Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wünsche erst einmal einen schönen Abend zu dieser späten Stunde.
Bevor ich mit meiner Rede inhaltlich beginne, möchte ich anlässlich des heutigen Opferfestes allen meinen muslimischen Kolleginnen und Kollegen zum Opferfest gratulieren.
Der Beifall ist zaghaft, aber die Erwähnung gehört gewissermaßen auch zur interkulturellen Kompetenz.
Eine sehr umfangreiche Große Anfrage wurde umfangreich beantwortet. – Frau Bayram! Ich hätte mir gewünscht, dass Sie nicht 32 Fragen in eine Große Anfrage hineinpacken, sondern dass Sie das in Kleine Anfragen teilen und die verschiedenen Ziele, die Sie damit verfolgen, eher in Anträgen und in den entsprechenden Ausschüssen verfolgen. Ich habe das Gefühl, das Sie das, was Sie sich vorgenommen haben, heute möglicherweise nicht erreichen werden, da Ihnen das Schlechtreden an dieser Stelle nicht gelingen wird. Der Senat tut schon einiges für diesen Bereich, und die universellen Menschenrechte sind uns wichtig. Sie sind dem Senat wichtig. Sie sind auch diesem Hohen Haus sehr wichtig.
Ich hätte es auch gut gefunden, wenn Sie dieses Thema anstatt einer Großen Anfrage in eine Aktuelle Stunde gepackt hätten. Sie haben ja auch noch den Zugriff in dieser Legislaturperiode, sodass wir dieses wichtige Thema auch vor der Presse hätten beraten können.
Ich finde es sehr bedauerlich, dass wir zu dieser späten Zeit bei diesem wichtigen Thema leider nur unter uns sind.
Für die Beantwortung seitens Frau Kolats möchte ich mich bedanken. Sie hat sehr umfangreich auf Ihre verschiedenen Fragen geantwortet. Ich will mit dem Grundsatz, mit dem Sie begonnen hat, meine Rede ebenfalls beginnen. Sie hat aus dem Integrationskonzept zitiert, dass ein wichtiger staatlicher Grundsatz gilt, der auch weiterhin gilt. Ich zitiere kurz:
Es ist ein wichtiger staatlicher Grundsatz zu verhindern, dass Ausländer zur Illegalität ermuntert werden. Andererseits
hat der Staat die Aufgabe, aus Illegalität entstehende soziale Probleme abzumildern und die Einhaltung der Menschenrechte auch für diesen Personenkreis zu sichern.
Ja, Menschen ohne Papiere sind in einer schwierigen Situation. Ihre komplexe Lebenssituation können wir uns vielleicht gar nicht so richtig vorstellen, die Angst, die sie vielleicht haben, die Sorgen, die sie haben, wenn Familie da ist, die Sorge um die Kinder oder wenn sie gesundheitliche Probleme haben und vielleicht sofort Hilfe brauchen. Für diese Notfälle, für diese Eventualitäten, gibt es in Berlin Anlaufstellen, und die werden auch zum Teil – vielleicht nicht zu 100 Prozent – mit staatlichen Mitteln finanziert. Dass Sie hier so tun, als wenn dies fast gar nicht staatlich finanziert wird, das fand ich jetzt etwas übertrieben. Zum Beispiel finanziert dieser Senat auch Leistungen, die im Bereich der Wohnungslosenpolitik angeboten werden. Deswegen müssten Sie schon detaillierter sagen, wo genau Sie etwas stört, bzw. das in Anträge gießen. Dann können wir das genauer besprechen.
Menschen, die ohne Papiere sind, brauchen auch Schutz. Sie haben das in Ihrer Rede dargestellt. Frau Senatorin hat es auch in Ihrer Rede dargestellt. Es gibt Räume. Es gibt Orte. Es gibt Anbieter. Es gibt freie Träger. Es gibt Institutionen. Es gibt nicht nur die Kirchengemeinden, die auch eine gute und wichtige Arbeit dort leisten. Es gibt Wohlfahrtspflege. Überall dort können sie sehr niedrigschwellige Angebote bekommen. Das Wichtigste ist, dass auch die Gesundheitsversorgung möglich ist.
In den Besprechungen während der Koalitionsverhandlungen habe ich mich für die Idee eines anonymen Krankenscheins eingesetzt. Ich finde, dass dies in Deutschland künftig geprüft werden muss. Wir haben das in unserem jetzigen Koalitionsvertrag erst einmal abgelehnt. Aber wir haben etwas hineingeschrieben, was ich auch wichtig finde, was zurzeit in der Prüfung ist. Sie können es selbst im Koalitionsvertrag auf Seite 64 nachlesen, dass wir die Gesundheitsvorsorge von Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus wollen und ein an dem Münchner Modell orientiertes Beratungsangebot prüfen. Auch die Malteser Migrantenmedizin haben wir weiter unterstützt. Ich denke, in diese Richtung ist es sinnvoll, die Angebote in der Gesundheitsvorsorge und Prävention weiter vorzuhalten.
