Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Fiskalpakt ist nach dem Votum der französischen Wählerinnen und Wähler völlig neu zu diskutieren. Er ist in der vorliegenden Form nicht zustimmungsfähig.
Nach drei Jahren Krisenmanagement von Europäischem Rat, EZB und IWF zeigen die politischen Reaktionen nicht nur in Frankreich, sondern auch in Spanien, Italien, Portugal, Griechenland und auch in Deutschland: Die EU ist tief gespalten. Sie ist nicht in der Lage, die Märkte zu beruhigen, was ja immer verlangt wird. Sie ist auch nicht in der Lage, die Ursachen der Krise zu bekämpfen und den gebeutelten Ländern wirklich eine Entwicklungsperspektive zu bieten. Deswegen ist die Wirtschafts- und Finanzkrise längst zu einer politischen Krise der Europäischen Union geworden. Die Hoffnung, dass Deutschland bei einem bloßen „Weiter so!“ von dem wirtschaftlichen Niedergang in anderen Regionen auf Dauer verschont bleibt, ist eine trügerische und gefährliche Illusion.
Die Arbeitslosigkeit in der EU ist von 2007 bis heute um 36 Prozent gestiegen. Für 2012 wird ein weiterer Anstieg der Erwerbslosigkeit prognostiziert, die bei Jugendlichen in Spanien und Griechenland bereits bei 50 Prozent liegt. Die Ratingagenturen überschlagen sich beinahe wöchentlich mit Herabstufungen der europäischen Krisenstaaten, die durch immer teurere Kredite in die Knie gezwungen werden. Der Sachverständige Peter Bofinger stellte bei der Expertenbefragung zu Fiskalpakt und ESM im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages fest, die bisherige Strategie, die Krise über prozyklisch wirkende Sparprogramme zu lösen, habe „völligen Schiffbruch erlitten“:
Die dadurch entstandenen teilweise extrem hohen Arbeitslosenraten von jungen Menschen stellen eine große Gefahr für die politische Stabilität und zugleich für die Zustimmung der Bürger zur Europäischen Union dar.
Auch nach Ansicht von Wirtschaftsnobelpreisträgern wie Paul Krugman oder Joseph Stiglitz verstärkt das Spardik
Ich will nicht allzu taktlos sein und keine weiteren Zitate bringen. Sie sind alle ziemlich schlimm. Allesamt fordern sie aber, die Spar- und Kürzungspolitik aufzugeben und die politischen Rahmenbedingungen für mehr Wachstum insbesondere in den Krisenländern zu schaffen. Deshalb wäre es unverantwortlich, an dem bisherigen Fiskalpakt festzuhalten, die Spirale nach unten fortzusetzen und damit immer neue Angriffe der Finanzmärkte mit immer größeren Rettungsschirmen abwehren zu müssen.
Wir wissen bis heute nicht, was der gestrige Gipfel bis zur Beschlussfassung voraussichtlich Ende Juni gebracht haben wird. Aber eins ist klar: Mit bloßen Projektanleihen in einer Größenordnung von 200 Millionen Euro und den üblichen Wortgirlanden „Stärkung des Binnenmarktes“ und „Stärkung des Wachstums“ ist überhaupt nichts erreicht. Ohne eine europaweite Besteuerung des ständig anwachsenden Anlagekapitals wird es nicht gelingen, wenigstens einen Teil des Geldes aus den spekulativen Anlageformen entweder in die realen Wirtschaftskreisläufe oder in die staatlichen Haushalte zurückzuholen.
Das Vermögen aller Millionäre in der EU ist doppelt so hoch wie die gesamten Schulden der EU-Mitgliedsstaaten, rechnet Harald Schumann im „Tagesspiegel“ vor. Selbst wenn es nur genauso hoch wäre, könnte mit einer zweiprozentigen Abgabe – nur für Millionäre – ein Schuldentilgungsfonds gespeist werden, der über einen berechenbaren Zeitraum die Staatsdefizite spürbar senken könnte und damit die Angreifbarkeit ebenfalls spürbar vermindern würde.
