Protocol of the Session on January 27, 2011

Wir brauchen – und das betrifft insbesondere den aktuellen Dioxinskandal – Meldepflichten pro Charge und strenge Haftstrafen bei Gesetzesverstößen, um die Sicherheit auf den Märkten zu gewährleisten.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Diese Maßnahmen sind längst überfällig, und hier ist der Bund gefordert. Hier ist Frau Aigner als zuständige Ministerin gefragt. Der beschlossene Aktionsplan „Unbedenkliche Futtermittel, sichere Lebensmittel, Transparenz für Verbraucher“ muss zügig umgesetzt werden.

Die Berliner Prüfbehörden haben im Rahmen ihrer Möglichkeiten auf die Dioxinwarnung sofort reagiert. Zum Glück gab es keine Ergebnisse, die die zulässigen Werte überschritten haben. Es ist aber auch völlig unmöglich, alle Geschäfte zu überprüfen, die z. B. Eier verkaufen. Das heißt, die Grenzen der Kontrollen liegen auch in der Masse und da, wo z. B. Chargen gar nicht gemeldet werden und auch nicht ausgemacht werden können, denn nur da, wo gemeldet wird, kann auch unverzüglich überprüft werden, und nur dann können Verbraucher bei Gefahr auch schnell gewarnt werden. Genau deshalb muss es künftig eine weitere Vernetzung geben, und eine Information muss nachvollziehbar sein. Deshalb wollen wir insbesondere eine schnelle Umsetzung der Internetplattform www.lebensmittelwarnung.de.

Für die Berlinerinnen und Berliner ist es fast schon ein Déjà-vu. Um die Jahreswende herum vor fünf Jahren haben wir uns in diesem Hause auch mit einem Lebensmittelskandal beschäftigt, mit dem Gammelfleischskandal, konkret mit kontaminiertem Putenfleisch und im Laufe des Jahres 2007 dann auch noch mit K3Fleischfunden, die nicht für den Verkauf an der Ladentheke geeignet waren. Zum Glück gab es auch damals keine unmittelbaren ernsthaften gesundheitlichen Schäden, aber es war völlig richtig, dass alle in diesem Hause vertretenen Parteien ein hohes Interesse daran hatten zu erfahren, ob es auch in Berlin Vergiftungsfälle mit schweren Folgewirkungen gibt. Damals hat die zuständige Senatsverwaltung für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz unverzüglich Gremien und Arbeitsstäbe eingerichtet, die sich mit möglichen Lücken im Kontrollsystem und mit den nötigen Handlungsfeldern befassten. Dabei ging es um Berliner wie auch bundes- und EU-weite Kontrollinformationen und Berichtswege und natürlich auch um alle Fragen, die sich mit Schwierigkeiten unter anderem aufgrund von Personalmangel befassten. Dies fand im Zeitraum von Januar 2007 bis März 2007 statt. Das Ergebnis war das Berliner „Memorandum Lebensmittelsicherheit“ mit 17 Handlungsfeldern, das bis heute Handlungsgrundlage für den Senat und die bezirklichen Veterinär- und Lebensmittelaufsichtsämter ist. Dazu gehört auch die Task-Force Lebensmittelsicherheit und auch das Ziel, die Ordnungsämter zu Verbraucherschutzämtern zu entwickeln, die Kontrollbehörden mittelfristig personell zu stärken und auch die Labore zu offensiv handelnden verbraucherorientierten Einrichtungen zu entwickeln.

Starke, leistungsfähige, offensive Kontrollbehörden sind das Ziel von Rot-Rot, und dafür haben wir uns in allen Haushaltsverhandlungen stark gemacht und werden das auch künftig tun.