Im Bereich Schule, Schulbesuch für Kinder, ein sehr wichtiges Thema, tut Berlin aus meiner Sicht schon eine ganze Menge. Auch im Bereich Gesundheitsvorsorge für schwangere Frauen –
Zum Arbeitsschutz hat die Senatorin einiges erwähnt. Ich finde, es ich wichtig, dass wir die Informationen für Menschen ohne Papiere in verschiedenen Sprachen anbieten, damit sie wissen, was ihre Rechte in diesem Land sind, und wo sie Schutz suchen können. Es steht zum Beispiel auf der Homepage in 15 Sprachen – das hat die Senatorin ausgeführt –, dass Schutzmöglichkeiten vorhanden sind und welche das genau sind, damit sie dem auch nachgehen können. Diese Informationen sind wichtig und die dürfen wir auch nicht vernachlässigen.
Zum Bereich Menschenhandel haben wir in der letzten Legislaturperiode nach meinem Kenntnisstand auch einiges auf den Weg gebracht. Sie waren da einige Zeit in unserer Fraktion, wo Sie sich auch eingesetzt haben. Dass die SPD-Seite des Senats in der Vergangenheit diesbezüglich nichts gemacht hat, dem möchte ich widersprechen. Da tut sich eine ganze Menge.
Die Bekämpfung von Schwarzarbeit ist uns natürlich wichtig. Aber was heißt es, wenn wir es uns genau anschauen? Es gibt in dieser Gesellschaft eben auch Arbeitgeber, die davon profitieren, denen es nützt, dass Menschen in Not sind, und die ihnen solche Arbeitsmöglichkeiten anbieten. Ich denke, in diesem Kontext muss es ein Umdenken in der Gesellschaft geben, dass wir, wenn wir solchen Menschen Arbeit anbieten, sie schützen und sie nicht in einer Notsituation ohne Geld lassen.
Abschließend betone ich, wie wichtig uns die Menschenrechte sind, dass die universellen Rechte überall gelten müssen, vorrangig auch Bildung für Kinder und Jugendliche angeboten werden müssen, Schutzräume vorhanden sein müssen, Gesundheitsvorsorge gesichert werden muss und dass wir – ich denke, das ist der Kern – schauen müssen – womit wir in der letzten Legislaturperiode angefangen hatten –, wie wir Legalisierung organisieren können.
Wie können wir dafür sorgen, dass Menschen ohne Papiere hier einen Aufenthalt bekommen? Wir haben uns als SPD immer dafür eingesetzt, dass wir keine Kettenduldungen mehr ausgesprochen werden. Das ist etwas, was auf der Bundesebene geregelt werden muss. Hier haben wir noch eine Menge Arbeit vor uns. Es muss das Ziel sein, dass Menschen, die länger hier sind und keine Papiere haben, aus ihrer Situation, nur geduldet zu sein, oder illegal zu sein, eine Perspektive bekommen und herauskommen können. Ich denke, dass Wege in Richtung Legalisierung sinnvoll sind. An dieser Stelle möchte ich die Bemühungen unseres ehemaligen Innensenators Körting hervorheben, der sich dafür auf Bundesebene sehr, sehr stark gemacht hatte.
Unter der Geltung des aktuellen Bleiberechts haben wir noch Schwierigkeiten, das zu erreichen. Aber da kann man sich auch auf anderen Ebenen einsetzen. Das steht auch Ihnen und Ihrer Partei frei, das zu machen.
Abschließen möchte ich damit, dass wir mit Blick auf den demografischen Wandel schon überlegen müssen, ob wir nicht in Richtung von Legalisierung gehen sollten, denn bevor wir abwarten, dass wir Hochqualifizierte aus dem Ausland bekommen, müssen wir schon schauen, ob wir Menschen, die hier sind, auch eine Perspektive geben wollen und geben können. Ich denke, das ist auch eine Form von Achtung von Menschenrechten. – Ich danke für die Aufmerksamkeit und wünsche noch eine gute Beratung in dieser Debatte!
Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, möchte ich die anwesenden Kollegen und Kolleginnen noch einmal bitten, Ihre Nebengespräche nach draußen zu verlagern, wenn Sie denn so dringend geführt werden müssen, dass sie nicht bis nach der Sitzung Zeit haben.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Leider haben entgegen manchen Erwartungen seit den 1990er-Jahren Unterdrückung, Folter, Ausbeutung, Krieg sowie Elend und Umweltzerstörung auf unserem Planeten nicht abgenommen. Menschen versuchen, sich davor in Sicherheit zu bringen. Zur Lösung dieser Probleme können wir als Bundesland Berlin wenig beitragen. Wir können aber viel dazu beitragen, dass die aus diesen Gründen in Berlin lebenden Menschen menschenwürdige Lebensbedingungen erhalten, Frau Kolat.