Ohne ein Instrument der Risikoverteilung innerhalb der EU wird es ebenfalls nicht gelingen, den Druck etwa von italienischen oder spanischen Staatsanleihen zu nehmen. Europäische Anleihen sind ja nichts anderes als das Angebot an die Anleger, künftig die Wirtschaftskraft des gesamten Euroraums als Sicherheit zu erhalten. Nicht die beschlossenen „Euroböndchen“, sondern nur echte Eurobonds liefern das. Zurzeit zahlt Deutschland null Zinsen für Kredite, während die Zinsforderungen gegen die Krisenstaaten diese in die Zahlungsunfähigkeit führen. Die Logik ist einfach: Entweder vorher die Risiken durch europäische Anleihen verteilen oder hinterher durch Garantien und Rettungsschirme!
Hochproblematisch ist auch die Ewigkeitsklausel im Fiskalvertrag. Sie widerspricht dem Geist des bisherigen europäischen Rechts und stellt im Ergebnis die ordoliberale Wirtschaftsideologie über die Verfassung des
Grundgesetzes. Auch die Einschränkung der parlamentarischen Kontrollbefugnisse kann so nicht bleiben. Ich verweise auf die Forderung von Bundestagspräsident Norbert Lammert in diesem Zusammenhang.
Aber was wir aus Sicht des Landes mindestens einfordern müssen, sind folgende Sicherungen: Wir müssen darauf bestehen, dass die Auswirkungen auf die Länderhaushalte konkretisiert werden.
Ich bin gleich fertig. – Wir müssen eine verbindliche Zusage der Bundesregierung haben, dass keine zusätzlichen Konsolidierungsmaßnahmen von den Ländern abverlangt werden. Wir müssen vor allem die Sicherheit haben, dass beim ESM die durch den Bund eingegangenen Garantien und Zahlungsverpflichtungen im Fälligkeitsfall allein den Bundeshaushalt treffen.
Es gibt weitere Forderungen, die wir erheben müssen: Ich hoffe, dass wir dann gemeinsam auch zu einer Dokumentation, zu einem schriftlichen Beschluss kommen, um als Land Berlin einen Beitrag zu leisten, damit die Finanzpolitik ein Stück weit neu ausgerichtet werden kann. – Ich danke Ihnen!
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Ereignisse in der Eurozone stellen uns alle vor große Herausforderungen. Die momentane Situation verdeutlicht, wie sehr die Volkswirtschaften Europas miteinander verflochten sind. Wir bekennen uns zu Europa, und wir engagieren uns deshalb für eine solide, realistische und nachhaltige Lösung zur Überwindung der Eurokrise.
Wir befinden uns in Deutschland gerade in der absurden Situation, dass wir extrem niedrigen Zinsen zahlen, ein extrem niedriges Zinsniveau haben, bei steigenden Steuereinnahmen. Machen wir uns einmal ehrlich: Das entspannt hier im Haus die derzeitigen Haushaltsberatungen ungemein. Aber wir wissen auch – als Haushälterinnen und Haushälter insbesondere –, dass das keine Situation ist, die auf Dauer sein kann. Genau deshalb muss es auch in diesen Haushaltsberatungen darum gehen, die Neuverschuldung deutlich stärker zu reduzieren.
Nun zu dem Antrag, der hier gar nicht angesprochen worden ist, zum ESM. Es ist bitter, dass ein Rettungsschirm aufgespannt werden muss, aber wir Grüne halten das für richtig. Wir glauben, dass der ESM ein wichtiger Bestandteil ist, um die Eurozone langfristig zu stabilisieren. Aber wir setzen uns auch für eine stärkere parlamentarische Kontrolle ein.