[Beifall bei der Linksfraktion – Beifall von Frank Zimmermann (SPD)]

Seit 2008 gibt es z. B. jährlich auch einen Lebensmittelbericht, und das Smiley ist – wie Sie sicher wissen – durch den Beschluss der Verbraucherministerkonferenz vom September 2010 und Zustimmung aller Bundesländer auf dem Weg zu einem bundesweiten Siegel. Auch hier ist Berlin mit diesem Smiley Vorreiter in Sachen

Transparenz und Verbraucherinformation. Ich denke, darauf können wir alle stolz sein.

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Berlin hatte damals als eines der ersten Bundesländer ein weitreichendes Verbraucherinformationsgesetz verabschiedet, das aber 2008 – nach zwanzigjähriger Debatte allerdings – durch ein bundesweites Verbraucherinformationsgesetz abgelöst wurde. Inzwischen steht die Evaluation des Verbraucherinformationsgesetzes an, Initiativen und Verbände wie Food Watch haben Änderungsvorschläge eingebracht. Berlin ist mit zwei Bundesratsinitiativen offensiv geworden. Es geht bei den Änderungen vor allem um das Auskunftsrecht für Verbraucherinnen und Verbraucher und die proaktive Informationspflicht von Behörden bei der Umsetzung des Lebensmittelrechts. Eine intensive Debatte allerdings muss noch zum verbesserten Informantenschutz geführt werden, wie ihn z. B. die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten fordert. Von uns wird sie dabei unterstützt.

Auch in vielen anderen Verbraucheraspekten ist Berlin offensiv und aktiv. Das Berliner Parlament hat eine verbraucherpolitische Strategie verabschiedet, die Handlungsfelder, Maßnahmen, Zielgruppen und Projekte beschreibt, und zwar von der bezirklichen bis zur EUEbene, von der Stärkung der Verbraucherbildung bis zum aufsuchenden Verbraucherschutz in den Berliner Kiezen, der z. B. derzeit in einem Modellprojekt von der Berliner Verbraucherzentrale erprobt wird und vor allem diejenigen Menschen erreichen soll, die weniger aktiv den Weg zur Berliner Verbraucherzentrale oder zu Verbraucherinformationen finden.

Nur dann, wenn nicht Betriebsgeheimnisse und Amtsgeheimnisse im Vordergrund stehen, sondern Bürgerrechte auf Information, Transparenz und Beteiligung, kann auch die Verwaltung gute Arbeit leisten und aktiv werden. Es geht beim Dioxin- wie beim BSE- und anderen Skandalen nicht um schwarze Schafe, sondern um Folgen – unter anderem um Folgen industrieller Lebensmittelproduktionen – und um einen ruinösen Preisdruck in der Landwirtschaft. Deshalb ist es wichtig, dass sich Verbraucherinnen und Verbraucher selbst aktiv für bessere Lebensmittelstandards und für regionale Produktion einsetzen, und sie tun es. Am 22. Januar demonstrierten mehr als 16 000 Verbraucherinnen und Verbraucher gemeinsam mit Landwirten für eine bäuerliche, ökologische Landwirtschaft. „Wir haben es satt“ war die Losung. „Nein zu Gentechnik, Tierfutter und Dumpingexporten“ war die Forderung, die auch wir von der Linken unterstützen.

Eine gute Verbraucherpolitik braucht aktive Unterstützerinnen und Unterstützer und ein Leitbild, wie es beispielsweise in der Protokollerklärung von fünf Ländern – das waren Berlin, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz – zur gemeinsamen Erklärung der Sonderkonferenz der Verbraucher- und Agrarminister am 18. Januar formuliert wurde. Frau

Monteiro hat das angesprochen. – Ich zitiere einen Absatz daraus:

Die Länder halten daher einen umfassenden und systematischen Diskurs über Grundlinien, anzustrebende Entwicklungsziele und dafür erforderliche Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für die gesamte Kette der Lebensmittelwirtschaft für dringend erforderlich. Sie bitten das BMELV, hierfür eine Konzeption zu entwickeln, mit den Ländern anzustimmen und den Dialog möglichst rasch zu beginnen. In diesem Dialog sollten Vertreterinnen und Vertreter aus allen relevanten Bereichen wie zum Beispiel Umweltschutz, Tierschutz, Verbraucherschutz, Landwirtschaft und Kirchen einbezogen werden.

