zumal wir alle bei den aktuellen Nutzungsgewohnheiten im Internet mehr oder weniger regelmäßig mit einem Bein im Knast stehen.
Der Änderungsantrag der Piraten ist aus meiner Sicht eine sehr sinnvolle und vernünftige Ergänzung. Er greift das auf, was wir gemacht haben, benennt noch mal einige Punkte genauer, über die in der öffentlichen Debatte in den letzten Monaten tatsächlich auch in Deutschland auf Demonstrationen, in Camps und Veranstaltungen sehr intensiv diskutiert worden ist. Ich finde, es geht unterm Strich um zweierlei Dinge, erstens, dass Firmen im Zusammenwirken mit europäischen Bürokratien aufhören, hinter dem Rücken von Parlamenten Menschenrechte und Grundrechte zu verschachern,
und zweitens, dass es ein Ende findet, dass sämtliche Überlegungen zur Nutzung von Urheberrechten und geistigen Werten allein von dem Gedanken ihrer Kommerzialisierbarkeit bestimmt werden. – Vielen Dank!
Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Lederer! – Für die SPD hat jetzt der Kollege Zimmermann das Wort. – Bitte schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Schutz geistigen Eigentums ist Schutz von Kulturschaffenden und Schutz von Produzenten, Schutz von Ergebnissen kultureller Leistungen.
Berlin als Standort der Kulturwirtschaft und Berlin als produzentenorientierter Standort hat eine Verantwortung dafür, seine Produkte und auch den Urheberschutz mindestens im Blick seiner Politik zu behalten und etwas dafür zu tun.
[Vereinzelter Beifall bei der SPD und der CDU – Zuruf von den PIRATEN: Wollen Sie das nicht reformieren?]
Zweitens muss uns klar sein, dass in der vernetzten Welt solche Regelungen nicht mehr allein national getroffen werden können, sondern international getroffen werden müssen. Das bedeutet, dass im Grundsatz gegen ein Abkommen zum Urheberrechtsschutz nichts einzuwenden ist, sondern es kommt auf die Inhalte an, wie solche Abkommen ausgestaltet sind.
Das führt aber sofort zu den einzelnen Problemen. Der Kollege Lederer hat ja dankenswerterweise die wesentlichen Inhalte bereits dargestellt. Bei diesem Handelsübereinkommen zur Bekämpfung von Produkt- und Markenpiraterie gibt es erhebliche Defizite und erhebliche Schwächen. Uns ist noch nicht klar, ob die innerhalb dieses Verfahrens und dieses Abkommensentwurfes überhaupt überwindbar sind.
Das Erste ist, dass überhaupt nur die EU, die ehemaligen Commonwealthstaaten und Japan beteiligt sind. Das ist eine Veranstaltung der Nordhalbkugel. Brasilien, Indien, China und viele andere sind überhaupt nicht beteiligt.
Deswegen ist schon mal ein großes Fragezeichen zu machen, ob das überhaupt ein geeignetes Mittel ist, hier zu Verbesserungen zu kommen.
Das Zweite – Kollege Lederer hat das angedeutet – ist das Problem, dass unter völligem Ausschluss der Öffentlichkeit über einen langen Zeitraum verhandelt wurde. Es gibt keine Transparenz,
Drittens gibt es in dem Text, der uns vorliegt, eine erhebliche Gefahr, dass aufgrund eines Abkommens am Ende tatsächlich Private zu Internetpolizisten gemacht werden, dass Staaten verpflichtet werden, bestimmte Informationen von Privaten einzuholen, und andersrum dann Private
ihrerseits verpflichtet sind, Informationen zu liefern, und auch Provider, auch Leute, die eigentlich für Inhalte erst mal gar nicht verantwortlich sind, dann zur Rechenschaft gezogen werden. Wenn es so sein sollte, dass wir eine private Internetpolizei aufgrund eines Abkommens nur zu befürchten haben, dann kann es keine Zustimmung der Sozialdemokratie zu einem solchen Abkommen geben.
Es gibt eine vierte Komponente, die Herr Lederer auch angesprochen hat. Ich weiß nicht, ob es tatsächlich eine Folge dieses Abkommens wäre. Wenn es aber eine Folge wäre, dass in Entwicklungs- oder Schwellenländern z. B. nötige Medikamente aufgrund des Schutzes von Marken nicht mehr vertrieben werden können oder diese Versorgung erschwert würde, dann wäre das eine weitere fatale Folge eines solchen Abkommens. Das muss verhindert werden.
Da ich noch einen Moment Zeit habe, obwohl es spät ist, glaube ich, lohnt es sich, weil nicht alle diesen Entwurf gelesen haben, auf einen der aus meiner Sicht problematischsten Artikel dieses Abkommens einzugehen oder ihn vielleicht sogar vorzulesen, weil er zeigt, dass es so nicht gehen kann. Das ist Artikel 11 des Entwurfs, wo steht:
Unbeschadet der Rechtsvorschriften der Vertragsparteien über Sonderrechte, den Schutz der Vertraulichkeit von Informationsquellen oder die Verarbeitung personenbezogener Daten sorgt jede Vertragspartei
dafür, dass ihre Gerichte in zivilrechtlichen Verfahren zur Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums auf begründeten Antrag des Rechteinhabers anordnen dürfen, dass der Verletzer oder mutmaßliche Verletzer dem Rechteinhaber oder den Gerichten zumindest für die Zwecke der Beweissammlung … Informationen vorlegt …
… Personen einschließen, die in irgendeiner Weise an der Verletzung oder mutmaßlichen Verletzung beteiligt waren, desgleichen Auskünfte über die Produktionsmittel oder die Vertriebswege der rechtsverletzenden oder mutmaßlich rechtsverletzenden Waren oder Dienstleistungen, einschließlich Preisgabe der Identität von Dritten, die mutmaßlich an der Herstellung und am Vertrieb solcher Waren oder Dienstleistungen beteiligt waren, sowie ihrer Vertriebswege.