Kein Mensch ist illegal – dieser Slogan von Menschenrechtsgruppen sollte uns führen und nicht Angst und Panikmache. Vor zwei Jahrzehnten führten Angst und Panikmache, richtiger gesagt die öffentliche Hetze gegen Flüchtlinge und Asylsuchende dazu, dass eine wahrlich große Koalition aus CDU, CSU, SPD und FDP das Asylrecht faktisch abgeschafft hat. Dies ist ein wichtiger Grund, weshalb Menschen vor oder nach ihrer Einreise in die Festung Europa in die Illegalität getrieben werden.
An dieser Stelle erwarte ich eigentlich den Einwurf, Missbrauch, Kriminalität von Herrn Juhnke. – Ich sehe ihn aber nicht. Herr Dregger ist auch nicht da, und Herr Wansner schreit nicht. – Natürlich gab und gibt es das. Es gibt Missbrauch, es gibt Kriminalität, wie in allen anderen Bereichen auch. Allerdings gilt für die übergroße Zahl der Fälle: Nicht Kriminalität führt zu Illegalität, sondern Illegalität führt zu Kriminalität.
Die Große Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen formuliert zielgerichtete Fragen und Anforderungen, die von der Linksfraktion unterstützt werden. Ich sage nichts neues, wenn ich sage, dass unsere ganze Diskussion über Einwanderung und Integration in den letzten 50 Jahren von Angst geprägt war. Neben vielen anderen falschen Politikansätzen hat diese Angst auch dazu geführt, dass schon die Andeutung einer möglichen Legalisierung von sogenannten Illegalen als Untergang des Abendlandes begriffen wird. Dann müssten ja beispielsweise Frankreich und Spanien bereits mehrfach untergegangen sein. Bekanntermaßen sind sie das nicht. Das Stammtischgegenargument ist bekannt: Dann kommen ja wieder neue dazu. – Ja, glaubt denn irgendjemand ernsthaft, dass ohne eine Legalisierung weniger kommen werden? Deshalb wäre es angemessen, wenn Berlin eine Bundesratsinitiative zur Legalisierung starten würde.
Ein wichtiger Aspekt ist die bildungsmäßige Versorgung von Kindern und Jugendlichen von sogenannten Illegalen. Unabhängig davon, wie wir die Lage der Erwachsenen einschätzen, die Kinder können nichts dafür. Sie
ihrem sozialen und bildungsmäßigen Schicksal zu überlassen, ist nicht nur unmenschlich, sondern auch unverantwortlich. Unverantwortlich deshalb, weil sie dann in die Verwahrlosung und möglicherweise in die Kriminalität getrieben werden.
Seit dem Jahr 2009 besteht immerhin auf dem Papier für Kinder ohne Aufenthaltstatus die Möglichkeit, öffentliche Schulen zu besuchen. Ein Rundschreiben der Bildungsverwaltung stellt klar, dass die Übermittlungspflicht für Schulen im Regelfall nicht gilt. Wie viele Betroffene dieses Recht tatsächlich in Anspruch nehmen, wissen wir nicht – auch heute nicht. Die Übermittlungspflicht in § 87 Aufenthaltsgesetz bedeutet nämlich, dass die Betroffenen bei jedem Kontakt mit staatlichen Stellen Angst haben müssen, der Ausländerbehörde ausgeliefert zu werden.
Das gilt auch für die gesundheitliche Versorgung. Hier hat sich in den vergangenen Legislaturperioden einiges getan, auch in unserer Regierungszeit, es ist aber natürlich nicht ausreichend. Es wird insbesondere dann kompliziert, wenn Personen chronische Erkrankungen vorweisen und eine konstante intensive medizinische Versorgung benötigen. Auch Behandlungen für akute Erkrankungen, die nicht lebensbedrohlich, aber mit deutlichen Einschränkungen verbunden sein können – wie beispielsweise ein Kreuzbandriss –, bleiben Menschen ohne Papiere faktisch versperrt, wenn sie die Behandlung nicht selbst bezahlen können. Auch hier müssen Lösungen erarbeitet werden. Der Grünen-Antrag verweist zu Recht auf das Münchener Modell, daneben gibt es auch in Hamburg und Bremen interessante Ansätze, die zu Hilfe gezogen werden können.
Solange es die Übermittlungspflicht noch gibt, ist für mich der anonyme Krankenschein die beste Lösung.
Damit sind die Betroffenen nämlich nicht auf die freiwillige Hilfe von Ehrenamtlichen angewiesen, sondern können zum Arzt gehen und das wie jeder andere Mensch auch abrechnen.
Für beide Probleme – Bildung und Gesundheit – gilt, sehr geehrte Frau Senatorin Kolat: Wenn Menschen wegen der Übermittlungspflicht Angst vor der Abschiebung haben, werden sie Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen auch nicht in Anspruch nehmen. Solange wir diesen Denunziantenparagrafen im Aufenthaltsgesetz haben, werden in Deutschland Menschen davon abgehalten, grundlegende Menschenrechte wahrzunehmen. Ich meine deshalb: Dieser Paragraf gehört abgeschafft!