Protocol of the Session on June 23, 2011

Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Ströver?

Ja, natürlich!

Bitte schön, Frau Ströver!

Danke schön! – Herr Thiel! Ist Ihnen nicht bekannt, dass, wenn es einen politischen Willen gibt und die Planungsvorgaben entsprechend umgesetzt worden sind, es dann

Fachgremien braucht, die die künstlerische oder dokumentarische Ausgestaltung eines solchen Ortes beraten müssen? Dafür gibt es jene Arbeitsgruppe, und ich hätte mir gewünscht, dass wir heute etwas weiter sind und schon Ergebnisse hätten, dann könnten wir darüber diskutieren. Wichtig ist aber, dass nicht wir über die Form entscheiden, sondern andere. Ist Ihnen das nicht klar? – Das müsste Ihnen doch eigentlich klar sein.

[Beifall bei den Grünen]

Herr Thiel – bitte!

Geschätzte Kollegin! Selbstverständlich ist es gut, dass nicht wir das entscheiden, da haben Sie mich voll auf Ihrer Seite. Ich bin aber einen Moment nachdenklich an der Frage, ob wir an dieser Stelle wirklich eine neue museale Form errichten sollen. Wollen wir etwas Künstlerisches erschaffen? Welche Funktion erfüllt das 1994 – übrigens damals mit großer Unterstützung des Stadtrats für Volksbildung Klaus Wowereit mitgetragene und enthüllte – Mahnmal in der Straße? Soll es da stehen bleiben, soll es einen zweitrangigen Platz einnehmen? Das Geschlossene fehlt mir dabei. Es wurde bereits darauf hingewiesen, man sollte mit der Stiftung Topographie des Terrors zusammenarbeiten, die nun mal die Möglichkeiten hat, vor allem inhaltlich etwas dazu beizutragen und aufzuarbeiten. Was wir aber definitiv nicht brauchen, ist ein neuer musealer Ort, der in irgendeiner Form nachträglich künstlich erschaffen wird.

[Beifall bei der FDP – Heidi Kosche (Grüne): Wer bestimmt das denn?]

Ich will nur eines deutlich machen: Wir haben uns sehr ausgiebig und sehr verständnisvoll über das Gedenkstättenkonzept auseinandergesetzt. Gerade darin ist ja ein großer Vorteil, dass man sagt, wir wollen historische Orte nehmen, um Begegnungen zu ermöglichen und auch Informationen weiterzugeben. Was wir aber nicht machen werden, und deswegen finden wir Ihren Antrag nicht so eindeutig und auch nicht unterstützenswert, wir wollen nicht einfach irgendetwas nebulöses Gedenk- und Informationsmäßiges beschließen. Und Sie hatten es ja schon deutlich angesagt, Herr Flierl, da wird auch der Flächennutzungsplan verändert werden, und das heißt, es wird unmittelbare Auswirkungen auf die gesamte Nachnutzung von Tempelhof haben. Das wollen wir hier durch so einen Antrag nicht unterstützen.

[Beifall bei der FDP]

Und eine Sache, die auch wirklich vollkommen im Zusammenhang und beliebig ist, und das ärgert mich schon, ist, wenn Sie auf das Konzentrationslager verweisen, auf diesen wirklich unvorstellbaren Ort des Schreckens und des Leidens, und wenn Sie dann auch noch darauf verweisen, dass später bis 1945 Zwangsarbeiter, Zwangsarbeiterinnen in Baracken dort unter unmenschlichen Bedingun

gen dann sicherlich arbeiten mussten, dann ist das in einem unmittelbaren Zusammenhang. Nur die Nutzung des bei Kriegsbeginn fast fertiggestellten Flughafenbaus als Fliegerhorst der Luftwaffe – Entschuldigung! Bei Kriegsbeginn, so schlimm das ist, sind nun mal die Flughäfen zu Fliegerhorsten gemacht worden. Das liegt in dieser verdammten Logik von Kriegen. Das ist nicht etwas Außergewöhnliches. Und das ist nicht etwas, was man speziell jetzt mit Tempelhof verbinden kann. Das ist, meine ich, falsch. Ich gehe sogar noch weiter, um das deutlich zu sagen: Das ist für mich eine selektive, ideologische Geschichtsschreibung, was hier gemacht wird. Dem können wir uns als Liberale nicht anschließen und werden es auch nicht tun.