Ich glaube, eine solche Regelung in einem Abkommen erzeugt zu Recht Ängste und Sorgen, dass hier eine Rechtsgrundlage geschaffen wird, die ausufernde Verpflichtungen für alle möglichen Beteiligten oder mutmaß
lich Beteiligten begründet. Das kann so nicht bleiben. Wir müssen das in Anhörungen ausführlich beraten. Ich habe erhebliche Zweifel, ob diese Texte so zu retten sind. Wir werden sehen. Wir sind nicht die Einzigen, die beteiligt sind. Der Europäische Gerichtshof wird darüber auch entscheiden. Wir haben Zeit, darüber ausführlich zu beraten. Das sollten wir tun. – Danke schön!
Vielen Dank, Herr Kollege Zimmermann! – Für die Fraktion der Grünen hat nun die Kollegin Schillhaneck das Wort. – Bitte sehr!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es freut mich, hier eine große, grundsätzliche Einigkeit wahrnehmen zu können.
Nun warten Sie mal ab. – Denn grundsätzlich ist festzustellen, betrachtet man die Darlegung von Herrn Lederer und insbesondere den letzten Punkt, den Herr Zimmermann eben genannt hat: Das geht so nicht! Das muss man ganz simpel so sagen, jenseits aller Juristenprosa. Das geht so nicht. So kann man keine Verträge schließen – ohne Transparenz, ohne demokratische Kontrolle –, die dann auch noch bis in den tiefsten persönlichen Bereich der Nutzung von Medien, von Produkten usw. eingreifen. Das geht einfach nicht!
ACTA – Anti Counterfeiting Trade Agreement –, auf Deutsch Abkommen gegen Produktpiraterie: Das klingt so harmlos. Aber es geht hier nicht darum, einige Menschen vor gefälschten Hermès-Taschen zu schützen, sondern es geht sehr weitreichend um die Durchsetzung und die Verpflichtung der Durchsetzung der Interessen insbesondere einer ganz bestimmten Gruppe von Verwertern, und dem muss man sich schlicht und ergreifend entgegenstellen.
Was ist kommerzielle Verwertung in dem Zusammenhang? – Man kann es – sehr interessant – auf „Youtube“ studieren, was dies im Extremfall heißt. Da ist oft Werbung eingebunden. Nach herrschender Auffassung hierzulande macht es das Ganze im Regelfall zu einem kommerziellen Angebot. Versuchen Sie mal, ein Lehrfilmchen aus einer US-amerikanischen Universität mit einer in Deutschland zugeordneten IP-Adresse anzugucken, wenn im Hintergrund aktuelle Musik hinterlegt ist! Das können Sie nicht; Sie werden ausgesperrt.
Es gibt erst recht in ACTA keinerlei Vorstellungen davon, wie das Urheberrecht positiv weiterentwickelt werden kann, wie wir zu Fair-use-Strategien kommen können, so dass sich eben nicht – wie Herr Lederer es beschrieben hat – jeder Nutzer, jede Nutzerin permanent mit einem halben bis viertel Fuß in der Strafbarkeit befindet. Das darf man nicht unterschreiben. Das darf man nicht zulassen.
ACTA, SOPA, PIPA, DRM – das sind die hübschen kleinen Akronyme. Man muss die Akronym-Designerinnen und -Designer im angelsächsischen Raum doch sehr beglückwünschen: Sie schaffen es, Machwerke, die in jahrelanger Kleinstarbeit hinter verschlossenen Türen ausgehandelt werden und so weitreichende Konsequenzen für jeden und jede von uns haben, völlig harmlos ausschauen zu lassen. Ich meine, das ist doch eine Strategie. Dem muss man sich doch entgegenstellen.
Herr Lederer hat den Punkt Generika schon angesprochen. Ich will Ihnen erklären, worum es dabei geht. Es ist übrigens nicht der komplette Commonwealth, der dort beteiligt ist, sondern lediglich die Staaten Kanada, Australien und Neuseeland. Zum Commonwealth außerhalb der EU fehlt da noch ein bisschen. Und genau um diese Staaten geht es. Sie wissen vielleicht, dass Indien einer der größten Produzenten von Generika für sehr ernst zu nehmende Krankheiten für den Weltmarkt ist.
Ja, und für sich selbst. Indien ist auch Teil des Weltmarkts. – Wenn diese auf der üblichen Handelsroute über die EU in Staaten Afrikas exportiert werden, würde durch ACTA jeder Staat der EU, durch den das transitiert, gezwungen werden, auf den Verdacht hin, dass es sich möglicherweise um eine Produktfälschung handeln könnte, einzugreifen. Produktfälschung ist dabei so definiert, dass, schon wenn die Schachtel oder das Gefäß ähnlich aussieht, nach dem ACTA-Text zunächst davon auszugehen ist, dass es sich um eine Produktfälschung handelt. Das ist nicht Sinn der Sache. Ganz ehrlich: Dafür haben nicht Tausende, Zehntausende von Aktivisten und Aktivistinnen insbesondere um eine preiswerte Versorgung von Aidskranken, gerade in sogenannten Entwicklungs- und Drittweltländern, gekämpft. Das können wir uns dann knicken. Dann liefern wir diese Leute schlicht und ergreifend wieder dem Zustand von vorher aus. Auch das ist ein sehr guter Grund gegen ACTA.
Wir können uns sehr gut vorstellen, diesen Antrag – auch gerade wegen der rechtspolitischen und verbraucherschutzrelevanten Aspekte – im zuständigen Ausschuss für