Jetzt zum Fiskalpakt: Herr Wolf! Sie haben selbst gesagt, in der derzeitigen Form sei er nicht ratifizierbar. Sie wissen nämlich auch noch nicht, wie die Verhandlungen am Ende ausgehen. Insbesondere der neue französische Präsident äußert Kritik, zum Beispiel mit seiner Forderung nach einem Wachstumspakt. Ja, es geht im Kern um die Einführung von nationalen Schuldenbremsen, die vorzugsweise in den Verfassungen verankert werden sollen. Zielmarke der Schuldenbremse ist ein maximales strukturelles gesamtstaatliches Defizit von 0,5 Prozent des Bruttoinlandproduktes. Die rechtliche Konstruktion wird das Demokratiedefizit auf europäischer Ebene eher verstärken. Auch deshalb fordern wir Grüne an dieser Stelle Verbesserungen. Wir wollen, dass das Europäische Parlament gestärkt wird.
Wir Grüne halten eine verantwortungsvolle Haushaltspolitik und eine sozial gerechte Haushaltskonsolidierung für eine der Lehren aus der Eurokrise. Dazu kann der Fiskalpakt vielleicht mittelfristig beitragen. Der Fiskalpakt gibt aber kurzfristig in der bisherigen Form keine Antwort auf die Krise. Er springt an vielen Stellen viel zu kurz. Das sieht mittlerweile auch Frankreich so. Wir Grüne fordern im Bundestag seit Langem die Einführung von Eurobonds oder eines Schuldentilgungspaktes, eine Finanztransaktionssteuer und ein europäisches Investitionsprogramm. All dies befördert der Fiskalpakt nicht. Wir sollten neben der Verabredung zur Stabilität einen Anstoß für Wachstum und Investitionen geben, denn nur mit Sparen kommt Europa nicht aus der Krise.
50 Prozent Jugenderwerbslosigkeit, das ist keine europäische Stabilität. Europäische Stabilität beruht auch und gerade auf Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit.
Wir brauchen deshalb die Besteuerung von Finanztransaktionen. Wir brauchen mehr Investitionen in Europa, wir brauchen eine Investitionsoffensive für nachhaltige Infrastruktur und für zukunftsfähige Jobs. Wir müssen auch endlich anfangen, nicht nur neue Schulden zu begrenzen, sondern alte Schulden auch abzubauen. Europa muss raus
aus der Schuldenfalle, wir müssen diese Schulden begrenzen. Wir müssen Altschulden abbauen, wir müssen aber auch Spekulationen begrenzen, und wir müssen in ein nachhaltiges Wachstum investieren. Ob der Fiskalpakt all das leisten können wird, das wissen Sie nicht, das weiß ich nicht, das weiß niemand hier im Haus. Wir müssen die Verhandlungen abwarten.
Die grüne Bundestagsfraktion verhandelt jedenfalls über diese notwendigen Verbesserungen. Einfach zu allem nein zu sagen, hilft Europa auch nicht aus der Krise. Wir wollen Akzente für Schuldenabbau, nachhaltiges Wachstum, Investitionen und zukunftsfähige Jobs. Im Klartext gilt: Eine Ratifizierung des Fiskalpakts, wenn es Verbesserungen gibt und wenn die offenen Fragen insbesondere im Hinblick auf die Konsequenzen für die Bundesländer und Kommunen geklärt sind. Das sind die Bedingungen, die die Grünen gerade in den Verhandlungen stellen. An dieser Stelle können wir erst einmal nur abwarten. – Danke!
[Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Andreas Baum (PIRATEN), Hildegard Bentele (CDU) und Roman Simon (CDU)]
Danke, Frau Kollegin Herrmann! – Der Kollege Goiny hat jetzt das Wort für die CDU-Fraktion. – Bitte sehr!
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, die Frau Kollegin Hermann hat eben deutlich gemacht, dass das Thema wert ist, einer differenzierten Betrachtung unterzogen zu werden.
Ich glaube – auch wenn ich nicht alles, was Sie gesagt haben, teile, Frau Kollegin –, dass bei dem Bündel von Themen, die Sie angesprochen haben, durchaus Diskussionsbedarf besteht und auch die richtige Richtung aufgezeigt worden ist. Denn eines ist klar: Es ist kein einfacher und kein kurzer Weg. Die Lösung besteht auch nicht aus nur einer Säule, sondern aus mehreren. Eines gilt: Ohne eine solide Finanzpolitik werden wir in Europa nicht weiterkommen. Der Weg in eine unbegrenzte Staatsverschuldung gefährdet den Wohlstand und die Zukunft Europas. Aus unserer Sicht ist hier in ganz Europa eine Umkehr dringend erforderlich.