[Beifall bei der FDP]

Also wir brauchen keine neuen künstlichen Gedenkorte, sondern wir brauchen eine Aufarbeitung. Wir wollen die Einbeziehung der Topographie. Wir wollen die Verbindung mit den authentisch vorhandenen Baracken in Niederschöneweide, die auch von der Topographie mit betreut werden. Und wir möchten, dass das in einem Gesamtkonzept dargestellt wird. Wir meinen aber aus den dargelegten Gründen, dass Ihr Antrag, so sehr er auch seriös zu behandeln ist, nicht in sich stimmig ist und dass er einer Überarbeitung bedurft hätte, damit er etwas aussagekräftiger ist. Deswegen werden wir ihn ablehnen. – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei der FDP]

Danke schön, Herr Kollege Thiel! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Zum Antrag Drucksache 16/4267 ist die sofortige Abstimmung beantragt worden. Wer dem Antrag seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind CDU, SPD, Bündnis 90 und die Linke. Gegenprobe! – Das ist die FDP. Ersteres war die Mehrheit. Dann ist das so beschlossen. Der fraktionslose Abgeordnete Ueckert hatte eine Gegenstimme, korrekterweise gesagt. Damit ist der Antrag angenommen.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 5:

Zweite Lesung

Gesetz zur Änderung der Verfassung von Berlin (Wahlrecht für Drittstaatsangehörige zu Bezirksverordnetenversammlungen)

Beschlussempfehlung InnSichO Drs 16/4233 Antrag der Grünen Drs 16/3860

Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der Grünen vor, Drucksache 16/3860-1.

Ich eröffne die zweite Lesung und schlage vor, die Einzelberatung der beiden Artikel miteinander zu verbinden, wozu ich keinen Widerspruch höre. Ich rufe also auf die Überschrift, die Einleitung sowie die Artikel I und II Drucksache 16/3860. Für die Beratung steht den Frak

tionen jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in Person von Frau Bayram. Da ist sie schon. – Frau Bayram! Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jetzt haben wir zwei Ausschussberatungen zu diesem Antrag hinter uns. In der ersten Ausschussberatung im Rechtsausschuss wurde kaum darüber debattiert. Es wurde eine Anhörung abgelehnt. Demgegenüber haben wir im Innenausschuss eine Beratung gehabt, wo aber nur unsere Fraktion einen Anzuhörenden benannt hat, sodass Felix Hanschmann – im Vorfeld hatte er eine sehr lange, umfangreiche Stellungnahme bereits schriftlich abgegeben – lange und ausführlich auf alle Argumente eingegangen ist, die in der letzten Plenardebatte, in der ersten Lesung Ihrerseits hauptsächlich vorgetragen wurden. Und wer sich dafür interessiert und nicht dabei war, der sollte wirklich noch mal nachlesen, wie fundiert, wie juristisch sauber die Darstellung des Herrn Hanschmann, des Anzuhörenden, war und wie dünn und wie kurz und wie teilweise inhaltsleer die Äußerungen derjenigen waren, die meinten, sie hätten so tolle Argumente, um diesen Antrag abzulehnen.

[Christian Gaebler (SPD): Das sagt die Juristin!]

Das kommunale Wahlrecht, das BVV-Wahlrecht für alle ist ein sehr wichtiges Anliegen, für das wir auch weiterhin kämpfen und streiten werden.

[Beifall bei den Grünen]

Für den Fall, dass man tatsächlich unterstellt, dass Sie Bedenken gehabt hätten, hätten Sie doch wirklich Anzuhörende benennen können oder Ihre Bedenken dort vortragen können. Ich will exemplarisch wirklich mal hier die Bedenken vorstellen, die der Kollege von der Linksfraktion hatte. Der Herr Lederer hatte hier vorgetragen, dass er der Ansicht ist, dass wegen der besonderen Situation der EU-Staatsbürger es halt nicht möglich wäre, das den Migrantinnen und Migranten außerhalb der EU zuzubilligen. Und da hat der Herr Hanschmann – ich zitiere – gesagt: Es gibt keine Stimme in der rechtswissenschaftlichen Literatur, es gibt keine Gerichtsentscheidung, die Vorgaben für die Frage macht, ob man den Kreis der Wahlberechtigten über die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger hinaus noch erweitern kann. – Dennoch fühlte sich aber die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion lediglich berufen, das zu wiederholen, was Herr Lederer hier schon in der Plenarberatung vorgetragen hatte.

[Gernot Klemm (Linksfraktion): Weil wir uns abstimmen!]

Daran können Sie sehen, dass wirklich noch nicht mal eine Offenheit da war, sich dieses Themas anzunehmen und zumindest eine inhaltlich fundierte Debatte dazu zu führen. Und das ist Ihre Form der Integrationsverweigerung.

[Beifall bei den Grünen]

Heute kam die Männergruppe, die sich immer mit Kazim Erdogan trifft, zu mir ins Abgeordnetenhaus und hat mir einen Packen an Karten übergeben – ich will Ihnen das auch mal zeigen, das sind unsere Karten von Bündnis 90/Die Grünen –, in denen die Menschen in verschiedenen Sprachen nachlesen können, was uns wichtig ist, und darstellen können, was ihnen wichtig, nämlich mitreden zu dürfen. Diese Karten wurden mir von den Männern übergeben, gemeinsam mit Kazim Erdogan, und aus dem Gespräch möchte ich doch eines wiedergeben, was mir der eine Mann erklärt hat. Er lebt fast so lange wie dieses Abkommen, das wir heute in der Aktuellen Stunde beraten haben, nämlich seit 45 Jahren in Berlin. Er arbeitet hier. Er zahlt Steuern. Er hat hier seine Kinder und Enkel großgezogen. Und er sagt, er kann nicht verstehen, warum er immer noch nicht mitwählen darf, warum er die Belange in Neukölln nicht mitgestalten darf. Sie werden in den folgenden Monaten reichlich Gelegenheit haben, insbesondere die Parteien, die hier die Koalitionsfraktionen darstellen, den Menschen zu erklären, warum Sie in Ihre Programme hineinnehmen, dass Sie kommunales Wahlrecht für die Menschen ermöglichen wollen, aber dort, wo die konkrete Gelegenheit da ist, nämlich heute dem Antrag, den wir gestellt haben, der juristisch gangbar ist, nicht zustimmen. Das müssen Sie den Menschen erklären. Überlegen Sie sich noch mal, ob Sie nicht doch heute zustimmen! Dann haben Sie auch einen schöneren Sommer.