Das ist eine große und zukunftsweisende Aufgabe für eine gute Verbraucherinnen- und Verbraucherpolitik. Der Diskurs sollte bald beginnen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Vielen Dank, Frau Holzheuer-Rothensteiner! – Für die Fraktion Bündnis 90/Grüne hat Frau Schneider das Wort. – Bitte sehr!

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Meine Damen und Herren! Wenn wir heute in diesem Hause über Verbraucherpolitik und Lebensmittelsicherheit in Berlin sprechen, dann müssen wir von einer Systemkrise sprechen. Diese Krise umfasst aber nicht nur die Lebensmittelproduktion, die Art und Weise, wie unsere Lebensmittel hergestellt werden, sie umfasst auch die Lebensmittelüberwachung, aber insbesondere ist es auch eine Krise des Verbraucherschutzes in Berlin. Es ist auch eine Krise des Berliner Senats.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Über 22 000 Leute sind am letzten Wochenende in Berlin auf der Straße gewesen. Sie wollen endlich gesunde Lebensmittel. Sie wollen keine Lebensmittel, die Gentechnik beinhalten. Sie wollen Lebensmittel fair, ökologisch und klimaschonend hergestellt haben. Sie wollen Lebensmittel haben, die auch den Anforderungen der Nachhaltigkeit und der gesunden Ernährung genügen.

[Beifall bei den Grünen]

Massenproduktion und die Herstellung von Lebensmitteln zu Niedrigpreisen, die Tierfabriken und Dumpingexporte beinhalten, sind kein Modell, das wir in Berlin fördern können. Dagegen richtet sich der Protest der Bürgerinnen und Bürger. Aber erschöpft, Frau Holzheuer-Rothensteiner, hat sich nicht nur das Vertrauen der Verbraucher in die Lebensmittelindustrie und die industrielle Lebensmittelherstellung, sondern auch in die Berliner Verbraucherschutzpolitik.

[Beifall bei den Grünen]

Das lässt sich überdeutlich im Verbrauchermonitor ablesen, der für Berlin erstellt wurde und jährlich erstellt wird. Das Vertrauen der Berliner Verbraucherinnen und Verbraucher in den Verbraucherschutz in Berlin ist in allen Bereichen stark zurückgegangen. So sind nur noch 24 Prozent der Berliner Bürgerinnen und Bürger der Meinung, dass die angebotenen Produkte und Dienstleistungen ausreichend auf ihre Sicherheit geprüft worden sind. Das sind 10 Prozent weniger als noch ein Jahr zuvor. Frau Lompscher, das ist ein sehr schlechtes Zeichen für die Berliner Verbraucherschutzpolitik.

[Beifall bei den Grünen]

Zwei Drittel aller Berlinerinnen und Berliner sind nicht der Meinung, dass die Lebensmittel gesundheitlich unbedenklich sind. Die Berlinerinnen und Berliner stellen somit dem Senat ein sehr schlechtes Zeugnis in der Überwachung von Lebensmitteln und Produkten aus. Nicht zu Unrecht wurde bereits von Vorrednern festgestellt, dass in Berlin ganz massiv Lebensmittelkontrolleure fehlen. Hier wurde auch eine völlig verfehlte Personalpolitik betrieben. Dieser Senat hat einfach keinen Schwerpunkt gesetzt. Herr Wowereit fehlt beim Thema Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. Das ist sicher kein Zufall. Die Senatsbänke sind auch insgesamt relativ leer.

[Dr. Klaus Lederer (Linksfraktion): Besser als voll, oder?]

Dieser Senat hat keinen Schwerpunkt auf die Lebensmittelüberwachung und den Verbraucherschutz gelegt.

[Beifall bei den Grünen]

Frau Abgeordnete Schneider! Entschuldigung! Ich habe schon eine Weile gewartet, bis der Satz beendet war. – Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Isenberg?

