaft, aus der er Ende 1945 entlassen wurde. Von Anfang 1946 bis 1947 gehörte er der Polizei in Berlin an. Während dieser Zeit schloss er sich der oppositionellen Gewerkschaftsgruppe im ostzonalen FDGB an, der „Unabhängigen Gewerkschaftsopposition“ UGO.
Ab 1. Januar 1948 war er als Schlosser und Rohrleger bei der Gemeinnützige Heimstätten AG beschäftigt, wo er 1949 zum Betriebsratsvorsitzenden gewählt wurde; politisch schloss er sich 1948 unter dem Eindruck der SEDAktivitäten der SPD an.
Seit 1946 gehörte er dem Vorstand des Neuköllner Stadtbezirks des Deutschen Baugewerksbundes an und wurde 1950 Vorstandsmitglied der IG Bau-Steine-Erden. 1954 wurde er ehrenamtlicher Vorsitzender, 1955 hauptamtlicher Geschäftsführer dieser Gewerkschaft in Berlin. An der Seite Georg Lebers kämpfte er damals entschlossen gegen kommunistische Einflüsse in der Gewerkschaft.
1949 wurde Walter Sickert zum Arbeits- und Sozialrichter berufen, später zum Landesarbeits- und Landessozialrichter. 1957 wurde er Richter beim Bundesarbeitsgericht in Kassel und blieb das 30 Jahre lang.
Im Februar 1960 wählte ihn die Landesbezirkskonferenz des DGB Berlin zum Vorsitzenden des DGBLandesbezirks Berlin, ein Amt, in dem er in der Folge immer wieder bestätigt wurde. Der Gewerkschaftsvorsitz brachte ihm enormen Einfluss in der SPD.
Seit 1963 war Walter Sickert Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses, von 1964 bis 1967 stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, von April 1967 bis April 1975 Präsident des Berliner Abgeordnetenhauses. Weitere Jahre als Vizepräsident folgten.
Walter Sickert bekleidete viele wichtige Ehrenämter. So war er Aufsichtsratsmitglied der gewerkschaftlichen Wohnungsbaugesellschaft Neue Heimat Berlin, saß im Beirat der Akademie für Arbeitsmedizin, der Stiftung Luftbrückendank, der Landeszentralbank Berlin, der Gagfah und gehörte dem Verwaltungsrat der Sparkasse in Westberlin an.
Walter Sickert hat sich mit großem Einsatz, Mut und Beharrlichkeit in seinen Ämtern für den demokratischen Staat eingesetzt. Über alle parteipolitischen Grenzen hinweg hat er sich hohes Ansehen erworben. 1979 wurde er mit dem Großen Bundesverdienstkreuz mit Stern und Schulterband ausgezeichnet, und 1982 erhielt er die Ernst-Reuter-Plakette für seine Verdienste um Berlin.
Das Abgeordnetenhaus von Berlin hat den wertvollen Ehrungen noch eine weitere hinzugefügt: Seit 2007 reiht sich die Bronzebüste von Walter Sickert in unsere Galerie der Skulpturen der ehemaligen Präsidenten dieses Parlaments ein.
Das Abgeordnetenhaus trauert um seinen ehemaligen Präsidenten und verneigt sich mit Dankbarkeit und Hochachtung. Er hat sich stets mit ganzer Kraft für Berlin eingesetzt. Walter Sickert hat sich um Berlin verdient gemacht. Wir trauern mit seiner Frau und seiner Tochter.
Der Kollege Tim-Christopher Zeelen von der CDUFraktion hat heute Geburtstag. – Herzlichen Glückwunsch!
Nun habe ich wieder Geschäftliches mitzuteilen. Am Montag sind folgende fünf Anträge auf Durchführung einer Aktuellen Stunde eingegangen:
3. Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Thema: „Senat schwächt Berlin – Spitzenkräfte verlassen die Stadt“,
4. Antrag der Fraktion Die Linke zum Thema: „Kein Geld, kein Konzept, kein Geschäftsführer. Wie geht der Senat mit seinem kommunalen Krankenhausunternehmen um?“,
5. Antrag der Piratenfraktion zum Thema: „Warnstreiks an den Berliner Schulen. Keine Haushaltssanierung auf dem Rücken der Schüler, Eltern und Lehrer!“.
Zur Begründung der Aktualität erteile ich zunächst einem Mitglied der SPD-Fraktion das Wort. – Frau Köhne, bitte schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wieder einmal sind wir hier im Berliner Abgeordnetenhaus, ja, ist die gesamte Republik konfrontiert mit einem Lebensmittelskandal, der sich innerhalb kürzester Zeit von einem scheinbar regionalen Problem zu einem überregionalen, grenzüberschreitenden Skandal entwickelt, dessen Grenzen oder Auswirkungen noch gar nicht einzuschätzen sind. Pferdefleisch an sich ist nichts Schlimmes, wenn es kontrolliert und deklariert ist. Genau das ist eben nicht der Fall.