[Beifall bei den Grünen – Christian Gaebler (SPD): Wir stimmen Verfassungsänderungen nicht nach Urlaubsplanung ab!]

Danke schön, Frau Kollegin Bayram! – Der Kollege Dörstelmann hat für die SPD-Fraktion jetzt das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben bei der ersten Lesung zu diesem Gesetzesantrag die einschlägigen Argumente zutiefst erörtert. Alle sind ausgetauscht. Die Antragsteller haben ihren Antrag begründet. Und es hat sich gezeigt, dass die übrigen Fraktionen durchaus zu unterschiedlichen inhaltlichen Würdigungen gekommen sind. Für die Sozialdemokratie gilt nach wie vor, dass auch wir ein solches Wahlrecht für die Angehörigen von Drittstaaten auf kommunaler Ebene anstreben. Wir werden daran auch weiter festhalten, um das hier ganz klar zu sagen.

[Beifall bei der SPD]

Das gilt auch für unseren Koalitionspartner. Das gilt eben nicht, inhaltlich betrachtet, für CDU und Liberale, die das ja auch zum Ausdruck gebracht haben.

Anders als die Antragsteller haben aber hinsichtlich des Weges, der zu einer solchen Änderung des Wahlrechts

führen könnte, alle vier übrigen hier im Haus vertretenen Fraktionen ganz klar gesagt: Wenn man so etwas will – da bestand Einigkeit –, dann muss man auch die verfassungsrechtlichen Regeln beachten, dann muss man einen verfassungsrechtlich vertretbaren Weg wählen, um dorthin zu gelangen. Das ist eine Grundgesetzänderung, unverändert, und das wird auch so bleiben.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion – Beifall von Dr. Sebastian Kluckert (FDP)]

Es ist erkennbar, dass eine Änderung von Artikel 73 VvB nicht ausreicht, sondern dass man hier Artikel 28 GG weiter modifizieren muss. Ich sage das gleich in Richtung der Grünen, in Ihre Richtung, Frau Bayram: Sie haben bei der ersten Lesung fröhlich ignorant von irgendeinem angeblichen Rechtspositivismus schwadroniert, als es darum ging, dass hier vier Fraktionen nicht bereit waren, die Einschlägigkeit und Beachtlichkeit des Grundgesetzes in diesem Bereich zu ignorieren. Jetzt kommen Sie damit, dass in der Anhörung im Innenausschuss, der von Ihnen zitierte Herr Dr. Hanschmann mit seinem Sachverständigenbeitrag zu dem Schluss gekommen sei, es sei im Grunde mit dem Grundgesetz, so wie wir es jetzt haben, vereinbar und einzuführen. Da muss ich Ihnen sagen: Lesen Sie das Wortprotokoll wirklich noch einmal ganz genau! Die Notwendigkeit scheint mir gegeben zu sein. Herr Dr. Hanschmann hat sich im Wesentlichen auf drei Punkte bezogen: Wahlvolk nicht gleich Staatsvolk. Das ist hier schon erörtert worden. Das steht außer Frage. Natürlich ist das so. Das Wahlvolk ist durch die bisherigen Entscheidungen und die Änderungen des Grundgesetzes nicht mehr gleich das Staatsvolk.

Herr Kollege! Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Bayram?

Sie hat ja gerade erst geredet!

Dann fahren Sie fort!

[Zuruf von Christian Gaebler (SPD)]

Das Zweite: Das Bundesverfassungsgericht könnte sich in der Besetzung verändern und seine Meinung revidieren. Gut, darüber kann man sich Gedanken machen, aber eine Garantie ist das nicht.

Das Dritte war im Wesentlichen eine Ausführung zu transnationalen Rechten, die zunähmen und eine solche Wahlrechtsbeteiligung von Drittstaatlern ermöglichen würden. Wenn man diese Argumente alle nimmt, wenn man sie sich auch im Wortprotokoll noch einmal an

schaut, dann folgt daraus nur unverändert – das ist auch in der ersten Lesung hier in der Debatte bereits erörtert worden –, dass man das Grundgesetz dahin gehend ändern kann, dass ein solches Wahlrecht eingeführt wird, aber nicht, dass man es jetzt mit dem Grundgesetz in der jetzigen Form bereits vereinbaren kann.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion – Zuruf von Benedikt Lux (Grüne)]