Jetzt bitte nicht! – Es wurde einfach kein Geld in eine gute Lebensmittelüberwachung investiert. Deshalb überrascht es, dass sich jetzt, wo der Skandal seinen Höhepunkt bereits erreicht hat, Frau Lompscher hinstellt und sich für eine bundesweite Verbesserung der Lebensmittelüberwachung einsetzt, zumal Berlin – festgestellt vom Bundesverband der Verbraucherzentralen – gerade bei der Lebensmittelüberwachung im Verbraucherindex im Vergleich zu den anderen Bundesländern das absolute Schlusslicht darstellt. Wie können ausgerechnet wir uns hinstellen und fordern, nun müsse die Lebensmittelüberwachung sofort verbessert werden, wie es Herr Wowereit getan hat? So nahm in Berlin die Anzahl der Verstöße um rund 60 Prozent zu, was die mikrobielle Verunreinigung von Fleisch anbelangt. Deshalb muss Berlin zunächst einmal vor der eigenen Tür kehren.

Nun wurde wiederholt gesagt, dass Berlin vom Dioxinskandal verschont geblieben sei, dass in Berlin gar keine dioxinbelasteten Eier gefunden worden seien. Das ist kein Zufall, denn es wurde gar nicht gesucht in Berlin, es wurde viel zu wenig getestet.

[Beifall und Heiterkeit bei den Grünen]

Wenn von den Vorrednern festgestellt worden ist, dass 100 Prozent der Betriebe in Berlin dioxinfrei seien,

[Zuruf von Christian Gaebler (SPD)]

ist das absolut lächerlich – lächerlicher kann man sich gar nicht machen –,

[Christian Gaebler (SPD): Ich denke, es ist kein wichtiges Thema!]

denn Berlin hat einen einzigen eierlegenden Betrieb.

[Beifall bei den Grünen – Zurufe von der Linksfraktion]

Völlig falsch ist es aber, meine Herren von der SPD – Damen haben Sie nicht so viele dort sitzen –, davon zu sprechen, dass man nun Entwarnung geben könne. Denn wir alle wissen: Berlin ist ein großer Verbraucher. Selbstverständlich werden in Berlin die Lebensmittel, die in Niedersachsen oder Nordrhein-Westfalen produziert werden, so gegessen.

[Ralf Wieland (SPD): Oh, echt? – Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Da wären wir nicht drauf gekommen!]

Sie essen diese dioxinverseuchten Eier, Sie essen das Schweinefleisch. So sieht es aus.

Was versäumt wurde: Senatorin Lompscher oder vielmehr ihre linke Fraktionsvertreterin, Genossin hätte ich fast gesagt,

[Martina Michels (Linksfraktion): Nee, das dürfen Sie nicht!]

hat stolz dargestellt, dass eine Task-Force Lebensmittelsicherheit nach dem unsäglichen Gammelfleischskandal in Berlin geschaffen worden ist. Nun frage ich: Wann, wenn nicht jetzt, hätte man diese Task-Force Lebensmittelsicherheit aktivieren müssen.

[Beifall bei den Grünen]

Sie ist nicht aktiviert worden. Das halten wir für einen großen Fehler, denn gerade jetzt hätte man verstärkt Proben nehmen müssen. Sie können sich nicht damit herausreden, Frau Lompscher, indem Sie sagen: Wir haben die Kette noch nicht ganz verfolgen können, es gibt noch keinen Nachweis, dass die Schweine, die die Berliner gegessen haben, vorher dioxinverseuchtes Tierfutter gegessen haben. Wenn dieser Nachweis in fünf Wochen endlich vorliegt, dann sind die Schweine aufgegessen.

[Beifall bei den Grünen – Oh! von der Linksfraktion]

Frau Abgeordnete Schneider! Darf ich Sie fragen, ob Sie jetzt eine Zwischenfrage gestatten?