Die Bundesregierung hat mit ihren Vorschlägen den Weg in eine Richtung gewiesen, der alle Staaten in Europa dazu anhalten soll, entsprechende Maßnahmen in ihren Bereichen zu treffen. Dass das hart und schmerzlich ist, ist richtig. Auch wir in Berlin haben gesehen, welcher Einschränkungen man sich bei einer Haushaltskonsolidierung unterziehen muss. Wenn wir in unseren aktuellen
Etatentwurf schauen und sehen, wie viel Zinsen pro Jahr wir zahlen müssen, dann sehen wir jeden Tag, wo uns Gestaltungsspielraum fehlt. Natürlich ist richtig: Wenn nicht die Bundesrepublik Deutschland mit dem Wirtschaftswachstum, mit der Wirtschaftskraft, mit der geringen Arbeitslosigkeit, die wir zurzeit haben, Forderungen an die anderen EU-Länder stellt, wer soll es denn dann in Europa machen? Dass so eine Politik auch erfolgreich ist, sieht man auch in einigen deutschen Bundesländern, die sich schon seit einigen Jahren auf den Weg der Haushaltskonsolidierung begeben haben. Nach schmerzlichen Einschnitten sind die wieder in der Lage, in Arbeit, Bildung und Zukunftsthemen zu investieren und zu gestalten. Sie brauchen sich nur einmal das Beispiel Bayern anzusehen. Dort werden dieses Jahr 1 Milliarde Euro Schulden getilgt. Das zeigt, dass dieser Weg nicht verkehrt ist.
Ich gebe Ihnen aber recht, es ist nicht der einzige Weg. Ich glaube, wir werden nicht umhin kommen, auch dafür zu sorgen, dass in Europa in Zukunftstechnologien, Arbeit und Wirtschaft investiert wird. Das allerdings aus zusätzlichen Schulden zu finanzieren, ist ein Weg, den wir in der Vergangenheit probiert haben und der in anderen europäischen Ländern zu dem Desaster geführt hat, das wir zurzeit hier feststellen müssen.
Da muss man in der Tat feststellen, dass das Beispiel Griechenland ein sehr schwieriges ist. Das jetzige Wahlergebnis ist sicherlich eine Reaktion der Griechen auf die etablierten Parteien, die das Land aus Sicht vieler Menschen jahrzehntlang mit Filz und Misswirtschaft in den Abgrund geführt haben.
Gleichzeitig ist es aber auch richtig, dass man sich vonseiten der anderen europäischen Länder überlegen muss, welche Ratschläge man der griechischen Bevölkerung für die zweite Wahl gibt. Wir sind aber auch in der Verantwortung, entsprechende Hilfsmaßnahmen zu leisten. Natürlich wird auch Griechenland – Sie haben das in der Begründung zu Ihrem Antrag ausdrücklich erwähnt, deshalb lassen Sie mich dazu kurz etwas sagen – nicht um Strukturreformen herumkommen. Vieles von dem, was von Griechenland zugesagt worden ist, ist noch nicht einmal ansatzweise umgesetzt worden. Man wird diese Veränderungen, die die Menschen dort erwarten, in Angriff nehmen müssen. Dazu werden wir einen Beitrag leisten können. Wir sind als Berliner Landesregierung übrigens mit dabei. Es gibt vonseiten der Bundesregierung auch Initiativen, über regionale Kooperationsprojekte zwischen Deutschland und Griechenland Unterstützung zu leisten. Ich bin dem Regierenden Bürgermeister ausgesprochen dankbar dafür, dass er für das Land Berlin erklärt hat, dass sich Berlin daran beteiligen wird. Hier leistet Berlin auch ganz praktische Hilfe.
Im Ergebnis werden wir nicht darum herumkommen, dass europäische Solidarität nicht nur eine finanzielle ist,