Dies führt uns allen erneut die unüberschaubaren Verflechtungen, Absurditäten und mitunter leider auch kriminellen Energien innerhalb der modernen Lebensmittelproduktion vor Augen. Diese Problematik geht uns alle an, denn wir alle sind jeden Tag Lebensmittelkonsumenten und können nicht an jeder Stelle und zu jeder Zeit selbst Einfluss darauf nehmen bzw. eindeutig nachverfolgen, wo etwas herkommt und unter welchen Bedingungen es hergestellt, transportiert oder abgepackt wurde. Deshalb müssen wir heute gemeinsam darüber sprechen, was getan werden kann, um ein Mindestmaß an Vertrauen wiederherzustellen, Vertrauen, das wir brauchen, und zwar wir alle als Verbraucherinnen und Verbraucher.
Aus diesem Grund bin ich auch überzeugt: Es helfen keine gegenseitigen Vorwürfe in der heutigen Debatte. Ich persönlich habe in den vergangenen Tagen und Wochen viele Fragen angesammelt, die ich gern geklärt hätte. Dazu würde ich gern in der Aktuellen Stunde kommen.
Natürlich sollten wir auch über Ilse Aigners jetzt vorgelegten nationalen Aktionsplan sprechen, aber vor allem sollten wir uns darüber austauschen: Was können wir hier in Berlin tun? Welche Möglichkeiten sieht der Senat, von seiner Seite aus zügig und möglichst effektiv mehr Sicherheit und Transparenz für die Berliner Verbraucher herzustellen?
Vor wenigen Tagen waren wir uns noch sicher, in Berlin nicht betroffen zu sein. Heute ist jedoch klar, dass diese Hoffnung naiv war und die Zahl der positiven Funde stetig wächst. Die Verbreitung des Skandals lässt sich keine Zeit. Also sollten auch wir uns mit der Behandlung dieses Themas keine weitere Zeit mehr lassen und dies heute in der Aktuellen Stunde zum Thema machen. – Vielen Dank!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben vorgeschlagen und im Wesentlichen mindestens mit der SPD-Fraktion Einvernehmen darüber erzielt, das Thema Pferdefleischskandal heute zum Thema der Aktuellen Stunde werden zu lassen. Die Vorgänge um die Verwendung von Pferdefleisch ohne entsprechende Deklaration sind hochaktuell, aber man denkt als Verbraucher auch sogleich an weitere Möglichkeiten von Nahrungsmittelmanipulationen, wenn man die in der Presse veröffentlichten Berichte liest – ein Stichwort: Zutaten.
Seit gut zwei Wochen berichten die Massenmedien über die Vorgänge. Am 7. Februar 2013 hatte der Tiefkühlkosthersteller Findus Pferdefleisch in seiner Tiefkühlkost festgestellt, welches nicht deklariert war. Ohne Schleichwerbung zu betreiben, sei auch der Billigdiscounter Aldi erwähnt, der am Tag darauf einräumen musste, in Rinderfleisch Anteile von nicht deklariertem Pferdefleisch vorgefunden zu haben.
Ursprünglich nahm der Verlauf des zulasten der Verbraucher gehenden Skandals seinen Anfang in der Republik Irland. Die Vorgänge und die nachteiligen Auswirkungen erstreckten sich dann bald nach Großbritannien, Frankreich und Deutschland, sodass man nunmehr von einem handfesten europäischen Skandal um falsch deklariertes Fleisch sprechen kann. Wenn man den neueren Veröffentlichungen glauben darf, geht der ja auch in osteuropäische Länder.
Davon sind insgesamt viele betroffen. In mehreren Bundesländern sind verfälschte Produkte und falsch deklariertes Fleisch festgestellt worden, und inzwischen gibt es – präzise gesagt – in Berlin mindestens drei Verdachtsfälle – so weit jedenfalls die Information, wie sie mir vorliegt.
Dieser Skandal zulasten der Verbraucher ist kein Selbstbefassungs- oder Selbstbeschäftigungsritual für Massenmedien oder sonstige Interessierte, dies ist ein handfester Nahrungsmittelskandal, bei dem wir wissen wollen, wie es dazu gekommen ist und wie wir zukünftig vor einem solchen Ereignis geschützt werden können. Nach meiner persönlichen Überzeugung sind wir Parlamentarier gemäß unserer Verfassung – Artikel 20 des Grundgesetzes – geradezu verpflichtet, uns im Rahmen politischer Willensbildung der Untersuchung und Aufarbeitung eines solchen Skandals zu widmen und von der Exekutive die Verantwortung für die Herstellung und Sicherung geordneter, nicht manipulierter Verhältnisse für die Verbraucher einzufordern. Wir wollen nämlich insgesamt einen fairen Umgang miteinander. – Danke sehr!
Vielen Dank! – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wäre sehr dankbar, wenn ein wenig mehr Ruhe einkehren könnte. Es ist zum Teil sehr schwierig zu verstehen. – Jetzt für die Fraktion der Grünen Frau Kollegin Pop – bitte schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den letzten Wochen haben sich die Meldungen gehäuft über Persönlichkeiten, sei es aus Kultur oder der städtischen Wirt
schaft, die in Berlin keine Perspektive mehr für sich und ihr Schaffen sehen. Offensichtlich schwappen die Streitereien der Regierung, der Regierungskoalition, auf andere Bereiche des öffentlichen Lebens über – sehr zum Schaden für unsere Stadt. Gut kann man das nicht finden.